Abfolge und Grenzen der Saale- und Weichseleiszeit in der norddeutschen Tiefebene sind weitgehend geklärt. Am Beispiel des "Westerbeverstedter Kessels", einer kleiner abflusslosen Hohlform in Lunestedt, Samtgemeinde Beverstedt, kann jedoch gezeigt werden, wie schwer es im konkreten Einzelfall ist, abschließende Antworten auf Fragen der Genese und der Datierung zu geben. Der Untergrund des "Westerbeverstedter Kessels" gehört zu den im Rahmen des Drenthe-Stadiums vorgestoßenen saaleeiszeitlichen Gletschern der Lamstedter Staffel, einer der zentralen Glazialformationen des Elbe-Weser-Dreiecks. Die Kesselbildung in Westerbeverstedt gehört zu zahlreichen ähnlichen abflusslosen Becken und Tälern der Region. Die zeitliche und formtypische Zuordnung erfolgt unterschiedlich und schwankt zwischen Toteis- oder Strudellöchern der Saaleiszeit und weichseleiszeitlichen Folgen einer Bodeneisbildung, von Pingos, kyrogenen Kaven oder Windausblasungswannen. Zum "Westerbeverstedter Kessel" äußerte bereits 1933 Drewers die Annahme eines saaleeiszeitlichen Toteisblockes. In den sechziger Jahren diskutierten Hagedorn, Schröder-Lanz, Seedorf und Garleff hierzu unterschiedliche weichseleiszeitlich datierte Genesen. Die Ergebnissen von Lade, 1980, lassen eine derartig eindeutige Zuordnung für unzulässig erscheinen. Vergleiche des Verfassers führen zu einer benachbarten, aber noch nicht näher bearbeiteten, weiteren Hohlform. Auch hier ist eine Datierung nicht abschließend möglich.
Westerbeverstedter Kessel – Ein eiszeitliches Zeugnis in Lunestedt
Eine geologische Besonderheit Lunestedts ist der „Westerbeverstedter Kessel“. In den dreißiger Jahren des vorigen Jahrhunderts beschrieb der Geograph Ferdinand Dewers erstmals diese kleine Hohlform in der heutigen Gemeinde Lunestedt und seither beschäftigten sich Geographen und Geologen immer wieder mit der Frage, ob die Entstehung des Kessels der letzten oder der vorletzten Eiszeit zuzuschreiben ist. Ihre Beantwortung gäbe Aufschluss über das Alter dieses Relikts aus der Vorzeit, das möglicherweise 100.000 Jahre überschreitet.
Umfeld und Lage
Der „Westerbeverstedter Kessel“ befindet sich auf der flachwelligen Geest im Lunestedter Ortsteil Westerbeverstedt ( Foto 1) und gehört zu dem Grundstück der Landwirtsfamilie Bock im Kreuzungsbereich der Straßen „Dorfstraße“, „Am Geeren“ und „Breslauer Straße“. In alten Verzeichnissen von Flurnamen heißt das Gebiet „Ole Soll“ und ist mit alte Kuhle oder Wasserloch zu übersetzen. Wasser sammelt sich jedoch nur in regenreichen Zeiten ( Karte 1 ). Die heute noch gut sichtbare Hohlform verfügt über einen Durchmesser von 150 – 200 m und ist ca. 3,80 m tief. Die Preußische Landesaufnahme von 1898 verzeichnete noch eine Tiefe von 4,60 m.
Das Höhenniveau, siehe auch Geländeschnitt 2 , des von Ost nach West abfallenden Geestrückens schwankt zwischen 12,7 m im Bardel, einem Mischwald von ca. 50 ha Größe, und 6,8 m im Reithorn, einem dem Moor vorgelagerten Endmoränenausläufer. Die Moor- und Wiesenflächen zum nördlich verlaufenden Dohrener Bach erreichen eine Höhe von 2 m, das Oberflächenniveau der südlich verlaufenden Lune fällt von 1 m auf 0,6 m.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Der „Westerbeverstedter Kessel“ ergänzt das von einer reizvollen Abfolge sehr unterschied-licher Geländeformen geprägte Lunestedter Landschaftsbild. Das 1968 aus den beiden ehemaligen Dörfern Freschluneberg und Westerbeverstedt gebildete Gemeindegebiet umfasst insgesamt ca. 17,3 km². Die Wasserläufe der Lune und des Dohreners Bachs umschließen eine Wald- und Heidelandschaft mit Moor- und Geestflächen und sind der Beverstedter Geest zuzuordnen. Nördlich davon schließen sich die Geestflächen Bederkesas und südlich die der Samtgemeinde Hagen an ( Karte 2 , Geländeschnitt 2 ).
