ADHS im Erwachsenenalter - Haben erwachsenen ADHS Patienten dieselben Anpassungsschwierigkeiten wie die Patienten im Kindesalter?

Welche Erklärungsmodelle und Diagnosekriterien scheinen für das Erwachsenenalter genauso zutreffend wie für das Kindes- und Jugendalter, welche müssen angepasst werden?


Tesis (Bachelor), 2011

65 Páginas, Calificación: 2,3


Extracto


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

1. Erklärungsansätze und Ursachen
1.1 Definitionen
1.1.1 Diagnosekriterien im Kindesalter
1.1.1.2 Unaufmerksamkeit
1.1.1.3 Überaktivität
1.1.1.4 Impulsivität
1.1.2 Ergänzung für das Erwachsenenalter
1.2 Prävalenz
1.3 Modelle
1.3.1 Allgemeine Neurobiologische Erklärung
1.3.2 Erklärung aus Sicht der Psychoanalytischen Pädagogik
1.3.3 Erklärung auf Basis der Kommunikations- und Systemtheorie
1.3.4 Erklärung als Ursache sozialer Anpassungsschwierigkeiten

2. AD(H)S im Erwachsenenalter
2.1 Diagnostik und Differenzialdiagnostik im Erwachsenenalter
2.1.1 Diagnostik
2.1.1.1 Interview
2.1.1.2 Fremdanamnese
2.1.1.3 Selbstbeurteilungsskalen
2.1.1.4 Testpsychologische Untersuchungen
2.1.2 Differenzialdiagnostik
2.1.2.1 Differenzialdiagnose
2.1.2.1.1 Schlafstörungen
2.1.2.2 Psychiatrische Komorbiditäten
2.1.2.2.1 Depressionen
2.1.2.2.2 Bipolare Störungen
2.1.2.2.3 Angststörungen
2.1.2.2.4 Zwangsstörungen
2.1.2.2.5 Posttraumatische Belastungsstörung
2.1.2.2.6 Störung des Sozialverhaltens mit oppositionellem Verhalten sowie antisoziale Persönlichkeitsstörung
2.1.2.2.7 Borderline-Persönlichkeitsstörung
2.1.2.2.8 Substanzmissbrauch
2.1.2.2.9 Tourette-Syndrom
2.1.2.2.10 Teilleistungsstörungen
2.2 Therapien im Erwachsenenalter

3. Interventionsmöglichkeiten
3.1 Therapieformen
3.1.1 Psychotherapie, Coaching und Selbsthilfe
3.1.1.1 Verhaltenstherapie
3.1.1.2 Psychoanalyse und tiefenpsychologische Psychotherapie
3.1.1.4 Selbsthilfegruppen
3.2.2 Ernährung und ADHS
3.2.2.1 Feingold-Diät
3.2.2.2 Phosphatdiät
3.2.2.3 oligoantigene Diät
3.3 Änderungen gegenüber AD(H)S in der Kindheit
3.3.1 Symptomatik im Erwachsenenalter
3.3.1.1 Aufmerksamkeits- und Konzentrationsstörungen
3.3.1.2 Desorganisation
3.3.1.3 Selbstwertproblematik
3.3.1.4 Störung der motorischen Aktivität
3.3.1.5 Störung der Impulskontrolle
3.3.1.6 Gestörtes Sozialverhalten
3.3.1.7 Emotionale Labilität
3.3.1.8 Stressintoleranz
3.3.1.9 Weitere diagnostische Kriterien nach DSM-IV
3.3.1.10 Wender-Utah-Kriterien
3.3.2 Symptomatik im Vergleich
3.3.2.1 Symptome des Aufmerksamkeitsdefizits nach DSM-IV
3.3.2.2 Symptome der Hyperaktivität und Impulsivität nach DSM-IV

4. Ausblick

5. Fazit
5.1 Verändert sich die Symptomatik?
5.2 Welche Erklärungsmodelle treffen für das Erwachsenenalter noch zu?
5.3 Zusammenfassung

