Boulevardjournalismus in der Sportberichterstattung?

Die Spielberichterstattung von Werder Bremen in der Fußball-Bundesliga-Saison 2007/2008. Ein inhaltsanalytischer Vergleich der Spielberichte ausgewählter Medien


Diplomarbeit, 2009

126 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

I Theoretischer Diskurs: Boulevardjournalismus in der Sportberichterstattung - der Spielbericht im Fokus. Einordnung, Bedingungen, Boulevardaspekte.

1. Einleitung

2. Boulevardjournalismus auf dem Vormarsch: Sportberichterstattung im Wandel
2.1 Definition Boulevardjournalismus
2.2 Veränderte Bedingungen für den Sportjournalismus
2.3 Die Rolle des Sportjournalisten im Wandel
2.4 Die Konstante: Ethik in der Sportberichterstattung

3. Der Spielbericht im Fokus: Charakteristika und Abgrenzungen
3.1 Historische Einordnung
3.2 Der Bericht als journalistische Darstellungsform
3.3 Besondere Merkmale des Spielberichts

4. Emotionalisierung der Spielberichterstattung als Indiz für Boulevardjournalismus
4.1 Sensationalisierung
4.2 Personalisierung
4.3 Visualisierung

5. Themensetzung in der Spielberichterstattung
5.1 Gate-Keeper-Prozesse
5.2 Einfluss der Nachrichtenfaktoren
5.3 Agenda Setting

6. Zwischenfazit: Zusammenfassung des Theorieteils

II Inhaltsanalyse: Vergleich der Boulevardaspekte in der Spielberichterstattung von Werder Bremen in der Fußball-Bundesliga-Saison 2007/2008 in den Medien „Bild“, „Süddeutsche Zeitung“, „ Weser-Kurier“ und „ Werder.de“

7. Theoretische Einordnung der Untersuchungsobjekte
7.1 Die „Bild“
7.2 Die „Süddeutsche Zeitung“
7.3 Der „Weser-Kurier“
7.4 „Werder.de“

8. Methodik der Inhaltsanalyse
8.1 Inhaltsanalyse als empirsche Methode
8.2 Validität und Reliabilität

9. Operationalisierung, Design, Datengrundlage

10. Forschungsfragen und Hypothesenbildung

11. Ergebnisse
11.1 Sprachliche Ebene
11.2 Inhaltliche Ebene
11.3 Optische Ebene
11.4 Boulevardjournalismus auf drei Ebenen

12. Zusammenfassung der Ergebnisse
12.1 Forschungsfragen im Fokus
12.2 Fazit

III Anhang mit Literaturverzeichnis

Literaturverzeichnis

Tabellenübersicht - alle im Fließtext verwendeten Tabellen

Codebuch mit Codieranweisungen und Beispielen

Grad des Boulevardstils - Berechnung und Einzelbetrachtung

Intra-Coder-Reliabilität - Analyse

Codierbogen

I Theoretischer Diskurs: Boulevardjournalismus in der

Sportberichterstattung - der Spielbericht im Fokus. Einordnung, Bedingungen, Boulevardaspekte.

1. Einleitung

Im Jahr 1986 feierte die Sportberichterstattung in Deutschland ihren 100. Geburtstag[1], doch statt mit Glückwünschen begegnete die Wissenschaft dem Sportjournalismus mit zum Teil heftiger Kritik[2], die bis heute anhält. Die Berichterstattung im Sport sei emotional aufgeladen, superlativistisch überbewertet, stereotypisch und neige zur Starkultivierung, um nur eine kleine Auswahl der Kritikpunkte am Sportjournalismus zu nennen.[3]Die Beanstandungen lassen sich dabei unter einem übergeordneten Vorwurf zusammenfassen: Die Sportberichterstattung (TV, Hörfunk, Print, Internet) weise regelmäßig Kennzeichen des Boulevardjournalismus[4]auf. Josef Hackforth, Leiter des Lehrstuhls Sport, Medien und Kommunikation an der technischen Universität München, stellte 2000 in seinen zehn Thesen zur Sportberichterstattung im dritten Jahrtausend die Behauptung auf, „die Boulevardisierung der Sportberichterstattung wird weiter zunehmen.“[5]. Die Aussage impliziert, dass es bereits einen Trend gebe, wonach die Sportberichterstattung sich dem Boulevardjournalismus annähre, beziehungsweise bereits angenähert habe. Die in der Literatur vorzufindenden Ausführungen zum (zunehmenden) Boulevardjournalismus in der Sportberichterstattung weckten das Interesse des Autors dieser Arbeit, die sich im weiteren Verlauf mit dem folgenden Thema auseinandersetzt:

