Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit der Todesthematik in der modernen Kinder- und Jugendliteratur und entstand im Rahmen des Studienganges Germanistik an der Universität Bremen.
Werden und Vergehen – dieser Kreislauf der Natur gilt uneingeschränkt auch für das menschliche Leben. Verschiedenste gesellschaftliche Entwicklungen haben jedoch in den vergangenen Jahrzehnten dazu geführt, dass Sterben und Tod immer mehr aus dem Blickfeld des Einzelnen geraten. Daraus resultieren große Unsicherheiten im Umgang mit dieser Thematik. Dennoch trifft und betrifft der Tod jeden Menschen – auch Kinder und Jugendliche. Auf Grund der allgemeinen Sprachlosigkeit, die häufig im Zusammenhang mit Sterben und Tod zu beobachten ist, haben es sich verschiedene Autoren der Kinder- und Jugendliteratur zur Aufgabe gemacht, Heranwachsende mit diesem Thema zu konfrontieren. Anhand der exemplarischen Analyse ausgewählter Werke gehe ich in meiner Arbeit deshalb der Frage nach, inwiefern Literatur dazu beitragen kann, Kindern und Jugendlichen zu einem realistischen Todesverständnis zu verhelfen und Handlungsweisen im Umgang mit Tod und Trauer aufzuzeigen.
Zur Einführung in die Thematik gebe ich zunächst einen Überblick über den Umgang mit Sterben und Tod in der heutigen Gesellschaft (Kap. 2).
Um bei den späteren Buchanalysen die altersdifferenzierenden Reaktionen auf den Tod beurteilen zu können, werde ich anschließend die entwicklungspsychologischen Erkenntnisse zum Todesverständnis von Kindern und Jugendlichen darstellen (Kap. 3.1) sowie das spezifische Trauerverhalten von Heranwachsenden beleuchten (Kap. 3.2).
Die Buchanalyse wird von einem theoretischen Teil eingeleitet. Nach der Diskussion der verschiedenen Definitionen der Kinder- und Jugendliteratur (Kap. 4.1) widme ich mich der Todesthematik in der Kinder- und Jugendliteratur im geschichtlichen Verlauf (Kap. 4.2). Darauffolgend erläutere ich die Fragestellung meiner Arbeit zunächst im Allgemeinen (Kap. 4.3) und anschließend anhand der exemplarischen Analyse von drei kinder- und jugendliterarischen Werken im Speziellen (Kap. 4.4).
Im abschließenden Fazit (Kap. 5) fasse ich die von mir gewonnenen Erkenntnisse zusammen.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Sterben und Tod in der heutigen Gesellschaft
2.1 Tabuthema Tod? - Der Umgang mit Sterben und Tod in der heutigen Gesellschaft
2.2 Wie Kinder und Jugendliche dem Tod begegnen
2.3 Die Rolle der Erwachsenen beim Aufbau eines realisti- 10 schen Todesverständnisses von Kindern und Jugendli- chen
3. Entwicklungspsychologische Grundlagen
3.1 Entwicklung der Todesvorstellungen bei Kindern und Ju- 12 gendlichen
3.1.1 Altersgruppe drei bis fünf Jahre
3.1.2 Altersgruppe sechs bis zehn Jahre
3.1.3 Altersgruppe ab zehn Jahre
3.2 Trauerarbeit
3.2.1 Die Notwendigkeit von Trauerarbeit
3.2.2 Definition von Trauer
3.2.3 Trauerverhalten von Kindern und Jugendlichen
3.2.3.1 Die Anerkennung der Realität
3.2.3.2 Durchlebung des Abschiedsschmerzes
3.2.3.3 Die Verinnerlichung dessen, was war
3.2.3.4 Die Entwicklung einer neuen Identität
3.2.4 Bedingungen für die positive Bewältigung der 25 Trauerarbeit von Kindern und Jugendlichen
4. Die Todesthematik in der modernen Kinder- und Jugendli- 29 teratur
4.1 Definitionen - zum Begriff Kinder- und Jugendliteratur
4.2 Geschichtlicher Verlauf - von „Warngeschichten“ zur 32 „realistischen Kinder- und Jugendliteratur“
4.3 Was können Kinder- und Jugendbücher zum Thema Tod 36 leisten und bewirken?
4.4 Analyse ausgewählter Literatur
4.4.1 Auswahl der Literatur
4.4.2 Kriterien zur Analyse der ausgewählten Literatur
4.4.3 Du wirst immer bei mir sein
4.4.4 Max, mein Bruder
4.4.5 Du fehlst mir, du fehlst mir
4.4.6 Vergleichende Betrachtung
5. Fazit
6. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit der Todesthematik in der modernen Kinder- und Jugendliteratur und entstand im Rahmen des Studienganges Germanistik an der Universität Bremen. Werden und Vergehen - dieser Kreislauf der Natur gilt uneingeschränkt auch für das menschliche Leben.1 Verschiedenste gesellschaftliche Entwicklungen haben jedoch in den vergangenen Jahrzehnten dazu ge- führt, dass Sterben und Tod immer mehr aus dem Blickfeld des Einzel- nen geraten. Daraus resultieren große Unsicherheiten im Umgang mit dieser Thematik. Dennoch trifft und betrifft der Tod jeden Menschen - auch Kinder und Jugendliche. Auf Grund der allgemeinen Sprachlosig- keit, die häufig im Zusammenhang mit Sterben und Tod zu beobachten ist, haben es sich verschiedene Autoren der Kinder- und Jugendliteratur zur Aufgabe gemacht, Heranwachsende mit diesem Thema zu konfron- tieren. Anhand der exemplarischen Analyse ausgewählter Werke gehe ich in meiner Arbeit deshalb der Frage nach, inwiefern Literatur dazu beitragen kann, Kindern und Jugendlichen zu einem realistischen To- desverständnis zu verhelfen und Handlungsweisen im Umgang mit Tod und Trauer aufzuzeigen.
