Interessentenklagen und ihre Verträglichkeit mit den Systementscheidungen des deutschen Rechts


Seminararbeit, 2003

55 Seiten, Note: 14 Punkte (gut)


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

A. Einführung

B. Begriffe um die Interessentenklage
I. Popularklage
II. Verletztenklage
III. Interessentenklage
1. Begriff der Interessentenklage
2. Insbesondere die Verbandsklage
a) Der Verbandsbegriff
b) Die materiellrechtliche Verbandsklage
c) Die verfahrensrechtliche Verbandsklage
IV. kurze Problemskizzierung

C. Entwicklung der Systementscheidung des Verwaltungsrechts

D. Interessentenklagen im nationalen Recht
I. Feststellungsklage, § 43 I VwGO
1. Das Rechtsverhältnis
2. Das Tatbestandsmerkmal des „berechtigten Interesses“
3. Die Anwendung von § 42 II VwGO auf Feststellungsklagen
a) Entwicklung der Anwendungsfrage in der Rechtsprechung
b) heutiger Meinungsstand
c) Bewertung der Diskussion um die Analogie
4. Zusammenfassung
II. Normenkontrollverfahren, § 47 VwGO
1. Zweck der Normenkontrolle
2. Merkmal der „Rechte“ in § 47 II S.1 VwGO
3. Behördenanträge als Interessentenklagen?
4. „Interessenten-Charakter“ durch temporäre Ausweitung?
5. Zusammenfassung
III. Anfechtungsklage, § 42 I 1. Alt VwGO
1. Bedeutung des Wortlautes des § 42 II VwGO
2. Möglichkeiten für die Verbandsklage innerhalb von § 42 VwGO
IV. Anwendungsfeld Naturschutz
V. Zusammenfassung

E. Gemeinschafts- und völkerrechtliche Gesichtspunkte
I. Beeinflussbarkeit der deutschen Systementscheidung
II. Einflussnahme des Gemeinschaftsrechts
III. Einflussnahme des Völkerrechts

F. Verfassungsrechtliche Berührpunkte
I. Bedeutung des Art. 19 IV GG
1. Art. 19 IV GG als Hindernis für die Interessentenklage ?
2. Ausweitung der Garantien des Art. 19 IV GG ?
II. Art. 3 I GG als Maßstab für die Einführung der Interessentenklage?
III. Das Demokratieprinzip als eine Forderung nach verstärkt gemeinwohlorientiertem Rechtsschutz?

G. Rechtspolitische Betrachtung

H. Fazit

A. Einführung

Die vorliegende Arbeit setzt sich mit dem Thema der Interessen­ten­klagen auf nationaler Ebene auseinander. Dabei werden die bestehenden Klagearten vor den deutschen Verwaltungsgerichten nach Elementen und Einflüssen dieser dem deutschen Verwaltungsrechtssystem eher fremden Klage durch­leuchtet, die verfassungsrechtlichen Vorgaben diskutiert und untersucht, wie das Gemeinschaftsrecht in dieser Hinsicht auf das nationale Recht einwirkt. Letztlich soll auch das Für und Wider der Interessentenklage nicht außer Acht gelassen werden und eventuelle Konflikte diskutiert werden, die eine Mani­festierung dieser Klageart im nationalen System der Verwaltungs­gerichtsbarkeit nach sich ziehen könnten.

B. Begriffe um die Interessentenklage

Für die Voraussetzungen an eigener Betroffenheit, die derjenige der vor die Verwaltungsgerichte zieht, erfüllen muss, kann der Ge­setzgeber verschieden starke Gewichtungen vornehmen. Da der terminus technicus hierfür je nach Verfahrensart anders lautet und auch andere Bedingungen aufweist, sei an dieser Stelle zusam­menfassend der Begriff der Klagelegitimation eingeführt. Der Ge­setzgeber kann bei der Ausgestaltung der angesprochenen Ge­wichtung der Klagelegitimation zwischen drei Möglichkeiten wäh­len. Er kann das Verfahren als Popu­larklage, als Interessenten­klage oder als Verletztenklage ausges­talten. Tatsächlich spielen in der Praxis nur die letzten zwei eine Rolle. Um mit dem Begriff der Interessentenklage angemessen umgehen zu können, empfiehlt es sich trotzdem, alle drei Klage­ausgestaltungen kurz zu betrach­ten und voneinander abzugren­zen. Besonders auch deswegen, weil die Popularklage oft als pauschales Argument gegen die Einführung von Interessentenkla­gen angeführt wird. Um die Trag­weite solcher Einwände richtig einschätzen zu können, wird eine Auseinandersetzung mit allen drei Klagesystemen erforderlich.

