Die sozio-ökonomische Situation der Hausmädchen in Segou, Mali


Magisterarbeit, 2003

123 Seiten, Note: 1,1


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Danksagung

1 Einleitung
1.1 Motivation
1.2 Aufbau der Arbeit
1.3 Methoden und Vorgehensweisen
1.3.1 Teilnehmende Beobachtung
1.3.2 Interviews und informelle Gespräche
1.3.3 Die Gesprächssituationen
1.3.4 Schwierigkeiten der Feldforschung

2 Der Forschungsort Segou
2.1 Zur historischen Situation
2.2 Zur gegenwärtigen Situation
2.3 Bevölkerungsmobilität und Wanderarbeit

3 Pflegschaftsverhältnisse und soziale Elternschaft
3.1 Darstellung von Pflegschaftsverhältnissen in der ethno­logischen Literatur
3.2 Gründe der Pflegschaft
3.2.1 Sozio-ökonomische Gründe
3.2.2 Kritische Bemerkungen zu den funktionsorien­tierten Ansätzen
3.3 Gesellschaftliche Veränderungen und ihre Folgen für Pfleg­schaften
3.4 Zur Situation der Pflegekinder

4 Dienstleistungsverhältnisse und Lohnarbeit
4.1 Begriff und Phänomen der Arbeit aus ethnologischer Sicht
4.1.1 Kinderarbeit oder arbeitende Kinder
4.1.2 Hausarbeit
4.1.3 Pflegekinder und Hausmädchen
4.2 Bemerkungen zum informellen Sektor
4.2.1 Entstehung des Begriffes
4.2.2 Definitionsversuche

5 Land-Stadt-Migration
5.1 Geschichte der Migration
5.2 Gründe der Migration
5.3 Migration von Frauen und jungen Mädchen
5.4 Folgen der Migration

6 Ergebnisse meiner Feldforschung
6.1 Biografische Hintergründe
6.2 Aufenthalt der Mädchen in Segou
6.3 Beschreibung der Hausmädchen
6.4 Zu den Beziehungen zwischen Hausmädchen und Pa­troninnen
6.4.1 Zur Sicht der Hausmädchen
6.4.2 Zur Sicht der Patroninnen
6.4.3 Meine Sichtweise des Verhältnisses zwischen Haus­mädchen und Patroninnen
6.5 Zur Rolle des Vermittlers

7 Fazit
7.1 Analyse der Ergebnisse
7.2 Bilanz

Anhang
Abriß der Geschichte Malis
Interviewleitfaden
Zusammenarbeit mit Nicht-Regierungsorganisationen in Mali
Auflistung der wichtigsten Informanten

Literatur

Danksagung

Die Möglichkeit zur Durchführung dieser Arbeit verdanke ich der Unter­stützung und dem Engagement vieler Menschen, die nicht alle nament­lich erwähnt werden können.

In meinem Forschungsort Segou traf ich auf enorme Gastfreundschaft und Hilfsbereitschaft, ohne die diese Arbeit nicht zustande gekommen wäre. Ich fühle mich allen direkt und indirekt Beteiligten dieser For­schung in besonderem Maße zu Dank verpflichtet. Leider werden vie­le meiner Informanten[1] diese Forschungsarbeit nie lesen und beurteilen können. Dennoch habe ich mich bemüht, die Situation der Hausmäd­chen so darzustellen, wie sie mir von ihnen in zahllosen Gesprächen und Diskussionen vermittelt wurde.

Ganz besonders herzlich danke ich Prof. Dr. Egon Renner für seine ausdauernde und kontinuierliche Betreuung der Arbeit, für seine kon­struktive Kritik, seine wertvollen Anregungen und Unterstützungen und für sein persönliches Engagement, seine enorme Geduld und seine be- wunderswerte Art, Studenten zu betreuen.

In der Republik Mali möchte ich mich besonders bei Ulla Messerich- Santara und ihrer Familie sowie der Familie Dikore für ihre Gastfreund­schaft und ihre enorme Hilfsbereitschaft bedanken. Sie erleichterten mei­ne Arbeit mit einer ganzen Reihe von wichtigen Hilfestellungen und praktischen Tipps. Dankbarkeit verbindet mich auch mit Ami Cissé, mei­ner Übersetzerin. Sie verhalf mir zu vielen lebendigen Gespräche und zusätzlichen Informationen.

Nicht zuletzt möchte ich meinen Eltern für die vielfältige Unterstüt-zung danken. Mit ihrer Hilfe konnte ich mein Studium und meinen For­schungsaufenthalt in Mali finanzieren. Ich danke ihnen auch für ihre Ge­duld und ihre Fähigkeit, mir immer wieder Mut zu machen und mich zu motivieren.

Wolf Blaum danke ich von Herzen für seine manchmal von mir stra­pazierte Geduld, für die Bereitstellung der notwendigen technischen Ge­räte und für seine enorme Unterstützung in jeglicher Hinsicht.

Außerdem möchte ich meinen Freunden für ihre zahlreichen anre­genden und aufmunternden Gespräche danken.

Kapitel 1

Einleitung

In der vorliegenden Arbeit befasse ich mich mit der Arbeits- und Lebens­situation der Hausmädchen in Segou, Mali. Hausmädchen sind weibli­che Jugendliche, die in der Regel aus ländlichen Gebieten in die Stadt kommen, um dort in einem Haushalt zu arbeiten.

Als Basis für die vorliegende Arbeit dient meine viermonatige Feld­forschung in Segou, durchgeführt von August bis November 2000. Die gewonnenen empirischen Daten stellen die Grundlagen der Arbeit dar.

Das Ziel meiner Forschung ist es, die soziale und ökonomische Si­tuation der Mädchen zu beleuchten. Dazu war es mir wichtig, biogra­phische und lebensgeschichtliche Daten sowie Wünsche und Zukunfts­perspektiven zu erfragen. Die Fragen nach der sozialen Herkunft, der aktuellen Lebenssituation der Mädchen sowie der Art ihrer Beziehung zu den Gastfamilien stehen dabei im Mittelpunkt meiner Untersuchung.

Die Ausgangshypothese meiner Forschung entwickelte ich anhand der Literatur über Kinderadoption und Pflegschaftsverhältnisse in West­afrika. Ich sah die Hausmädchen als Teil der besonders in Westafrika weitverbreiteten Pflegschaftsverhältnisse, bei denen ein Kind zu einer verwandten Familie geschickt wird, um dort für eine bestimmte Zeit zu leben. In der Literatur werden für diese Fremdplazierungen verschiedene Motive angegeben. So wird beispielsweise davon ausgegangen, dass die Mädchen zum Zweck einer Ausbildung oder einer besseren Erziehung von ihren Eltern in die Stadt geschickt werden. Andere Autoren sehen in der Fremdplazierung der Kinder ein Mittel zur Neubildung und Fe­ stigung von sozialen Beziehungen und Netzwerken zwischen den länd­lichen und urbanen Gebieten (vgl. u.a. Atto 1996, Page 1989, Goody 1982).

In meiner Ausgangshypothese ging ich von einem verwandtschaft­lichen Verhältnis zwischen den Hausmädchen und ihren Gastfamilien aus. Während meiner Feldforschung in Segou wollte ich diese Hypothe­se überprüfen und bestimmen, durch welche Merkmale sich die Bezie­hungen charakterisieren lassen. Die Intention meiner Forschung war es, neben der sozialen Lebenssituation der Mädchen in der Stadt, die be­sondere Form der Beziehung zwischen ihnen und ihren Gastfamilien zu untersuchen. Dabei sollten Aspekte der Arbeit von Mädchen in einem Haushalt, ihre Beschäftigung im informellen Sektor und die Land-Stadt­Migration der jungen Frauen eine besondere Rolle spielen.

In der ethnologischen Literatur wird der Frage nach den Gründen für Pflegschaftsverhältnisse ausführlich nachgegangen, jedoch gibt es keine mir bekannte Untersuchung, die sich spezifisch mit der Situati­on der Hausmädchen und ihrer Beziehung zu den Gastfamilien ausein­andersetzt. Die Situation der Mädchen, die in einem Haushalt in der Stadt arbeiten, ist ambivalent: zwischen Familie und Erwerbsarbeit, zwi­schen Kind sein und Frau werden, zwischen selbstverständlicher Hilfe im Haushalt und Kinderarbeit.[1]

1.1 Motivation

Die Idee für mein Forschungsthema entstand in einem Seminar am In- situt für Ethnologie der Freien Universität Berlin. Der Kurs beschäftigte sich mit Kinderadoption und sozialer Elternschaft in Westafrika.