Die Eiszeit und ihre Folgen
Ursächlich für die Ausformung des Landschaftsbildes ist die Eiszeit. Vor 2,6 Millionen Jahren begann dieser Pleistozän genannte Zeitraum, in dem sich die Temperaturen auf der Erde mehrmals änderten. Es gab Kaltzeiten (Eiszeiten) und Warmzeiten. In Kaltzeiten lagen die mittleren Temperaturen bis zu 10° C niedriger als heute. Die Niederschläge fielen in Nordeuropa vorwiegend als Schnee, der nicht mehr abtaute. Die Schneedecke wuchs allmählich zu einer dicken Eisschicht an. In Nordeuropa erreichten die so entstandenen Gletscher eine Stärke von bis zu 4 km Höhe. Sie schoben sich langsam in Richtung Süden vor und bedeckten weite Teile Norddeutschlands. Zwischen 800.000 und 10.000 v. d. Z. sind mehrere solcher Eisvorstöße bekannt. Auf ihrem Weg nach Süden „hobelten“ die Gletscher über die Landschaft. Dabei wurde tonnenweise Gestein aus dem Untergrund herausgebrochen, im Eis eingefroren, zerstoßen und zerrieben. Sand, Ton und unterschiedlich großes Gestein wurde so auf, im und unter dem Eis mitgeschleppt. In den Auftauphasen der warmen Zeitabschnitte blieb das mitgeführte Material liegen.
Üblicherweise werden in Norddeutschland bis zu drei Eiszeiten (Glaziale), die nach den Flüssen Elster, Saale und Weichsel benannt werden, mit unterschiedlichen Stadien, Phasen und Staffeln und zwei dazwischen liegenden Warmzeiten (Interglaziale) unterschieden. Das im lokalen Zusammenhang wichtige Drenthe-Stadium ist dem Saaleglazial des Mittel-pleistozäns zuzuordnen. Gletscher der letzten großen Kaltzeit, der Weichseleiszeit, erreichten das Elbe-Weser-Dreieck nicht mehr. Das Erscheinungsbild der gesamten norddeutschen Tieflandzone wurde von diesen Kaltzeiten geformt. Im Elbe-Weser-Dreieck und in der unmittelbaren Nachbarschaft Lunestedts finden sich hierfür zahlreiche Beispiele (siehe: Tabelle des Quartärs in Norddeutschland und ausgewählte regionale Fundorte im Elbe-Weser-Dreieck ).
Die Gletscher hinterließen Grundmoränen, Endmoränen, Sander und Urstromtäler (glaziale Serie). Grundmoränen bestehen aus sandigem, fein zerriebenem lehmigen Material, das die Gletscher am Untergrund mitgeführt haben. Beim Abtauen des Eises blieb es unsortiert liegen. Endmoränen sind Hügel, die das vorrückende Eis wallartig aufgeschoben oder aufgeschüttet hat. Sie markieren die ehemalige Eisgrenze. Bezogen auf Lunestedt ist der Reithorn als Beispiel zu nennen. Die Sander bestehen überwiegend aus Sand und Kies, der durch Schmelzwasser vor dem Eisrand abgelagert wurde. Ein derartiges Sandvorkommen wird noch heute in der am westlichen Ortsrand gelegenen Sandentnahmestelle ausgebeutet. Das Schmelzwasser sammelte sich anschließend in flachen, viele Kilometer breiten Tälern, den Urstromtälern. Die Lune und der Dohrener Bach gehören zum Gebiet des Weser-Urstromtals.
Der Ursprung des im Elbe-Weser-Dreieck vorzufindenden Materials ist unterschiedlich. Die Gesteine der Vorstöße der ältesten Eiszeit entstammen größtenteils dem Gebiet des Oslo Fjords, spätere Ablagerungen können überwiegend Mittelschweden und der Region der Åland-Inseln zugeordnet werden.