Boulevardjournalismus in der Sportberichterstattung? - Die Spielberichterstattung von Werder Bremen in der Fußball-Bundesliga-Saison 2007/2008. Ein inhaltsanalytischer Vergleich der Spielberichte ausgewählter Medien.

Das Forschungsinteresse besteht darin, die Spielberichte[6] der Punktspiele von Werder Bremen in der Bundesliga-Saison 2007/2008 in ausgewählten Medien auf Boulevardaspekte hin zu untersuchen und miteinander zu vergleichen. Dies scheint insofern interessant, da die Spielberichte als Basis der Fußball-Berichterstattung verstanden werden dürfen, schließlich ist es deren Funktion, den Rezipienten über die wichtigsten Ereignisse eines Fußballspiels objektiv und sachlich zu informieren (vgl. Kapitel 3). Der Spielbericht beinhaltet also die essentiellen Informationen zum Spielgeschehen, um dessen Gerüst die Masse der fortführenden Geschichten zum Fußballalltag gestrickt werden. Es stellt sich die Frage, ob sogar die Spielberichte - als Informationsbasis für den Fußballjournalismus - Kennzeichen aufweisen, die für einen Boulevardjournalismus sprechen.

Eine umfassende Medienanalyse wird in dieser Arbeit nicht durchgeführt. Die vorliegenden Ausführungen beschränken sich auf Spielberichte (Sportberichterstattung) aus dem Print- und Onlinejournalismus, demzufolge auf Erzeugnisse in Wort und Schrift. Des Weiteren befasst sich die Analyse mit den Spielberichten ausgewählter Presseprodukte und es wurden keine Vergleichszeiträume erhoben. Die Auswahl der Medien beinhaltet eine Boulevardzeitung, eine überregionale Tageszeitung, eine regionale Tageszeitung sowie die Homepage des Fußball-Bundesligavereins Werder Bremen. In diesen Medien werden die Spielberichte auf Boulevardaspekte untersucht. Die Entscheidung, Werder-Spielberichte zu untersuchen, begründet sich mit dem großen Medieninteresse an dem Bremer Fußballverein. Die Spiele von Werder Bremen, als einer der Topklubs in der Bundesliga, finden auch überregional große Beachtung in der Presse und bieten sich somit für diese Forschung an.

Obwohl der Boulevardjournalismus in der Sportberichterstattung in der wissenschaftlichen Literatur zunehmend thematisiert wird, existieren kaum Forschungen zu diesem Themenkomplex. Einige Arbeiten beschäftigen sich mit der Boulevardi- sierung des Sports in der TV-Berichterstattung. Arbeiten, die sich mit Boulevardjournalismus in der Sportberichterstattung auseinandersetzen und sich auf den Print - respektive Onlinejournalismus beziehen sind dagegen rar. Grundsätzlich lässt sich festhalten: „Bisher gibt es noch kaum Analysen über den Wandel der Sportbericht- erstattung in der Presse.“[7] Dennoch lassen sich Arbeiten finden, die sich mit Boulevardaspekten in der Print-Sportberichterstattung und sogar explizit mit dem Fußballsport befassen. Exemplarisch werden hier die Werke von Christian Koziara „Alles 'schwarz, rot geil'- oder was?“[8] und von Herdin Wipper „Sportpresse unter Druck. Die Entwicklung der Fußballberichterstattung in bundesdeutschen Print- medien“[9] angeführt. Koziara untersucht in seiner Arbeit die Berichterstattung zur Fußball-Weltmeisterschaft 2006 in der „Bild“ und in der „Süddeutschen Zeitung“ auf Boulevardaspekte, Wipper vergleicht die Berichterstattung der Fußball-Weltmeisterschaften von 1990 und 1998 in ausgewählten Printmedien miteinander. Beide Autoren konnten (zunehmende) Boulevardaspekte in der Fußballberichterstattung nachweisen. Forschungen, die Boulevardjournalismus explizit in Spielberichten der Partien eines Bundesligisten zum Untersuchungsgegenstand haben, sind dem Autor nicht bekannt. Demnach ist es sinnvoll, diesem noch unerforschten Themengebiet Beachtung zu schenken.