Kinder und Jugendliche werden in der Ethnologie relativ selten the­matisiert. Insbesondere deren weiblicher Teil wurde in der Sozialanthro­pologie bisher kaum erforscht. Meine Forschung sollte sich mit jungen Mädchen und Frauen beschäftigen. Zum einem, weil ich selber eine Frau bin und mir dadurch der Zugang zu meinen Informantinnen leichter er- schien, zum anderen, weil der weibliche Teil der Jugendlichen in der ethnologischen Forschung bisher so wenig Beachtung erfahren hat. Ich begreife die Hausmädchen als eigenständige Persönlichkeiten, die mit ihren Handlungen die Gesellschaft aktiv mitgestalten. Der Untersuchung von Kindern und Jugendlichen als Handelnde einer Gesellschaft wurde in der ethnologischen Forschung erst in der jüngsten Vergangenheit grö­ßere Aufmerksamkeit geschenkt. So beschäftigt sich beispielsweise Ur­sula Atto in ihrem Buch “...et tout le reste pour les filles” u.a. auch mit dem Tätigkeitsrepertoire von Kindern in der Elfenbeinküste (vgl. Atto 1996).

Die Bearbeitung des Phänomens der Hausmädchen beinhaltet sowohl Aspekte der sozialen Organisation als auch ökonomische Faktoren der malischen Gesellschaft. Da ich davon ausgehe, dass sowohl soziale und wirtschaftliche als auch politische und historische Faktoren in enger Ab­hängigkeit zueinander stehen, habe ich mich bemüht, diese Aspekte nicht getrennt voneinander zu betrachten. Am Beispiel der Hausmädchen ist es möglich, diese Zusammenhänge zu verdeutlichen. Wichtige Themen der Ethnologie wie Verwandtschaftsbeziehungen, soziale Organisation, Land-Stadt-Migration und Arbeit lassen sich am Beispiel der Hausmäd­chen beschreiben und analysieren.

Auch die Hausarbeit von jungen Frauen gehört nicht zu den üblichen Themen der Ethnologie; für mich ein Grund mehr, sich mit diesem The­ma auseinanderzusetzen. Hausarbeit wird in der Regel in Abgrenzung vom öffentlichen Raum erledigt. Die Verrichtung der häuslichen Tätig­keiten wird meist als selbstverständlich aufgefasst und dadurch “abge­wertet”. Der familiäre Kontext, in dem die Hausarbeit ausgeführt wird, kann die Vernachlässigung dieses Themas teilweise erklären.

1.2 Aufbau der Arbeit

Thematisch ist die vorliegende Arbeit in zehn Kapitel gegliedert. Im An­schluss an die Einführung in Aufbau und Struktur werden die dafür an­gewandten Methoden und damit die Vorgehensweise erläutert. In diesen Abschnitten soll nicht nur auf die konkrete Feldforschungssituation in

Segou eingegangen werden, sondern auch auf die aufgetretenen Schwie­rigkeiten und Probleme.

Im dritten Kapitel werden Untersuchungsort und Strukturmerkma­le der Region vorgestellt und dabei die Gründe für die Wahl des For­schungsgebietes erläutert. Des weiteren wird ein Überblick über die Ge­schichte der Stadt gegeben sowie auf wirtschaftliche und soziale Beson­derheiten eingegangen. Es folgt eine kurze Diskussion der Migrations­und Wanderbewegungen in der Region.

Im vierten Kapitel wird die Literatur der Themen Pflegschaftsver­hältnisse und soziale Elternschaft diskutiert. Anhand ausgewählter Lite­ratur wird deutlich, was in der Ethnologie unter diesen beiden Begrif­fen verstanden wird und welche Gründe es für Pflegschaften gibt. Ge­sellschaftliche Veränderungen und die daraus resultierenden Folgen für Pflegschaftsverhältnisse werden beleuchtet, um anschliessend die Situa­tion der Pflegekinder konkret zu untersuchen.

Im fünften Kapitel beschäftige ich mich mit Dienstleistungsverhält­nissen und Lohnarbeit von Hausmädchen. Der Aspekt Arbeit und der informelle Sektor sollen im Bezug auf Hausmädchen analysiert werden.

Im sechsten Kapitel werden Gründe für die Land-Stadt-Migration der Mädchen vorgestellt. Gleichzeitig soll der Blick auf die Folgen der ver­stärkten Landflucht sowohl für die ländlichen Gegenden als auch für die urbanen Zentren gerichtet werden.

Die empirischen Ergebnisse meiner viermonatigen Feldforschung wer­den im siebten Kapitel dargestellt. Zunächst werden biographische Hin­tergrundinformationen der Hausmädchen vermittelt, darauf folgt die Be­schreibung der aktuellen Situation der Mädchen in den Haushalten. An­schliessend werden die Beziehungen zwischen den Hausmädchen und ihren jeweiligen Gastfamilien beschrieben.

Im achten Kapitel dieser Arbeit versuche ich, die sozio-ökonomische Situation der Hausmädchen zu analysieren. Es folgen eine Zusammen­fassung der wichtigsten Ergebnisse und der Versuch einer Bilanz. Zu­sätzlich wird ein Ausblick auf weitere Forschungsbereiche gegeben.

Der Interviewleitfaden und Daten über meine Hauptinformanten so­wie eine Auflistung der Nicht-Regierungsorganisationen, mit denen ich zusammengearbeitet habe, finden sich im Anhang. Angaben zur verwen­deten Literatur sind im zehnten Kapitel nachzulesen.

1.3 Methoden und Vorgehensweisen

In meiner empirischen Forschung habe ich mit mehreren Methoden gear­beitet. Neben der teilnehmenden Beobachtung, die für mein Thema sehr wichtig und hilfreich war, habe ich teilstandardisierte Interviews und informelle Gespräche geführt. Teilstandardisierte Interviews habe ich stichpunktartig mitgeschrieben, nach informellen Gesprächen wurden Gedächnisprotokolle angefertigt. In meinem Forschungstagebuch wur­den sowohl persönliche Eindrücke als auch fachlich relevante Informa­tionen und Beobachtungen festgehalten, die oft über mein Forschungs­thema hinausgingen. Zurück in Deutschland konnte ich mit Hilfe die­ser Tagebucheintragungen, Gesprächssituationen rekonstruieren und die zusätzlich gewonnenen Erkenntnisse in meine Arbeit einfliessen lassen. Von meinem mitgebrachten Aufnahmegerät habe ich nur äußerst selten Gebrauch gemacht, da es eine eher “abschreckende” Wirkung auf meine Informanten hatte. Ich hatte den Eindruck, dieses Gerät verunsichere die Hausmädchen und verhindere eine entspannte Diskussion. Aus diesem Grund habe ich mein Aufnahmegerät vor allem bei nicht-alltäglichen Er­eignissen eingesetzt, z.B. während einer Hochzeitsfeier zur Dokumenta­tion der vorgetragenen Musik.

Mein viermonatiger Aufenthalt in Mali gestaltete sich wie folgt:

Zunächst habe ich einen dreiwöchigen Bamana-Sprachkurs an der Universität in Bamako belegt und versucht, meine neugewonnenen Kennt­nisse beim Einkauf und auf der Straße anzuwenden.[3] In diesen ersten Wochen stellte ich bereits Kontakte zu verschiedenen lokalen Nicht­Regierungsorganisationen (NRO) her, die sich später in Segou als sehr hilfreich erwiesen. Nach Beendigung meines Sprachkurses habe ich für weitere drei Wochen den Norden und Osten des Landes bereist. So konn­te ich mir einen Eindruck von Mali verschaffen und, über mein Thema hinaus, zahlreiche Informationen über die malische Gesellschaft sam- mein. Für meine Arbeit mit den Hausmädchen habe ich mich zwei Mo­nate in Segou aufgehalten. Den Abschluss meiner Feldforschung bilde­ten zwei Wochen in der Hauptstadt Bamako, während derer ich mit Ex­perteninterviews und Literaturrecherche an der Universität beschäftigt war.