Zur Einführung in die Thematik gebe ich zunächst einen Überblick über den Umgang mit Sterben und Tod in der heutigen Gesellschaft (Kap. 2). Um bei den späteren Buchanalysen die altersdifferenzierenden Reak- tionen auf den Tod beurteilen zu können, werde ich anschließend die entwicklungspsychologischen Erkenntnisse zum Todesverständnis von Kindern und Jugendlichen darstellen (Kap. 3.1) sowie das spezifische Trauerverhalten von Heranwachsenden beleuchten (Kap. 3.2).
Die Buchanalyse wird von einem theoretischen Teil eingeleitet. Nach der Diskussion der verschiedenen Definitionen der Kinder- und Jugend- literatur (Kap. 4.1) widme ich mich der Todesthematik in der Kinder- und Jugendliteratur im geschichtlichen Verlauf (Kap. 4.2). Darauffol- gend erläutere ich die Fragestellung meiner Arbeit zunächst im Allge- meinen (Kap. 4.3) und anschließend anhand der exemplarischen Analy- se von drei kinder- und jugendliterarischen Werken im Speziellen (Kap. 4.4). Im abschließenden Fazit (Kap. 5) fasse ich die von mir gewonnenen Erkenntnisse zusammen.
2. Sterben und Tod in der heutigen Gesellschaft
2.1 Tabuthema Tod? Der Umgang mit Sterben und Tod in der heutigen Gesellschaft
Der Tod gehört zum Leben und ist nicht zu vermeiden. Dennoch scheint das Sprechen vom Tod in unserer heutigen Gesellschaft mehr und mehr ins Abseits geschoben und aus dem öffentlichen Bewusstsein verdrängt zu sein (vgl. Bodarwé, 1989, S.23). Das scheint verständlich, widersprechen Tod und Sterben doch den gesellschaftlichen Fortschrittsidealen und Allmachtsphantasien im Hinblick auf die Beherrschung von Leben und Tod (vgl. Iskenius-Emmler, 1988, S.53).
Unterschiedliche gesellschaftliche Entwicklungen haben in den letzten Jahrzehnten dazu geführt, dass der Einzelne dem Tod sehr viel selte- ner begegnet, als das früher der Fall war. Schätzungen zu Folge tritt nur noch alle zehn bis fünfzehn Jahre ein Todesfall innerhalb einer Fa- milie auf (vgl. Freese, 2001, S.10). So haben beispielsweise die allge- meinen Verbesserungen der Lebensqualität dazu beigetragen, dass die Lebenserwartung steigt oder die verbesserten hygienischen Bedingun- gen sowie medizinischen Fortschritte dazu geführt, dass Krankheiten eingedämmt und die Kindersterblichkeit verringert werden konnten (vgl. Iskenius-Emmler, 1988, S.46f.). Zum Vergleich: im Jahr 1870 lag die Säuglingssterblichkeitsrate bei 250 pro 1000 Lebendgeburten. Im Jahr 2004 ging diese auf 4,1 von 1000 zurück.2
Auch der familiäre Strukturwandel (Kleinfamilien, Berufstätigkeit der Frauen) spielt eine große Rolle beim Rückgang der Begegnung mit Sterben und Tod. Er hat zur Folge, dass sich der Tod in unserer Zeit fernab des gesellschaftlichen sowie familiären Alltags und der Öffent- lichkeit, in dafür vorgesehenen Institutionen, vollzieht (ebd., 1988, S.47). Über drei Viertel der Menschen in Deutschland sterben heutzuta- ge außerhalb ihrer angestammten Umgebung (vgl. Möller, 2000, S.52f.). Während es bis zum Ende des 19.Jahrhunderts üblich war, dass der Mensch im Kreise seiner Familie und Freunde starb und diese anschließend auch die Trauerriten sowie Beerdigungsbräuche vollzo- gen, werden diese Aufgaben heutzutage nahezu ausschließlich von Dienstleistungsunternehmen wie Krankenhäusern, Sterbekliniken und Beerdigungsinstituten übernommen. Die meisten Menschen meiden den Kontakt zu Sterbenden, weil sie nicht wissen, wie sie sich verhal- ten oder was sie ihnen sagen sollen. Zudem erinnert der Sterbende sie an ihre eigene Sterblichkeit. Die Vermeidung des Kontakts kann somit laut Mischke (1996, S.115) in unserer, den Tod verdrängenden, lust- und leistungsorientierten Gesellschaft als normale Reaktion verstanden werden.
Trotz allem lässt sich in der heutigen Zeit aber auch eine gewisse Fas- zination im Hinblick auf Sterben und Tod beobachten (vgl. u.a. Freese, 2001, S.2 o. Schweitzer, 2000, S.10). Seit ein paar Jahren beispielswei- se überfluten Bücher zu Tod, Sterben und Trauer den Markt, Fern- sehtalkshows greifen die Thematik auf und an Volkshochschulen wer- den ‚Sterbeseminare’ angeboten. Ein weiteres Beispiel für die Todes- faszination stellt auch die Ausstellung ‚Körperwelten’ von Gunther von Hagens dar, die bis heute weltweit mehr als dreißig Millionen Zuschau - er angelockt hat.3
Zusammenfassend lässt sich daher feststellen, dass von einem Ta- buthema Tod im Grunde genommen keine Rede sein kann. Auch eine Verdrängung der Thematik wäre zu weit gegriffen, da Verdrängung im strengen Sinne meint, dass ein Gedanke nicht bewusstseinsfähig ist (vgl. Freese, 2001, S.2). Zudem ist einer Verdrängung allein dadurch zu widersprechen, dass sich die meisten Menschen sehr wohl mit ihrem ei- genen Tod beschäftigen, indem sie beispielsweise Lebensversicherun- gen abschließen, Grabstellen kaufen oder Testamente aufsetzen (ebd., 2001, S.10).