In dieser Arbeit werden die Werder-Spielberichte der Bundesliga-Saison 2007/2008 in jeweils einer Boulevardzeitung („Bild“), einer überregionalen Tageszeitung („Süddeutsche Zeitung“), einer regionalen Tageszeitung („Weser-Kurier“) und auf der offiziellen, vereinseigenen Homepage von Werder Bremen („Werder.de“) mit der Methodik der quantitativen Inhaltsanalyse im Hinblick auf folgende Forschungsleitfragen untersucht und miteinander verglichen.

Wie berichten die Boulevardzeitung „Bild“, die überregionale Tageszeitung „Süddeutsche Zeitung die regionale Tageszeitung „ Weser-Kurier “ und die vereinseigene Website „Werder.de“ von den Bundesliga-Spielen mit Beteiligung von Werder Bremen?

Präziser: Sind in den Spielberichten der Bundesliga-Partien von Werder Bremen in den untersuchten Medien Aspekte/Indizien vorzufinden, die Boulevardjournalismus in der Spielberichterstattung nachweisen?/Welche Boulevardaspekte treten in Erscheinung?

Wie unterscheiden sich die Spielberichte der untersuchten Medien bezüglich des Boulevardjournalismus voneinander? Welche Gemeinsamkeiten bestehen?

Mit der quantitativen Datenerhebung sollen Rückschlüsse auf die formale, optische, sprachliche, thematische und inhaltliche Aufbereitung der Spielberichte gezogen und Vergleiche angestellt werden. Die nachstehenden Thesen lassen sich aus dem Forschungsinteresse ableiten:

In den Spielberichten aller untersuchten Medien sind Boulevardaspekte auszumachen.

Die Spielberichte der „Bild“ weisen, dem journalistischen Selbstverständnis einer Boulevardzeitung entsprechend, im Vergleich die meisten Boulevardaspekte auf, aber auch die Spielberichte der „Süddeutschen Zeitung“, des „ Weser-Kuriers“ und von „ Werder.de“ beinhalten Boulevardaspekte.

Die Spielberichte in allen untersuchten Medien entsprechen nicht der Funktion des prototypischen Berichts, über Geschehnisse sachlich und objektiv zu informieren.

Selbst in den hauseigenen Spielberichten von Werder Bremen auf der offiziellen Homepage „ Werder.de“ sind auffällig viele Boulevardaspekte vorzufinden und der Verein trägt somit, aufgrund seiner Servicefunktion für die Medien, zum Boulevardjournalismus in der Spielberichterstattung der Tagespresse bei.

Die vorliegende Arbeit beinhaltet einen Theorie- und einen Analyseteil. Im ersten Abschnitt wird zunächst der Wandel des Sportjournalismus hin zu einer boulevar- desken Berichterstattung beschrieben und Ursachen, Charakteristika und Folgen des Boulevardjournalismus in der Sportberichterstattung aufgezeigt, bevor der Spielbericht, welcher im Fokus der Untersuchung steht, genauer beleuchtet wird. Im Anschluss werden Indizien/Merkmale vorgestellt, anhand derer sich Boulevardaspekte in der Spielberichterstattung festmachen lassen, ehe die Themensetzung, welche Boulevardjournalismus in einem Spielbericht gleichermaßen bedingen kann, beschrieben wird. Der zweite Teil der Arbeit widmet sich der Analyse der

Spielberichte. Den Forschungsfragen und Thesen entsprechend werden die Ergebnisse der Untersuchung erarbeitet und dargestellt.

