Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Der Zwei-Stufen-Fluss der Kommunikation
2.1 Die frühen Studien
2.2 Die Meinungsführer
2.3 Weiterentwicklungen
3. Two-Step-Flow früher und heute
4. Fazit
5. Literaturverzeichnis
6. Anhang: Internetquelle
1 Einleitung
Wissenschaftliche Forschung basiert in der Regel auf theoriegeleiteten Prozessen. Vorab wird abgesteckt, was untersucht werden soll, es werden zentrale Begrifflich- keiten definiert und es wird erörtert, welche Methoden zur Untersuchung eingesetzt werden sollen. Doch gelegentlich sind die Forschungsresultate aller Theorie zum Trotz dem Zufall zuzuschreiben. Bedeutende Entdeckungen wie jene der Radioak- tivität durch ANTOINE HENRI BECQUEREL oder des Penizillins durch Sir ALEXANDER FLEMING entstanden durch zufällige Umstände. Auch der Erfindung des Post-it- Stickers ging keine Theorie voraus. Ganz ähnlich stellt sich auch die „Entdeckung“ des Two-Step-Flow of Communication durch den gebürtigen Österreicher PAUL FELIX LAZARSFELD, BERNARD BERELSON und HAZEL GAUDET dar. Eine Studie zum Wahlverhalten der Bürger einer Kleinstadt im Mittleren Westen der Vereinigten Staaten legte den Grundstein für eine gänzlich neue Sichtweise auf die Wirkung der Medien. The People ’ s Choice gehört somit zu einer der bekanntesten und einfluss- reichsten Studien der Medienwirkungsforschung, obwohl die Hypothese des Zwei- stufenflusses eher als nachträgliche Vermutung denn als Untersuchungsgegenstand bezeichnet werden kann. In Zusammenhang mit der verminderten Medienwirkung wurde das Konzept der Meinungsführerschaft formuliert. Die Unterteilung in Mei- nungsführer und -folger stellt vor allem für Kommunikatoren eine nicht zu unter- schätzende Erkenntnis dar.
Die vorliegende Arbeit stellt einige grundlegende Studien zum Two-Step-Flow vor. Nachfolgend werden das Phänomen der Meinungsführerschaft näher beleuchtet und vor allem die Meinungsführer selbst genauer charakterisiert, bevor die Weiterent- wicklung beider Konzepte betrachtet wird. Im Anschluss stellt sich die Frage, ob - und wenn ja inwiefern - der Annahme eines zweistufigen Flusses knapp 70 Jahre nach seiner Beschreibung heute noch zuzustimmen ist. Abschließend findet sich ein Fazit samt kurzem Ausblick. Der Fokus der Arbeit liegt hauptsächlich auf den frü- hen Studien der 1940er und 1950er Jahre, sowie im zweiten Teil auf den neuesten Publikationen zum Thema. Der Rahmen dieser Arbeit erlaubt es mir nicht, mich in aller Ausführlichkeit mit den genannten Phänomenen zu beschäftigen. Infolgedes- sen werden nur die wichtigsten und meines Erachtens nach relevanten Punkte be- rücksichtigt.
2 Der Zwei-Stufen-Fluss der Kommunikation
2.1 Die frühen Studien
Als Begründer der Theorie um den sog. Two-Step-Flow of Communication gelten LAZARSFELD, BERELSON und GAUDET. Ins Licht der Öffentlichkeit rückte die Idee eines zweistufigen Informationsflusses durch die Columbia-Studien, benannt nach der Columbia University New York, an der LAZARSFELD ab 1939 tätig war. Hier sind vor allem die Decatur-Studie und die weitaus bekanntere politische Arbeit The People ’ s Choice zu nennen, die in diesem Kapitel noch näher vorgestellt werden sollen. Die Theorie des Two-Step-Flows ist eng mit dem Konzept der Meinungs- führerschaft verbunden, auch wenn beide in der Forschungsgeschichte oftmals ge- trennt untersucht wurden.