6. Literaturverzeichnis

Einleitung

„Zappel-Philipp“ und „Stören-Frida“ sind wohl die bekanntesten Kinder mit einer Aufmerksamkeitsdefizit- Hyperaktivitätsstörung (ADHS). Die Diagnose bei auffälligem Verhalten in Bezug auf die Aufmerksamkeit eines Kindes auf ein gewünschtes Thema ist schnell gegeben. Gerade in der Schule müssen Kinder sich an meist sehr strenge Regeln und Verhaltensnormen halten. Umso weniger ist es verwunderlich, dass hier die Kinder, welche ein hohes Maß an Impulsivität oder Ausdrucks- bzw. Aufmerksamkeitsbedürfnis aufweisen, schnell negativ auffallen. Die Diagnose ADHS besiegelt dann dieses Urteil. Was bedeutet es eigentlich ein Defizit in seiner Aufmerksamkeit zu haben? Man hat Defizite im Schreiben, Lesen, Rechnen… usw. weil man (messbar) zu langsam oder fehleranfällig ist. Ist dies auch auf die Aufmerksamkeit übertragbar? Ab wann wird eine Aktivität zur Hyperaktivität, wo liegt die (messbare) Grenze? In dieser Arbeit soll allerdings nicht darauf eingegangen werden ob eine Diagnose, egal ob im Kindes oder Erwachsenenalter gefällt, sinnvoll ist. Vielmehr ist von Interesse, ob die als auffällig eingestuften Kinder als Erwachsene gleiche oder ähnliche Anpassungsschwierigkeiten haben. Zudem sollen die für das Kindesalter bereits geltenden Erklärungsmodelle dahingehend untersucht werden, ob sie auf das Erwachsenenalter übertragbar sind oder ob eine Modifizierung notwendig ist.

Zu Beginn werde ich auf einige Definitionen eingehen. Hierbei orientiere ich mich vor allem an den gängigen Diagnosekriterien der Weltgesundheitsorganisation (WHO1 ) welche in der ICD2 -10 niedergeschrieben sind. In der Ergänzung zum Erwachsenenalter vergleiche ich auszugsweise die ICD-9 und das DSM3 -III hinsichtlich der Beschreibung des Störungsbildes für das Erwachsenenalter. Im Anschluss dessen gehe ich auf die möglichen Prävalenzraten und die Problematik ihrer Bestimmung ein. Dazu vergleiche ich die Vorgehensweise und Kriterien mehrere Studien zur Bestimmung der Prävalenzrate einer ADHS.

Da es keine Allgemeingültige Erklärung für die Entstehung einer ADHS, weder für das Kindes- und Jugendalter noch für das Erwachsenenalter gibt, habe ich die meiner Meinung nach wichtigsten und populärsten Erklärungsmodelle herausgestellt und näher erläutert.

Ebenso wenig standardisiert ist die Vorgehensweise bei der Diagnostik, deshalb habe ich mögliche Vorgehensweisen beschrieben. Diese sind nicht als alleinstehende Verfahren anzusehen, sondern als eine Vielzahl von Möglichkeiten, welche beinahe alle während der Diagnostik genutzt werden sollten. Wichtig erscheint mir hierbei auch die Differentialdiagnostik. Einer der Wichtigsten Punkte, gerade bei der Diagnosestellung im Erwachsenenalter ist das Ausschließen anderer Störungsbilder. Zunächst gehe ich auf die verschiedenen Störungsbilder innerhalb der ADHS ein. Anschließend werden mögliche Erkrankungen, welche unterschieden bzw. ausgeschlossen werden oder deren Komorbidität festgestellt werden kann näher erläutert. Das 2. Kapitel schließt mit den Therapieansätzen im Erwachsenenalter ab. Hierbei werden allerdings noch keine Therapieformen beschrieben, sondern vielmehr die unterschiedlichen Gründe der Notwendigkeit und Ausgangssituationen einer Therapie im Erwachsenenalter im Vergleich zum Kindes- und Jugendalter.

Erst im 3. Kapitel werden dann Interventionsmöglichkeiten aufgezeigt. Zu Beginn wird die Rechtslage der Verschreibung von Methylphenidat im Erwachsenenalter geklärt, sowie die (mögliche) Wirkungsweise und Unterscheidung von Stimulanzien und Nicht-Stimulanzien erläutert. Die beschriebenen Therapieformen sind auf Grundlage des Störungsbildes im Kindes- und Jugendalter entstanden und größtenteils unverändert für das Erwachsenenalter übernommen. Eine klare Abgrenzung der Therapieformen in Abhängigkeit des Alters existiert noch nicht.