I. Popularklage

Der Popularklage liegt die großzügigste Konzeption der Klagelegi­timation zugrunde. Hier ist jedermann zur Klage berechtigt, ohne Rücksicht darauf, ob er zum Klagegegenstand in irgendeiner Be­ziehung steht, also durch die Verwaltung in seinen Rechten oder Interessen beeinträchtigt, beschwert oder sonst berührt wird. Im System der Popularklage hat es keine Bedeutung, ob der Kläger wirkliche oder vermeintliche, eigene oder fremde, private oder öf­fentliche Interessen wahrnimmt. Zu seiner Klageberechtigung kommt er also ohne besondere Legitimation.

Eine eher isoliert dastehende, allerdings verfassungskräftig ein­geräumte Ausformung dieser Legitimation besteht im Petitions­recht (Art. 17 GG). Dieses Recht, sich mit Bitten oder Beschwer­den an die zuständigen Stellen und an die Volksvertretung zu wenden, darf von jedermann wahrgenommen werden. Gerade diese uneingeschränkte Beschwerdemöglichkeit lässt aber die Ausformungen des Petitionsrechts, wie Gegenvorstellung und Aufsichtsbeschwerde, als wenig geeignet für die Verwendung als Rechtsschutzmittel erscheinen. Das Klagerecht, vor allem das der Anfechtung, gibt seinem Träger eine bedeutsame Rechtsmacht in Form einer Gestaltungsmöglichkeit. Wäre diese jedermann einge­räumt, stünde eine weitgehende Überlastung der Gerichte durch querulatorische Klagen zu befürchten[1]. Auch Rechtssicherheitser­wägungen spielen hier eine bedeutsame Rolle. Soll der Verwal­tungsakt ein wirksames Instrumentarium der Exekutive sein, so muss dieser auch eine entsprechende Bestandskraft haben, die nicht bei jedem erdenklichen Angriff zerstört werden kann. Seine Anfechtung muss also nicht nur temporär befristet sein, auch die Bezugsmenge der zur Anfechtung Berechtigten darf ein vernünfti­ges Maß nicht übersteigen. Eine Begrenzung der Legitimation ist also ein notwendiges Mittel, um einen für alle Rechtssubjekte dienlichen Rechtsverkehr zu gewährleisten.

Gegen die Legitimation des quivis ex populo herrscht im deut­schen Verwaltungsprozessrecht daher eine recht einmütige Ab­neigung. Es verwundert daher auch nicht allzu sehr, dass sich die Furcht vor einer Aufweichung der Klagelegitimation in handfesten Argumenten gegen die Einführung der Interessentenklage wieder­spiegelt, die ähnlich der Popularklage einen weiteren Antragsstel­lerkreis als die dem deutschen System eigene Verletztenklage aufweist. Nach aller Kritik sollte aber darauf hingewiesen sein, dass eine Rechtsordnung, die sich für die Popularklage als Kon­trollinstrument der objektiven Rechtmäßigkeit des Verwaltungs­handelns entscheidet, das Ziel Exekutivkontrolle am besten er­reicht[2].