1.3.1 Teilnehmende Beobachtung

Die teilnehmende Beobachtung ist die zentrale empirische Forschungs­methode in der Ethnologie. Während meiner Datenerhebung war es mir möglich, an den Arbeitsprozessen der Hausmädchen passiv teilzuneh­men und Daten aus diesen Beobachtungen zu sammeln. Aufgrund mei­ner Rollenzuschreibung als “Helferin von außen” ist es mir nur selten gelungen, gemeinsam mit den Mädchen zu arbeiten. Dennoch habe ich versucht, viel Zeit in den Höfen zu verbringen, um die Mädchen bei ih­ren Tätigkeiten beobachten zu können, um ihnen Fragen zu stellen, die sich aus den jeweiligen Situationen ergaben und um von mir und meinem Leben in Deutschland zu erzählen.

Während meines viermonatigen Aufenthaltes in Mali habe ich ver­sucht, die täglichen Abläufe in einem Haushalt und die Interaktionen zwischen den Haushaltsmigliedern zu erfassen. Des weiteren habe ich an nicht-alltäglichen Ereignissen wie Hochzeitsfeiern, Freizeitaktivitä­ten der Mädchen und informellen Treffen teilgenommen. Besonders vie­le Informationen konnte ich durch die wöchentlich stattfindenden Alpha­betisierungskurse gewinnen, da die Mädchen dort außerhalb ihres ge­wohnten Arbeitsumfeldes auftraten.

Gleich zu Beginn meines Aufenthaltes in Mali hatte ich die Möglich­keit, am Tagesablauf eines Hausmädchens teilzunehmen. Ich habe die ersten drei Wochen in einem möbilierten Zimmer im Stadtteil Faladie in Bamako gewohnt. Meine Vermieterin war geschieden und lebte zu­sammen mit ihren zwei Söhnen im gleichen Haus. Schon nach kurzer Zeit fiel mir ein Mädchen im Hof auf, die ganztägig im Haus arbeitete, mir aber bisher nicht vorgestellt wurde. Dazu muss ich bemerken, dass mir gleich bei meinem Einzug alle Familienmitglieder vorgestellt wur­den. Der Begrüßung sowie der Bekanntmachung kommt in Mali eine besondere Bedeutung zu. Erst nach mehrmaligen Fragen und auswei­chenden Antworten erklärte mir die Hausherrin. “Dieses Mädchen ist unsere Bonne.” Die Tatsache, dass mir das Mädchen nicht vorgestellt wurde, gab Hinweise auf Status und Zugehörigkeit des Mädchen zur Fa­milie. Dem Mädchen wurde kein Familienstatus zugestanden; sie wur­de als eine Angestellte betrachtet, die nicht direkt zur Familie gehörte. In der Anfangsphase habe ich viel Zeit im Hof verbracht, so dass sich häufig die Gelegenheit ergab, die täglichen Aufgaben des Mädchens zu beobachten.

Eine Unterhaltung mit dem Mädchen gestaltete sich schwierig, da mein Bamana zu dieser Zeit für ein Interview oder ein weiterführendes Gespräch noch nicht ausreichte und sie kein Französisch sprach. Den­noch konnte ich gleich zu Beginn meiner Forschung wichtige Erkennt­nisse aus meinem Aufenthalt in diesem Hof ziehen, auf die ich bei der Darstellung meiner Ergebnisse noch zu sprechen kommen werde.

Die teilnehmende Beobachtung gleicht einem Balanceakt. Die Schwie­rigkeit besteht darin, am täglichen Leben der Informanten teilzunehmen und gleichzeitig genügend Distanz zum Geschehen zu wahren. Einer­seits war ich bestrebt, den Abstand zwischen mir und den Hausmäd­chen soweit wie möglich aufzuheben, um eine vertraute Atmosphäre zu schaffen, andererseits galt es, mir einen wissenschaftlichen Blick auf die Mädchen zu bewahren, um Vergleiche anstellen zu können und die Pro­blematik in einen Kontext einzuordnen. Das Ziel ist es, die aus der teil­nehmenden Beobachtung gewonnenen Erkenntnisse der eigenen Kultur zu vermitteln. Es besteht immer eine Diskrepanz zwischen der erfor­derlichen Nähe und der nötigen Distanz zu den Informanten, zwischen Identifkation mit der zu untersuchenden Gruppe und Reflexion der All­tagspraxis. Die subjektiven Wahrnehmungen sollen in eine generalisie­rende Form gebracht werden, was sich nicht immer als einfach erweist (vgl. Girtler 1992).

1.3.2 Interviews und informelle Gespräche

Girtler spricht vom Grundsatz der Gleichheit in der Komunikation zwi­schen Informanten und Forscher (1992:109). Ich hatte selten das Gefühl, eine gleichberechtigte und auf Gegenseitigkeit beruhende Konversation mit den Hausmädchen führen zu können, was vor allem an meiner Rol­lenzuschreibung lag. Die Mädchen sahen mich aufgrund meines Alters und meiner Forscherrolle als ihnen überlegen an.

Als Ergänzung zu meinen teilnehmenden Beobachtungen habe ich Interviews und informelle Gespräche als besonders geeignet erfahren.[4] Mit Hilfe der Gespräche war es mir möglich, Hintergrundinformationen und biographische Daten der Mädchen zu erhalten. Für meine Interviews benutzte ich einen Fragebogen, der mir als Leitfaden durch das Gespräch diente. Dieser wurde im Laufe der Forschung verändert und ergänzt. Ins­gesamt führte ich mit 22 Hausmädchen Leitfadeninterviews von unter­schiedlicher Dauer. In einigen Gesprächen kam es zu angeregten Diskus­sionen sowohl mit den Mädchen als auch mit den Familienmitgliedern, bei anderen Interviews wurden lediglich meine Fragen beantwortet. Ich versuchte stets, den Mädchen in den Gesprächen die Möglichkeit zu ge­ben, Fragen an mich zu stellen.

Zu Beginn meiner Forschung führte ich mehrere Gruppeninterviews. Diese Vorgehensweise erwies sich jedoch als ungeeignet, da die Mäd­chen in der Gruppe entweder gar nichts sagten oder alle durcheinander sprachen, so dass keine wirkliche Diskussion zustande kam. Ich bevor­zugte Einzelinterviews, da ich in diesen Gesprächen besser auf die Mäd­chen reagieren und gezieltere Fragen stellen konnte. In den einzelnen Gesprächen nutzten die Mädchen die Gelegenheit, auch mir Fragen zu stellen oder anderweitige Bemerkungen zu machen. Die Qualität der In­terviews hing stark von der jeweiligen Situation ab, z.B. von meiner Be­gleitung und von den anderen beim Interview anwesenden Personen. Ich hatte den Eindruck, dass die Mädchen in den Alphabetisierungskursen, wo sie nicht unter der Kontrolle ihrer Gastmutter standen, wesentlich freier erzählten und mehr von sich preisgaben, als in Gesprächen in An­wesenheit der Hausherrin.[5]

Zusätzlich zu den Interviews mit den Hausmädchen ergaben sich zahl­reiche informelle Gespräche über mein Thema und darüber hinaus vor allem mit Mitarbeitern von Nicht-Regierungsorganisationen, aber auch mit Frauen und Männern, die nicht direkt mit dem Thema in Verbindung standen. Meinen eigenen Beobachtungen der Hausmädchen, ihrer Ar­beit und ihrer Beziehungen zu den Gastfamilien stehen die Einschätzun­gen der Hausmädchen selber sowie die der Gastmütter gegenüber. Hinzu kommen Aussagen Dritter, die nicht direkt mit dem Thema verbunden sind. Ich versuchte, meine Leitfadeninterviews mit den Mädchen durch informelle Gesprächen und Expertendiskussionen zu ergänzen. Allen In­formanten teilte ich das Ziel meines Vorhabens mit, eine Forschung für die Universität durchzuführen und darüber eine Arbeit zu verfassen. Die Reaktionen auf meine Erklärung reichten von Unverständnis bis zu re­gem Interesse an meiner Arbeit.

