Die Beziehungen zu Israel im Rahmen der türkischen Außenpolitik


Bachelor Thesis, 2010

61 Pages, Grade: 1,5


Excerpt


Inhaltsverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

1. Fragestellung

2. Theoretischer Hintergrund
2.1 Außenpolitik
2.2 Interessen, Macht, Ideen
2.3 Außenpolitischer Realismus
2.4 Außenpolitischer Konstruktivismus
2.5 Außenpolitischer Institutionalismus

3. GrundliniendertürkischenAußenpolitikseit 1990
3.1 Akteure
3.2 Security first
3.3 Das Konzept der strategischen Tiefe

4. Die türkisch-israelischenBeziehungenseit 1990

5. DeterminantentürkischerAußenpolitikab 1990
5.1Nationale Sicherheit
5.2BeziehungenzurEU/USA
5.3 Wirtschaftliche Entwicklung
5.4 Die Beziehungen zum Nahen Osten

6. Schlussbetrachtung

7. Literaturverzeichnis / Internetquellen

8. Abbildungs-/Tabellenverzeichnis

Abktirzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1. Fragestellung

Am 31.12.1991 nahmen die Türkei und Israel, nach mehr als zehn Jahren, wieder volle diplomatische Beziehungen zueinander auf. Dies war der Beginn einer, durch den Ausbau wirtschaftlicher und militärischer Kooperation gekenn­zeichneten, strategischen Partnerschaft. Im Jahre 2000 konstatierte Alon Liel: „Heute kann man sagen, dass die Beziehungen zwischen der Türkei und Israel niemals besser waren, ... . “ (Vgl. Liel 2000: 31, Spalte 1). Gegenwärtig haben die türkisch-israelischen Beziehungen allerdings wieder einen neuen Tiefpunkt erreicht. Vordergründig geht die Verschlechterung der bilateralen Beziehungen zwischen beiden Ländern auf eine Kette von Ereignissen zurück, in welcher, der 31.05.2010, als das israelische Militär einen Gaza-Hilfskonvoi aufbrachte und dabei mehrere türkische Staatsbürger tötete, den unrühmlichen Höhepunkt darstellt. Heftigste türkische Proteste, die Rückbeorderung des türkischen Botschafters aus Israel nach Ankara und die Absage mehrerer, bereits geplanter gemeinsamer militärischer Manöver waren die Folge. Allerdings hätte, vor dem Hintergrund der doch sehr dubiosen personellen Zusammensetzung der Aktivisten, die diplomatische Reaktion der Türkei durchaus moderater ausfallen können, weshalb sich zwangsläufig die Frage stellt, warum die Türkei die anscheinend ergiebigen Beziehungen zu Israel auf den Prüfstand stellt?

Diesbezüglich scheint der Neuausrichtung der türkischen Außenpolitik (tAP), die nach dem Wahlgewinn von Recep Tayyip Erdogan im Jahre 2002 sukzessive vollzogen wurde, eine wesentliche Rolle zu zukommen. Es wird im Rahmen dieser Abschlussarbeit deshalb der Frage nachgegangen, ob sich der Stellenwert bestimmter Determinanten der tAP verändert hat und inwiefern diese Änderungen ursächlich für den Wandel in den türkisch-israelischen Beziehungen waren! Ausgegangen wird bei der Untersuchung von folgender These: „Die Verschlechterung des bilateralen Verhältnisses zwischen der Türkei und Israel ist durch eine Diversifizierung der Außenbeziehungen in Folge eines generellen Wandels der tAP, zu erklären!“. Grundlage für die Untersuchung ist die Entwicklung der tAP während der letzten 20 Jahre. Diese Zeitspanne bietet sich aus mehreren Gründen an. Erstens gleicht das bilaterale Verhältnis zwischen der Türkei und Israel während dieser Zeit einer Parabel, denn zu Beginn der 1990er Jahre wuchs die Kooperation zwischen beiden Ländern stetig an, erreichte ihren Höhepunkt um die Jahrtausendwende und lief gegen Ende dieses Jahrzehnts einem neuerlichen Tiefpunkt entgegen. Die tAP erfuhr während dieser Zeit eine zweimalige Neuausrichtung (um 1990 und ab ca. 2003), was vermuten lässt, dass die Beziehungen zu Israel durch die jeweils neue außenpolitische Linie tangiert wurden. Zweitens ermöglicht der Untersuchungszeitraum einen Vergleich der ausgewählten Determinanten unter Bezug auf die Neuausrichtungen der tAP mit ihrenjeweiligen Auswirkungen auf die türkisch-israelischen Beziehungen.

Zur Beantwortung der Fragestellung sollen realistische, konstruktivistische und institutionalistische Erklärungsfaktoren herangezogen werden. Die Anleihe aus drei unterschiedlichen Theoriesträngen der Internationalen Beziehungen (IB) erklärt sich wie folgt: Einerseits agiert die Türkei, vor allem seit Beginn der 1990er Jahre, in einem äußerst heterogenen und Konflikt behafteten Umfeld, was vermuten lässt, dass vor allem Sicherheitsaspekte die Ausrichtung der tAP bestimmen (Realismus). Andererseits scheint sich nach der Regierungsübernahme durch Recep Tayyip Erdogans, Adalet ve Kalkinma Partisi, (Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung, AKP) ein Wandel des, in der Türkei bis dato vor­herrschenden, Rollenverständnisses vollzogen zu haben (Konstruktivismus), was zumindest für den zweiten in dieser Arbeit zu betrachtenden außenpolitischen Abschnitt den absoluten Vorrang von Sicherheitsaspekten in Frage stellt. Beides, die Sicherheitsaspekte und vor allem die Herausbildung des neuen Rollen­verständnisses, scheint nicht unwesentlich durch den, der Türkei eröffneten jedoch, ins Stocken geratenen EU-Beitrittsprozess tangiert (Institutionalismus). Die Untersuchung dieser Vermutungen erfordert in einem gewissem Umfang auch den Blick ins „Innere“ des Staates, was wiederum einer entsprechenden Definition von Außenpolitik (AP) als Arbeitsgrundlage bedarf.