II. Verletztenklage

Den Gegenpol zur Popularklage, bei dem die Möglichkeit zur Klage jedem Gewaltunterworfenen zusteht, bildet die Verletzten­klage, für die das deutsche Verwaltungsprozessrecht als beispiel­haft gelten kann. Sie verlangt dem Kläger eine besonders starke Beziehung zum Klagegegenstand dergestalt ab, dass er durch die Verwaltung in seinen Rechten oder Interessen beeinträchtigt wird. Dieses Modell beschränkt den Verwaltungsrechtsschutz auf den Schutz subjektiver, genauer subjektiv-öffentlicher Rechte. Deren Bestimmung ist Gegenstand der auf Ottmar Bühler zurückgehen­den Schutznormtheorie[3]. Nach ihr begründen nur solche Normen subjektive Rechte, die den Schutz Einzelner zumindest mit be­zwecken. Dagegen soll dem Einzelnen aus Normen, die in erster Linie dem Schutz der Interessen der Allgemeinheit dienen, kein subjektives Recht erwachsen. Dem Zusammenhang zwischen der Klagelegitimation und dem Anspruch auf Klagezielerreichung (zum Beispiel der Aufhebung eines Verwaltungsaktes) kommt hier eine besondere Bedeutung zu, wie der Wortlaut des § 113 I S.1 VwGO deutlich macht. Die objektive Rechtswidrigkeit und die Beeinträch­tigung subjektiver Rechte müssen kumulativ vorliegen, wobei die Rechtswidrigkeit gerade kausal für die Beeinträchtigung gewesen sein muss. So wird auch das Ziel der Verletztenklage deutlich. Nicht die objektive Rechtskontrolle der Verwaltung wird primär angestrebt, sondern der Schutz des Bürgers vor rechtswidrigen Eingriffen der vollziehenden Gewalt in seine subjektiven Rechte.

Es ist daher ersichtlich, dass die Schutznormtheorie in ihrer fun­damentalen Unterscheidung von Individual- und Allgemeininteres­sen der gerichtlichen Verteidigung von Gemeinwohlbelangen prin­zipiell abträglich ist[4]. Auf den Punkt gebracht, ist gerade das ihr Ziel. Die Gemeinwohlverantwortung soll in der Hand der staatli­chen Verwaltung monopolisiert werden.

III. Interessentenklage

1. Begriff der Interessentenklage

Bei der Interessentenklage, für die insbesondere das französische Recht als beispielhaft angesehen werden kann[5], steht im Mittel­punkt die Kontrolle der objektiven Rechtmäßigkeit des Verwal­tungshandelns[6]. Sie ist ihrer Anlage nach daher für die Verteidi­gung der durch das objektive Recht verfolgten und geschützten Gemeinwohlbelange vor den Gerichten aufgeschlossen. Die Inte­ressentenklage verteilt also die Klagelegitimation großzügiger als die Verletztenklage, ohne jedoch wie die Popularklage auf jede Beziehung des Klägers zum Klagegegenstand zu verzichten. Hier ist „klagebefugt“, wer an der Klagezielerreichung ein eigenes Inte­resse hat, wem die Kassation einen materiellen oder ideellen, un­mittelbaren oder mittelbaren, aktuellen oder künftigen, jedenfalls aber messbaren Vorteil bringt[7].

Um das Beispiel Frankreich nochmals zu bemühen: Zwar kennt auch das französische Verwaltungsprozessrecht das potentiell beschränkende Erfordernis der Klagebefugnis, doch knüpfen sich hieran vergleichsweise geringe Anforderungen. Regelmäßig ge­nügt die Geltendmachung eines bloß faktischen Interesses, das sich nicht notwendig von den Interessen größerer Bevölkerungs­kreise oder der Allgemeinheit unterscheiden muss[8].

Das von der Interessentenklage angestrebte Ziel zu bestimmen, fällt nicht so leicht wie bei der Popular- oder Verletztenklage. Nur um die Rechtskontrolle des Verwaltungshandelns kann es natür­lich solange nicht gehen, als die Klagelegitimation auf einer Be­ziehung des Klägers zum Klagegegenstand beruht. Andererseits muss dieser negative Befund auch für den reinen Schutz subjekti­ver Rechte der Gewaltunterworfenen gelten, weil über die Beein­trächtigung dieser Rechte hinaus jedes Interesse zur Klage be­rechtigt. Da diese beiden Ziele schon von der Verletzten- und Po­pularklage bedient werden, liegt der Schluss nahe, dass bei der Interessentenklage beide Zielrichtungen kombiniert sind.