1.3.3 Die Gesprächssituationen

Girtler schreibt, Ethnologen bräuchten eine gute Kontaktperson, um an adäquate Informationen zu gelangen (Girtler 1992: 69ff). Ami Cissé war für mich die Person, die mich den Hausmädchen und anderen Informan­ten vorstellte. Zugleich war sie meine Übersetzerin und wurde während meines Aufenthaltes in Segou zu einer guten Freundin.[6] Die Auswahl der Gesprächspartnerinnen wurde mit meiner Dolmetscherin abgesprochen.

Zu Beginn wurde ich allen versammelten Familienmitgliedern in ei­nem Hof vorgestellt und meine Übersetzerin erklärte meinen Besuch mit den Worten:

Das ist Salimata Konate.[7] Sie kommt aus Deutschland und studiert dort. Salimata ist in Segou, um eine Forschung über Hausmädchen zu machen. Sie interessiert sich besonders für die aktuelle Arbeits- und Lebenssituation der Mädchen und die Beziehung der Hausmädchen zu ihren Arbeitgebern. Sali- mata würde sich gerne mit den Hausmädchen unterhalten und ihnen einige Fragen stellen (Ami Cissé).

Sowohl die Mädchen als auch die restlichen Familienmitglieder standen meinem Vorhaben zunächst skeptisch gegenüber. Für sie war es schwie­rig zu verstehen, warum sich eine weiße Frau mit der Situation der Haus­mädchen beschäftigen möchte. Begriffe wie ethnologische Forschung und Universität mussten ausführlich erklärt werden. Ami Cissé war den meisten Informanten bekannt und vertraut. Nur mit ihrer Hilfe gelang es mir, den Grund meines Aufenthaltes zu erklären. Es war mir besonders wichtig, darauf hinzuweisen, dass es sich um eine unabhängige Unter­suchung handelte, die nicht im Auftrag einer Entwicklungsorganisation durchgeführt wurde.

Die Interviewsituationen waren sehr unterschiedlich, je nachdem, wer an den Gesprächen teilnahm und welche Widerstände und Störungen auftraten. So kam es beispielsweise vor, dass die Mädchen während des Interviews ihrer Arbeit nachgehen mussten, nur wenige Fragen beant­worten konnten und unkonzentiert waren. Des öfteren antworteten die Arbeitgeberinnen anstelle der Mädchen, was natürlich nicht meinen Vor­stellungen entsprach. Dennoch gelang es meiner Übersetzerin und mir, einige sehr spannende Diskussionen mit den Mädchen zu führen. Allge­mein begrüßten sowohl die Familien als auch die Hausmädchen meine Anwesenheit.

Die meisten Mädchen zeigten sich trotz ihrer Unsicherheit und ihrer Ängste, ein Interview zu führen, sehr gesprächsbereit. Ich denke, durch meine häufigen Besuche in den Höfen und meine ständige Präsenz in der Stadt fassten die Mädchen allmählich Vertrauen zu mir und glaubten an mein Interesse an ihrem Leben und ihrer aktuellen Situation. Die Mädchen waren auch neugierig und interessiert, was diese weiße Frau, von ihnen wissen wollte und was sie selbst von sich und ihrem Land zu berichten hatte.

1.3.4 Schwierigkeiten der Feldforschung

Für einen Forschungsort erwies sich Segou als besonders gute Wahl. Ich lebte mich schnell und ohne größere Probleme ein und baute mir inner­halb kurzer Zeit ein Netz von Bekannten und Freunden auf. Dadurch war ich zumindest teilweise in das Leben der Stadt integriert. Während mei­nes Aufenthaltes in der Stadt wohnte ich bei Freunden vom Deutschen Entwicklungsdienst, was für mich persönlich Vorteile hatte, da ich mich bei Bedarf zurückziehen konnte, um zu schreiben oder zu lesen. Au­ßerdem halfen mir Gespräche mit Menschen aus einem ähnlichen Kul­turkreis, wie dem meinen, meine Probleme und Schwierigkeiten in der neuen Umgebung zu bewältigen. Die Tage verbrachte ich mit Besuchen von Freunden, Treffen mit Informanten und stundenlangen Aufenthal­ten in den verschiedenen Höfen. Ich lernte, mich an einen anderen Kom­munikationsstil zu gewöhnen. Mit den jungen Frauen zu reden, hieß, an ihrem Alltag teilzunehmen. Das Nonverbale spielt eine entscheidene Rolle: zusammensitzen, Tee trinken, Säuglinge im Arm halten, zuschau­en und plaudern (Roost-Vischer 1997: 15). Direkte Einbeziehung in das Alltagsgeschehen und regelmäßiger Rückzug in mein Zimmer wechsel­ten sich ab und machten es mir möglich, sowohl teilnehmend als auch distanziert zu beobachten.

Es war nicht immer einfach, den Grund meines Aufenthaltes in Segou plausibel zu vermitteln. Aufgrund meiner guten und intensiven Zusam­menarbeit mit mehreren Nicht-Regierungsorganisationen bekam ich des öfteren die Rolle der Mitarbeiterin einer der lokalen Organisationen zu­geschrieben. Viele meiner Informanten sahen in mir eine Entwicklungs­helferin, die im Auftrag eines Projektes eine Forschung über Probleme und Schwierigkeiten der Hausmädchen in Segou durchführt. Ich wurde als “Helferin von außen” betrachtet und oft mit unerfüllbaren Erwartun­gen vor allem materieller Art konfrontiert. So wurden des öfteren Forde­rungen nach modernen Haushaltsgeräten, vor allem nach Kühlschränken und Waschmaschinen, an mich herangetragen, meist mit der Begrün­dung, sowohl die Arbeit der Mädchen als auch der Familienmitglieder zu vereinfachen. Versuche, meine finanzielle Situation als Studentin in Deutschland darzustellen, scheiterten häufig an Unverständnis und Mis- strauen.

Die Bezahlung der Informanten ist eine viel diskutierte Frage in der Ethnologie (Alber 2000: 48). Ich entschloss mich, meine Informanten nicht mit Geld zu bezahlen, sondern statt dessen ihrem häufig geäußer­ten Wunsch nach einem Foto nachzukommen.[8] Ich fotografierte jedes Mädchen in verschiedenen Posen, entwickelte die Fotos in Deutschland und schickte sie an die Mädchen. Diese Methode erwies sich als erfolg­reich und nützlich zugleich: die Mädchen bekamen Fotos von sich, die sie sich sonst nur in den wenigsten Fällen hätten leisten können, und ich hatte die Möglichkeit, meine Forschung zusätzlich visuell zu dokumen- tieren.[9] Meine Übersetzerin lud ich des öfteren zum Essen ein und kaufte ihr auf dem Markt Stoffe. Hinzu kamen Gastgeschenke aus Deutschland oder Bamako, vor allem beliebte Kosmetika und Schmuck, die ebenfalls mit großer Begeisterung angenommen wurden.

Meine Bamana-Kenntnisse wuchsen im Laufe meines Aufenthalts kontinuierlich, so dass ich den Inhalt von Gesprächen verstehen konn­te und es mir möglich war, mich zu unterhalten.[10] Leider reichten meine erworbenen Sprachkenntnisse nicht aus, um Interviews oder Expertenge­spräche in Bamana führen zu können. Viele der Hausmädchen sprachen nur wenig oder gar kein Französisch, so dass für diese Interviews eine Übersetzerin notwendig war. Obwohl ich grundsätzlich mit den Überset­zungen sehr zufrieden war, kam es immer wieder zu Missverständnissen. So wurden Fragen beispielsweise so umformuliert, dass die Mädchen nur mit “Ja” oder “Nein” antworteten konnten, was nicht in meinem In­teresse lag. Ami Cissé fiel es schwer, genaue Übersetzung von Eigenin­terpretation zu trennen. Die Antworten der Mädchen wurden häufig von ihr mit ihren eigenen Erfahrungen als Hausmädchen und ihren Ausle­gungen vermischt. Nach den Gesprächen redete ich mit meiner Beglei­terin über die Interviewsituation, über ihre und meine Eindrücke. Durch diesen Austausch war es z.T. möglich, ihre eigenen Interpretationen und Eindrücke und die Antworten der Mädchen und anderer Familienmit­glieder voneinander abzugrenzen.