Es lässt sich am ehesten von einer Unterdrückung von Sterben und Tod sprechen, was bedeutet, dass die Auseinandersetzung damit zwar bewusstseinsfähig, aber extrem mit Unlust - und meiner Meinung nach auch Angst - besetzt ist (ebd., 2001, S.2). Zudem finden Kontakte mit Tod und Sterben, wie oben aufgezeigt, in unserer Gesellschaft nur noch in abgeschwächter Form statt.
Solange Tod und Sterben nicht auch unter gesellschafts- und bildungs- politischen Aspekten erörtert werden, wird sich die weit verbreitete The- se von der Tabuisierung4 des Todes aber auch weiterhin halten. Es soll- te also versucht werden, auch unter veränderten familiären und institu- tionellen Bedingungen Möglichkeiten zu schaffen, das Wissen um Tod und Sterben besonders auch für junge Leute erfahrbar zu machen und ein verbindliches, kommunikatives Verhältnis zum Tode zu gewinnen (vgl. Fischer, 1987, S.25f.).
2.2 Wie Kinder und Jugendliche dem Tod begegnen
Kinder und Jugendliche begegnen dem Tod in den verschiedensten Zu- sammenhängen: sie finden ein totes Tier auf der Wiese oder sehen einen Verkehrsunfall auf der Straße. Sie erleben, wie Blumen und Blät- ter verwelken oder Figuren im Fernsehen getötet werden. Großeltern und geliebte Haustiere sterben. Solche Erlebnisse werfen viele Fragen auf, doch die Reaktionen der Umwelt deuten darauf hin, dass der Tod etwas Erschreckendes, Bedrohliches an sich hat, über das man am liebsten nicht sprechen möchte (vgl. Spiecker-Verscharen, 1982, S.6). Aber: „ Der Wert des Lebens bemisst sich aus der Einsicht in dessen Begrenztheit und Verletzlichkeit. “ (vgl. Franz, 2002, S.44).
Vielen Kindern und Jugendlichen mangelt es heutzutage an grundle- genden Erfahrungen mit dem kontrastreichen und wandelbaren Spek- trum des Lebens, das nicht allein aus Gesundheit, Nehmen, Stärke, Ju- gend und Freude, sondern auch aus Krankheit, Geben, Schwäche, Al- ter und Trauer besteht. Viele Eltern versuchen, ihre Kinder vor allem ‚Schlechten’ zu beschützen, doch so wachsen sie in einer Scheinwelt auf, und entwickeln wenig Wertschätzung gegenüber sich selbst und anderen sowie dem Leben generell. Zudem gerät ihre Welt schnell ins Wanken, sollten sie doch plötzlich mit den Schattenseiten des Lebens konfrontiert werden (vgl. Franz, 2002, S.44).
Die meisten Eltern halten ihre Kinder vom Thema Tod und Sterben fern, um sie zu lebensfrohen Menschen zu erziehen und nicht unnötig zu be- lasten. In Wirklichkeit erreichen sie damit allerdings das Gegenteil: je mehr sie die Erfahrung des Todes von ihren Kindern fern zu halten ver- suchen, umso schwieriger wird für diese die reale Auseinandersetzung mit dem Tod (ebd., 2002, S.49). Zudem kommen Kinder und Jugendli- che, wie anfangs erwähnt, trotz aller Bemühungen der Erwachsenen, auf anderen Wegen mit Sterben und Tod in Berührung.
Am häufigsten erfahren sie vom Tod aus den Medien, überwiegend in unvollständiger, verzerrter oder unrealistischer Darstellung. Nach der Schätzung von Experten haben Kinder und Jugendliche bis zu ihrem achtzehnten Lebensjahr ungefähr achtzehntausend Tode in Cartoons, Filmen, Büchern, Comics, Videospielen und im Fernsehen gesehen.5 Es handelt sich dabei fast immer um einen gewaltsam herbeigeführten Tod als Unfall oder Mord. So verwundert es auch nicht, dass vierzig Prozent der Sechs- bis Zehnjährigen glauben, dass Menschen nur durch Mord und Totschlag sterben (ebd., 2002, S.47f.). Darüber hinaus führt zum Beispiel die im Computerspiel vorhandene Erneuerbarkeit der künstlichen Existenz (die Akteure besitzen mehrere ‚Leben’) dazu, dass das Sterben austauschbar und beliebig oft wiederholbar erscheint (vgl. Rechenberg-Winter/Fischinger, 2010, S.78). Das Problem dabei ist, dass Kinder und Jugendliche so kaum eine Möglichkeit bekommen, den Tod jenseits medialer Verzerrung wirklich mitzuerleben (vgl. Bodarwé, 1989, S.64). Auch die unter Punkt 2.1 angesprochene Institutionalisie- rung von Sterben und Tod führt zu einer Verlagerung des Todes in Be - reiche, mit denen Kinder und Jugendliche nur wenig Kontakt haben. So- mit können sie kein realistisches Todesverständnis aufbauen und die Chance, persönliche Gefühle und Verhaltensweisen zu entwickeln, um in der Begegnung mit dem Tod handlungsfähig zu sein, wird ihnen ge nommen. Stirbt dann doch plötzlich ein geliebter Mensch, trifft es die Kinder und Jugendlichen völlig unvorbereitet. Sie verfügen über keine Strategien, um den Verlust und die Trauer zu bewältigen. Dabei halten Eltern ihre Kinder oftmals nur aus Selbstschutz von der Todesthematik fern, da diese in ihnen selbst Unsicherheiten und Ängste auslöst (vgl. Franz, 2002, S.49). Die Kinder spüren diese Hilflosigkeit der Erwachse- nen und stellen keine weiteren Fragen. Sie bleiben mit ihren Ängsten und Sorgen allein und entwickeln unter Umständen Fantasien, die viel bedrohlicher sein können als die Wahrheit (vgl. Tausch-Flammer/Bickel, 1994, S.68). Um zu vermeiden, dass sich daraus seelische Wunden entwickeln, die sich bis ins Erwachsenenalter auswirken können, ist es wichtig, dass Kindern und Jugendlichen Verständnis und Ehrlichkeit be- züglich ihrer Fragen und Sorgen zur Todesthematik entgegengebracht und nicht mit Floskeln wie ‚Dafür bist du noch zu jung’ abgetan werden. Denn Tod und Sterben sind - auch wenn viele Erwachsene es gerne verdrängen - ein natürlicher Bestandteil der Lebenswelt unserer Kinder und es sollte ihnen die Chance für einen angemessenen Umgang damit gewährt werden.