Dies wird bestätigt, wenn man die Beziehung der Klagelegitima­tion zum Anspruch beispielsweise auf Aufhebung des Verwal­tungsaktes untersucht. Wenn hier das Anfechtungsrecht zu einem Anspruch auf Aufhebung erwächst (d.h. wenn der Verwaltungsakt rechtswidrig ist und wenn die Legitimation von der Existenz eines Aufhebungsinteresses abhängt), kommt es für den Erfolg der Inte­ressentenklage nur noch auf die objektive Rechtswidrigkeit der Maßnahme an. Die Wirkung der Rechtswidrigkeit auf den Kläger darf der Richter nicht prüfen[9]. Insoweit besteht hier eine Verwandt­schaft zur Popularklage. Allerdings kennt die Interessentenklage eine weitere Legitimationsvoraussetzung, die sie von der Popu­larklage abhebt: Nur wer an der Klagezielerreichung ein Interesse hat, kann einen Anspruch aus Aufhebung der Verwaltungsmaß­nahme haben. Dies wiederum bringt die Interessentenklage in die Nähe der Verletztenklage.

Zum Ziel der Interessentenklage kann also gesagt werden, dass auch sie letztlich individuellen Rechtsschutz gewährt. Sie schützt nicht die Allgemeinheit, sondern, wie der Name nahe legt, nur diejenigen Gewaltunterworfenen, denen durch das Verwaltungs­handeln Nachteile entstehen. Obwohl es nicht um den Schutz subjektiver Rechte geht, ist die Interessentenklage der Verletzten­klage doch um einiges näher als der Popularklage. Es geht also nicht nur um Exekutivkontrolle, sondern auch um das Bereitstellen eines Instrumentes zum Schutz von Individualbelangen.

2. Insbesondere die Verbandsklage

Um der Aufgabe, die in diesem Themenbereich verwendeten Begriffe zu klären, gerecht zu werden, muss an dieser Stelle noch kurz auf den Begriff der Verbandsklage eingegangen werden. Dieser populärste Vertreter der Interessentenklage wird häufig erwähnt und tritt in zwei Konstellationen auf, der materiellrechtlichen und der verfahrensrechtlichen Verbandsklage, von denen hier aber nur die erste Variante interessiert. Die prozessuale Problematik der Verbandsklage erwächst dabei aus der Diskrepanz zwischen der letztlich grundrechtlich (Art. 9 III GG) fundierten Legitimation zu korporativer Wahrnehmung von Interessen, auch Dritter oder der Allgemeinheit, und dem häufigen Fehlen einer formellen Rechtsstellung zu deren gerichtlicher Geltendmachung. Die einzig praktisch relevante Ausnahme ist die umweltrechtliche Verbandsklage, die weiter unten skizziert wird.

a) Der Verbandsbegriff

Man kann den Begriff der Verbandsklage nicht ernsthaft erörtern, wenn nicht zuvor der Kreis der potentiellen Kläger eingegrenzt wurde. Weil die Legitimation des Verbandes zur Prozessführung u.a. aus Art. 9 I GG abgeleitet wird[10], liegt es nahe, den weiten Begriff des „Vereins“ aus dem Vereinsgesetz zu übernehmen, der nach einhelliger Auffassung auch dem Art. 9 I GG zugrunde liegt[11]. Verein ist nach § 2 I VereinsG ohne Rücksicht auf die Rechtsform jede Vereinigung, zu der sich eine Mehrheit natürlicher oder juristischer Personen für längere Zeit zu einem gemeinsamen Zweck freiwillig zusammengeschlossen und einer organisierten Willensbildung unterworfen hat. Darüber hinaus kommen im Verwaltungsprozess auch die berufsständischen Körperschaften des öffentlichen Rechts als Kläger in Frage.

b) Die materiellrechtliche Verbandsklage

Die Besonderheit dieser Konstellation liegt darin, dass nicht so sehr Rechte und Interessen der Verbandsangehörigen im Vordergrund stehen. Weder wird der Erlass sie begünstigender, noch die Aushebung sie beschwerender Verfügungen angestrebt. Freilich kommt der Prozesserfolg auch den Verbandsmitgliedern zugute. Man kann aber sagen, dass des Kollektiv nicht einzelne, besonders betroffene Mitglieder vor Schäden bewahren will, sondern für die Gesamtheit seiner Angehörigen streitet und/oder Allgemeininteressen vertritt[12]. Die fehlende Betroffenheit einzelner Mitglieder und der Allgemeinheitsbezug des Klageziels haben Auswirkungen auf die Klagegründe: Der Verband klagt nicht Ansprüche und Rechte seiner Mitglieder ein, sondern greift Maßnahmen der Exekutive wegen objektiver Rechtswidrigkeit an. Mit der materiellrechtlichen, bzw. altruistischen Verbandsklage wird einem Verband also die Befugnis eingeräumt, die Verletzung von im öffentlichen Interesse erlassenen Rechtsvorschriften zu rügen[13].