Ich habe den Kontext der Therapieformen genutzt um noch einmal gesondert auf die Symptomatik der ADHS speziell im Erwachsenenalter einzugehen und verschiedene Kriterienkataloge vorzustellen. Aus dieser Grundlage heraus habe ich dann einen direkten Vergleich der Symptome im Kindes- und Jugendalter und der Symptomatik im Erwachsenenalter durchgeführt. Dieser Vergleich ist in Anlehnung an die Diagnosekriterien der DSM-IV aufgebaut. Ich habe mich bewusst vermehrt auf die Diagnosekriterien aus dem amerikanischen Raum konzentriert, da hier die Informationen zum Thema ADHS wesentlich detaillierter und scheinbar auch fortschrittlicher zu seien scheinen als die aus dem europäischen Raum. Einen direkten Vergleich der ICD-10 und der DSM-IV habe ich allerdings vermieden, da dies nicht Schwerpunkt dieser Arbeit sein sollte.

Im 4. Kapitel untersuche ich dann das nach aktuellem Stand für 20134 erwartete DSM-V, um einen richtungsweisenden Ausblick auf die Entwicklung des Störungsbildes geben zu können. Hier werden vor allem Ergänzungen und Veränderungen herausgearbeitet welche die ADHS im Erwachsenenalter betreffen.

Abschließend folgt eine kurze Zusammenfassung um die Kernthesen dieser Arbeit erneut aufgreifen und noch einmal konkret beantworten zu können.

1. Erklärungsansätze und Ursachen

Die ADHS ist mit einer Prävalenzrate von 5-9%5 die häufigste kinder- und jugendpsychiatrische Erkrankung, gerade deshalb ist es von großer Bedeutung den Verlauf der Erkrankung bis ins Erwachsenenalter, hier wird eine Prävalenzrate von 1-6% veranschlagt6, zu verfolgen (siehe auch 1.2).

Selten wird ein psychiatrisches Krankheitsbild zunächst für das Kindesalter und sehr viel später erst für das Erwachsenenalter beschrieben und klassifiziert. Bis Ende der 1990er Jahre galt ADHS ausschließlich als kinder- und jugendpsychiatrische Erkrankung. Bereits in den 70er Jahren machte Paul H. Wender aus den USA darauf aufmerksam, dass Eltern von Kindern mit ADHS häufig selbst Symptome dieser Störung zeigen. In der deutschen Fachpresse tauchte diese Thematik jedoch erst zwischen 1998 und 1999 auf. Das Ehepaar Johanna und Klaus-Hemming Krause verfassten in Zusammenarbeit mit Götz-Erik Trott grundlegende Artikel zum Thema ADHS im Erwachsenenalter oder auch der so genannten „adulten ADHS“. Johanna Krause stellte 2002 auf Veranlassung des Bundesministeriums für Gesundheit und soziales ein Expertenteam zusammen, welches bereits im Oktober 2003 mit Unterstützung der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Neurologie (DGPPN) die europaweit ersten Leitlinien zur ADHS im Erwachsenenalter im „Nervenarzt“ publizierte.

1.1 Definitionen

1.1.1 Diagnosekriterien im Kindesalter

Die Weltgesundheitsorganisation hat folgende Diagnosekriterien in der ICD-10 zusammengefasst:

Die Symptomatik muss vor dem siebenten Lebensjahr auftreten, in mehr als einem Lebensbereich und deutliches Leiden verursachen oder die Funktionsfähigkeit beeinträchtigen. Eine andere Entwicklungsstörung oder psychische Krankheit muss ausgeschlossen werden.

1.1.1.2 Unaufmerksamkeit

Mindestens sechs der folgenden Symptome von Unaufmerksamkeit müssen mindestens sechs Monate lang in einem mit dem Entwicklungszustand des Kindes nicht zu vereinbarenden und unangemessenem Ausmaß vorliegen: unaufmerksam gegenüber Details, Sorgfaltsfehler bei den Schularbeiten und sonstigen Arbeiten und Aktivitäten nicht in der Lage Aufmerksamkeit beim Spielen und anderen Aufgaben aufrechtzuerhalten Kind hört nicht zu, wenn es angesprochen wird Erklärungen kann nicht gefolgt oder Schularbeiten, Aufgaben oder Pflichten am Arbeitsplatz nicht erfüllt werden häufig beeinträchtigt, Aufgaben und Aktivitäten zu organisieren Vermeidung von ungeliebten Aufgaben, die häufig geistiges Durchhaltevermögen erfordern häufiger Verlust von aufgabenrelevantem Werkzeug häufig durch Reize von außen abgelenkt im Verlauf von alltäglichen Aktivitäten vergesslich