Die Berichterstattung im Fußballsport weist keine gravierenden Unterschiede zur allgemeinen Sportberichterstattung auf. Demnach gelten die theoretischen Ansätze in der Literatur, die sich vornehmlich mit dem Boulevardjournalismus in der Sport- und eher selten explizit mit der Fußballberichterstattung auseinandersetzen auch für den letzteren Themenkomplex. Soll heißen: Im Theorieteil dieser Arbeit behandeln die Ausführungen oftmals die allgemeine Sportberichterstattung, obwohl ausschließlich der Fußballsport im Fokus der Inhaltsanalyse steht. Diese allgemeinen Ausführungen können aber aus genannten Gründen zweifelsohne auch auf die Fußballberichterstattung bezogen und für diese geltend gemacht werden. Gleiches gilt für den Spielbericht. Spielberichte lassen sich im Sportjournalismus zu verschiedenen Sportarten verfassen, dennoch gibt es keine wesentlichen charakteristischen Unterschiede. Die Ausführungen zum Spielbericht beziehen sich in dieser Arbeit ausschließlich auf Fußball-Spielberichte.

2. Boulevardjournalismus auf dem Vormarsch: Sportberichterstattung im Wandel

Wer sich wissenschaftlich mit der Sportberichterstattung auseinandersetzt, wird feststellen müssen, dass diese in der Literatur zumeist kritisch betrachtet wird. Allen voran der Wandel von einer informationsbasierten hin zu einer emotionalisierten, unterhaltungsorientierten Berichterstattung steht im Fokus der Kritik. Sport werde zunehmend zu einem Unterhaltungsangebot, die Informationsfunktion rücke in den Hintergrund. Zudem wird beanstandet, dass es sich bei Mediensport um selektierten Spitzensport handle, der häufig ereigniszentriert und dramatisiert präsentiert werde. Sport sei eine Show, die Sportler seien Showstars. Der Mediensport werde dabei von Männern dominiert, die einen nationalen Bezug aufweisen.[10]Die Hintergrundberichterstattung werde vernachlässigt und die Journalisten würden sich vermehrt einer emotionalen Sprache bedienen, vermehrt auf visuelle Reize setzen und die notwendige Distanz zum sportlichen Geschehen vermissen lassen. Fakten und Meinung würden sich vermischen. Der Mediensport sei insgesamt selektiert und inszeniert, er verzerre die Realität.[11]Damit einhergehend stellt sich die Frage, inwiefern die Sportberichterstattung ihrer primären Funktion, der Informationsvermittlung, noch Rechnung trägt. „Kritisiert wird in vielen Fällen die Qualität der Sportberichterstattung, und die ihr zugedachte aber offensichtlich nicht erfüllte Aufgabe, [...] umfassend , wahrhaftig und hintergründig reportierend und analysierend über den Sport zu informieren.“[12]

Trends, die dem Vorbild des Boulevardjournalismus entsprechen. Es ist eine Entwicklung auszumachen, dass die Sportberichterstattung in allen Medien zunehmend boulevardisiert wird. Auch in Printmedien findet eine Boulevardisierung[13]Eingang. Vor allem die Personalisierung, die Orientierung an Stars hat merklich zugenommen. Sport wird zunehmend als Unterhaltungsware verstanden, das mit Emotionen aufgeladene Produkt wird für den Rezipienten interessant aufbereitet. Der Sport wird als populäres Angebot mit dramatischen Schlagzeilen angepriesen. Oft wird dabei die Verpackung wichtiger genommen als der Inhalt, oberflächliche Berichterstattung ist die Folge.[14]Hintergrund und Analyse sind weit weniger präsent als „Entertainisierung von Ereignissen“ und „bunte Geschichten“.[15]Festzuhalten bleibt: „Inhalt und Form der Sportberichterstattung - auch die der sogenannten seriösen Presse sind stark am Boulevard-Vorbild orientiert.“[16]

Bevor nun der Wandel der Sportberichterstattung hin zum Boulevardjournalismus detailliert beschrieben wird, beziehungsweise aufgezeigt wird, welche Faktoren den Wandel der Sportberichterstattung hin zu einer, am Boulevardjournalismus orientierten, Sportberichterstattung bedingen, soll Boulevardjournalismus zunächst definiert werden.