c) Die verfahrensrechtliche Verbandsklage

Die verfahrensrechtliche Verbandsklage hingegen fällt hier etwas aus dem Rahmen. Ihr Ziel ist, Maßnahmen zu Fall zu bringen, die an einzelne Mitglieder gerichtet werden und diese in Rechten beeinträchtigt, deren kollektive Wahrnehmung oder Verteidigung gerade Verbandszweck ist. Sie eröffnet den Verbänden den Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten bei Verletzungen ihrer Beteiligungsrechte, wie sie zum Beispiel §§ 58, 60 BNatSchG gewähren. Das Recht auf Beteiligung umfasst die Möglichkeit zur Information und Stellungnahme und impliziert die Pflicht der Behörden, die Äußerung des Verbandes zur Kenntnis zu nehmen[14]. Man könnte hier von der „klassischen“ Verbandsklage sprechen, weil der Weg zum Gericht der Verwirklichung der eigentlichen unmittelbaren Verbandsziele dient. Mit der sogenannten Partizipationserzwingungsklage kann ein Verband also seine Beteiligungsrechte im laufenden Verfahren wahren[15]. So hat auch das BVerwG davon gesprochen, dass in diesem Bereich das öffentliche Interesse in begrenztem Umfang „subjektiviert“ worden sei, um die Interessen der Allgemeinheit stärker in die Exekutivverfahren einzubringen[16]. Die prozessuale Durchsetzung gesetzlich eingeräumter Beteiligungsrechte ist also keine Interessentenklage. Hier macht der Verband lediglich eigene, ihm selbst zugeschriebene subjektive Rechte geltend.

IV. kurze Problemskizzierung

Nun ist die Einführung einer Interessentenklage im deutschen Recht eines der am heftigsten umstrittenen Themen im Bereich des Verwaltungsprozessrechts. Dieser Streit ist kein junger. Er erfreut sich schon seit Jahrzehnten einer regen Auseinenderset­zung. Dies mag vor allem daran liegen, dass es hier nicht einfach um die Einführung einer weiteren Klageart in das nationale Recht geht. Zündstoff bietet vor allem die Tatsache, dass hier auch und besonders die Systementscheidung des Verwaltungsprozess­rechts für den Schutz subjektiv-öffentlicher Rechte als gewichtiges Argument gegen eine weite Einführung der Interessentenklage dient. Diese wird aus Art. 19 IV GG herausgelesen. Demgegenüber dient die Interessentenklage nicht zu geringem Teil, ja fast hauptsächlich, der Kontrolle der objektiven Rechtmäßigkeit des Verwaltungshandelns. Es geht hier also vor allem um den Widerstreit zweier unterschiedlicher Rechtsschutzsysteme.

C. Entwicklung der Systementscheidung des Verwaltungsrechts

Es ist also klar geworden, dass die Entscheidung zwischen Ver­letzten- und Interessentenklage untrennbar mit der Entscheidung über die Ausgestaltung der Klagelegitimation zusammenhängt. Da in diesem Feld von den diversen Ansichten viel mit grundsätzli­chen Wert- und Systementscheidungen argumentiert wird, scheint ein Blick auf die historische Entwicklung lohnend. So werden ei­nige Darlegungen besser verständlich, deren Motivationen in den Ursprüngen der Entwicklung der Frage nach der Legitimation der Klage vor den Verwaltungsgerichten zu finden sind.