Im nachfolgenden Kapitel werden wichtige Begrifflichkeiten geklärt und der theoretische Rahmen für diese Abschlussarbeit abgesteckt. Zu Beginn des Kapitels wird das dieser Arbeit zu Grunde liegende Verständnisses von AP vorgestellt. Anschließend wird Grundsätzliches zu den Kategorien Interessen, Macht und Ideen dargestellt und deren Relevanz für AP-Analysen aufgezeigt. Da die Kategorien, je nach IB-Theorie, hinsichtlich ihres Vorranges zur Erklärung von Phänomenen der internationalen Beziehungen (iB) unterschiedlichen Definitionen unterliegen, wird für Realismus, Institutionalismus und Konstruktivismus noch dargestellt, welche(r) der Faktoren innerhalb der Paradigmen den Vorrang bezüglich der Erklärung von AP genießen.

Im dritten Kapitel werden nach einem Überblick über die wesentlichen Akteure der tAP, kurz ihre Grundlinien seit Beginn der 1990er Jahre erläutert. Im anschließenden vierten Kapitel wird speziell auf die Entwicklung der bilateralen Beziehungen zwischen der Türkei und Israel eingegangen, wobei vor allem die Arten der Kooperation sowie die aus diesen Kooperationen entstehenden Vor- und Nachteile für die beiden Länder erörtert werden. Weiterhin werden Faktoren herausgearbeitet, die im Lauf der beiden vergangenen Jahrzehnte zu Irritationen in den Beziehungen führten und deren Auswirkungen auf bestimmte Bereiche des bilateralen Verhältnisses dargestellt. Einerseits soll damit auf eventuelle Kosten­Nutzen-Kalküle der Türkei hinsichtlich ihrer Beziehungen zu Israel geschlossen werden können. Andererseits, soll festgestellt werden, wie umfassend der Wandel der tAP in Bezug auf Israel ist, also in welchen Bereichen der Wandel der tAP greift bzw. Kontinuität vorherrscht. Im fünften Kapitel stehen wesentliche, die tAP determinierende Faktoren im Zentrum der Betrachtung. Vor dem Hintergrund der im zweiten Kapitel vorgestellten außenpolitischen Kategorien, wird unter­sucht, ob und wennja, inwiefern sich der außenpolitische Stellenwert bestimmter Faktoren bezüglich der Gestaltung der tAP verändert hat. Wegen des Vergleichs­charakters werden Determinanten ausgewählt, die während des Gesamten Unter­suchungszeitraums die tAP tangierten. Neuere Entwicklungen wie z. B. die derzeitige Mitgliedschaft der Türkei im UN-Sicherheitsrat bleiben deshalb außen vor. Im Rahmen der Schlussbetrachtung wird dann der Zusammenhang zwischen den festgestellten Veränderungen der Determinanten und der Entwicklung des türkisch-israelischen Verhältnisses diskutiert und die speziell den Wandel des Verhältnisses zwischen der Türkei und Israel bedingenden Faktoren werden abschließend noch einmal konzis zusammengefasst.

2. Theoretischer Hintergrund

2.1 Außenpolitik

Die klassische Definition von AP als Politik eines Staates gegenüber seiner auswärtigen Umwelt... . “ (Vgl. Wilhelm 2006: 8) ist wegen der Intention dieser Arbeit, die Frage nach Einflüssen auf die außenpolitische Handlungsorientierung in den Vordergrund zu stellen, nicht ausreichend. Da diesbezüglich gerade in der Türkei innenpolitische Aspekte von Bedeutung sind, wird deshalb eine erweiterte Definition des Begriffes „Außenpolitik“ als Arbeitsgrundlage verwandt.

„Unter Außenpolitik ist das nach außen, auf eine bestimmte internationale Umwelt bzw. einen Adressaten, in der Regel auf einen Staat oder andere Aktions­einheiten der internationalen Politik gerichtete und in den internationalen Bereich sich erstreckende grenzüberschreitende Entscheidungshandeln eines souveränen Akteurs (Staates) zu verstehen. Dieses erfolgt zum einen in der Ab­s]icht der eigenen Interessenwahrung und -durchsetzung gegenüber der inter­nationalen Umwelt, zum anderen unter Reaktion auf von außen kommende strukturelle Einflüsse und aktuelle Handlungen wie auch aufgrund von innerstaatlichen bzw. gesellschaftlichen Wirkungsfaktoren und Präferenz­aggregationen. ...“ (Vgl. Wilhelm 2006: 14).