2.1 Definition Boulevardjournalismus

„Zur Boulevardpresse, Klatschpresse (englisch: "yellow press”) gehören regelmäßig erscheinende Zeitungen und Zeitschriften, die vorwiegend auf der Straße ("Boulevard") verkauft werden, also nicht im Abonnement vertrieben werden. Diese zeichnen sich durch eine betont sensationelle Aufmachung, große Überschriften, großflächige Fotos, auffällige Farben und plakative Schlagzeilen aus, welche sowohl die Aufmerksamkeit des Lesers sichern und somit zum Kauf anregen sollen. Sie wollen den Leser durch schockierende Stories ansprechen und bedienen sich häufig einer einfachen und sehr direkten Ausdrucksweise, in der nicht selten Elemente der Umgangs- und Vulgärsprache wiederzufinden sind. Aufmachung und Sprache wollen Neugier, Sensationshunger und Nervenkitzel bei den Lesern wecken und befriedigen, um diese so immer wieder zum Kauf der Zeitschrift/Zeitung anzuregen.“[17]So wird Boulevardjournalismus im Online-Lexikon „Calsky“ definiert. In der wissenschaftlichen Literatur wird Boulevardjournalismus zudem eng mit den Begriffen Boulevar- disierung und Tabloidization verbunden, welche den Prozess der Zunahme von Boulevardelementen respektive die Annährung der seriösen Presse an die Boulevardpresse beschreiben.

Laut Hoffmann sind Sensationalismus, Personalisierung, Negativismus und Emotionalität wesentliche Merkmale des Boulevardjournalismus. Des Weiteren tritt neben die Informationsfunktion die Unterhaltungs- und Servicefunktion. Sogenannte Soft News, Neuigkeiten mit unterhaltendem Wert, sind oft Gegenstand des Boulevardjournalismus. Informationen werden „bunt“ aufbereitet, Information und Unterhaltung vermischen sich zu Infotainment (engl. Information und Entertainment).[18]

Koziara betont, dass im Boulevardjournalismus keine deutliche Trennung von Fakten und Meinung erkennbar ist und dieser auf drei Ebenen, der inhaltlichen, sprachlichen und optischen Ebene, präsent sein kann. Inhaltliche Elemente des Boulevardjournalismus sind die Bevorzugung von Human-Interest-Themen[19], die Personali- sierung (Fokussierung auf Themen, die einzelne (prominente) Personen und deren Handlungen zum Gegenstand haben), das Publizieren von unterhaltenden Begebenheiten, die oberflächliche, unzulängliche Hintergrundberichterstattung, die (ungeprüfte) Übernahme von Agenturmeldungen sowie die Einbeziehung des persönlichen Standpunktes des Journalisten beziehungsweise des Standpunktes des publizierenden Mediums. Inhaltlicher Boulevardjournalismus existiert ebenso, wenn Geschehnisse dramatisiert, übertrieben und/oder unverhältnismäßig sensationell aufbereitet werden. Sprachlicher Boulevardjournalismus ist durch die Verwendung einer emotionalen, einfachen, lockereren und volksnahen Ausdrucksweise gekennzeichnet, die sich Stilmitteln wie Zynismus, Ironie, Satire und Sarkasmus bedient. Auf der optischen Ebene besticht Boulevardjournalismus mit einer plakativen Aufmachung. So werden große Bilder möglichst zahlreich und auffällig in der Berichterstattung platziert, die emotional aufgeladene Momente festhalten. Auffällige Überschriften sind die Regel, Boulevardjournalismus setzt auf visuelle Reize.[20]