Im Grunde genommen stellt der Two-Step-Flow eine Ad-hoc-Entdeckung in der Anfangszeit der Medienwirkungsforschung dar. Die 20er und 30er Jahre des letzten Jahrhunderts waren geprägt von der Vorstellung einer - im Sinne der Propaganda - starken, direkten Medienwirkung nach Vorbild des Stimulus-Response-Modells. DONSBACH bezieht sich auf MCQUAIL und kennzeichnet diese erste Phase der Me- dienwirkung (bis etwa Ende der dreißiger Jahre) daher als jene der starken Medien. Demzufolge gestaltete sich auch die Herangehensweise von LAZARSFELD, BERELSON und GAUDET. The People ’ s Choice darf im Grunde nicht als klassische Medienwir- kungsstudie verstanden werden, da untersucht wurde, „how and why people deci- ded to vote as they did.“ (LAZARSFELD et al. 1968, S. 1). Die Studie ist somit eher im politisch-soziologischen Bereich anzusiedeln. Gegenstand der Arbeit war der US-amerikanische Präsidentschaftswahlkampf des Jahres 1940 zwischen dem Re- publikaner WINDELL L. WILLKIE und dem amtierenden Präsidenten, dem Demokrat FRANKLIN D. ROOSEVELT. Die Besonderheit der Studie liegt - unabhängig von ihren Ergebnissen - zunächst in einer Längsschnittkonzeption „as a next step forward in opinion research“ (LAZARSFELD et al. 1968, S. 2). In der Endphase des Wahlkampfs wurden dieselben Personen zu mehreren Zeitpunkten befragt, um den Meinungsver- lauf und ggf. die Ursachen einer Veränderung desselben erfassen zu können. Das Paneldesign ermöglichte es, „[to] establish more closely the roles of the several influences upon vote […] from both predispositions and stimuli.“ (ebd.). Die Befra- gungen fanden in Erie County, Michigan, statt, da hier günstige Bedingungen vor- zufinden waren und sich das Wahlverhalten nur minimal vom Landesdurchschnitt unterschied. Die Forscher akquirierten insgesamt 3.000 Personen, aus denen sie wiederum fünf einander ähnliche Gruppen à 600 Befragte bildeten. Vier dieser Gruppen dienten dabei als Kontrollgruppen und wurden jeweils nur ein einziges Mal befragt. Die sog. Panelgruppe wurde zwischen Mai und November 1940 mo- natlich befragt, sodass sich sieben Messzeitpunkte ergaben. Dem Stimulus- Response-Modell verhaftet, wurde „everything the two parties do to elect their can- didates“ (LAZARSFELD et al. 1968, S. 1) als Stimulus verstanden, während das dar- aus resultierende Verhalten der Wähler als Response angesehen wurde. Besonderes Augenmerk wurde auf die Verfolgung des Wahlkampfs und eventuell auftretende Meinungsänderungen der Probanden gelegt. Des Weiteren äußern die Forscher, dass „information on anything which might contribute to our knowledge of the formation of his political preferences.“ (LAZARSFELD et al. 1968, S. 5) gesammelt würden, was der Studie einen explorativen Charakter verleiht. Ursprünglich sollte sich bei den Stimuli auf die klassischen Massenmedien der damaligen Zeit (Presse und Radio) konzentriert werden. Im Rahmen der nicht standardisierten Interviews ergab sich aber bereits nach wenigen Durchläufen, dass „[r]espondents of the study named friends and affiliates as sources of information more often than newspapers or the radio.“ (TREPTE & SCHERER 2010, S. 120) benannt wurden. Man reagierte auf diese Antworten und ergänzte die Interviews um weitere Fragen zum persönlichen Einfluss. Aufgenommen wurden die beiden Items „Have you recently tried to convince anyone of your political ideas?“ und „Has anyone recently asked you for your advice on a political question?“ (LAZARSFELD et al. 1968, S. 175). Wer mindes- tens eine der beiden Fragen bejahte, galt fortan als sog. Meinungsführer (21 %). Die Forscher hoben bereits in dieser ersten Studie ein großes politisches Interesse und eine überdurchschnittliche Mediennutzung als Merkmale dieser Gruppe hervor. Im sechsten Interview der Panelgruppen ergab sich, dass 90 % der als Meinungsführer klassifizierten Personen mit ihrem Umfeld über den Wahlkampf gesprochen hatten. Dieser offensichtlich große Einfluss der interpersonalen Kommunikation gerade auf unentschlossene Wähler und die weitaus höhere Mediennutzung der Meinungsfüh- rer veranlassten LAZARSFELD et al. im Nachhinein zur Formulierung der Hypothese eines Zweistufenflusses. „[I]deas often flow from radio and print to the opinion leaders and from them to the less active sections of the population.“ (LAZARSFELD et al. 1968, S. 151, Hervorhebungen im Original), schlussfolgerten die Autoren damals. Unweigerlich erinnert diese Relaisfunktion an das Konzept der Gatekeeper des Psychologen KURT LEWIN. Die Interviews der LAZARSFELD-Studie lassen vermuten, dass der Einfluss der Meinungsführer sowohl direkt als auch indirekt sein kann. Anhand der Aussage einer befragten Kellnerin, die eher zufällig die Gespräche ihrer Gäste verfolgte, kann man annehmen, dass sogar passiv erlebte Kommunikation einen Effekt hervorruft (vgl. DONSBACH 1991, LAZARSFELD et al. 1968, TREPTE & SCHERER 2010).
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