Wenn auch moderne Darstellungen des Systems der deutschen Verwaltungsrechtspflege nicht ohne eingehende Hinweise auf die grundlegenden Werke von Gerber, Jellinek und Bühler auskommen, dann deshalb, weil dieses System mehr als nur seine Wurzeln im 19. Jahrhundert hat. In seiner ersten Hälfte ging mit dem Scheitern der Revolution von 1848 der Kampf des aufstrebenden Bürgertums um die Übernahme der Macht im Staat verloren. Die Niederlage war aber insofern nicht allzu gravierend, als sie in den historischen Kompromiss des deutschen Konstitutionalismus einmündete. Das Bestreben, den Staat in eigene Hände zu nehmen und nach den Bedürfnissen der Gesellschaft auszurichten, war vorerst aufgegeben, das monarchische Prinzip hingenommen. So wie sich auf staatlicher Ebene die parlamentarische Mitwirkung auf den Gesetzesvorbehalt für Eingriffe in Freiheit und Eigentum konzentrierte, so musste sich auch die gerade erst entstehende Verwaltungsrechtspflege auf die Wahrung individueller Rechte beschränken.

Zwar gab es vor allem in Preußen durchaus auch gegenläufige Tendenzen hin zu einer objektiven Rechtskontrolle der Verwaltung. Dennoch musste die Vorstellung, der „Untertan“ könne die Gerichte auch dort in Bewegung setzen, wo es nicht um den Schutz seiner eigenen Freiheit gehe, musste der Mehrheit der zeitgenössischen Verwaltungsrechtler unangenehm auffallen. Für sie war dies ein Widerspruch zu der ausgeprägt dualistischen Grundstruktur des Konstitutionalismus und ein unzulässiger Übergriff auf die nach dem monarchischen Prinzip gegenüber jeder Form der Volksherrschaft zu bewahrende fürstliche Staats- und Gemeinwohlentscheidung. Die Forderung nach objektiver Rechtskontrolle galt also dennoch als Ausdruck eines nicht zu billigenden Misstrauens gegenüber der Majestät. Die Konzentration auf den Schutz nur subjektiver Rechte stellte den Verwaltungsrechtsschutz weithin außer Streit und erlaubte so seinen Auf- und Ausbau hin zu einer von den Zeitgenossen bewunderten „Perfektion“. Warum aber hat diese kompromißhafte Beschränkung den Übergang zur Demokratie in Deutschland in ihrer Grundstruktur überlebt?

Der Übergang zur demokratischen Republik durch die Novemberrevolution 1918 brachte für die Lehre vom subjektiven öffentlichen Recht eher Konsolidierung als Wandel[17]. Hier galt, wie kaum irgendwo sonst, Otto Mayers Satz: „Verfassungsrecht vergeht, Verwaltungsrecht besteht“. Rechtsstaat, Verwaltungsrechtsschutz und das subjektiv öffentliche Recht erschienen zu sehr als zentrale Errungenschaften des Bürgertums, als dass ihre prinzipiellen Beschränkungen hätten in Frage gestellt werden können. Zudem ging die Sehnsucht der Zeitgenossen angesichts der offenbaren Schwierigkeiten der Republik gerade nicht auf die Stärkung pluralistischer Tendenzen in Form verstärkter Teilhabe und Bürgerverantwortung[18]. An Kritik an der „liberal-individualistischen“ Konzeption fehlte es denn auch nicht.

Der dieser Zeit nachfolgenden nationalsozialistischen „Rechtserneuerung“ ging es dann aber nicht um eine Ausdehnung, sondern um die Zerschlagung der Rechte des Einzelnen. Ziel war die Entrechtung des Individuums und seine Eingliederung in die „völkische Gemeinschaft“. Schon früh wurde von den Nationalsozialisten daher der Kampf und Feldzug wider das subjektive Recht zu dessen Ausmerzung ausgerufen[19]. Die grauenhaft realen Konsequenzen dieser Entrechtung traumatisierte die deutschen Demokraten und wirken bis heute. Das Grundgesetz mit seiner Betonung (der zuvor von den „Rechtserneuerern“ in kennzeichnender Selbstüberschätzung der eigenen historischen Bedeutung auf den Müllhaufen der Geschichte geworfenen) Individualgrundrechte und mit seiner Garantie des individuellen Rechtsschutzes in Art. 19 IV GG war die notwendige Antwort auf den im Namen der Volksgemeinschaft gegen den Einzelnen gerichteten Terror. Zugleich legten die zumindest scheinbar legale nationalsozialistische Machtübernahme und die weite Zustimmung der Bevölkerung zur Diktatur den Grundstein für ein fortdauerndes Misstrauen gegenüber der Urteilsfähigkeit und Manipulierbarkeit der Masse[20] und für eine betont repräsentative , eher auf starke demokratisch-staatliche Institutionen als auf unmittelbare Teilhabe des Volkes setzende Demokratiekonzeption.