1.1.1.3 Überaktivität

Mindestens sechs Monate lang müssen mindestens drei der folgenden Symptome in einem mit dem Entwicklungszustand des Kindes nicht zu vereinbarenden und unangemessenen Ausmaß vorliegen:

häufiges Fuchteln mit Händen und Füßen oder Winden während des Sitzens aufstehen in Situationen in denen Sitzenbleiben erwartet wird häufiges Herumlaufen und Klettern in dafür unangemessenen Situationen Schwierigkeiten sich leise zu beschäftigen oder unnötig laut beim Spielen anhaltendes Muster exzessiver motorischer Aktivitäten, die durch den sozialen Kontext oder Verbote nicht durchgreifend beeinflussbar sind

1.1.1.4 Impulsivität

Mindestens eines der folgenden Symptome von Impulsivität muss mindestens sechs Monate lang in einem mit dem Entwicklungszustand des Kindes nicht zu vereinbarenden und unangemessenem Ausmaß vorliegen: häufiges Herausplatzen von Antworten deren Frage noch nicht beendet ist unfähig zu warten bis es an der Reihe ist oder in einer Reihe zu warten häufiges Stören oder Unterbrechen exzessives Reden, ohne angemessen auf soziale Beschränkungen zu reagieren

1.1.2 Ergänzung für das Erwachsenenalter

In der ICD-9 (1978) wird das hyperkinetische Syndrom ADHS noch als reine Erkrankung des Kindesalters beschrieben. In der DSM-III (1980) dagegen wird bereits ein Persistieren von Symptomen bis ins Erwachsenenalter als spezielle Kategorie aufgeführt und als „ADD Residual Type“ bezeichnet. Das DSM-IV (1996) dagegen differenziert drei Untergruppen. Den Aufmerksamkeitsdefizit-/ Hyperaktivitätsstörung Mischtypus, vorwiegend unaufmerksamen Typus und den vorwiegend hyperaktiv-impulsiven Typus (siehe hierzu auch 2.1). Demgegenüber stehen die Bezeichnungen aus der ICD-10: Einfache Aktivitäts- und Aufmerksamkeitsstörung, Aufmerksamkeitsstörung ohne Hyperaktivität und hyperkinetische Störung des Sozialverhaltens. Für 2013 wird das DSM-V erwartet in dem erstmals eine Unterscheidung geschlechtsspezifischer Symptome vor- genommen werden soll, da betroffene Frauen häufig die Symptomatik vor der Pubertät überhaupt nicht oder nicht als störend empfunden haben und dies somit nicht den noch gültigen Kriterien entspricht7.

1.2 Prävalenz

Da nach Meinungen von Experten eine Erstmanifestierung der ADHS im Erwachsenenalter nicht plausibel scheint, lässt sich die Häufigkeit persistierender ADHS über die Pubertät hinaus aus der Zahl betroffener Kinder und Jugendlicher schätzen.

Dennoch schwanken die Zahlen deutlich. Dies ist auf Unterschiedliche Kriterienkataloge zurückzuführen und durch geographische Besonderheiten zu erklären. Da die ICD-10 im Gegensatz zur DSM-IV die Subgruppe der rein aufmerksamkeitsgestörten Patienten nicht berücksichtigt, ist bei Anwendung dieser die Anzahl betroffener Personen deutlich geringer.

Neuere Studien mit besser definierten und rigoroseren Kriterien fanden eine höhere Persistenz der Symptome im Erwachsenenalter als frühere Untersuchungen. Paul H. Wender kommt nach ausgiebiger Auswertung 21 epidemiologischer Studien zur ADHS im Kindesalter, die zwischen 1958 und 1992 publiziert wurden zu dem Ergebnis, dass die Häufigkeit bei Kindern zwischen 6% und 10% liegen muss. Wobei ein deutliches Gewicht beim männlichen Geschlecht liegt (3:1 bis 4:1). Als mögliche Erklärung wird eine erhöhte (mehr als das Vierfache) Dopaminrezeptoren-Dichte bei männlichen Betroffenen in Erwägung gezogen.