Wie Erwachsene Kindern bei dem Aufbau eines realistischen Todesver- ständnisses helfen können, sollen die folgenden Ausführungen zeigen.
2.3 Die Rolle der Erwachsenen beim Aufbau eines realisti- schen Todesverständnisses von Kindern und Jugend- lichen
Nur selten machen Kinder und Jugendliche ihre ersten Erfahrungen mit der Vergänglichkeit des Lebens durch einen Todesfall in ihrem engeren sozialen Umfeld. Meist sind es gerade alltägliche und unbedeutend er- scheinende Ereignisse, in denen sie mit Sterben und Tod konfrontiert werden, wodurch viele Fragen aufgeworfen werden. Erwachsene soll- ten diese Situationen nutzen, um mit ihren Kindern ins Gespräch zu kommen und ihnen somit zu einem realistischen Todeskonzept zu ver helfen. Ein gutes Beispiel für einen solchen Gesprächsanlass be schreibt Gertrud Ennulat (2003, S.17f.). Ein vierjähriger Junge pflückt einen Strauß Margeriten und achtet sorgsam darauf, dass sie jeden Tag frisches Wasser bekommen. Als sie dennoch eines Tages welk in der Vase hängen, beginnt er zu weinen und sagt: „ Jetzt sind meine Blu- men tot. “ Der Vater versucht, ihn zu trösten, ist aber etwas verunsichert, denn zum ersten Mal hatte sein Sohn das Wort tot gebraucht. Er setzt sich zu ihm, gemeinsam betrachten sie die verwelkten Blumen und ein Gespräch beginnt. Die Kinder und Jugendlichen werden auf diese Wei- se in relativer emotionaler Unbefangenheit mit Sterben und Tod kon- frontiert und Lernprozesse darüber aktiviert. Auch im Kindergarten oder in der Schule könnten solche oder ähnliche Anlässe von Erziehern und Lehrern zur Behandlung dieser Thematik genutzt werden. Wird bei- spielsweise eine tote Maus auf der Straße gefunden, könnten anhand dieser die biologischen Hintergründe von Sterben und Tod aufgegriffen sowie durch eine anschließende Beerdigung Trauerrituale erfahren wer- den. Ebenso stellen, wie im weiteren Verlauf meiner Arbeit noch nach- zuweisen sein wird, Bücher eine gute Grundlage dar, um über den Tod nachzudenken. Wichtig dabei ist es, den Kindern und Jugendlichen ge- nügend Raum für ihre Fragen zu lassen und diese offen und ehrlich zu beantworten. Sinnvoll wäre es auch, zunächst einmal zu fragen: „Was denkst du denn?“. So erfahren die Erwachsenen etwas über die Gedan- ken und Fantasien der Kinder und können ihnen möglicherweise vor- handene Ängste über den Tod nehmen (vgl. Student, 1993, S.24f.).
Eine wichtige Voraussetzung für die oben dargestellten Gespräche über den Tod ist es, dass die Erwachsenen selbst das Thema nicht verdrän- gen. Denn nur wenn man den Kindern und Jugendlichen angstfrei und interessiert begegnet und sie so von der Bedeutsamkeit des Themas für das eigene Leben überzeugt, bekommen sie die Möglichkeit, ein ei - genes Todeskonzept zu entwerfen und somit ein allumfassendes Welt- verständnis aufzubauen.
Um mit Kindern und Jugendlichen altersgerecht über Sterben und Tod zu sprechen, ist es unumgänglich, die spezifischen Todesvorstellungen der unterschiedlichen Altersstufen zu kennen. Diese werden im folgen den Kapitel ausführlich behandelt.
3. Entwicklungspsychologische Grundlagen
Wie im vorangegangenen Kapitel dargestellt, sind Tod und Sterben ein natürlicher Bestandteil der Lebenswelt von Kindern und Jugendlichen. Im Folgenden soll deshalb der Frage nachgegangen werden, auf wel- che Art und Weise Kinder und Jugendliche verschiedener Altersstufen den Tod verstehen. Daran anschließend werden die kindlichen Trauer- reaktionen hinsichtlich des Todes eines geliebten Menschen analysiert sowie Hilfen und Möglichkeiten zur Trauerbewältigung aufgezeigt.
3.1 Entwicklung der Todesvorstellungen bei Kindern und Ju- gendlichen
Um bei den späteren Buchanalysen die altersdifferenzierenden Reak- tionen auf den Tod besser nachvollziehen zu können, ist es notwendig, die Entwicklung der Todesvorstellungen von Kindern und Jugendlichen zu betrachten. Auf Grund der von mir gewählten Werke werden dabei die Altersstufen bis zum dritten Lebensjahr unberücksichtigt gelassen. Die Bedeutung des Begriffes ‚Tod’ ist nicht angeboren, sondern entwi- ckelt sich in einem langen Lernprozess. Die alterstypischen Vorstellun- gen sind sehr vielschichtig und geprägt von inneren und äußeren Ein- flüssen sowie persönlichen, direkten und indirekten Erfahrungen mit dem Tod. Des Weiteren sind sie in den Kontext der individuellen Ent- wicklung, Gesellschaft, Religion und Kultur integriert (vgl. Franz, 2002, S.60). Somit ist klar, dass es kein allgemeines, für alle Kinder gültiges Todeskonzept geben kann. Dennoch haben sich in der Entwicklungs- psychologie gewisse Entwicklungsstufen herausgebildet, deren Verall- gemeinerungen noch akzeptabel erscheinen.