2.2 Interessen, Macht, Ideen

Die Leitfragestellung dieser Arbeit wird unter Bezug auf die Kategorien, Interesse(n), Macht und Ideen betrachtet. Begründen lässt sich dies mit Wilfried von Bredows Feststellungen, „Nur Akteure haben und verfolgen Interessen“ und „Zur Interessen-Durchsetzung braucht es...: Macht, ... .“ (vgl. Bredow 2008: 25). Ideen wiederum tragen das Potential in sich Interessenlagen zu verändern. Nachfolgend wird von der Annahme ausgegangen, dass die drei Kategorien zwar in einem engen Zusammenhang stehen, jedoch bezüglich der AP unterschiedliche Gewichtung erfahren, also je nach Konstellation mehr oder minder stark die türkisch-israelischen Beziehungen tangieren.1

Interesse(n): Der Begriff „Interesse(n)“ ist für die Analyse von AP von großer Bedeutung. So stellt das von den außenpolitisch Verantwortlichen eines Staates formulierte außenpolitische Interesse sozusagen einen Leitfaden für die eigenen Verhaltensweisen dar. Auf Grund dieser formulierten außenpolitischen Interessen wird dann ein Abgleich mit den Interessenlagen anderer Staaten möglich. Dieser Abgleich ist wichtig, um letztlich die Realisierungsmöglichkeiten der eigenen AP angemessen einschätzen zu können. Versteht man Interessen als Ausdruck zielgerichteten Willens, so wirken sich z. B. außenpolitische Interessen in Abhängigkeit von außenpolitischen Konstellationen und der Anzahl an konkurrierenden zielgerichtetem außenpolitischem Willen auf die Struktur des internationalen Staatensystems aus.2 Es können z. B. mehr oder weniger stark verbundene zwischenstaatliche Interessengemeinschaften bzw. -gegensätze, wie Bündnisse oder Krieg, entstehen. Die Formulierung außenpolitischer Interessen kann sowohl vom Inneren des Staates als auch durch die Struktur des internationalen Staatensystems tangiert werden. Durch diese inneren und äußeren Einflüsse ergibt sich der fließende Charakter von außenpolitischen Interessen. Dies impliziert, dass außenpolitische Interessen keine unveränderlichen Grundkonstanten des Staates sind, sondern hinsichtlich ihres Inhalts oftmals auch Neudefinitionen durch die jeweils außenpolitisch Verantwortlichen erfahren. Unterschieden werden kann unter anderem zwischen realen, Schein-, unilateral oder multilateral formulierten, expansiven oder reaktiven Interessen. Weiterhin können Interessen hinsichtlich ihrer konkret definierten Ziele unterschieden werden. So da wären langfristig verfolgte Basisziele als auch kurz- und mittelfristige Ziele, die bei Bedarf spontan geändert werden können. Als typische zentrale außenpolitische Grundinteressen werden Sicherheit, Unabhängigkeit und Autonomie, wirtschaftliche Wohlfahrt sowie Status und Prestige genannt. Vom Begriff des außenpolitischen Interesses muss der der außenpolitischen Grundsätze unterschieden werden. Diese werden von Staaten über längere Zeiträume und auf einen bestimmten Wirkungskreis bezogen verfolgt. Je nach der Größe des Staates erzielen diese, auch als Doktrinen bezeichnete, Grundsätze in der internationalen Politik unterschiedliche Wirkungen3 (Wilhelm 2006: 113 - 134).

Macht: Bezüglich des Machtbegriffes existieren unterschiedliche Grund­verständnisse! Der in den Sozialwissenschaften verbreitete Machtbegriff Max Webers betont beispielsweise den Beziehungscharakter von Macht, indem er sie als „...jede Chance, innerhalb einer sozialen Beziehung den eigenen Willen auch gegen Widerstreben durchzusetzen, gleichviel worauf diese Chance beruht.“ (vgl. Nohlen 1998: 359) beschreibt. Bezieht man diesen Machtbegriff noch auf das Politikverständnis Max Webers als „Technik des M.-erwerbs, der M.-behauptung und der Gefolgschaftswerbung“ (vgl. Holtmann 1991: 341), so wird Macht zum Zweck von Politik. (Außen-) politische Macht als Ergebnis von Beziehungen zwischen Akteuren, gleichwohl ob Individuen, Gruppen oder Staaten, ist mit folgenden Charakteristika ausgestattet: „Die Machtrelation impliziert eine Asymmetrie zwischen Machthaber und Machtunterworfenen. M. ist wesentlich Möglichkeit, und zwar reale oder zumindest als real fingierte; vermutlich ist die

M. dann am größten, -wenn sie allein auf Grund der Möglichkeit eines effektiven Handelns wirksam wird ... . Die Machtmittel sind konkret beliebig besetzbar; unter dem Bezugsgesichtspunkt ihrer Verwertung als M. werden Dinge, Eigenschaften Menschen, Beziehungen zu äquivalenten Machtressourcen. Zu diesen Mitteln gehören reale (z. B. Gewaltmittel) ebenso wie fiktive ... .“ (vgl. Nohlen 1998: 359 f.).