Über die Prävalenzrate der ADHS im Erwachsenenalter lässt sich keine einheitliche Angabe machen. In verschiedenen Studien finden sich Zahlen bezüglich der Persistenz von 0,3 (Schaffer 1994) bis 70%8 (Wenwei und Yan 1996). Problematisch scheint hier die Festlegung der Kriterienkataloge und Testverfahren. Die verwendeten Tests aus dem Kinder- und Jugendalter werden häufig auch auf das Erwachsenenalter angewandt. Dies wird zunehmend kritisch betrachtet, da sich die Lebensbedingungen sowie der Hormonhaushalt und die kognitiven Fähigkeiten im Erwachsenenalter deutlich verändern und somit keine exakte Übertragung der Symptomatik erfolgen kann. Dies führt bei sogenannten „follow ups“ oder „longitudinalen Studien“, also bei solchen, welche Patienten von der Kindheit bis ins Erwachsenenalter begleiten, zu drastischen Unterschieden bezüglich ihrem Verhalten und ihrer kognitiven Fähigkeiten. Dadurch fällt die Symptomatik oftmals in andere Bereiche wie Persönlichkeitsstörungen oder Depressionen. Deshalb wird vorgeschlagen die Verhaltensweisen in Bezug auf Gleichaltrige zu setzen und zu beurteilen.

1.3 Modelle

ADHS gilt heute als Störung, die durch verschiedene Faktoren bedingt wird. Es wird als sicher angesehen, dass der Ursprung ein neurobiologischer ist. Zum einen werden genetische Komponenten mit Veränderung beim Transport von Botenstoffen des Nervensystems für die Symptome der ADHS verantwortlich gemacht. Die Theorie baut vor allem auf gefundene Auffälligkeiten beim Dopamin- transporter-Gen sowie beim D2- und D4-Dopaminrezeptor-Gen auf. Verschiedene Stoffe wie Noradrenalin, Serotonin oder Dopamin werden in teilweise verschiedenen Theorien als organische Ursachen für ADHS in Betracht gezogen. Ebenso können auch kritische Umweltfaktoren wie Schwangerschafts- oder Geburtskomplikationen Auslöser dieser Erkrankung sein. Auch frühe Schädel-Hirn-Verletzungen gelten als Risikofaktoren. Immer häufiger werden auch soziale Faktoren, wie Erziehungsstile, Stressoren, Kommunikationsformen im sozialen Umfeld etc. als Ursachen in Betracht gezogen, auch wenn eine genetische Neigung zugrundegelegt wird. Als gesichert gilt jedoch, dass es kein verantwortliches „ADHS-Gen“ gibt. Dennoch ist eine vererbbarkeit auf Grund von durchgeführten Zwillings-, Adoptions- und Familienstudien nicht ausgeschlossen. Es zeigt sich vielmehr, dass Angehörige von Patienten mit ADHS ein etwa drei- bis fünffach erhöhtes Risiko haben, ebenfalls an ADHS zu erkranken (Colla, Heel, Nitz 2006). Inwieweit dieses erbliche Risiko allein oder im Zusammenwirken mit ungünstigen Umwelteinflüssen zum Tragen kommt ist bislang nicht bekannt. Aus den Studien kann sich, auf Grund gehäufter psychischer Störungen bei Familien mit an ADHS erkrankten Mitgliedern, eher ableiten lassen, dass innerhalb dieser Familien eine allgemeine Anfälligkeit für psychische Störungen vorliegt. ADHS kann nicht im Erwachsenenalter entstehen. Voraussetzung für die Diagnose ist immer ein Beginn der Störung im Kindesalter. Daher muss bei einem plötzlichen Auftreten von Unaufmerksamkeit, Hyperaktivität oder Impulsivität im Erwachsenenalter davon ausgegangen werden, dass eine andere Problematik zugrundeliegt. ADHS ist nicht heilbar und wächst sich somit als biologische Prädisposition auch nicht aus. Der Umgebung im Sinne von Risiko- und Schutzfaktoren wird eine besondere Rolle zugeteilt. In Studien zeigen sich oft gestörte Interaktionsmuster bei betroffenen Familien.

