Im Alten Testament steht im Buche Ezechiel über ein ausgesetztes Kind:
„[…] Und was deine Geburt betrifft, so wurde, als du geboren warst, deine Nabelschnur nicht abgeschnitten, du wurdest nicht mit Wasser gewaschen zur Reinigung, nicht mit Salz abgerieben und nicht in Windeln gewickelt. Kein Auge ruhte erbarmend auf dir, um etwas von alledem zu tun und Mitleid zu üben, du wurdest vielmehr am Tage deiner Geburt aufs freie Feld hinausgeworfen, weil man dich verabscheute. […]“
(Ez. 16,4,5)
Bei vielen Völkern der Erde finden wir Aussetzungsmythen, die sich erstaunlich gleichen, obwohl die einzelnen Völker nachweislich nie miteinander in Berührung gekommen sind. Die Mythen folgen einem bestimmten Schema: Immer wieder begegnet uns die Vorstellung eines mythischen Urkönigs, der selbst Sohn eines Gottes oder einer Göttin ist oder zumindest von einem Gott abstammt. Er selbst wird als Baby nach einem unheilvollen Orakelspruch oder Traum ausgesetzt und so dem Tode preisgegeben, wird aber von wilden Tieren genährt und kann so überleben. Meistens wird er von Hirten oder Fischern gefunden und aufgezogen und nach vielen Bewährungsproben später Kultstifter oder Siedlungsgründer.
(Vergl. DNP 5 [1998] 500 s. v. Herrschergeburt [R. Oswald])
Natürlich würde es den Rahmen dieser Arbeit sprengen, auf alle Aussetzungsmythen der Welt einzugehen. So sollen hier hauptsächlich Aussetzungsmythen der europäischen Geschichte, also der Griechen und Römer und einzelne des vorderen Orients behandelt und mit der antiken Bildwelt verbunden werden.
Inhaltsverzeichnis (Table of Contents)
- Vorwort und Nachwort
- 1. Teil
- Einleitung
- 1 Kindesaussetzung in der Geschichte der Menschheit – die Wahrheit
- 1.1 Das Verstoßen eines Jungen in der Tierwelt
- 1.2 Das Aussetzen eines Menschen in prähistorischer Zeit
- 1.3 Kindesaussetzung in der Antike
- 1.3.1 Häufigkeit der Kindesaussetzung
- 1.3.2 Die Familie in der Antike als Hintergrund der Kindesaussetzung
- 1.3.3 Motive für eine Kindesaussetzung in der Antike
- 1.3.3.1 Wirtschaftliche Gründe
- 1.3.3.2 Missbildungen und körperliche Gebrechen
- 1.3.3.3 Das Aussetzen von Mädchen
- 1.3.3.4 Das Aussetzen von Zwillingen
- 1.3.3.5 Illegitime Kinder
- 1.3.3.6 Oblatio puerorum – die Opferung oder Darbietung der Kinder an Gott oder die Götter
- 1.3.4 Die Rechtsform der Kindesaussetzung
- 1.3.5 Kritik an der Aussetzungspraxis in der Antike
- 1.3.5.1 Emotionale und ethische Gründe
- 1.3.5.2 Sorge um den Fortbestand des eigenen Volkes und Furcht vor der Übermacht feindlicher Völker
- 1.3.5.3 Verbot der Kindesaussetzung und -tötung bei den Juden
- 1.3.5.4 Kritik an der Kindesaussetzung im frühen Christentum
- 1.4 Kindesaussetzung im Mittelalter
- 1.4.1 Findelkinder
- 1.4.2 Oblatio puerorum im Mittelalter
- 1.4.3 Verkauf von Kindern
- 1.4.4 Kindesmord
- 1.5 Das Findelwesen zur Zeit der Aufklärung und die Entwicklung bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts am Beispiel des Gebär- und Findelhauses in Wien
- 1.6 Kindereuthanasie zur Zeit des Nationalsozialismus
- 1.7 Kindesaussetzung und Kindestötung heute
- 1.7.1 Die Situation heute in Österreich
- 1.7.2 Kindesaussetzung und Kindestötung weltweit
- 2. Teil
- Einleitung
- 2 Kindesaussetzung in der Mythologie – Aussetzungs- und Ursprungsmythen
- 2.1 Tiere im Aussetzungsmythos
- 2.2 Göttlicher Schutz
- 2.3 Zieheltern
- 2.4 Erkennen der wahren Identität
- 2.5 Erfüllung einer Prophezeiung
- 2.6 Gründe für eine Aussetzung in der Mythologie
- 2.6.1 Aussetzen eines Kindes aus wirtschaftlichen Gründen
- 2.6.2 Aussetzen eines Kindes wegen einer Behinderung (oder unschönem Äußeren)
- 2.6.3 Unerwünschte Mädchen
- 2.6.4 Mythische Zwillinge, die ausgesetzt werden