Macht gilt als Schlüsselbegriff der Analyse von AP und wird unter anderem als zentrale Währung der außenpolitischen Führungsträger oder aber als ein Grundphänomen der neuzeitlichen Weltpolitik bezeichnet (Wilhelm 2006: 95). Zu bedenken gilt bei der Analyse von AP, dass die den Akteuren zur Verfügung stehende Macht erheblich die Reichweite von deren AP bestimmt.4 Besitzer von Machtpositionen können Verteilungskämpfe im internationalen Staatensystem beeinflussen oder gar zu ihren Gunsten entscheiden (Holtmann 1991: 342). John Kenneth Galbraith unterscheidet drei Methoden von Machtanwendung. Repressive, kompensatorische und konditionierende Macht. Die ersten beiden Formen sind objektiver, die dritte ist subjektiver Natur. Repressive Macht konfrontiert den betroffenen Staat, oder außenpolitischen Akteur, mit der Auferlegung oder Androhung von Zwang (z. B. Krieg oder Sanktionen), wodurch eine Unterordnung, im Sinne der Aufgabe eigener Präferenzen, erreicht wird. Die kompensatorische Macht geht gegensätzlich vor, indem sie Wohlverhalten belohnt oder Belohnung dafür in Aussicht stellt (z. B. finanzielle Hilfe) und damit ebenfalls eine Unterordnung erreicht. Die konditionierte Macht zieht eine Bewußtseins-, Überzeugungs- oder Glaubensänderung beim Gegenüber nach sich und zeichnet sich dadurch aus, das die Unterordnung als selbst gewählt empfunden wird (Galbraith 1987: 13 - 57).5 Die außenpolitische Anwendung der jeweiligen Methode basiert auf den Instrumenten der Macht, wie z. B. der militärischen oder wirtschaftlichen Stärke, und dient der Wahrung und Durchsetzung der außenpolitischen Interessen eines Staates. Allerdings muss das einem Staat zur Verfügung stehende Machtpotential nicht zwangsläufig eingesetzt werden. So mag z. B. die Wahrnehmung wirtschaftlicher oder militärischer Machtpotentiale durch andere Akteure genügen, um deren Verhalten im Sinne der eigenen Zielerfüllung zu beeinflussen. Die Analyse von AP beschäftigt sich neben dem Bezug auf die o. a. Dimensionen auch mit Fragen nach der Machtverteilung, den objektiven (z. B. Bodenschätze) und subjektiven (z. B. Kultur) Macht­ressourcen, den Mächtekonstellationen der Akteure und dem Machtcharakter ( z. B. Regionalmacht) der Staaten zugeschrieben wird (Wilhelm 2006: 95 ff.).

Ideen: Im allgemeinsten Sinne ist eine Idee ein „... Gedanke, der jmdn. In seinem Denken, Handeln bestimmt; Leitbild. ... .“. (Vgl. Duden 2005: 435). Davon ausgehend, dass ein handlungsanleitender Gedanke einer Bezugsgrundlage bedarf, kann man der Auffassung des Empirismus folgen, nach der Ideen aus der Affektion der Sinne durch die uns umgebenden Dinge sowie durch die Wahrnehmung dessen, wie unser Geist diese Sinneseindrücke verarbeitet, entstehen. Ideen entspringen demnach unseren Erfahrungen (Ulfig 2003: 190). Als Ausdruck des Verstehens bzw. der Einschätzung der Gegebenheiten kann Ideen ein grundlegendes reaktives Moment nicht abgesprochen werden. Anderer­seits wirken Ideen als kognitiver Input aktivierend, d. h. sie können beispielsweise Entwurf bzw. Anleitung zur Ausgestaltung einer Politik sein (Weiland 2007: 58). Die Frage nach der Sinnhaftigkeit einer Idee öffnet automatisch den Blick auf weitere Charakteristika. So lässt sich nach Zielen, Funktionen oder Auswirkungen von Ideen fragen. Ideen können soziale Identitäten konstituieren, eine bestimmte Politik legitimieren oder zur Abgrenzung von anderen Akteuren beitragen. Neben der rein kognitiven Bedeutung von Ideen, scheinen eben solche sozialen Funktionen und ihre Auswirkungen den Einfluss von Ideen auf den politischen Prozess zu erklären (Weiland 2007: 18 f.).6 Diese Einschätzung findet sich auch bei Wilhelm, der Ideen als einen der maßgeblichen gesellschaftsbezogenen Erklärungsfaktoren von staatlichem Handeln beschreibt (Wilhelm 2006: 12).

2.3 Außenpolitischer Realismus

Die beiden bekanntesten Strömungen der realistischen Schule in der heutigen IB- Theorie sind der Realismus und der Neorealismus.7 Der Realismus ist der Versuch die AP so zu beschreiben, wie sie ist. Gegensätzliche Interessen und Konflikte beherrschen die Welt, ein Interessenausgleich ist nicht dauerhaft möglich (Krell 2009: 140 ff.)! Der souveräne Territorial- bzw. Nationalstaat gilt dem Realisten als analytische Grundeinheit der internationalen Politik. Aus realistischer Sicht unterliegt das außenpolitische Handeln der Staaten bestimmten Bedingungen. So versteht der Realismus den Staat als rationalen und unitarischen Akteur, der seine grundlegenden Interessen, bedingt durch die Abwesenheit einer übergeordneten mit Entscheidungs- und Normierungsgewalt ausgestatteten Instanz, innerhalb eines durch Anarchie geprägten internationalen Systems, zweckorientiert verfolgt. Außenpolitische Handlungsorientierungen werden unter Beachtung der grund­legenden nationalen Interessen des Staates durch Kosten-Nutzen Kalküle abge- wägt. Innenpolitische Aspekte spielen hierbei keine Rolle. Das rationale Abwägen findet unter Bezug auf die sich aus dem von Anarchie geprägten internationalen System, ergebenden Zwänge statt. Es sollten dabei politische, wirtschaftliche und militärische Bedingungen berücksichtigt werden.8 Der Realismus versucht Hand­lungsempfehlungen für die AP aus der Betrachtung von Veränderungsprozessen im internationalen Geschehen sowie dem Beobachten außenpolitisch relevanter Verhaltensweisen der Staatsführungen abzuleiten (Wilhelm 2006: 41 ff.).