Kapitel 2

Der Forschungsort Segou

Nachdem ich auf einer dreiwöchigen Reise den Norden und Osten von Mali näher kennengelernt hatte, begann ich meine Forschung in Segou. Für Segou als Forschungsort sprachen viele Gründe: Zum einen die ver­kehrsgünstige Lage der Stadt und ihre Nähe zur Hauptstadt Bamako. Segou ist einer der wichtigsten Handelsorte auf dem Weg von Bama­ko in den Norden und Osten des Landes. Die Stadt ist überschaubarer und freundlicher als die etwas hektische Hauptstadt Bamako und gilt als Anlaufstelle für Hausmädchen aus den Regionen Segou, Mopti und dem Dogonland. Segou liegt direkt am Niger, der Lebensader Malis, und ist Standort wichtiger Regierungs- und Verwaltungsgebäude. Weiterhin konnte ich in Segou meine erlernten Bamana-Kenntnisse anwenden, was im Norden des Landes schwierig gewesen wäre, da dort die Mehrzahl der Bevölkerung nur wenig Bamana spricht.

2.1 Zur historischen Situation

Die Bamanaw[11], eine Volksgruppe der Mande, sollen Anfang des 13. Jahrhunderts ihr ursprüngliches Wohngebiet südlich von Bamako ver­lassen haben, um sich um Segou niederzulassen. Segou-Koro, das alte Segou, wurde Anfang des 18. Jahrhunderts gegründet. Die Stadt spielte in Malis Geschichte vor allem als Hauptstadt des Bamana-Königreiches eine entscheidende Rolle. Die Bamana bauten im Anschluss an den Zer­fall des Songhay-Reiches mehrere Herrschaftszentren auf. Begünstigt durch die Lage am Fluss Niger wurde die Stadt Segou zur Hauptstadt des neu enstandenen Bamana-Königreiches. Zunächst war die Siedlung ein wichtiger Warenumschlagplatz, wurde dann administratives Zentrum des Königreiches und dehnte sich immer weiter aus. Seine Blütezeit er­lebte die Stadt zwischen 1808 und 1827. Mitte des 19. Jahrhunderts fie­len die Tukulör aus dem Norden ein und besetzten die Stadt: der Islam hielt Einzug. Doch bereits 1890 nahmen die Franzosen die Handelsstadt Segou ein. Die Kolonialzeit unter Frankreich brachte Segou wichtige Entwicklungsimpulse durch die Einrichtung des ‘Office du Niger’, ei­nem der größten Agrarprojekte jener Zeit. Zudem wurden Straßen ge­baut und Handel, Gewerbe und Industrie vorangetrieben, so dass die Bevölkerung in der Stadt während dieser Zeit stark zunahm. Die Ent­wicklung sowohl der Region als auch der Stadt Segou ging auch nach der Unabhängigkeit weiter, was vor allem durch die extrem günstige geogra­phische Lage begründet war. Es wurden Verwaltungsgebäude, Schulen, Krankenhäuser und neue Wohnviertel gebaut. Die Bevölkerung wuchs und wächst weiter vor allem wegen der verstärkten Landflucht in Mali. Allein in den Jahren 1968 bis 1976 stieg die Bevölkerungszahl Segous von 31.000 auf 65.000 an. Somit rückt Segou an die zweite Stelle der städtischen Siedlungen Malis hinter Bamako (Barth 1986: 232f). Men­schen unterschiedlichster Herkunft und Kultur bewohnen die Stadt: so leben hier neben den Bamana, hauptsächlich Fulbe, Dogon, Bobo und Bozo. Die Bamana machen über 40% der gesamten malischen Bevöl­kerung aus und sind zahlenmäßig die stärkste Volksgruppe[12] (vgl. Barth 1986, Iliffe 1997).

Das historische Segou bestand aus vier Ortschaften, die mit einigen Kilometern Abstand hintereinander am rechten Ufer des Niger lagen. Von West nach Ost waren dies Segou-Koro, Segou-Bugu, Segou-Kura und Segou-Sikoro. In der Blütezeit des Bamana-Reiches standen die Pa­läste der Dynastie in Segou-Koro. Seither hat sich die Stadt um diesen

Ort herum zu dem entwickelt, was als das moderne Segou bekannt ist. Zu der Stadt Segou zählen heute ebenso die dörflichen Siedlungen Segou- Koura, Sido-Soninkoura und Pelegana als auch die Stadtviertel Camp militaire, Quartier administratif und Quartier commercial, welche keine Wohnviertel sind. Auch im Industrieviertel um die Textilfabrik Comatex wohnen vergleichsweise wenig Menschen. Typische Wohnviertel sind die neuen Stadtteile Hamdalaye, Darsalam und Medine (Müller 1990: 73). Meine Forschung fand zum größten Teil in Hamdalaye statt, da mei­ne Übersetzer- und Vermittlerin dort die meisten Informanten kannte und Kontakte dadurch leicht herzustellen waren.

2.2 Zur gegenwärtigen Situation

Mali ist mit einer Gesamtfläche von 1.242.000 qm das größte Land Westafrikas. Das Land grenzt im Norden an Algerien, im Osten an Niger und Burkina Faso, im Westen an Mauretanien und Senegal und im Süden an Guinea und die Elfenbeinküste.[13] Mali ist ein Binnenland ohne Zugang zum Meer. Zwei große Flüsse bewässern das Land: der Niger und der Se­negalfluss. Der Niger, der das gesamte Land durchfließt, hat eine Länge von ca. 4.200 km und bildet zwischen Segou und Timbuktu ein Binnen­delta, das bei ausreichenden Niederschlägen das wichtigste Agrargebiet Malis darstellt. Segou liegt in der sudanisch-sahelischen Übergangszone und bildet das Zentrum des mittleren Nigerdeltas (Haidara 1992: 23).

Die malische Bevölkerung wurde 1995 auf knapp 10 Millionen ge­schätzt. Die Einwohnerzahlen in Städten wie Bamako, Segou und Mopti steigt ständig an.[14] 1999 lebten mehr als 100.000 Menschen in Segou. Aufgrund der ständig wachsenden Bevölkerung hat sich die Stadt in den letzten 20 Jahren flächenmäßig um mehr als 150% ausgedehnt (Traore 1999: 19). Die malische Bevölkerung ist wie in vielen anderen west­afrikanischen Ländern sehr jung. Über 50% der Malier sind unter 20 Jahre alt (Haidara 1992: 24).

Mali befindet sich wie viele andere westafrikanische Staaten in ei­ner äußerst schwierigen wirtschaftlichen Lage, die teilweise durch die naturräumlichen und klimatischen Faktoren bedingt ist, teilweise aber auch durch die kontraproduktive staatliche Agrarpolitik bewirkt wurde.[15] Neben der Landwirtschaft kommt dem informellen Sektor eine erhebli­che wirtschaftliche Bedeutung zu. In den letzten 20 Jahren haben extre­me Krisensituationen, vor allem bedingt durch Dürrekatastrophen und Hungersnöte, und der ständig steigende Geldbedarf zu einem Anstieg der Nebenerwerbstätigkeiten geführt. Immer mehr Menschen sehen sich gezwungen, neben ihrer landwirtschaftlichen Tätigkeit zusätzlich etwas Geld zu verdienen. Zu den Überlebensstrategien, die hauptsächlich im informellen Sektor angesiedelt sind, gehören die verschiedensten For­men des Handels, saisonale Lohnarbeiten sowie Tätigkeiten im Dienst­leistungsbereich (vgl. Broetz 1992). Sowohl die Region Segou als auch die Stadt Segou spielen eine wichtige ökonomische Rolle im Land. Mali ist in acht administrative Regionen und einen Hauptstadt-Distrikt aufge­teilt, Segou ist eine dieser Regionen. Bedeutende Industriezweige befin­den sich in Segou: z.B. der größte und wichtigste Reisproduzent Malis ‘Office du Niger’, die Textilproduktionsfirma ‘Comatex’, die vor allem Baumwollprodukte herstellt, und die Zuckerfabrik ‘Le Sukala’. Die In­dustrie lockt immer mehr Menschen in die Stadt, vor allem die Bevölke­rung aus dem Norden und dem Dogonland hofft hier in Segou Arbeit zu finden (Traore 1999: 12). Dennoch arbeiten nur ca. 6% der Menschen in der Industrie, wohingegen ca. 63% einer Beschäftigung im informellen Sektor nachgehen. Aus einem Bericht von ECOLOG geht ebenfalls her­vor, dass 11% der Beschäftigten im informellen Sektor Hausmädchen sind (Traore 1999: 53f).