Den vorangegangenen Ausführungen ist gemein, dass Boulevardjournalismus vornehmlich durch Emotionalisierung, Personalisierung, Sensationsmache und Visualisierung gekennzeichnet ist. Diese Faktoren werden in Kapitel 4 dieser Arbeit ausführlich beleuchtet. Festzuhalten bleibt aber auch, dass die Grenzen zwischen seriösem Journalismus und Boulevardjournalismus fließender geworden sind und eine trennscharfe Unterscheidung schwierig ist. Erich Laaser, Präsident des Verbandes deutscher Sportjournalisten (VDS) stellt dazu fest: „Die Trennung zwischen Boulevardjournalismus und seriösem Journalismus, die es früher viel deutlicher gab, ist heute in der Form nicht mehr vorhanden. Die Grenzen sind fließender geworden, weil auch die sogenannten seriösen Tageszeitungen gemerkt haben, dass ihre Leserschaft sich durchaus für das Privatleben eines Fußballers interessiert, [...]. Das wollen auch die sogenannten seriösen Leser wissen. Das heißt, es wird immer schwieriger für den Sportjournalisten, seinen Platz zu finden und die Abgrenzung zu finden zwischen seriösem Sportjournalismus und Boulevardjournalismus.“[21]

Inwiefern diese Abgrenzung in der Spielberichterstattung vorhanden ist, wird im Analyseteil dieser Arbeit noch zu klären sein. Zuvor gilt es herauszustellen, welche Veränderungen im Sportjournalismus, neben dem von Laaser formulierten wachsenden Interesse der Rezipienten an Human-Interest-Inhalten, den Wandel hin zu einer boulevardesken Berichterstattung forcieren.

2.2 Veränderte Bedingungen für den Sportjournalismus

Sport erfreut sich nach wie vor zunehmender Beliebtheit. Nicht zuletzt die umfangreicher gewordene Freizeit in der Bevölkerung trägt dazu bei, dass das Interesse am Sport in den vergangenen Jahren stetig gewachsen ist. Sportvereine verzeichnen zunehmende Mitgliederzahlen, kommerzielle Sportanlagen werden vermehrt installiert und finden regen Zuspruch. Sportliche Aktivitäten haben sich im gesellschaftlichen Leben etabliert. Diesem Trend können sich auch die Medien nicht entziehen. Im Zuge der wachsenden Bedeutung des Sports ist eine gestiegene Widerspiegelung des Sports in den Medien zu verzeichnen.[22]

Sport kommt beim Publikum gut an und insofern ist es wenig verwunderlich, dass die Medien auf das Interesse an Sportberichterstattung reagieren. Neben der TV-Be- richterstattung, die weiterhin expandiert, neue Formate konzipiert und die Sendezeit ausweitet, hat sich auch die Sportberichterstattung in Tageszeitungen als „Leistungsträger“ etabliert. „Für die Bundesrepublik gilt, dass Intensivnutzer von Sportinformationen sich vor allem über das Fernsehen informieren, dass hiervon 60 % sich ebenfalls intensiv über den Sport in Tageszeitungen und 40 % im Rundfunk auf dem Laufenden halten.“[23]Der Sportteil macht in einer Tageszeitung bis zu 20 % aus, bei der „Bild-Zeitung“ aus gegebenen Anlässen sogar bis zu 38 % - Tendenz steigend. Oft wird der Sportteil vom Leser als erstes aufgeschlagen, knapp 50% aller männlichen Leser konsumieren die Sportseiten. Die Sportberichterstattung der Tageszeitungen hat sich in Boulevardblättern ebenso wie in regionalen und überregionalen Zeitungen quantitativ ständig ausgeweitet.[24]Bereits 1988 stellte Bizer fest, dass der Sport für eine Abonnenten-Zeitung zum Boom-Ressort und für eine Boulevard-Zeitung sogar zum unverzichtbaren Verkaufsargument avanciert ist.[25]Sportereignisse und ihre Widerspiegelung in den Medien sind ein Phänomen, das nicht nur gegenwärtig ein Hoch erlebt. Vielmehr zeichnet sich ein Trend ab, wonach Sportberichterstattung eine wachsende Bedeutung, einen immer größer werdenden Raum im Bewusstsein von immer mehr - vornehmlich männlichen - Medienkonsumenten einnimmt.[26]