3.1.1 Altersgruppe drei bis fünf Jahre
Etwa im Alter von drei bis vier Jahren beginnen Kinder, sich bewusst mit dem Tod auseinanderzusetzen. Das entsprechende Vokabular wird schon genutzt, allerdings ohne genaues Verständnis seiner Bedeutung (vgl. Spiecker-Verscharen, 1982, S.8). ‚Sterben’ meint für den Großteil der Kinder nur vorübergehendes Fortsein, was die Aussage eines vier- jährigen Mädchens über den Tod eines Nachbarhundes verdeutlicht:
„ Justus ist tot. Dann kommt er in den Himmel. Und n ä chstes Jahr kommt er wieder. “ (vgl. Cramer, 2008, S.27).
Vorschulkinder vertreten die Auffassung, dass hohes Alter die Ursache für das Sterben ist und verstehen noch nicht, dass der Körper an sich sterblich ist. Da sie in dieser Entwicklungsphase sehr anschaulich den- ken, verbinden sie die äußerlich wahrnehmbaren Merkmale des Alters mit dem Sterben. Manche Kinder wünschen sich deshalb, niemals älter zu werden. So meint zum Beispiel die fünfjährige Franziska: „ Ich m ö ch- te niemals eine Gro ß mutter werden, denn dann bin ich alt und muss sterben. Ich m ö chte immer so bleiben wie ich bin. “ (ebd., 2008, S.28). Im Alter von drei bis fünf Jahren unterscheiden Kinder nicht zwischen tot und lebendig. In ihrer Vorstellung haben die leblosen Gegenstände wie zum Beispiel Puppen oder Stofftiere Leben in sich, sind hungrig oder müde6 (ebd., 2008, S.28). Umgekehrt fragen sie oft, ob die Gestor- benen unter der Erde überhaupt Luft bekommen oder ob sie es dort be- quem haben. Die Kinder stellen sich vor, dass die Friedhöfe voll von le- bendig Begrabenen sind, die denken und fühlen wie jeder andere Mensch auch (vgl. Spiecker-Verscharen, 1982, S.9).
Kleine Kinder können das Ausmaß des Todes nicht erfassen. Viele Er- wachsene sind erschrocken über die unbekümmerte Haltung ihrer Kin- der angesichts des Todes. Dabei resultiert diese aus der mangelnden Einsicht in seine Endgültigkeit.7 So kommt es schon mal vor, dass Kin der Sätze äußern wie: „ Wenn du tot bist, krieg ich deine Kette “ oder „ Ich f ä nde es sch ö n, wenn die Beatrix tot w ä re. Dann h ä tte ich mehr Platz im Bett. “ Sie verstehen dabei die Bedeutung des Wortes ‚tot’ nicht, sondern interpretieren es als ein zeitlich begrenztes ‚Beiseite- schaffenwollen’ einer Person (ebd., 1982, S.10 u. Cramer, 2008, S.29).
3.1.2 Altersgruppe sechs bis zehn Jahre
Mit Beginn des Schulalters zeigen sich Fortschritte in der kognitiven Entwicklung von Kindern, die in der Regel zu einer veränderten Todes - vorstellung führen. Die Kinder fangen langsam an, die Endgültigkeit des Todes zu begreifen (vgl. Cramer, 2008, S.36). Sie haben jetzt ein annähernd realistisches Todeskonzept.
Im Alter zwischen sechs und sieben Jahren lernen Kinder in der Regel, dargestellte Handlungen erkennen und beschreiben zu können, sie stel- len Zusammenhänge her und interessieren sich immer häufiger für Ur- sachen und Folgen. Die Kinder lernen beispielsweise, vielfältige Ursa- chen für ein Ereignis als möglich anzusehen und beginnen somit, ne- ben dem Alter auch Krankheit und Gewalteinwirkung als Todesursa- chen zu erachten (ebd., 2008, S.37). Zudem scheint ein Kind mit etwa acht Jahren erstmals zu realisieren, dass es selbst auch sterben kann. Es entwickelt eine Todesfurcht (vgl. Spiecker-Verscharen, 1982, S.12) und viele Fragen wie zum Beispiel „ Was ist nach dem Tod? “ oder „ Kann ich beim Schlafen sterben? “ beschäftigen es (vgl. Cramer, 2008, S.38).
Besonders starke Angst entfalten Kinder dieses Alters auch vor dem Tod der Eltern und nahen Angehörigen. Sie entwickeln ein Gefühl der Bedrohung, fürchten sich davor, ihre ständige Begleitung und sichere Bindung zu verlieren und ganz allein auf der Welt zurück bleiben zu müssen (vgl. Franz, 2002, S.80). So erinnert sich beispielsweise eine Frau in einem rückblickenden Interview, dass sie ihre Mutter jedes Mal, wenn sie sie schlafend fand, aufweckte, um sicherzugehen, dass sie noch lebte (vgl. Spiecker-Verscharen, 1982, S.13).
Ein weiteres Merkmal, das sich bei Grundschulkindern herausbildet, ist die Personifikation des Todes. Sie bezeichnen ihn als ‚Schwarzen Mann’, ‚Sensenmann’ oder ‚Gerippe’. Die Vorstellungen sind dabei sehr plastisch, wie eine Analyse von Maria Nagy aufzeigt: viele der befragten Kinder versicherten darin, den ‚Tod’ mit eigenen Augen gesehen zu ha- ben. Sie beschrieben ihn als bösartig, hässlich und furchterregend (ebd., 1982, S.13).