Realisten betrachten eine Zuschreibung von bestimmten Grundinteressen an den Staat, aus denen sich konkrete Ziele ableiten lassen als ein Grundmerkmal von staatlicher AP (Wilhelm 2006: 118) So sollte gemäß Hans J. Morgenthau die Definition der nationalen Interessen nur unter Rückbezug auf die Interessen anderer Staaten erfolgen, da sich nur so ein realistisches Bild der außenpolitischen Handlungsspielräume nachzeichnen lässt, anhand dessen die Chancen zur Realisierung eigener Interessen deutlich werden (Jacobs 2006: 51). Nationale Interessen werden ähnlich wie die Anarchie als naturgegeben betrachtet, jedoch kann sich die Priorität, die den konkreten nationalen Interessen eingeräumt wird ändern, wodurch möglicherweise eine andere Präferenzreihenfolge entsteht. Grundlegende nationale Interessen sind der Erhalt der nationalen Sicherheit, die Verteidigung der territorialen Integrität, die systemische Selbsterhaltung, die Sicherung der Autonomie des Staates und die Gewährleistung der wirtschaftlichen Wohlfahrt und Sicherheit (Wilhelm 2006: 42 f.).

Über die nationalen Interessen stellt der Realismus das Streben nach Macht, das sich vor allem in der Errichtung von Bündnissen und Allianzen ausdrückt. Das Verfolgen eines bestimmten Interesses dient generell nur dem Erhalt, Gewinn oder Ausgleich von Macht (Jacobs 2006: 50). Die Kategorie Macht, nimmt insgesamt betrachtet eine herausragende Stellung im Realismus ein, da sie als Grundelement der Politik verstanden und als unabdingbares, zentrales Mittel zur Wahrung und Durchsetzung der eigenen Interessen gegenüber anderen Staaten im anarchisch geprägten internationalen System erachtet wird. Indikatoren für die Macht eines Staates sind z. B. seine wirtschaftlichen Ressourcen, militärische Stärke oder auch geostrategische Lage. Diese Indikatoren sind es, die innerhalb des anarchischen Systems eine gewisse Hierarchie der Staaten schaffen. Der Realismus geht hinsichtlich der Veränderung von Machtpositionen von einem Nullsummenspiel aus. Dies bedeutet, dass z. B. der Machtverlust eines Staates durch den Machtzuwachs eines anderen Staates kompensiert wird. Um nun eine adäquate AP gestalten zu können, ist es notwendig die Machtgesetzlichkeit der Politik zu berücksichtigen und die Instrumente der AP, z. B. die Diplomatie oder die Strategie zur Machtbalance, am Kalkül nationaler Interessen auszurichten. Vor allem das Kriterium der „balance of power“ ist diesbezüglich ein zentraler Faktor um AP zu gestalten und zu beurteilen. Die realistische Grundannahme vom Staat als einem monozentrischen Entscheidungssystem erleichtert das Denken in der Kategorie der „balance of power“. Morgenthau konstatiert bezüglich der Machtpolitik allerdings, dass dieser eine Destruktivität inne wohne und sie deshalb einer Bindung bedürfe. Das Konzept der „balance of power“ erachtet er für diesen Zweck, im Gegensatz zu anderen Realisten, als nicht zielführend, da Macht nicht exakt messbar und somit nicht vergleichbar sei. Einzig in der Moral sieht er ein zweckmäßiges Element, um Macht einzudämmen. An die Stelle idealistischer Gesinnungsethik tritt eine realistische Verantwortungsethik. Erfolgreiches außenpolitisches Handeln sollte aus realistischer Sicht auf moralisch fundierter Diplomatie,9 vernünftigem Abwägen, sorgfältigem Prüfen und dem Zulassen des geringsten Übels basieren (Wilhelm 2006: 45).

2.4 Außenpolitischer Konstruktivismus

Der Konstruktivismus kann als Gegenströmung zu rationalistischen Ansätzen wie dem Realismus betrachtet werden. Die mittlerweile große Vielzahl an unter­schiedlichen Konstruktivismen unterscheidet sich hauptsächlich bezüglich der Frage, wer die interessierenden Konstrukteure der Wirklichkeit sind (Weller 2003/2004: 110)! Während im Realismus, resultierend aus der Anarchie im Staatensystem, das staatliche Streben nach Macht grundlegend für die Formu­lierung von bestimmten Interessen, wie z. B. der Souveränität10 des Staates, ist, wollen konstruktivistische Ansätze andere Erklärungen dafür liefern, wie und warum Akteure, insbesondere Staaten, zu ihren Interessen kommen. Kennzeichnend für den Konstruktivismus ist in dieser Hinsicht die Grund­annahme, dass sich die Welt den Akteuren nicht unmittelbar, sondern nur durch Wahrnehmung und Deutung erschließt (Ulbert 2006: 409). Der Konstruktivismus geht davon aus, dass die äußeren Zwänge der Welt größtenteils sozialer Natur sind. Das heißt, sie sind auf Interpretation beruhende, vom Menschen hergestellte Tatsachen und können dem zu Folge grundsätzlich verändert werden. Ausdruck dieser Interpretationen sind Ideen. Je nach Akteur und sozialem Kontext sind die vom Konstruktivismus als Wissen über die Wirklichkeit verstandenen Ideen variabel. Sie ermöglichen Handlungen und nehmen bei der sozialen Konstruktion der Wirklichkeit eine herausragende Rolle ein (Krell 2009: 359 ff.).

Im Gegensatz zum Macht bezogenen Interessensbegriff des Realismus sind im Konstruktivismus Ideen konstitutiv für die Herausbildung von Interessen. Die Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen Erscheinungsformen von Ideen gilt als Basis der konstruktivistischen AP-Forschung. Die Rolle von Ideen kann nach unterschiedlichen Kriterien beurteilt werden. So lassen sich beispielsweise individuelle problemfeldübergreifende Konstrukte wie Weltbilder von kollektiven bereichspezifischen Paradigmen / Leitideen unterscheiden (Harnisch 2002: 24).