Der Fußballsport hat in dieser expandierenden Sportberichterstattung eine besondere Stellung inne. Keiner anderen Sportart wird ähnlich viel mediale Aufmerksamkeit geschenkt wie dem Fußball. Sei es im TV, im Hörfunk, im Internet oder in der gedruckten Tagespresse, Fußballberichterstattung nimmt in der an Bedeutung gewinnenden Mediensportagenda eine vormachtähnliche Position ein.[27]Sport und insbesondere Fußball ist folglich auch wegen seiner Wechselwirkung zwischen den Medien und den Rezipienten zu einem bedeutsamen gesellschaftlichen Ereignis gereift, das aufgrund der zunehmenden Publizität und dem damit einhergehenden Werbepotenzial auch für die Wirtschaft an Bedeutung dazu gewonnen hat.[28]Dabei sind Parallelen in der Entwicklung des Spitzensports und der medialen Aufbereitung des Sports deutlich erkennbar. Das Erreichen verbesserter Leistungen beziehungsweise das Herantasten an absolute Leistungsgrenzen führte zu einer gestiegenen (medialen) Popularität des Sports und der Leistungsträger, zu einer Professio- nalisierung und damit schließlich zu einer Kommerzialisierung.[29]

Die Kommerzialisierung schreitet weiter voran. Sport fungiert als Ware, Sport lässt sich gut verkaufen. Sport und Medien als zwei Subsysteme mit einem überdurchschnittlich gewachsenen Kommerzialisierungsgrad instrumentalisieren sich dabei gegenseitig zu einem beiderseitigen ökonomischen Nutzen. Von dieser engen Verbindung profitieren beide Systeme im Idealfall im gleichen Ausmaß. Dies gilt im Besonderen für die Symbiose von Sport und Fernsehen, da die Möglichkeit der direkten oder zeitversetzten Wiedergabe des sportlichen Geschehens besteht und damit der Verkauf und Handel von Übertragungsrechten einhergeht.[30]Der Pay-TV-Sender „Premiere“ zahlt aktuell für die Live-Übertragungsrechte der Fußball-Bundesliga etwa 220 Millionen Euro pro Saison an die Deutsche Fußball Liga (DFL).[31]

Der Nutzen der Wechselbeziehung liegt für die Medien auf der Hand. Sportübertragungen erzielen überdurchschnittlich hohe Reichweiten, Sport wird gerne und viel rezipiert (s.o.). Dadurch lassen sich die Werbeerträge des Anbieters steigern, der Anbieter selbst steigert seine Attraktivität im Werbemarkt und gegenüber den Konsumenten. Im Pay-TV-Bereich fungiert der Sport als wichtigstes Argument für ein Abonnement. Die Sportveranstalter auf der anderen Seite erhöhen durch den Verkauf der Übertragungsrechte ihre Erträge, die Sportveranstaltungen werden wirksam vermarktet und die Vertragsabschlüsse gewähren eine gewisse Planungssicherheit im Vorfeld.[32]

Im Zuge der zunehmenden Kommerzialisierung des Sports und der ungebrochenen Nachfrage nach Sportberichterstattung erweitern die Medien ihr Programmangebot stetig. Insbesondere das Fernsehen, das - wie bereits erwähnt - hohe Summen für die Verwertungsrechte bezahlt, „schlachtet“ das eingekaufte Material aus. Analysen, Vorschauen, Rückblicke, Prognosen, Porträts, etc.: Das TV-Angebot bietet Sport in Hülle und Fülle, deckt jegliche Art der Berichterstattung ab.[33]Die mediale Konkurrenz passt sich dem Wachstum an. Rundfunk, Presse und Internetpublikationen weiten ihr Angebot ebenfalls aus. Insbesondere die schreibende Zunft sieht sich dabei mit dem Nachteil konfrontiert, dass sie nicht in Bild und Ton berichten können. Die Möglichkeit, eine alte Geschichte neu zusammenzuschneiden und dem Publikum als frischen Input zu präsentieren, besteht für die Berichterstattung in Wort und Schrift so nicht. „Das Handicap der Presse bleibt das Papier, auf dem sie gedruckt werden.“[34]Dennoch müssen die zusätzlichen Seiten gefüllt werden - „bunte“, großflächig aufgemachte Texte mit boulevardjournalistischem Inhalt stellen dabei einen möglichen Ausweg dar.