- 2.6.5 Aussetzen eines Kindes nach einer Weissagung und die Angst vor gefährlichem Nachwuchs
- 2.6.6 „Illegitime“ Schwangerschaften
- 2.6.6.1 Aussetzen eines Kindes durch den Vater der Kindesmutter
- 2.6.6.2 Aussetzen des Neugeborenen durch die Kindessmutter
- 2.6.7 Aussetzung aus Furcht vor der Rache Heras
- 2.6.8 Aussetzung ohne klar ersichtlichem Motiv
- 2.6.9 Historische Personen
- 3. Teil
- Zusammenfassung und Resümee
- 3.1 Die Wahrheit
- 3.2 Der Aussetzungsmythos
- 3.2.1 Eine Aussetzung zu überleben macht stark
- 3.2.2 Tiere im Aussetzungsmythos
- 3.2.3 Vonehme Abkunft
- 3.2.4 Die Auffindung der Kinder – Die Rolle der Hirten und Fischer
- 3.3 Spuren bis in unsere Zeit
- 3.3.1 Redewendungen
- 3.3.2 Sagen
- 3.3.3 Märchen
- 3.4 Schlussworte
- Zusammenfassung und Resümee
- Literaturliste
Zielsetzung und Themenschwerpunkte (Objectives and Key Themes)
Diese Diplomarbeit befasst sich mit dem Phänomen der Kindesaussetzung. Sie beleuchtet die historischen Hintergründe und Motive, die zur Aussetzung von Kindern führten, und untersucht, wie sich diese Praxis im Laufe der Zeit entwickelt hat. Der Schwerpunkt liegt auf der Verknüpfung von realen Aussetzungsgeschichten mit entsprechenden Mythen der griechischen und römischen Antike.
- Die Ursachen und Motive für Kindesaussetzung in verschiedenen Epochen der Menschheitsgeschichte
- Die Rolle von gesellschaftlichen Strukturen und Normen bei der Aussetzungspraxis
- Die Bedeutung des Aussetzungsmythos in der griechischen und römischen Mythologie
- Die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen realen Aussetzungsgeschichten und mythologischen Erzählungen
- Die Spuren des Aussetzungsmythos in der heutigen Zeit
Zusammenfassung der Kapitel (Chapter Summaries)
Der erste Teil der Arbeit beleuchtet die Geschichte der Kindesaussetzung von der Urzeit bis in die Gegenwart. Es werden die Gründe für Aussetzungen in den verschiedenen Epochen untersucht, wie etwa Armut, Hunger, Krankheit, Missbildungen oder uneheliche Kinder. Besonderes Augenmerk wird auf die antike Familie und die Rechtslage bezüglich der Kindesaussetzung gelegt. Auch die Kritik an der Aussetzungspraxis durch das frühe Christentum und die Entwicklung des Findelwesens im Mittelalter und der Neuzeit werden behandelt.
Im zweiten Teil widmet sich die Arbeit dem Thema Kindesaussetzung in der Mythologie. Anhand verschiedener Beispiele aus der griechischen und römischen Mythologie werden die Motive für die Aussetzung von Götter-, Heroen- und Königskindern analysiert. Die Analyse fokussiert auf die Rolle von Weissagungen, göttlicher Abstammung, Tieren als Nährmüttern und den wiederkehrenden Motiven von Errettung, Auffindung und Erfüllung der Prophezeiung. Die wichtigsten Aussetzungsmythen werden detailliert dargestellt, wobei die ikonografischen Aspekte und bildlichen Darstellungen in der antiken Kunst Berücksichtigung finden.
Der dritte Teil fasst die Ergebnisse beider Teile zusammen und reflektiert die Bedeutung des Aussetzungsmythos in der Menschheitsgeschichte. Es werden die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen den realen Aussetzungsgeschichten und den mythologischen Erzählungen herausgearbeitet. Abschließend werden Spuren des Aussetzungsmythos in der heutigen Zeit, in Redewendungen, Sagen und Märchen, betrachtet.
Schlüsselwörter (Keywords)
Die Arbeit befasst sich mit Kindesaussetzung, Kindestötung, Antike, Mythologie, Aussetzungsmythos, Ursprungsmythos, Religion, Familie, Gesellschaft, Kultur, Geschichte, Ethik, Ikonographie, Kunst, Literatur, Sagen, Märchen.
- Arbeit zitieren
- Mag. phil. Dr. med. univ. Ulrike Schöps (Autor:in), 2010, Kindesaussetzung - Wahrheit und Mythos, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/170105