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Ausdruck von Ideen sind unter anderem die Konzepte von Identitäten, Rollen, Normen / Werten und Kultur.11 Normen i. S. von Spielregeln wird hinsichtlich der Akteur-Verhältnisse in den iB sowohl regulativer als auch konstitutiver Charakter zugesprochen. Ihnen fällt bezüglich der Interaktion zwischen den Akteuren eine wichtige Rolle zu.12 Kultur kann gemäß konstruktivistischer Lesart als Werte­system, Bedeutungssystem oder als Repertoire von Handlungsstrategien in die Analyse von AP integriert werden (Krell 2009: 362 ff.). In Anlehnung an die o. a. Einteilung können Identitäten, ob personale, soziale oder kollektive, als Ideen von sich selbst in Abgrenzung zu anderen verstanden werden. Identitäten wirken ver- gemeinschaftend (Harnisch 2002: 24). Wendt unterscheidet zwischen korporativer und kollektiver Identität der Staaten. Die korporative Identität beruht auf folgenden staatlichen Merkmalen und Handlungsmotivationen.

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Diese Zuschreibung von Wesensmerkmalen macht die Staaten zu einheitlichen Akteuren, und das Zustandekommen der korporativen Identität ist für Wendt nicht mehr von Relevanz. Die kollektiven staatlichen Identitäten bilden sich durch Interaktionsprozesse zwischen den Staaten auf internationaler Ebene heraus. Hier erlangen Mechanismen der kulturellen Selektion, Imitation und soziales Lernen, Bedeutung. Gegenseitige Rollenzuschreibung und die Reaktionen aufeinander konstituieren die jeweiligen Akteursidentitäten. Interdependenz, gemeinsames Schicksal, Ähnlichkeiten in den institutionellen Merkmalen und Selbst­beschränkung nennt Wendt als Erklärungsfaktoren für den Wandel im internationalen System. Erst die Paarung eines oder mehrerer der Faktoren mit Selbstbeschränkung löst den Wandel von Identität aus (Ulbert 2006: 423 f.).13

Die Bildung einer Black Box, wie sie z. В. von Wendt im Fall der korporativen Identität vorgenommen wird, ist allerdings kritisch zu betrachten, da, Identitätsbildungsprozesse auf allen politischen Ebenen, individuell durch emanzipatorische Bewegungen, subnational durch sezessionistische Bewegung, transnational durch soziale Bewegungen und Terrororganisationen, ganz offensichtlich Einfluss auf die Außenpolitikhaben (Vgl. Harnisch 2002: 29).

Außenpolitische Rollenkonzepte betonen im Gegensatz zu den außenpolitischen Identitäten die gesellschaftlich funktionale und handlungsanleitende Dimension von Ideen (Harnisch 2002: 24). Anhand der Analyse von Eigen- bzw. Fremd­erwartungen an die Wert- und Handelsorientierungen der AP der Akteure wird z. B. die soziale Einbindung der Akteure ininternationale Institutionen, also in funktionale Kontexte, betrachtet. Die Erwartungen der Akteure sind die Basis unterschiedlicher Rollenkonzepte. Eine Änderung der Erwartungen, z. B. die eines Verbündeten, kann zur Erklärung von Wandel im Rollenverständnis von Akteuren beitragen. Weiterhin ist die Bedeutung verschiedener Rollensegmente, z. B. Mediator, Initiator, Führer etc., für die Konstitution unterschiedlicher nationaler Rollen von Relevanz (Harnisch 2002: 27 ff.). Ob nun die Identitäten oder das Rollenverständnis die Interessen der Akteure bestimmen, einen Rückbezug auf Ideen haben sie alle gemeinsam.

Interessen begreift der Konstruktivismus als historisch und kulturell variable Annahmen über Möglichkeiten zur Bedürfnisbefriedigung (Krell 2009: 359). Er erkennt die wichtige Rolle von interessengeleitetem, strategischem Handeln in der internationalen Politik an. Im Gegensatz zum Realismus ist dieses Handelnjedoch nicht utilitaristisch, sondern verständigungsorientiert. Dies impliziert, dass Interessen nicht definitiv vorgegeben sind, sondern erst über einen Kommuni­kationsprozess erzeugt werden. So interagieren Akteure unter anderem auf Basis der von ihnen erzeugten und intersubjektiv geteilten Ideen, Identitäten, Rollen, Normen / Werte und Kulturen, die als zentrale, immaterielle Erklärungsvariablen für die Konstruktion von staatlichen Interessen sowie zur Erklärung von AP dienen (Wilhelm 2006: 65 ff.). Die Abgrenzung materieller von immateriellen Erklärungsvariablen und die Abgrenzung des utilitaristischen vom verstän­digungsorientierten Handeln sind die Basis vieler konstruktivistischer Ansätze.14

Die Ordnung des internationalen Staatensystems basiert nach konstruktivistischer Lesart auf einem ständigen menschlichen Produktionsprozess, ist also sozial konstruiert. Daraus jedoch zu schließen, dass soziale Strukturen jederzeit spontan umorganisiert werden können, wäre allerdings ein Fehler. Denn auch soziale Strukturen können äußerst langlebig und widerstandsfähig sein. Begreift man das internationale Staatensystem als eine soziale Struktur, so sind auch die Zwänge, die sich für die Akteure aus ihr heraus ergeben, sozialer Natur. Die Anarchie als äußerer Zwang ist demnach entgegen der Annahme des Realismus nicht als festes Gesetz hinzunehmen, sondern (bedingt) gestaltbar.15 So beschreibt Wendt die Anarchie anhand von drei „Anarchie-Kulturen“, der „Hobbes'schen“, „Locke'schen“ und „Kantianischen“. Gegenstand dieser Kulturen sind die Rollen Feind, Rivale und Freund. Ist z. B. das Rollenverständnis Feind, also die hobbes'sche Kultur, omnipräsent, so wäre das internationale Staatensystem anarchisch geprägt. Welche Kultur sich entwickelt, hängt vom Maß des auf Legitimitätsglauben, Eigennutz oder Zwang basierenden Grades der kulturellen Internalisierung von Normen ab. Andererseits vom Maß an internationaler Ko­operation, für das die Zunahme geteilter Ideen als Indikator gilt (Ulbert 2006: 419 ff.). Daraus folgt: „Anarchy is whatstates make of it“ (vgl. Wendt 1992: 395).