D. Interessentenklagen im nationalen Recht

Nun, da klar ist, was die Interessentenklage ausmacht und was mit ihr zu erreichen versucht wird, werden die einzelnen, im deut­schen Verwaltungsprozessrecht bestehenden Klagearten darauf­hin untersucht, ob sie Interessentenklagen zulassen oder gar Elemente derselben in sich aufweisen.

I. Feststellungsklage, § 43 I VwGO

Es wird vor allem diskutiert, ob die Feststellungsklage nach § 43 VwGO eine Vertreterin der letztgenannten Erscheinung sei. Mit der Feststellungsklage kann die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses sowie die Feststellung der Nichtigkeit eines Verwaltungsaktes durch gerichtliche Ent­scheidung begehrt werden[21]. Die Nähe zur Interessentenklage legt die Ausgestaltung der Sachentscheidungsvoraussetzung des Feststellungsinteresses als „berechtigtes“ und nicht als aus­schließlich rechtliches Interesse nahe. Andererseits wird weit verbreitet angenommen die Klagebefugnis des § 42 II VwGO sei auf die Feststellungsklage entsprechend anzuwenden, was diese Klage wiederum eher in das Lager der Verletztenklage, von der Interessentenklage weg verschieben würde. Ebenfalls und hier als erstes zu betrachten, ist noch das dem Streit zugrundeliegende Rechtsverhältnis. Denn die Anforderungen an dessen Ausgestal­tung sind geeignet den Kreis der in Frage kommenden Kläger zu erweitern bzw. zu schmälern. Durch die ganze Betrachtung wird sich besonders die Drittfeststellungsklage ziehen, die der Interes­sentenklage besonders nahe kommt.

1. Das Rechtsverhältnis

Als Rechtsverhältnisse i.S.d. § 43 VwGO werden die rechtlichen Be­ziehungen angesehen, die sich aus einem konkreten Sachverhalt aufgrund einer diesen Sachverhalt betreffenden öffentlich-rechtli­chen Norm für das Verhältnis mehrerer Personen untereinander oder einer Person zu einer Sache ergeben[22]. Des weiteren setzt ein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis ferner voraus, dass zwi­schen den Beteiligten ein Meinungsstreit hierüber besteht, in dem eine Seite glaubt, von der anderen ein bestimmtes Tun, Dulden oder Unterlassen fordern zu können[23]. Besonders sind Rechtsver­hältnisse durch subjektive Rechte und Pflichten gekennzeichnet[24], so dass es um ein Rechtsverhältnis nur gehen kann, wenn um die Feststellung von Rechten und/oder Pflichten geht. Und wieder fällt das Stichwort der subjektiven Rechte. Fraglich scheint, ob die Einbeziehung des für die objektive Rechtskontrolle so unförderli­chen Erfordernisses eines subjektiven Rechts schon beim Tatbe­standsmerkmal des Rechtsverhältnisses, der Interessentenklage gleich von Anfang an den Boden entzieht.

Jedoch ist mit dieser Definition des Rechtsverhältnisses nichts darüber ausgesagt, ob diese subjektiven Rechtspositionen auch „verletzt“ sein müssen. Hieraus folgt also noch keine Wertentscheidung für die Verletztenklage. Denn sollte sich das Erfordernis der subjektiven Rechtsbetroffenheit derart auf den Begriff des Rechtsverhältnisses auswirken, dass nur noch rechtliche Interessen verfolgt werden könnten, wäre § 43 VwGO dem Sinne des Gesetzgeber zuwider ausgelegt, der für diesen, in Abgrenzung zum „rechtlichen“, bewusst das „berechtigte“ Interesse gewählt hat.