Oft haben Kinder zwischen sechs und zehn Jahren das Gefühl, dass ein Mensch auf Grund ihrer bösen Wünsche stirbt. Sie können in dem Alter noch nicht vollständig zwischen Fantasievorstellungen und der objektiven Realität unterscheiden und fürchten, dass der Tod einer Person, über die sie sich geärgert haben, durch ihre Gedanken verursacht wurde (vgl. Cramer, 2008, S.38).
Letztendlich beschäftigen sich Kinder dieses Alters vermehrt mit den Begleiterscheinungen des Todes. Sie sind von Natur aus neugierig und interessieren sich zum Beispiel für Friedhöfe, Gräber, Leichen oder Kriege. Mit großem Spaß spielen sie Tot-Sein und Sterben und möch- ten immer wieder Geschichten und Märchen über den Tod hören (vgl. Franz, 2002, S.80f.). Und je mehr die Kinder über den Tod nachdenken, umso mehr gewinnt die Frage, was nach dem Tod sein wird, an Bedeu- tung. Die Antwort darauf wird in den meisten Fällen durch die Weltan- schauung seines familiären Umfeldes geprägt (vgl. Spiecker-Verscha- ren, 1982, S.14).
3.1.3 Altersgruppe ab zehn Jahre
Da die Kinder inzwischen über ein ausgereiftes Todesverständnis verfü- gen, erleben sie den Verlust eines nahestehenden Menschen in seiner ganzen Tragweite. Ihre Trauerreaktionen sind denen eines Erwachse nen entsprechend. Zudem zeigen sie Mitleid und Einfühlungsvermögen gegenüber betroffenen Mitmenschen (vgl. Spiecker-Verscharen, 1982, S.16f.).
Die Fragen nach dem Tod und dem Danach unterscheiden sich im Alter zwischen zehn und achtzehn Jahren nicht grundlegend von denen der vorherigen Altersstufe (vgl. Kap. 3.1.2). Während die Jüngeren aller- dings zum größten Teil an dem Wissen um das wirkliche Geschehen in- teressiert sind, tritt mit steigendem Alter die Sinnfrage immer häufiger in den Vordergrund (vgl. Cramer, 2008, S.51). Durch die Zwangsläufigkeit des Todes werden alle Lebensziele und Ideale in Frage gestellt. So zi- tiert beispielsweise Ingun Spiecker-Verscharen (1982, S.18) ein Kind aus einer Umfrage der Zeitschrift „Eltern“: „ Ich finde es brutal, zu ster- ben. Man lernt so viel, wird zum Beispiel Professor, baut sich so viel auf und dann ist alles umsonst. “8 Auf der anderen Seite erscheinen manchen Jugendlichen die Mängel des irdischen Lebens so extrem, dass sie den Tod als Fluchtweg ansehen. Dazu die zwölfjährige Anne: „Sterben ist was Schönes, weil man von all dem Bösen auf der Welt losgekommen ist.“ (ebd., 1982, S.19). Während die jüngeren Kinder dem Tod eindeutig ablehnend gegenüberstehen, betrachten ihn ältere Heranwachsende zum Teil als Erlösung.
3.2 Trauerarbeit
3.2.1 Die Notwendigkeit von Trauerarbeit
Wie in Kapitel 2.1 dargestellt, werden die Themen Sterben und Tod aus unserer modernen Industriegesellschaft nahezu vollständig ausge- grenzt. Da überrascht es nicht, dass von dieser ebenso erwartet wird, dass trauernde Menschen ihr Leid verbergen, denn offen gezeigter Schmerz und gelebtes Leid gefährden diese Unterdrückung der To- desthematik. Die Gesellschaft fordert eine rasche Beendigung des Trauerprozesses, damit sie so wenig wie möglich mit den dabei auftre- tenden Problemen konfrontiert wird. Der Trauernde wird nur für kurze Zeit von seinen beruflichen und sozialen Pflichten befreit, in der Regel wird von Arbeitgebern schon nach zwei Tagen9 wieder uneingeschränk- te Leistungsfähigkeit erwartet. Somit kann er oftmals nicht zu einem be- friedigenden Abschluss seiner Trauerarbeit kommen (vgl. Iskeni- us-Emmler, 1988, S.94f.).
Verschiedenste psychologische Untersuchungen haben jedoch erge- ben, dass Trauerarbeit unerlässlich ist, um den Tod eines nahestehen- den Menschen zu verarbeiten (vgl. Mischke, S.117). Personen, die ihre Trauer zunächst vermeiden oder gar verleugnen, erleiden oftmals zu ei- nem späteren Zeitpunkt einen psychischen Zusammenbruch, ausgelöst zum Beispiel durch den Jahrestag des Todes oder den Verlust eines Gegenstandes, der an den Verstorbenen erinnert (vgl. Freese, 2001, S.27).
Dies gilt selbstverständlich auch für Kinder und Jugendliche. Sie sollten nach dem Verlust einer geliebten Person aufgefordert werden, zu trau- ern. Die Erwachsenen sollten ihnen das Gefühl vermitteln, dass traurig sein in der Situation etwas völlig Normales ist. Dennoch bemühen Er- wachsene sich häufig, so zu tun, als wäre nichts geschehen. Sie neh- men den Kindern und Jugendlichen damit die Möglichkeit, angemesse- ne Trauerarbeit zu leisten und ihren Verlust zu überwinden (ebd., 2001, S.118).
Wie die Trauerarbeit im Idealfall aussehen sollte, werde ich im Folgen- den erläutern. Beginnen werde ich dabei mit einer kurzen Definition von Trauer.
