Nach dem Ende des spanischen Bürgerkriegs ist die erinnerungspolitische Situation gekennzeichnet von der gesellschaftlichen Zweiteilung in Sieger und Verlierer, wobei für Letztere keine Möglichkeit besteht, sich am öffentlichen Erinnerungsdiskurs zu beteiligen. Diese Situation spiegelt sich auch in der Literatur wieder, denn einerseits werden die Werke profranquistischer Autoren staatlich gefördert und zu Propagandazwecken genutzt. Vor allem durch die nach der Machtübernahme einseitige und ideologisch aufgeladene Darstellung des Bürgerkriegs leistet die Literatur der Sieger einen großen Beitrag zur „triumphalistischen Erinnerungspolitik des Regimes“ , wie zum Beispiel der von Franco unter einem Pseudonym veröffentlichte Roman Raza.
Andererseits besteht für die Verlierer in Spanien selbst nicht die Möglichkeit, ihre Bürgerkriegserfahrungen offen zur Sprache zu bringen. Grund dafür ist neben dem Ausschluss aus dem offiziellen Erinnerungsdiskurs auch die strenge Zensur, die regimekritische und oppositionelle Werke verbietet. Deswegen kann eine Bürgerkriegsliteratur aus republikanischer Sicht nur im Exil entstehen. Infolgedessen verlassen viele Autoren ihre Heimat, um literarisch aktiv sein zu können.
Erst das Ende der Diktatur und die damit verbundene Aufhebung der Zensur bedeuten für den literarischen Erinnerungsdiskurs einen tiefen Einschnitt. Denn endlich kann der Bürgerkrieg aus republikanischer Perspektive unverschlüsselt zur Sprache gebracht und bisher in Spanien verbotene und im Ausland erschienene Texte veröffentlicht werden. Als Folge der jahrelangen Unterdrückung melden sich nun verstärkt die Verlierer des Bürgerkriegs zu Wort, während franquistische Romane deutlich in den Hintergrund treten, was „langfristig zu einer Umkehr der Dominanzverhältnisse zwischen Republi-kanern und Franquisten im literarischen Diskurs“ führt.
Auf welche Weise im demokratischen Spanien Autoren, die meist nur noch eingeschränkt auf persönliche Erfahrungen zurückgreifen können, mit der nationalen Geschichte umgehen und wie die „Memoria-Literatur“ allgemein zu bewerten ist, soll in dieser Seminararbeit deutlich werden.
Inhaltsverzeichnis (Table of Contents)
- A. Der literarische Erinnerungsdiskurs während der Franco-Diktatur
- B. Die Aufarbeitung von Bürgerkrieg und Franco-Diktatur:
- Die „Memoria-Literatur“ in der spanischen Gegenwartsliteratur
- 1. Begriffsklärung
- 2. Boom der „Memoria-Literatur“ seit Beginn der 90er Jahre
- II. La larga marcha von Rafael Chirbes (1996)
- 1. Biographie des Autors
- 2. Aufbau und Inhalt
- a. El ejército del Ebro- Darstellung der Bürgerkriegsgeneration
- b. La joven guardia – Darstellung der 68er-Generation
- 3. Intention des Autors – „Literatur als Ort des Erinnerns“
- Die „Memoria-Literatur“ in der spanischen Gegenwartsliteratur
- C. Bewertungsproblematik aufgrund der Kommerzialisierung des Literaturbetriebs
- D. Bibliographie
Zielsetzung und Themenschwerpunkte (Objectives and Key Themes)
Die Seminararbeit beschäftigt sich mit der Aufarbeitung von Bürgerkrieg und Franco-Diktatur in der spanischen Gegenwartsliteratur. Sie untersucht, wie der literarische Erinnerungsdiskurs in den letzten Jahrzehnten nach dem Ende der Franco-Diktatur entstanden und entwickelt hat. Die Arbeit beleuchtet die „Memoria-Literatur“ als ein wichtiges Instrument für die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit und die Bewältigung des Schweigens und Vergessens, die die Franco-Zeit prägten.
- Die Rolle des literarischen Erinnerungsdiskurses während der Franco-Diktatur
- Die Entwicklung der „Memoria-Literatur“ in der spanischen Gegenwartsliteratur
- Die Auseinandersetzung mit dem Bürgerkrieg und seinen Folgen in der Literatur
- Die Bedeutung von „La larga marcha“ von Rafael Chirbes als exemplarische „Memoria-Literatur“
- Die Herausforderungen der Aufarbeitung der Vergangenheit im Kontext der Kommerzialisierung des Literaturbetriebs
Zusammenfassung der Kapitel (Chapter Summaries)
Das erste Kapitel untersucht den literarischen Erinnerungsdiskurs während der Franco-Diktatur. Es wird gezeigt, wie die gesellschaftliche Zweiteilung in Sieger und Verlierer den öffentlichen Diskurs und die Literatur prägte. Die Werke profranquistischer Autoren wurden gefördert und zu Propagandazwecken genutzt, während republikanische Autoren im Exil ihre Werke veröffentlichen mussten. Die Zensur verhinderte eine offene Auseinandersetzung mit dem Bürgerkrieg in Spanien. Im zweiten Kapitel wird der Begriff der „Memoria-Literatur“ erläutert und der Boom dieser Literaturform seit den 1990er Jahren beleuchtet. Der Schwerpunkt liegt auf dem Roman „La larga marcha“ von Rafael Chirbes. Es werden die Biographie des Autors, der Aufbau und der Inhalt des Werkes sowie die Intention des Autors betrachtet. Der dritte Teil beschäftigt sich mit der Bewertungsproblematik der „Memoria-Literatur“ im Kontext der Kommerzialisierung des Literaturbetriebs.
Schlüsselwörter (Keywords)
Spanische Literatur, Bürgerkrieg, Franco-Diktatur, Memoria-Literatur, Erinnerungsdiskurs, La larga marcha, Rafael Chirbes, Zensur, Übergang zur Demokratie, Kommerzialisierung, Erinnerungskultur, Dos Españas.
- Citation du texte
- Eva Hecht (Auteur), 2011, Die Aufarbeitung von Bürgerkrieg und Franco-Diktatur in der spanischen Gegenwartsliteratur. "La larga marcha" von Rafael Chirbes, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/169932