Aus den Ergebnissen verschiedenster Therapieformen lässt sich keine Eindeutige Ursache ableiten. Ein Krankheitsbild aufgrund erfolgreicher Therapien zu erklären ist demnach nicht möglich. Selbst bei der medikamentösen Behandlung mit Pharmaka ist die Wirkungsweise nicht völlig geklärt.

1.3.1 Allgemeine Neurobiologische Erklärung

Geschwister von ADHS erkrankten Kindern weisen ein erhöhtes Risiko auf, selbst eine ähnliche Symptomatik zu entwickeln. Auch andere Familienmitglieder sind betroffen. Aus diesem Grund wird eine Vererbbarkeit von ADHS vermutet, wodurch ein eine genetische Ursache in Betracht gezogen wird. Allerdings sind die Befunde nicht eindeutig bzw. es fehlt an entsprechenden Untersuchungen um eine Eindeutige Erklärung geben zu können.

Genetische Fehlfunktionen können möglicherweise in den Bereichen des Gehirns vorkommen die für den Umgang mit dem Neurotransmitter Dopamin verantwortlich sind. Dopamin wird in spezifischen Hirnbereichen von Neuronen freigesetzt. Die Aufnahme und selektive Weiterleitung wird hierdurch kontrolliert. Zunächst ist man davon ausgegangen, dass die Patienten die Aufgenommenen Reize nicht filtern können und demnach also eine Überreizung stattfindet. Mittlerweile ist diese Theorie allerdings wiederlegt und man ist überzeugt davon, dass vielmehr die auf den Reiz folgende Reaktion nicht kontrolliert bzw. unterdrückt werden kann. Dennoch kursieren zwei gängige Hypothesen. Die Dopamin- Ü berschuss - und die Dopamin- Mangel- Hypothese. Ein Überschuss an Botenstoffe würde eine Überlagerung der Reize mit sich bringen, wodurch eine selektive Wahrnehmung nicht mehr möglich ist. Die Kinder können nicht differenzieren wer mit ihnen spricht, sie versuchen sich durch Ablenkung bestimmten Reizen zu entziehen, sie sind motorisch unruhig usw. Ein Mangel an Neurotransmittern hat eine verlangsamte oder verminderte Reizaufnahme zur Folge, wodurch Vergesslichkeit, Trägheit etc. erklärt werden kann. Zudem wird zwischen den Transportern und den Rezeptoren unterschieden, also diejenigen Gene die für den Transport des Reizes zuständig sind oder solche die für die Aufnahme dessen verantwortlich sind.

Wodurch diese Störung des Dopaminhaushalts hervorgerufen wird ist ebenfalls nicht eindeutig geklärt. Die Palette möglicher Ursachen reicht von Geburtsproblemen über vererbbarer Dysfunktion bis zur falschen Ernährung.

1.3.2 Erklärung aus Sicht der Psychoanalytischen Pädagogik

Aus Psychoanalytischer Sicht wird die Symptomatik einer ADHS durch innere Konflikte und der Erlebniswelt des Kindes und dessen wechselseitiger Beziehung zu den Eltern hervorgerufen. Ein gestörtes Verhalten kann als Reaktion auf traumatische Ereignisse gesehen werden. Eine innere Unruhe spricht demnach eher für innere Konflikte. Zudem können familiäre Konflikte auf das Kind übertragen werden, so soll die Krankheit des Kindes von den Problemen der Familien hinwegtäuschen. Das Kind jedoch äußert die Konflikte durch sein Verhalten. Der psychische Konflikt soll durch eine motorische Verhaltensweise ersetzt und somit unkenntlich gemacht werden.

Allgemein wird davon ausgegangen, dass Bewegungserscheinungen Ausdruck der psychischen Befindlichkeit sind. Es wird zwischen der Ausdrucksmotilität, also die expressiven und affektiven motorischen Funktionen und der Leistungsmotorik unterschieden. Die Ausdruckmotilität ist nach Meinung der Psychoanalytiker näher dem „Es“ zu zuordnen. Mit Eintritt in die Schule wird von den Kindern erwartet, nicht mehr Entlastung über affektive Motilität zu suchen. Es werden drei Gruppen von Triebausbrüchen unterschieden. Häufig wird auch der Begriff „Gefühlsinkontinenz“ verwendet d. h. Triebimpulse entweichen ständig, wenn die motilitätskontrollierende Funktion des „Ichs“ beeinträchtigt ist.