3.2.2 Definition von Trauer
Wie bei jedem anderen wissenschaftlichen Gegenstand gibt es auch bei der ‚Trauer’ eine Vielzahl an Begriffsbestimmungen (vgl. hierzu z.B. Spiecker-Verscharen, 1982, S.21ff. oder Voß, 2005, S.43ff.). Aufgrund der formalen Begrenzung der Arbeit werde ich diese jedoch nicht ver- gleichend diskutieren, sondern auf die Definition von Ingun Spiecker- Verscharen zurückgreifen (1982, S.24f.), die meiner Meinung nach eine gute Zusammenfassung der verschiedenen Auslegungen darstellt. Sie lautet folgendermaßen:
Der Begriff „Trauer“„ umfa ß t die psychischen Reaktionen des Individu- ums auf den Tod eines geliebten Menschen. Der Proze ß des Trauerns setzt mit dem Wissen um die Realit ä t des Todes ein, durchl ä uft die ein- zelnen Phasen der Trauerarbeit und endet mit der Aufnahme neuer Be- ziehungen. “
3.2.3 Das Trauerverhalten von Kindern und Jugendlichen
Viele Psychologen und Pädagogen debattieren kontrovers darüber, ob schon kleine Kinder trauern können oder ob sich diese Fähigkeit erst im Laufe spezifischer emotionaler und intellektueller Reifungsprozesse herausbildet. Dabei herrscht trotz vieler Unstimmigkeiten die allgemeine Übereinstimmung vor, dass ein bestimmter kognitiver Entwicklungs- stand erreicht sein muss, damit ein Kind imstande ist, Trauerarbeit zu leisten (vgl. Iskenius-Emmler, 1988, S.128f.). Laut Spiecker-Verscharen (1982, S.25) ist ein Kind demnach in der Lage, zu trauern, „ wenn ein stabiles Verh ä ltnis zu dem Verstorbenen bestanden hat ( … ). Dazu ge- h ö rt die Wahrnehmung des betreffenden Menschen als Pers ö nlichkeit mit spezifischer Wesensart. Au ß erdem sollte das wahrgenommene Bild internalisiert und im Bewu ß tsein des Kindes pr ä sent sein ( … ). Hinzu kommen mu ß eine positive Bewertung des Bildes, d.h. eine emotionale
Verbundenheit ( … ) und eine ausreichende Belastbarkeit der Beziehung ( … ). Die kognitive Entwicklung des Kindes sollte soweit fortgeschritten sein, da ß bereits eine grobe Zeitvorstellung vorhanden ist und der Gegensatz zwischen lebendig und unlebendig erfa ß t werden kann, damit der Tod als endg ü ltige Trennung erkannt wird. “
Im Wesentlichen ähnelt das Trauerverhalten von Kindern und Jugendli- chen dem der Erwachsenen. So fühlen sie beispielsweise die gleiche dauerhafte Sehnsucht nach dem Verstorbenen. Genau wie die Erwach- senen empfinden sie zeitweilig Wut, Schuldgefühle und Angst vor dem eigenen Sterben (vgl. Iskenius-Emmler, 1988, S.131). Dennoch gibt es auch Unterschiede, die sich vor allem aus dem spezifischen alterstypi- schen Denken ergeben (vgl. Kap. 3.1). Da Kinder bis etwa zum Schul- beginn noch über kein ausgeprägtes Zeitgefühl verfügen und sehr ge- genwartsbezogen leben, können sie ihre Trauer leichter vergessen, so- bald ein Ereignis der Gegenwart ihre volle Aufmerksamkeit fordert. So kommt es vor, dass es sich in einem Moment seinem Kummer hingibt, im nächsten Augenblick jedoch schon wieder völlig vergnügt mit ande- ren Dingen beschäftigt ist (vgl. Franz, 2002, S.89). Häufig wird den Kin- dern dann fälschlicherweise unterstellt, dass die gestorbene Person dem Kind nicht wichtig war und von ihm nicht vermisst wird.
Da Kinder in einer gefühlsbetonten Welt leben, agieren sie ihre Trauer auf sehr spontane Weise aus. Nehmen wir das Beispiel des fünfjähri- gen Tobias, dessen Vater bei einem Verkehrsunfall ums Leben kam. Er zeigt sich seither aggressiv, streitsüchtig, zerstört Spielmaterial, schreit Kinder und Erzieherinnen an und wirft mit Kraftausdrücken um sich. An- dere Kinder hingegen sitzen im Falle des Verlustes einer Bezugsperson bedrückt oder weinend in einer Ecke und wiederum andere sind albern, fröhlich und ausgelassen. Jedes Kind erlebt seine Situation anders und trauert somit auf ganz individuelle Art und Weise (ebd., 2002, S.86).
Ganz allgemein lässt sich sagen, dass Kinder und Jugendliche wesent- lich sensibler auf den Tod eines geliebten Menschen reagieren als Er- wachsene. Während es Erwachsenen möglich ist, Trost und emotionale Unterstützung in ihren verschiedenen Lebensbereichen wie bei der Ar beit, bei Freunden oder in Hobbies zu finden, sind Kinder und Jugendli che wesentlich mehr auf den Beistand ihrer unmittelbaren Bezugsper- son angewiesen (vgl. Iskenius-Emmler, 1988, S.132). Häufig kommt es jedoch vor, dass die Angehörigen selbst so sehr in ihre Trauer vertieft sind, dass die Kinder und Jugendlichen weniger Aufmerksamkeit be- kommen als bisher und sich einsam und allein fühlen. Sie erleiden da- durch sozusagen einen ‚doppelten Verlust’ (vgl. Franz, 2002, S.86).