2.3 Bevölkerungsmobilität und Wanderarbeit

Barth gibt als Gründe für die weit reichende Bevölkerungsmobilität die

sehr begrenzten Ressourcen Malis, die Binnenstaatlichkeit und die große Entfernung weiter Landesteile an. Die Mobilität der Bevölkerung äu­ßert sich vor allem in der Land-Stadt-Migration, in der Arbeitsmigrati­on und in der internationalen Migration. Zur internationalen Auswan­derung gibt es zahlreiche Informationen, jedoch fehlt es an statistischen Daten zur Binnenwanderung, so dass es laut Barth nur möglich ist, auf­grund allgemeiner Beobachtungen Entwicklungstendenzen aufzuzeigen. Als konstant gelten die anhaltende Land-Stadt-Migration ebenso wie die von der Sahel-Region in die Savannengebiete des Südens gerichtete Wanderbewegung. Die südwärts gerichtete Bevölkerungsmigration steht u.a. in Verbindung mit Missernten und Dürrekatastrophen. Die südli­chen Landesteile haben nur begrenzte Siedlungsräume und Kapazitäten für die Aufnahme dieser Menschen, so dass es in Städten wie Bamako und Segou zu massiver Arbeitslosigkeit und Wohungsmangel kommt. Fast neun Zehntel der Malier leben im Süden des Landes, wo sich auch die großen Städte befinden. In den nördlichen Regionen Timbuktu, Gao und Kidal, die zwei Drittel der Gesamtfläche einnehmen, leben hingegen nur rund 11% der Gesamtbevölkerung[16] (Barth 1986: 245, vgl. Haidara 1992). Trotz der vielfachen Rückkehr der Migranten in die Heimatregio­nen ist eine zunehmende Urbanisierung nicht zu übersehen.

Dürre- und Hungerperioden treten in Mali immer wieder auf. Beson­ders dramatisch war die Situation Anfang der 70er Jahre und Mitte der 80er Jahre als zahlreiche Nomaden aus dem Norden gezwungen waren, ihre Heimat zu verlassen. Diese Krisen haben dauerhafte Auswirkungen auf die Lebenssituationen der Menschen sowohl in den Dürregebieten, als auch in Städten wie Segou, wohin viele Menschen aufgrund von Hun­ger und Ernteausfall fliehen. Segou ist günstig gelegen und bietet neben Bamako die beste Möglichkeit, Arbeit zu finden. Aufgrund der zentra­len Lage ist Segou eine beliebte Anlaufstelle für Hausmädchen aus den umliegenden Regionen (Traore 1999: 19ff).

Kapitel 3

Pflegschaftsverhältnisse und soziale Elternschaft

Zu Beginn meiner Forschung bin ich davon ausgegangen, dass die Haus­mädchen Teil eines reziproken Austauschsystems zwischen Verwandten sind. Wie ich im folgenden Kapitel darlege, werden ältere Mädchen oft­mals vom Dorf in die Stadt zu Verwandten geschickt, um dort für eine bestimmte Zeit zu leben und eventuell auch zu arbeiten. Werden Pflege­kinder, die in einem Haushalt mithelfen, und Hausmädchen, die nur für die Hausarbeit angestellt sind, mit den gleichen Begriffen bezeichnet?

Es soll der Frage nachgegangen werden, ob Hausmädchen Teil der Pflegschaftsverhältnisse und Pflegekinder sind und als solche im Haus­halt einer verwandten Familie leben und arbeiten.

3.1 Darstellung von Pflegschaftsverhältnissen in der eth­nologischen Literatur

Pflegschaftsverhältnisse sind in Afrika und insbesondere in Westafrika weit verbreitet und bestimmen das alltägliche Leben. Es ist nicht unge­wöhnlich, dass Kinder und Jugendliche für längere Zeit oder auf Dauer in einem anderen Haushalt als dem ihrer biotischen Eltern leben. Den Pflegeeltern wird während dieser Zeit die Verantwortung für die Erzie­hung der Kinder übertragen. Daraus ergibt sich die Existenz der sozia­len Elternschaft neben der biotischen. Das Phänomen der Pflegschaft hat eine lange Tradition in Westafrika und ist bis heute in verschiedenen Formen und Ausprägungen existent (vgl. Goody 1982). Kinder werden sowohl zu Verwandten als auch zu Nicht-Verwandten gegeben, während in der Literatur vor allem der Austausch von Kinder zwischen Verwand­ten untersucht wird. Der Begriff ‘Verwandtschaft’ bezieht sich in vie­len Teilen Afrikas nicht unbedingt auf die direkte biotische Verwandt­schaftslinie. Verwandtschaftsbeziehungen können über unmittelbare Be­zugsgruppen wie die Familie weit hinausgehen (vgl. Goody 1982).[17]

Es werden sowohl Mädchen und als auch Jungen in Pflegschaft ge­geben. Jüngere Kinder, die oftmals nicht älter als ein Jahr sind, werden vor allem von den Städten in die Dörfer geschickt, da man annimmt, die Stadt sei ein schlechter Ort für kleine Kinder.[18] Im Gegenzug werden vor allem die älteren Kinder zwischen 10 und 18 Jahren vom Land in die Stadt gegeben, um dort zu arbeiten oder eine Ausbildung zu absolvie­ren.[19]

Anders als in Westafrika existiert dieses Phänomen der Pflegschaft in Europa und Amerika kaum und ist dort weitgehend unbekannt. In Euro­pa und den USA wird ganz selbstverständlich davon ausgegangen, dass die Kinder bei ihren biotischen Eltern aufwachsen und nur zum Schul­besuch oder zur Ausbildung das Elternhaus verlassen. Die biotischen Eltern übernehmen die alleinige Verantwortung für die Erziehung, die Bildung und den Werdegang ihres Nachwuchses. Die Idee, die eigenen Kinder freiwillig in einen anderen Haushalt zu geben, ist vielen Europä­ern fremd. Daher erscheint das Phänomen der Pflegschaft und die Tat­sache, dass außer der biotischen Elternschaft noch eine andere Form der Elternschaft besteht, unverständlich und Gründe dafür sind nur schwer nachvollziehbar. Kinder mit anderen Menschen zu teilen gehört nicht zu den gängigen Praktiken der europäischen und amerikanischen Gesell­schaften. Kinder gehören in erster Linie zu den biotischen Eltern Diese sind im Besitz aller Rechte und Pflichten gegenüber dem Kind.

Das System der Pflegschaften wurde bisher vor allem von europäi- sehen und amerikanischen Wissenschaftlern untersucht. Das mag u.a. daran liegen, dass es für jemanden aus Westafrika nicht ungewöhnlich ist, seine Kinder bei anderen aufwachsen zu lassen und afrikanische Wis­senschaftler deshalb dem Thema kaum Bedeutung beimessen und es für zu wenig interessant erachten, um es genauer zu betrachten. Es gibt nur zwei mir bekannte Studien zu dem Thema, die von afrikanischen Sozial­wissenschaftlern angefertigt wurden: eine von Fiawoo (1978), die andere von Isingo-Abanike (1985).

Die Forschung über Pflegschaftsverhältnisse und soziale Elternschaft geht von folgenden Fragen aus: Wer hat das Kind geboren, wer sind seine biotischen Eltern? Wer hat es erzogen, bei wem ist es aufgewach­sen? Für Europäer stellen sich Fragen dieser Art nicht, da wir davon ausgehen, dass die Eltern, die uns gezeugt haben, und die Mutter, die uns geboren hat, unsere einzigen und somit auch unsere sozialen Eltern sind. Die europäischen und amerikanischen Gesellschaften setzen bioti­sche und soziale Elternschaft gleich, aber diese Gleichsetzung ist nicht universell gültig.