Für die Ursache werden organische Bedingungen anerkannt. Diese treten jedoch in eine Beziehung zu den psychischen Bedingungen, sodass eine Wechselwirkung entsteht. Haben Kinder also bereits organisch eine Neigung Reize nicht ausreichend zu selektieren und zu verarbeiten hat dies auch psychische und soziale Folgen.

1.3.3 Erklärung auf Basis der Kommunikations- und Systemtheorie

Jedes Kind steht in direkter Beziehung zu seinem unmittelbaren Umfeld. Verhält sich ein Kind in der Familie nicht angemessen, sehen die Eltern ihre Erziehungs- maßnahmen als gescheitert an. Ebenso scheinen pädagogische Konzepte misslungen wenn diese Kinder sich in der Schule nicht angemessen verhalten. In beinahe jedem Lebensbereich des Kindes werden bestimmte Erwartungen an die Kinder gestellt, welche diese nicht ausreichend erfüllen. Hieraus entsteht eine Wechselbeziehung zwischen den Betroffenen. Die unzureichende Resonanz auf die Bemühungen der Umgebungspersonen auf die Kinder mit ADHS einzugehen, führt zu einem Verhalten diesen Kindern gegenüber, das die Enttäuschung spüren lässt.

Jetzt stellt sich die Frage ob die Interpretation (sowohl akustisch als auch motorisch) des akustischen Signals (Ansprache) durch die Umgebung in Bezug auf die soziale Situation misslingt und somit der kindliche Kognitions- und Erkenntnisprozess gestört oder erschwert wird. In diesem Fall führt eine, der Kontaktaufnahme auf akustischer Ebene vorangehende taktile Stimulation (Berührung), zu einer verbesserten Interpretation der akustischen Reize.

Aus systemtheoretischer Sicht kann nicht einem einzelnen Kind die Eigenschaften einer Verhaltensstörung zugeordnet werden. Vielmehr muss man von einem System sprechen welches ADHS-Verhaltensweisen enthält. Im Zweifelsfalle kann dabei dem Kind eine besondere problematische Rolle zugeteilt werden.

1.3.4 Erklärung als Ursache sozialer Anpassungsschwierigkeiten

Die Gesellschaft befindet sich im stetigen Wandel. In beinahe jedem Bereich finden Veränderungen statt die nicht unbedingt zu Gunsten der Kinder geschehen. Normabweichende Verhaltensweisen werden mittlerweile als Krankheit angesehen, wobei der Begriff Krankheit durch „dysfunktionales verhalten“ ersetzt wird. Die Hemmschwelle für eine Behandlung durch Methylpheni- dat, welches eine vergleichbare Wir- kung wie Amphe- tamine aufweist, ist drastisch gesunken (siehe Verord- nungsrang -Tabelle 1). Es scheint als sei die Grenze zwi-schen Pädagogik

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Tabelle 1

und medizinischer Therapie aufgehoben und Methylphenidat als Disziplinierungsmittel missbraucht zu werden.

Es wird vor allem das Spannungsfeld „Eltern und Schule“ kritisiert. Zum einen aus Sicht der Eltern, weil die Wochenarbeitsstunden steigen, Kinder mittlerweile als Armutsfalle gelten, da das Kindergeld nicht kostendeckend ist und kein Erziehungslohn die Bemühungen der Eltern anerkennt. Auf der anderen Seite steht die Schule vor dem Problem der zunehmenden Heterogenität der Kinder im Einschulungsalter, der damit einhergehenden „Entsubjektivierung“, dem fehlenden Schutzraum (gesellschaftl. Gegenstruktur) in der Familie und dem zunehmend früheren Einzelkampf, sowohl für Schüler als auch für Pädagogen. Diese Situation kommt zu der ohnehin schon veränderten Kindheit hinzu. Die Scheidungsrate steigt, ebenso die Zahl der Alleinerziehenden, vorherrschende Perspektivlosigkeit bei fast allen Familienmitgliedern, zunehmende Medienkindheit, risikoreiche Umwelt- einflüsse, manipulative Reize von außen (z.B. Werbung), Feminisierung der Pädagogik usw. All das sind Faktoren die die Entwicklung eines Kindes störe. Häufig wird auch von ADHS als „Sozialisationsunfall“ gesprochen.