Auch schweigt § 43 VwGO darüber, zwischen welchen Be­teiligten des Prozesses das Rechtsverhältnis bestehen soll. So hat das Bundesverwaltungsgericht hieraus den Schluss gezogen, dass das Rechtsverhältnis sowohl zwischen den Parteien des Rechtsstreites, als auch zwischen einer Partei und einem Dritten bestehen[25]. Es sind also nach dieser Judikatur auch Drittrechtsverhältnisse feststellungs­fähig; diese müssen freilich so ausgestaltet sein, dass es sich nicht eigentlich um ein Rechtsverhältnis zwischen den Prozessparteien handelt[26]. Die Anforderungen, die die Gerichte an die eigene Betroffenheit des klagenden Dritten stellen, sind Fra­gen des Feststellungsinteresses und der Diskussion um die An­wendung des § 42 II VwGO auf § 43 VwGO und werden daher in den nächsten Punkten näher erörtert.

Zusammenfassend lässt sich an dieser Stelle sagen, dass die Feststellungsklage bis zum Prüfungspunkt des Rechtsverhältnisses noch starke Züge einer Interessentenklage aufweist. Zwar müssen subjektive Rechtspositionen des Klägers betroffen sein. Das ändert aber nichts daran, dass bis hierhin noch ohne weiteres Interessen verfolgt werden können. Das wird besonders bei Drittrechtsverhältnissen deutlich, da hier der Kläger sogar außerhalb des strittigen Rechtsverhältnisse steht.

[...]


[1] Eyermann, GewArch 1974, 42 (46).

[2] Skouris, Verletztenklagen/ Interessentenklagen, S. 10.

[3] Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 19 IV, Rn. 116 ff; Scherzberg, DVBl 1988, 129 (131).

[4] vgl. Ruffert, Umweltrecht der EG, S. 101 ff.

[5] Gerstner, Drittschutzdogmatik, S. 148.

[6] Classen, Die Europäisierung, S. 57; Ruffert, Umweltrecht der EG, S. 113.

[7] Skouris, Verletztenklagen/ Interessentenklagen, S. 11.

[8] Wegener, Rechte des Einzelnen, S. 142.

[9] Skouris, Verletztenklage/Interessentenklage, S. 12.

[10] Faber, Die Verbandsklage, S. 9.

[11] Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 9, Rn. 3; Höfling, in: Sachs, GG, Art. 9, Rn. 8.

[12] Weyreuther, Verwaltungskontrolle, S. 33.

[13] Calliess, NJW 2003, 97 (97).

[14] Wolf, ZUR 1994, 1 (8).

[15] BVerwGE 87, 62 (73 f.).

[16] BVerwGE 87, 62 (72 f.).

[17] Bauer, Geschichtliche Grundlagen, S. 84 f.

[18] Kaiser, Die Repräsentation organisierter Interessen, S. 315.

[19] Schönfeld, ZAkDR 1937, 107 (110).

[20] Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 20 II, Rn. 39.

[21] Tettinger/Wahrendorf, VerwPrR, S. 165.

[22] BVerwGE 89, 327 (329).

[23] Happ, in: Eyermann, VwGO, § 43, Rn. 12.

[24] Maurer, Allg. VerwR, §8, Rn. 17.

[25] BVerwGE NVwZ 1991, 470 (471).

[26] Happ, in: Eyermann, VwGO, § 43, Rn. 23.

Ende der Leseprobe aus 55 Seiten

Details

Titel
Interessentenklagen und ihre Verträglichkeit mit den Systementscheidungen des deutschen Rechts
Hochschule
Eberhard-Karls-Universität Tübingen  (Rechtswissenschaftliche Fakultät)
Veranstaltung
Seminar „Rechtsfragen des Verwaltungsprozessrechts“
Note
14 Punkte (gut)
Autor
Jahr
2003
Seiten
55
Katalognummer
V16987
ISBN (eBook)
9783638216746
ISBN (Buch)
9783638727570
Dateigröße
522 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Die Arbeit ist mit einem Drittel Korrekturrand versehen
Schlagworte
Interessentenklagen, Verträglichkeit, Systementscheidungen, Rechts, Seminar, Verwaltungsprozessrechts“
Arbeit zitieren
Lukas Beck (Autor:in), 2003, Interessentenklagen und ihre Verträglichkeit mit den Systementscheidungen des deutschen Rechts, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/16987

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