Obwohl sich der Trauerprozess eines Kindes oder Erwachsenen nicht verallgemeinern lässt, durchläuft er doch verschiedene Phasen, in de- nen sich mit fortschreitender Trauer das Denken, Fühlen und Erleben der Beteiligten verändert. In diesem Zusammenhang entwickelte der Psychologe James William Worden ein Konzept, in dem er vier ‚Aufga- ben des Trauerns’ beschreibt.10 Er versucht damit, allen Beteiligten des Trauerprozesses Handlungsmöglichkeiten für eine positive Bewältigung aufzuzeigen, indem er Trauer unter dem Aspekt von Entwicklung und den dazugehörigen Aufgaben betrachtet. Neben den Kindern selbst, deren ‚Aufgabe’ es ist, ihren Schmerz aktiv zu verarbeiten, spielt vor al- lem auch das soziale Umfeld wie Eltern, Geschwister, Freunde oder Er- zieher eine entscheidende Rolle in der Gestaltung heilungs- und ent- wicklungsfördernder Beziehungen (ebd., 2002, S.89).
Diese ‚vier Traueraufgaben’ werden im Folgenden geschildert, um den Entwicklungscharakter eines positiv verlaufenden Trauerprozesses zu verdeutlichen.
3.2.3.1 Die Anerkennung der Realität
Erfährt ein Kind vom Tod einer geliebten Person, wird es die mit dem Tod verbundenen Ereignisse auf verschiedenste Art und Weise ver- leugnen. Verdrängung, Abwehr und Verleugnung sind selbstschützende Versuche, um etwas Schreckliches von sich fernzuhalten oder zu mini- mieren.
Viele Kinder versuchen, an vertrauten Verhaltensweisen festzuhalten, um so die alte und vertraute Welt zu konservieren. So fordert beispiels- weise die vierjährige Hanna, deren Oma vor kurzem verstorben ist: „ Ich will aber Zucker in den Kakao! Die Oma hat mir das auch immer gege- ben “ oder „ Ich will aber die Sendung sehen! Bei Oma durfte ich die auch immer gucken. “
Kinder entwickeln verschiedenste Abwehrreaktionen. Einige gehen di- rekt ‚zur Tagesordnung’ über und überraschen mit Fragen wie „ Darf ich trotzdem zum Fu ß ball gehen? “, andere werden still und ziehen sich zu- rück. Auch das Verfallen in einen Schockzustand kann eine unmittelba- re Reaktion nach der Mitteilung einer Todesnachricht sein. Die Kinder wirken dann betäubt, teilnahmslos oder unberührt. Dies darf nicht mit Gleichgültigkeit interpretiert, sondern muss als Schutzmechanismus verstanden werden.
Die Akzeptanz des Todes ist die Grundvoraussetzung zur Trauerbewältigung und somit der erste Schritt in der Verlustverarbeitung. Sobald sich die häufig widersprüchlichen Emotionen des Kindes in starken Gefühlsausbrüchen entladen, wurde diese erste ‚Traueraufgabe’ erfolgreich bewältigt (vgl. Franz, 2002, S.90ff.).
3.2.3.2 Die Durchlebung des Abschiedsschmerzes
In der zweiten Phase muss das Kind die Gefühlsausbrüche durchleben, die durch die Akzeptanz des Todes auftreten.
Es begegnet dem Verstorbenen zunächst mit Enttäuschung und Wut, fühlt sich von ihm verlassen und verraten. Es liebt ihn noch immer, doch seine Gefühle gehen nun ins Leere. Dadurch fällt ein Teil der Bestäti- gung der eigenen Person weg, denn niemand auf der Welt kann das Kind auf die spezielle Weise lieben, wie es die verstorbene Person tat. Dieser Selbstverlust ist eine sehr schmerzhafte Erfahrung.
[...]
1 vgl. Bernhard Hubner, http://www.alliteratus.com/pdf/tb_lb_abschied-tod.pdf, 2008
2 vgl. http://www.aerzteblatt.de/v4/archiv/artikel.asp?id=57331
3 http://www.koerperwelten.com/de/austellung/fragen_antworten.html#1
4 vgl. hierzu u.a. Mischke, 1996, S.111f. o. Franz, 2002, S.9
5 Das Internet findet hier keine Erwähnung. Durch die intensive Nutzung von diesem durch Kinder und Jugendliche in der heutigen Zeit (vgl. hierzu z.B. die JIM-Studie 2009, eine Basisstudie zum Medienumgang 12- bis 19-Jähriger in Deutschland: http://www.mpfs.de/fileadmin/JIM-pdf09/JIM-Studie2009.pdf, S.16) schätze ich die Zahl dementsprechend noch deutlich höher ein.
6 der Schweizer Entwicklungspsychologe Jean Piaget bezeichnet dieses Phänomen als „Animismus“ (vgl. Franz, 2002, S.68).
7 Kinder besitzen in diesem Alter noch keinen präzisen oder definierten Zeitbegriff. Die Vorstellung von einer Endgültigkeit setzt jedoch einen Zeitbegriff voraus (vgl. http://www.bkjpp.de/index.php5?x=/for100_tod.php5&).
8 Anm. d. V.: Bedauerlicherweise macht der Autor/die Autorin keine Altersangabe. Aufgrund der von ihm/ihr zuvor gemachten Einteilung muss es sich allerdings um ein Kind von zwölf oder dreizehn Jahren handeln.
9 vgl: den Tarifvertrag für den Öffentlichen Dienst, Stand 2005. http://www.bmi.bund.- de/cae/servlet/contentblob/122300/publicationFile/13285/TVoeD.pdf
10 Das Konzept basiert auf dem Fünf-Phasen-Modell (Nicht-wahrhaben-Wollen, Zorn, Verhandeln, Depression, Akzeptanz) der Psychiaterin und Sterbeforscherin Elisabeth Kübler-Ross (1926-2004), die dieses 1969 erstmalig entwickelte. Weitere bekannte Konzepte kommen von dem Prof. für Systematische Theologie Yorick Spiegel (1935- 2010) sowie der Psychologin Verena Kast (*1943). Alle genannten Modelle unter- scheiden sich ausschließlich strukturell voneinander (vgl. Voß, 2005, S.47f.)
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