2. AD(H)S im Erwachsenenalter

2.1 Diagnostik und Differenzialdiagnostik im Erwachsenenalter

„Expertinnen und Experten sind sich weitgehend einig, dass bei ca. 35-50% der Personen, bei denen ADHS im Kindes- und Jugendalter diagnostiziert wurde, die Störung auch im Erwachsenenalter in einem klinisch relevanten Maße fortbesteht.“ (Colla, Heel, Nitz 2006)

Das am schwierigsten zu erfüllende Kriterium einer gelungenen Diagnostik ist die Objektivität. Es mangelt bzw. fehlt gänzlich an spezifischen Testverfahren, insbesondere an neurobiologischen, bildgebundenen (Röntgen o.ä.) und neuro- psychologischen Methoden, welche eindeutige und vor allem objektive Test- ergebnisse liefern. Deshalb kann eine Diagnose lediglich mittels ausführlicher Befragung erfolgen. Diese richtet sich auf die anamnestisch ermittelbaren Symptome, Berichten der Betroffenen und Personen aus deren sozialen Umfeld. Zusätzlich werden Gutachten aus dem Kindes- und Jugendalter untersucht, denn vor der Diagnose „ADHS im Erwachsenenalter“ muss gesichert werden, dass die Symptome bereits seit der Kindheit bestehen. Aufschluss können hier Schulzeugnisse und Rückmeldungen von Bezugspersonen geben. Demnach kann man sagen, dass sowohl eine retrospektive Diagnose als auch eine aus der aktuellen Situation heraus geführt werden muss. Diese Teile werden anschließend zu einem einheitlichen Krankheitsverlauf zusammengesetzt. Dabei ist es von Vorteil möglichst viele verschiedene Informationsquellen heranzuziehen (Eltern, Lehrer, Partner, Arbeitgeber, Zeugnisse etc.). Eine weitläufige Erfahrung des Diagnosestellers ist von großer Bedeutung. Er muss das gesamte Spektrum psychischer Störungen abwägen und Kernsymptome herausfiltern. Aufmerksamkeits- und Konzentrationsstörung sowie Impulsivität sind hierbei zu unspezifisch. Zudem ist der Umgang mit der Symptomatik meist schon erlernt oder weitgehend Unterdrückt, sodass der Patient zunächst aus ganz anderen Gründen in Behandlung tritt. Im Wesentlichen stützt sich die Diagnostik auf drei Komponenten:

Aktuelle Beschwerden des Patienten, retrospektiv zu diagnostizierende Symptome einer ADHS im Kindesalter und Angaben zur Familienanamnese.

[...]


1 World Health Organisation

2 International Classification of Diseases

3 Diagnostische und Statistische Manuals der American Psychiatric Association

4 American Psychiatric Association 2010: „Diagnostische und Statistische Manuals“. URL: http://www.DSM-5.org[Stand: 06.11.2010)

5 Ermittelt aus einer internationalen Studie, bei Verwendung der DSM 1996

6 Wender 2001

7 Vgl. Krause und Krause 2005 S.4

8 Vgl. Tabelle1 (Krause und Krause 2005)

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Detalles

Título
ADHS im Erwachsenenalter - Haben erwachsenen ADHS Patienten dieselben Anpassungsschwierigkeiten wie die Patienten im Kindesalter?
Subtítulo
Welche Erklärungsmodelle und Diagnosekriterien scheinen für das Erwachsenenalter genauso zutreffend wie für das Kindes- und Jugendalter, welche müssen angepasst werden?
Universidad
University of Hannover
Calificación
2,3
Autor
Año
2011
Páginas
65
No. de catálogo
V169341
ISBN (Ebook)
9783640876365
ISBN (Libro)
9783640876419
Tamaño de fichero
854 KB
Idioma
Alemán
Palabras clave
haben, anpassungsschwierigkeiten, kindesalter, welche, erklärungsmodelle, diagnosekriterien, kindes-, jugendalter, ads, dsm, icd, intervention, vergleich, symptom
Citar trabajo
Philipp Weiß (Autor), 2011, ADHS im Erwachsenenalter - Haben erwachsenen ADHS Patienten dieselben Anpassungsschwierigkeiten wie die Patienten im Kindesalter?, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/169341

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