Es gibt unterschiedliche Definitionen der Begriffe Pflegschaft und so­ziale Elternschaft; teilweise benutzen die Autoren auch andere Bezeich­nungen, etwa temporäre Kinderadoption oder Kinderzirkulation.[20] In der englisch- und französischsprachigen Literatur wird der Begriff ‘fostera­ge' für Pflegschaftsverhältnisse benutzt, was laut Goody soviel bedeutet wie “ernähren” oder “füttern” (Goody 1982: 23). Goody versteht El­ternschaft als einen breitgefächerten und komplexen Begriff, der alle die Handlungen umfasst, die nötig sind, um ein Kind in die Gesellschaft einzugliedern.[21]

Parenthood is the best considered as a set of roles which may be allocated to different people (Goody 1982: 17).

Ein Pflegschaftsverhältnis kann laut Goody als ”the institutionalized de­legation of the nurturance and/or educational elements of the parental ro­le” (1982: 23) definiert werden, d.h. bestimmte elterliche Pflichten wer­den auf andere Personen übertragen. Die Pflegeeltern sind in erster Linie für die Versorgung und die Erziehung des Kindes während der Abwesen­heit der biotischen Eltern zuständig.

Die Autoren Bledsoe und Brandon sehen in ihrem 1992 erschienenen Artikel “Child Fosterage and Child Mortality in Sub-Saharian Africa” die mütterliche Abwesenheit als wesentliches Kennzeichen für Pfleg­schaftsverhältnisse. Kinder leben in einem anderen Haushalt als dem ih­rer biotischen Mutter. Der Vater spielt in der Kinderbetreuung nur eine untergeordnete Rolle, deshalb ist die An- oder Abwesenheit der Mutter für die Kinderbetreuung ausschlaggebend. Beide Autoren betrachten die Begriffe ‘child relocation’ und ‘adoption’ als wenig sinnvoll, da sich mit Hilfe dieser Begriffe die Komplexität des Phänomens nicht ausreichend beschreiben lässt. Aus diesem Grund verwenden sie ebenso wie Goody den Begriff‘fostering’ (Bledsoe/Brandon: 1992: 281).

Lallemand fasst die verschiedenen Formen der ständigen oder zeit­weiligen Abwesenheit der biotischen Eltern wie Adoption, Pflegever­hältnisse, Hüten, Verpfändung, aber auch den Verkauf der Kinder unter dem Begriff Kinderzirkulation zusammen. Sie versucht damit, die Be­deutung des Tausches von Kindern zu betonen. Kinder werden von einer Familie in eine andere oder von einer Person zu einer anderen gegeben, generell werden dafür Gegenleistungen unterschiedlichster Form erwar­tet (vgl. Lallemand 1993).

Hillary Page stellt in ihrem Artikel “Childrearing versus Childbea­ring” von 1989 eine Statistik dar, die wiedergibt, in welchen Gebieten Afrikas und in welchem Maße Pflegschaftsverhältnisse verbreitet sind. Sie kommt zu dem Ergebnis, dass der Anteil der Kinder bis 15 Jahre, die nicht bei ihrer leiblichen Mutter wohnen, in Westafrika höher als in Ost­afrika ist. Die Häufigkeit liegt in Ostafrika meist unter 10%, wohingegen sie in Westafrika bis zu 40% erreichen kann (Page 1989: 415).

Neben den unterschiedlichen Definitionen und Begriffsbestimmun­gen vertreten die Autoren z.T. auch widersprüchliche Ansichten darüber, wer die Rechte und Pflichten an den Kindern behält oder wer sie übertra­gen bekommt. In Westafrika erhalten die biotischen Eltern nicht selbst­verständlich mit der Geburt eines Kindes das Recht auf dieses Kind. Dabei geht es um das Recht, das Kind in seinem Sinne zu erziehen und zu prägen, für sich arbeiten zu lassen oder seinen Werdegang zu beein­flussen, aber auch um die Pflicht, ihm eine adäquate Bildung zu ermögli­chen, für sein Wohl zu sorgen, das Kind auf die Heirat vorzubereiten und diese zu organisieren. Diese Rechte und Pflichten werden in der Regel in Westafrika zwischen mehreren Personen geteilt.

Goody vertritt die Ansicht, Pflegschaftsverhältnisse beinhalteten nicht die permanente Übertragung aller Rechte und Pflichten auf die sozialen Eltern, anders als bei einer dauerhaften und endgültigen Adoption im europäischen Verständnis. Sie unterscheidet fünf elterliche Rollen:

1. bearing and begetting, 2. endowment with civil and kinship status, 3. nurturance, 4. training and 5. sponsorship into adult­hood (Goody 1982: 30f).

Abgesehen von den ersten zwei Rollen, also dem Zeugen und Gebären, können alle anderen elterlichen Rollen auf andere Personen übertragen werden.[22] Bei einer Adoption in Europa oder den USA werden alle Rollen außer Zeugung und Geburt auf Ersatzeltern übertragen, was bedeutet, dass sich auch der soziale Status und die Identität des Kindes verändern. Bei einer solchen Adoption besteht in den meisten Fällen kein Kontakt zwischen den Adoptiveltern und den biotischen Eltern; der auch oftmals nicht erwünscht ist. Adoption in Europa und Amerika ist zumeist mit einem Bruch zwischen dem Kind und den biotischen Eltern verbunden. So etwas gibt es in Westafrika kaum:

There is a resonance evident between the absence of adopti­on in Sub-Saharan Africa and the widespread segmentation of other parent-child reciprocities. Adoption was seen as red­undant because descendants and the associated jural/religious reciprocites are assured in tropical Africa by the possibility of extending rights in reproduction beyond the single husband- wife unit (Page 1989: 407).

Goody unterscheidet zwischen Adoption und Pflegschaft. Bei Pflegschaf­ten, wie sie in großen Teilen Westafrikas existieren, werden nicht alle elterlichen Rollen auf die Pflegeeltern übertragen. Es findet kein Sta­tuswechsel statt. Auch die Verwandtschaftsterminologie verändert sich nicht.[23] Das Kind hat weiterhin Kontakt mit seinen biotischen Eltern, sie werden ihm nicht verschwiegen, es bleibt mit seiner Herkunftsfamilie verbunden. Die Identität des Kindes und sein juristischer Status werden durch eine Pflegschaft nicht in Frage gestellt. Die Pflegeeltern ersetzen die leiblichen Eltern nicht, sie erfüllen ergänzende Aufgaben (Goody 1982: 30f).

Wie an der Aufteilung der Rechte und Pflichten deutlich wird, haben die Pflegschaftsverhältnisse in Westafrika mit einer Adoption nach eu­ropäischem Verständnis nicht viel gemeinsam. In Europa kommt außer­dem der Einfluss des Staates hinzu. Er schaltet sich als Vermittler zwi­schen biotische Eltern und Adoptiveltern und übernimmt die Kontrolle über verschiedene Vorgänge. So wird beispielsweise das Jugendamt be­auftragt, den Verlauf der Adoption zu verfolgen und sich bei Konflikten oder anderen Schwierigkeiten einzuschalten.

Schildkrout beschreibt die Aufteilung und Übertragung der Rechte und Pflichten ähnlich wie Goody. Auch sie geht davon aus, dass die bio­tischen Eltern in Westafrika nicht alle Rechte abgeben, sondern lediglich die Verantwortung der Erziehung und das Recht auf die Hilfen und da­mit auf die Leistungen des Kindes für eine bestimmte Zeit an eine dritte Person delegieren. Die Autorin definiert Pflegschaft als:

...all forms of childhood residence with persons other than the natural parents involving the exercise of some parental rights and obligations by persons other than the natural pa­rents but not the surrender of rights by natural parents (Schild­krout 1973: 51).

Bledsoe und Brandon stellen den oft temporären Pflegschaftsverhältnis­sen in Westafrika die permanten europäischen und amerikanischen Ad- optionen gegenüber. Die biotischen Eltern in Westafrika behalten für gewöhnlich die Rechte, besuchen ihre Kinder und unterstützen diese oder auch die Pflegeeltern bei finanziellen und materiellen Schwierigkeiten (Bledsoe/Brandon 1992: 279).

[...]


[1] Zur besseren Lesbarkeit verwende ich bei Verallgemeinerungen die maskuline Form, ist dagegen von Patroninnen, Informantinnen, etc. die Rede, sind ausschliesslich Frauen gemeint.