Der hier vorgenommene Bezug auf Wendts Kulturen von Anarchie soll zweierlei verdeutlichen. Erstens, dass sich aus konstruktivistischer Sicht das Machtstreben der Staaten nicht aus der Logik der Anarchie, sondern vielmehr aus den durch Vertrauen und Misstrauen bedingten Freund- / Feind-Interpretationen der Staaten ergibt. Zweitens, dass vor allem hinsichtlich der Selbst- und Fremdwahrnehmung von Staaten im internationalen System das eigene Rollenverständnis und die den anderen zugesprochenen Rollen sowie die Transformation der daraus gewonnen Erfahrungen in Ideen eine große Rolle bei der Gestaltung von AP zukommt.

2.5 Außenpolitischer Institutionalismus

Der Institutionalismus wird den rationalistischen Ansätzen der IB zugerechnet. Die Staaten sind die zentralen Akteure in den internationalen Beziehungen. Allerdings haben diese, auf Grund der zunehmenden Intensität und des Ausmaßes der internationalen Verflechtungsdichte, Schwierigkeiten, die sich aus den neuen globalen Handlungszusammenhängen ergebenden Anforderungen politisch zu steuern und zu bearbeiten. AP wird anhand von Kooperation erklärt. Am Realismus, der den sich außenpolitisch verhaltenden Staat als Machtstreber ansieht, wird die Überbetonung von Machtaspekten kritisiert. Außenpolitische Kooperation findet im Schatten der Macht statt und der Staat wird, wenn er die Macht dazu besitzt versuchen die Institutionen, die lediglich Mittel zum Zweck sind, in seinem Sinne zu beeinflussen (Krell 2009: 254). Aus institutionalistischer Sicht hingegen wird der Staat, unter den Bedingungen einer abgeschwächten Anarchie16 nicht als Macht-, sondern als Einflussstreber wahrgenommen. Je stärker die unilateralen außenpolitischen Handlungsmöglichkeiten eingeschränkt sind, desto interessanter wird Kooperation. Die Möglichkeit zur außenpolitischen Kooperation wird im Gegensatz zum Realismus positiv eingeschätzt. Die Staaten verfolgen i. d. R. eine kooperative AP. Dabei verhalten sie sich zweckrational und ihr Antrieb sind die, hierbei erwarteten oder bestätigten, Vorteile für die Kooperationsteilnehmer. Ziel außenpolitischen Handelns sind nicht Status und (militärische) Sicherheit, sondern ein Zugewinn an Sicherheit durch eine Wohlfahrtssteigerung der Staaten (Wilhelm 2003: 56). Die Akteure mehren dabei ihren Nutzen nicht zu Lasten anderer. Im Gegensatz zum realistischen Nullsummenspiel wird im Sinne des so genannten Nicht-Nullsummenspiels davon ausgegangen, dass durch Kooperation alle gewinnen können.

Das Streben nach besseren Einflussmöglichkeiten wird stark durch die Rolle internationaler Institutionen tangiert (Wilhelm 2006: 52 ff.). Diese bilden eine Kommunikationsplattform und sind, „...primär als Vereinbarungen von Akteuren anzusehen, in denen diese feste außenpolitische Ziele verfolgen und durch Institutionen versuchen, kollektive Handlungsprobleme (Trittbrettfahren u. a.) zu lösen oder zu verringern.“ (Vgl. Wilhelm 2006: 55). Institutionen dienen allerdings nicht nur als Instrument der AP, sondern werden auch als ein maß­geblich die Interessen und Identität eines Staates beeinflussender Faktor begriffen (Wilhelm 2006: 56). Die Erkenntnis, dass außenpolitische Zusammenarbeit für alle Beteiligten von Vorteil sein kann, ist üblicherweise der Grund, der zur Kooperation führt. Kooperation erfordert jedoch Vorleistungen, wie z. B. die Bereitschaft außenpolitische Kompetenzen zusammenzulegen oder Souveränität

[...]


1 Diese Reihenfolge der Kategorien soll nicht als Rangfolge verstanden werden.

2 Den von Wilhelm benutzte Terminus „strukturbildend“ (Wilhelm 2006: 115), erachte ich wegen seiner Affinität zum positiven i. S. v. „aufbauen“ als weniger geeignet. Der neutrale Begriff der „Auswirkungen auf die Struktur“ scheint mir hier sinnvoller.

3 Als Beispiel kann das Konzept der „Strategischen Tiefe“ genannt werden, an dem die tAP seit 2003 ausgerichtet ist.

4 Hier sind nicht nur klassische außenpolitische Instrumente wie z. B. das Militär oder die Wirtschaft gemeint, sondern auch die aus den innerstaatlichen Gegebenheiten resultierende Gestaltungsmacht der außenpolitischen Akteure.