Steine und Gesteinsbrocken erreichen oft eine Größe von mehr als einem Kubikmeter. Findlinge wie der 2,5 m lange und 1,75 m breite Opferstein in Hollen, der Findling im Hohensteinforst bei Midlum, der Graue Hengst bei Lehnstedt, der Große Stein am Hohen Berg bei Köhlen und viele andere Blöcke, die später als Steingräber, Denkmäler und für Bauzwecke Verwendung fanden, belegen dies. Victor von Scheffel hat ihnen 1868 sogar ein eigenes Gedicht „Der erratische Block“, gewidmet. Oft haben diese Findlinge zu Legenden und Mythen inspiriert. Ein regionales Beispiel ist die Sage um den nahe dem Bülter See gelegenen Drachenstein.
Zum Westerbeverstedter Kessel
Nach der Geologischen Übersichtskarte 3118, Hamburg-West, befindet sich die Wester-beverstedter Talform in dem ganz Lunestedt betreffenden Grenzbereich zwischen anstehendem Geschiebelehm, Geschiebemergel, Schluff und feinsandig bis kiesigen Sanden. Dies wird durch mehrere vom Landesamt für Bergbau, Energie und Geologie (LBEG) verzeichnete Bohrungen bestätigt. In Lunestedt wurde eine Tiefe von 239 m nachgewiesen. Die tiefste Bohrung der Region erreichte 1957 bei Wellen 1543,30 m. Hier werden die pleistozänen, also eiszeitlichen Schichten durchstoßen und gelangen nach umfangreichen Sand- und Kiesschichten zu Tonsteinen des Rhät, der jüngsten erdgeschichtlichen Epoche des über 200 Millionen Jahre alten Trias.
Direkt zum Westerbeverstedter Kessel liegen die Ergebnisse zweier spezieller Boden-untersuchungen vor (Lade, Seite 58f.). Eine 12 m tiefe Bohrung erfolgte im Zentrum, eine weitere reichte bis auf halbe Höhe. Die erste Messung traf unter 1,60 m anstehenden Torf auf einen braunen, sandigen, schwach humosen Schluff, der bis 1,90 m reichte. Dann folgte bis 4 m unter teilweisem Kernverlust Mittel- bis Grobsand mit einer Lage gelben Tones. Die restlichen 8 m wurden insgesamt als Kernverlust verzeichnet. Die zweite Bohrung traf unter 1,30 m auf schwach kiesigen und mittelsandigen Grobsand, es folgen 0,35 m Feinsand und anschließend bis 4 m feinsandiger und grobsandiger Mittelsand. Die unteren zwei Meter wurden wieder als Kernverlust notiert. Die Tiefenangabe des Zentrums differiert um 70 cm zu den Angaben des LBEG ( Geländeschnitt 1 ).
Nach den vorliegenden gesicherten Angaben gehört der gesamte Untergrund Lunestedts zu den im Rahmen des Drenthe-Stadiums vorstoßenden saaleeiszeitlichen Gletschern der Lamstedter Staffel. Die Datierung der eigentlichen Kesselbildung ist jedoch umstritten und wird entweder saale- oder weichseleiszeitlich angenommen.
Saaleeiszeit
Die ältere Saaleeiszeit hinterließ eine ausgeprägte Grundmoränenoberfläche, die aus einer Unmenge kleiner und größerer zum Teil steilgeböschter Hügel mit zahlreichen abflusslosen Wannen bestand. Zum Tier- und Pflanzenvorkommen liegen bislang nur wenige gesicherte Funde vor. Aus saalekaltzeitlichen Flussschottern lassen sich jedoch Rückschlüsse auf die Tierwelt ziehen. Für zwischenliegende Warmzeiten mit entsprechendem Eisrückzug sind Altmammut, Wollnashorn, Wildpferd, Elch, Auerochse, Wildschwein, Höhlenbär, Luchs, Ren und Rothirsch belegt. Pferdeknochen weisen auf eine mittelgroße Form des Wildpferdes hin, die anscheinend erst im Mittelpleistozän aus den asiatischen Steppen nach Mitteleuropa eingewandert ist. Die Mammutnahrung bestand vermutlich aus harten Gräsern, Moosen und Blättern bzw. ganzen Zweigen. Die Pflanzenreste ähneln der heutigen Arktisvegetation. Verlässliche Nachweise menschlicher Besiedlung aus diesem Zeitabschnitt finden sich im Elbe-Weser-Dreick nicht.