[2] Ich habe selber als Au-Pair Mädchen ein Jahr in den USA gearbeitet, daher kann ich die schwierige und komplexe Situation der Mädchen in Ansätzen nachvollziehen. Als Au-Pair stand ich stets in einem Konflikt zwischen dem Eingebundensein in die Familie und der Rollenzuschreibung als Familienmitglied einerseits und der Verrichtung einer Lohnarbeit anderseits.

[3] Der Bamanasprachkurs fand in der “Ecole Nationale d’Etudes Supérieures” (ENSUP) in Bamako statt.

[4] Ich habe während meiner Forschung die Erfahrung gemacht, dass spontane und zufällig zustande ge­kommene Gespräche oft informativer waren als langfristig geplante Interviews. Trotzdem haben sich beide Methoden als hilfreich und notwendig erwiesen.

[5] Die Alphabetisierungskurse fanden in der katholischen Mission von Segou statt. Geleitet und durchge­führt wurden diese Kurse von der Organisation “AFEM”. Die Kosten für Arbeitsmaterialien wie die Unter­richtshefte u.ä. wurden von der UNICEF übernommen. Die Hefte erscheinen auf Bamana und Französisch.

[6] Ami Cissé übersetzte für mich vom Bamana ins Französische und umgekehrt. Sie war in der Vergan­genheit selber als Hausmädchen tätig und besaß daher sehr gute Kenntnisse der Situation der Mädchen. Ami Cissé war zum Zeitpunkt meines Aufenthaltes 22 Jahre alt und lebte im Hof ihrer Tante. Ursprünglich kommt sie aus Burkina Faso, wo sie aufgewachsen ist. Sie kam nach Segou in der Hoffnung, eine Arbeit zu finden. Im Hof von Ami Cissé, wo ich die meiste Zeit meines Tages verbrachte, lebten noch drei andere Frauen mit ihren kleinen Kinder. So hatte ich die Gelegenheit, einen Einblick in eine malische Großfamilie zu bekommen.

[7] Salimata Konate ist mein malischer Name, der mir in den ersten Tagen von meinem Bamama-Lehrern gegeben wurde.

[8] Eine Auswahl der Fotos befindet sich im Anhang.

[9] Besonders interessant war, dass die Mädchen es oftmals ablehnten, sich bei der Arbeit, beim Kochen oder Waschen fotografieren zu lassen. Sie legten großen Wert darauf, nicht in ihrer Arbeitskleidung abge­lichtet zu werden. Statt dessen zogen sie ihr bestes und oftmals auch einziges Kleid an.

[10] Besonders wichtig waren meine Bamana-Kenntnisse zur Begrüßung und zum Austausch von Höflich­keitsfloskeln in Mali. Die Begrüßungszeremonie folgt in Mali immer einem ähnlichen Schema: Beide Per­sonen stellen sich vor und begrüßen sich, erkundigen sich nach dem jeweiligen Befinden der Person, fragen nach der Gesundheitund der aktuellen Situation der Eltern, der Kinder, der Verwandtenund der Tiere. Dieser Akt kann sich über mehrere Minuten hinziehen.

[11] “Die Bamanaw, aus ban (Verweigerung) und mana bzw. mara (Herrschaft), nennen sich selbst ‘die Men­schen, die fremde Herrschaft zurückweisen’. Sie werden im selben Sinne von ihren Nachbarn, u.a. den So- ninke und Fulbe genannt” (Haidara 1992: 50).

[12] In vielen Büchern wird immer noch die Bezeichnung “Bambara” sowohl für die Ethnie als auch für die Sprache verwendet. Offiziell kommt aber der Begriff “Bamana” (Plural: Bamanaw) zur Anwendung, womit sich die betreffende Volksgruppe auch selbst bezeichnet. “Bamana is the indigenous term as opposed to the colonial one Bambara” (Gosselin 2000: 195).

[13] Diese Grenzen sind wie in vielen afrikanischen Ländern Ergebnis der kolonialen Aufteilung. Sie ent­sprechen weder kulturellen und wirtschaftlichen Gegebenheiten noch historischen Ereignissen. Fast alle in Mali lebende Ethnien sind auch in den Nachbarländern anzutreffen, wie z.B. die Mande, die Bozo oder die Tuareg(Haidara 1992: 23).

[14] 20% der Bevölkerung lebten 1990 in den Städten Malis. Durch die starke Landflucht und die Migrations­bewegungen steigt die Wachstumsrate in den Städten immer weiter. Inzwischen liegt die Urbanisierungsrate bei 20 bis 24%. Allein in Bamako leben etwa 10% der Gesamtbevölkerung(Broetz 1992: 35).

[15] Die Höhe des Pro-KopfEinkommens wurde für 1990 sehr unterschiedlich eingeschätzt: von 200 bis 270 US$ (vgl. Broetz 1992). Es fälltmir schwer, diesenBeschönigungen,welcheje nachQuelle sehrvoneinander abweichen, Glauben zu schenken. Meiner Meinung nach werden diese Daten häufig von den verschiedenen Organisationen benutzt, um bestimmte Entwicklungserfolge nachweisen zu können.

[16] Die anhaltende Dürre entvölkert den Norden des Landes. Die Wanderbewegungen in den Süden führen zu sichtbaren Engpässen im ökonomischen und sozialen Bereich sowie im Transportwesen (vgl. Haidara 1992).

[17] Goody betont - neben Azu und Schildkrout - als eine der ersten Ethnologinnen die enorme Bedeutung der Pflegschaften und die Rolle der sozialen Elternschaft für die westafrikanischen Gesellschaften. Ihr Buch “Parenthood and Social Reproduction” aus dem Jahre 1982 ist zu einem Klassiker der Verwandtschaftseth­nologie geworden.

[18] “For the youngest age group (0-4 years), the percentage of children not residing with their mother is systematically higher in rural than in urban areas” (Page 1989: 418).

[19] “The proportion ofboth boys and girls (10to 14 years) not with their mothers are significantly higher in urban than rural areas” (Page 1989: 420).

[20] Roost-Vischer bezieht die Übernahme von elterlichen Rollen durch einen breiten Personenkreis von je­weils Älteren auch bei Anwesenheit der leiblichen Mutter mit ein, deshalb verwendet sie den ihrer Meinung nach umfassenderen Begriff der sozialen Elternschaft anstelle der Bezeichungen Pflegschafts- oder Adopti­onsverhältnisse (Roost-Vischer 1997: 28).

[21] Esther Goody hat in den 50er Jahren während einer Feldforschung bei den Gonja in Nordghana die institutionalisierte Form der Pflegschaft, die Verwandtschaftspflegschaft, untersucht. Neben der Pflegschaft zwischen Verwandten gibt es auch Formen des Kinderaustausches zwischen nicht-verwandten Personen.

[22] Die Frage der reproduktiven Technologien war in den 80er Jahren noch nicht aufgekommen.

[23] “Adoption im Sinne des Abtretens aller Rechte und Pflichten der leiblichen Eltern und demzufolge aller Status- und Identitätsänderungen existiert in Westafrika nur bei der Integration von Sklaven und Fremden” (Goody 1982: 23).

Ende der Leseprobe aus 123 Seiten

Details

Titel
Die sozio-ökonomische Situation der Hausmädchen in Segou, Mali
Hochschule
Freie Universität Berlin  (Institut für Ethnologie)
Note
1,1
Autor
Jahr
2003
Seiten
123
Katalognummer
V168869
ISBN (eBook)
9783640871759
ISBN (Buch)
9783640871827
Dateigröße
806 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
In der vorliegenden Arbeit befasse ich mich mit der Arbeits- und Lebens- situation der Hausmädchen in Segou, Mali. Hausmädchen sind weibli- che Jugendliche, die in der Regel aus ländlichen Gebieten in die Stadt kommen, um dort in einem Haushalt zu arbeiten. Als Basis für die vorliegende Arbeit dient meine viermonatige Feld- forschung in Segou, durchgeführt von August bis November 2000. Die gewonnenen empirischen Daten stellen die Grundlagen der Arbeit dar.
Schlagworte
Land-Stadt Migration, fosterage, Hausmädchen, Pflegschaftsverhältnisse, Mali, Westafrika
Arbeit zitieren
Annett Fleischer (Autor:in), 2003, Die sozio-ökonomische Situation der Hausmädchen in Segou, Mali , München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/168869

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