5 Obwohl Galbraith sein Verständnis von Macht unter Bezug auf ökonomische Phänomene beschreibt, wohnt seiner Darlegung m. E. n. genug Universalität inne, um die drei Methoden der Machtanwendung auch auf die tAP zu projezieren. Die Kategoriesierung in soft- und hard- power scheint mir auf Grund des Umstandes das nachfolgend innenpolitische Aspekte und externe Faktoren betrachtet werden, die auf die innere Verfasstheit der Türkei nachwirken, weniger geeignet.

6 Abgrenzung und Integration sind z. B. soziale Funktionen einer Idee. Sie können mobilisieren und sich so in Mehrheiten manifestieren die Politik ermöglichen oder verhindern.

7 Der Neorealismus wird vor dem Hintergrund der dieser Arbeit zu Grunde liegenden Definition von AP keine weitere Beachtung finden, da er ausschließlich die Struktur des internationalen Systems betrachtet, auf „high politics“ (Sicherheitspolitik) fokussiert und „low politics“ (z. B. Soziales / Ökonomie) außer Acht lässt (Jacobs 2006: 68).

8 Henry A. Kissinger führt in einer seiner Arbeiten (Kissinger 1971: 392 - 428), die machtpolitisch orientierte AP Preußens unter anderem auf dessen kulturhistorisch gewachsene Identität zurück. Ohne hier näher auf den Begriff der Identität eines Staates einzugehen, sei angemerkt, das Identität auch auf der Selbstwahrnehmung einer Gesellschaft beruht und deshalb auch das Ergebnis innergesellschaftlicher Prozesse ist. Die Frage stellt sich deshalb, ob ein Bezug des Realismus zur inneren Verfasstheit des Staates tatsächlich gänzlich ausgeschlossen werden kann?

9 Auf diesen moralischen Bezug verweist auch Kissinger bei seiner Beschreibung der Heiligen Allianz Rußlands, Preußens und Österreichs (Kissinger 1971: 406).

10 Souveränität ist eine der zentralen Praktiken im internationalen System, die Staaten als wesentliche Akteure dieses Systems charakterisiert. Die Zuweisung bestimmter Rechte und Pflichten sowie das Gebot der Nichteinmischung legen für die Staaten bestimmte Handlungsoptionen fest. Gleichzeitig teilt Souveränität den politischen Raum in „Außen“ und „Innen“ (Ulbert 2006: 428).

11 Da es im weiteren Verlauf der BA-Arbeit unter anderen um Rollenverständnisse geht, wird im folgenden stärker auf Identitäten und Rollen eingegangen.

12 Exemplarisch lässt sich die Rolle von Normen bzw. Regeln am Beispiel der Souveränität eines Staates darlegen. Gemäß Ulbert betrachten Onuf und Kratochwill unter anderen Normen als „den“ vermittelnden Mechanismus zwischen Akteur und Struktur (Ulbert 2006: 428). Werden die Normen und Regeln, die die Souveränität eines Staates definieren, verletzt, so wird diese Souveränität in Frage gestellt oder gar gegenstandslos. Exemplarisch sei auf den oftmals als völkerrechtswidrig bezeichneten Angriff der NATO auf Serbien verwiesen.

13 Bezüglich der Selbstbeschränkung kann der Beitrittsprozess zur EU genannt werden, hier insbesondere die Übertragung staatlicher Souveränitätsrechte an die EU. Solche Kooperations­vorleistungen spielen auch eine gewichtige Rolle im Institutionalismus.

14 Die o. a. Abgrenzungen werden durchaus kritisch betrachtet. So sieht z. B. Weller durch die Ausgrenzung des Utilitarismus als Handlungsmodus durch konstruktivistische IB-Ansätze, eine wesentliche Beschränkung von deren Erkenntnismöglichkeiten (Weller 2005: 13 ff.).

15 Bedingt deshalb, da Wendt im Gegensatz zu anderen Vertretern des Konstruktivismus die Anarchie als eine Bedingung für die Herausbildung der Struktur des internationalen Systems grundsätzlich anerkennt, jedoch den Grad an Anarchie unter anderem vom Rollenverständnis der Akteure (Staaten) abhängig macht (Ulbert 2006: 429).

16 Abgeschwächt, weil zwar das Fehlen einer durchsetzungsfähigen Zentralinstanz anerkannt wird, hier jedoch den Institutionen die Fähigkeit zugesprochen wird, starke Kooperationsanreize setzen und dadurch Staaten einzubinden. Dadurch wird ihnen teilweise Instanz-Charakter attestiert, der als Ausgleich zum Fehlen einer Zentralinstanz gewertet wird.

Excerpt out of 61 pages

Details

Title
Die Beziehungen zu Israel im Rahmen der türkischen Außenpolitik
College
University of Hagen
Grade
1,5
Author
Year
2010
Pages
61
Catalog Number
V169662
ISBN (eBook)
9783640880881
ISBN (Book)
9783640880867
File size
787 KB
Language
German
Notes
Auszug Fazit Erstgutachter:"Es handelt sich um eine sehr kenntnisreiche und informative BA-Thesis, die insbesondere wegen ihrer empirischen Sachkenntnis über die türkische Außenpolitik zu überzeugen vermag." Auszug Fazit Zweitgutachter: "Eine wohl informierte, im theoretischen Bezug gute, in der Ausleuchtung der komplexen Struktur der Dyade Türkei-Israel noch bessere Arbeit."
Keywords
türkische Außenpolitik, Türkei, Israel, türkisch-israelische Beziehungen, Energiedrehscheibe, Südostanatolisches Projekt, GAP, PKK, Konzept der strategischen Tiefe, AKP, Wirtschaftsbeziehungen Türkei Israel
Quote paper
Thomas Frank (Author), 2010, Die Beziehungen zu Israel im Rahmen der türkischen Außenpolitik, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/169662

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