Die sich anschließende Eem-Warmzeit wird als „Klimaparadies“ bezeichnet und führte in Nord- und Mitteleuropa zu einem geschlossenen Waldgebiet mit unterschiedlichen Epochen: Birken-Nadelwald-Zeit, Eichen-Mischwald-Zeit, Hainbuchen-Zeit und Fichten-Kiefern-Zeit. Das Flussnetz ähnelte in den später nicht mehr vereisten Gebieten bereits dem heutigen. Die Elbe floss wohl bereits durch das heutige Tal und mündete in eine breite Meeresbucht, die knapp bis Stade reichte.
Zumindest seit wärmeren, eisfreien Abschnitten könnten Altsteinmenschen im Gebiet des Landkreises Cuxhaven gelebt haben. Im Südosten der Stader Geest gibt es Funde vom Neandertalersiedlungen. In Midlum konnten Feuersteingeräte weichseleiszeitlich gedeutet werden. Ihnen wird ein Alter von etwa 100.000 Jahren zugeschrieben.
Weichseleiszeit
Häufig gestellte Fragen zum Westerbeverstedter Kessel
Was ist der Westerbeverstedter Kessel?
Der Westerbeverstedter Kessel ist eine geologische Besonderheit in Lunestedt, genauer gesagt im Ortsteil Westerbeverstedt. Es handelt sich um eine kleine Hohlform in der Landschaft.
Wo genau befindet sich der Westerbeverstedter Kessel?
Er befindet sich auf dem Grundstück der Landwirtsfamilie Bock im Kreuzungsbereich der Straßen „Dorfstraße“, „Am Geeren“ und „Breslauer Straße“ in Westerbeverstedt. Das Gebiet wird auch „Ole Soll“ genannt.
Wie groß ist der Westerbeverstedter Kessel?
Die Hohlform hat einen Durchmesser von 150 – 200 m und ist ca. 3,80 m tief. Historisch wurde eine Tiefe von 4,60 m gemessen.
Wie ist die Landschaft um den Westerbeverstedter Kessel beschaffen?
Die Landschaft ist flachwellig und gehört zur Geest. Das Gelände fällt von Ost nach West ab. In der Umgebung gibt es den Mischwald Bardel, den Endmoränenausläufer Reithorn sowie Moor- und Wiesenflächen am Dohrener Bach und der Lune.
Welche Eiszeiten haben die Landschaft um den Westerbeverstedter Kessel geprägt?
Die Landschaft wurde hauptsächlich durch die Saaleeiszeit (speziell das Drenthe-Stadium) geformt. Ob der Kessel selbst in der Saale- oder Weichseleiszeit entstanden ist, ist umstritten.
Was sind Grundmoränen, Endmoränen, Sander und Urstromtäler?
Dies sind typische Geländeformen, die durch die Eiszeiten entstanden sind. Grundmoränen bestehen aus unsortiertem Material, das vom Gletscher mitgeführt wurde. Endmoränen sind wallartige Hügel, die die Eisgrenze markieren. Sander bestehen aus Sand und Kies, der durch Schmelzwasser abgelagert wurde. Urstromtäler sind flache Täler, in denen sich das Schmelzwasser sammelte.
Aus welchem Material besteht der Untergrund des Westerbeverstedter Kessels?
Der Untergrund besteht aus Geschiebelehm, Geschiebemergel, Schluff und feinsandigen bis kiesigen Sanden. Bohrungen haben eine Tiefe von 239 m in Lunestedt nachgewiesen.
Was sagen die Bodenuntersuchungen im Kessel aus?
Eine Bohrung im Zentrum des Kessels traf unter Torf auf Schluff, Sand und Ton. Eine weitere Bohrung traf auf Grobsand, Feinsand und Mittelsand. Es gab Kernverluste in den tieferen Bereichen.
Welche Tierarten lebten während der Eiszeiten in der Region?
In den Warmzeiten zwischen den Eiszeiten gab es Altmammut, Wollnashorn, Wildpferd, Elch, Auerochse, Wildschwein, Höhlenbär, Luchs, Ren und Rothirsch.
Gibt es Nachweise menschlicher Besiedlung aus der Eiszeit in der Region?
Es gibt Funde von Neandertalersiedlungen in der Stader Geest und Feuersteingeräte aus der Weichseleiszeit in Midlum.
Wie verlief die Entwässerung nach dem Rückzug der Gletscher?
Die Entwässerung erfolgte durch das Wesertal zur Nordsee. Drepte, Geeste und Lune fließen seitdem zur Weser.
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- Walter Mülich (Autor), 2010, Westerbeverstedter Kessel - Ein eiszeitliches Zeugnis in Lunestedt, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/168597