Hinzu kommt, dass die TV-Sportberichterstattung im Kampf um Quoten vermehrt auf Attraktivität durch unterhaltende Elemente setzt. Sport wird mehr und mehr medial inszeniert. Die Berichterstattung wird weit über das eigentliche sportliche Geschehen hinaus ausgedehnt, es wird ein möglichst unterhaltsames, Emotionen auslösendes Rahmenprogramm aufgeboten. Die Mischung aus Information und Un- terhaltung (Infotainment) findet Zuspruch beim Rezipienten, denn der will in aller Regel beim Konsum von Sport unterhalten werden.[35]

Die schreibende Journaille passt sich dem Unterhaltungstrend an. Auch Zeitungen und Internetseiten stehen in Konkurrenz zu anderen Sportberichterstattern, auch sie wollen Anzeigen beziehungsweise Werbefläche verkaufen und den Leser bei der Stange halten. Nicht selten ist der Leser aber bereits bestens in Bild und Ton über das Sportereignis informiert worden. Das schließt die Verwertung in Wort und Schrift zwar nicht aus, doch die schreibende Presse muss beim Rezipienten das Interesse wecken, das Geschriebene mit dem Gesehenen zu vergleichen, die Ereignisse Revue passieren zu lassen und sich hintergründig zu informieren. „Kaum eine andere Programmsparte eignet sich so gut wie Sport, um den Printmedien Raum zur Komplementierung zu belassen. Die Rundfunkrezeption befriedigt noch nicht die Neugier der Zeitungs- und Zeitschriftenleser, sondern weckt und verstärkt sie und belässt den Printmedien Wirkungschancen, wenn sie sich auf diese Ergänzungsfunktion ein- stellen.“[36]Dennoch wird vor allem der Sportpresse immer wieder nachgesagt, dass sie ihre Komplementärfunktion gegenüber dem Fernsehen nicht optimal umsetze, da sie vor allem der Hintergrundberichterstattung zu wenig Beachtung schenke.[37]Nicht auszuschließen ist allerdings, dass die schreibenden Sportjournalisten Hintergrundberichterstattung unterschiedlich verstehen. So können beispielsweise auch Geschichten aus dem Privatleben der Sportler als Hintergrundberichterstattung verstanden werden. Zudem können die Journalisten ihre Komplementärfunktion dahingehend auffassen, den Rezipienten über das TV-Sportangebot hinaus, zu unterhalten, also ebenfalls Infotainment zu betreiben.

Festzuhalten bleibt, dass die Medien auf das gestiegene Interesse an Sportberichterstattung reagieren und ihr Angebot ausweiten. Im Zuge der Kommerzialisierung hat sich Sport als ein Produkt etabliert, das von den Konsumenten gut angenommen wird. Diese wollen informiert und unterhalten werden, die Sportberichterstattung des Fernsehens befriedigt diese Bedürfnisse nahezu umfassend. Aufgrund der großen medialen Präsenz und Konkurrenz in der Sportberichterstattung im Allgemeinen und der Vormachtstellung des TVs im Besonderen muss sich die schreibende Presse eine neue Nische suchen, um ihrerseits das Produkt Sport für die Konsumenten weiterhin interessant zu gestalten. Statt einer tiefgründigeren Berichterstattung als Kaufanreiz hat offensichtlich vielmehr die Verpackung des Inhalts an Bedeutung dazu gewonnen, schließlich ist im Sportjournalismus der Wandel hin zu einer vom Boulevardjournalismus geprägten Berichterstattung auszumachen.

Nachdem aufgezeigt wurde, welche Veränderungen im Sportjournalismus den Wandel hin zu einer am Boulevardjournalismus orientierten Berichterstattung bedingen, soll im Folgenden dargestellt werden, wie sich die Rolle des Sportjournalisten verändert hat und inwiefern dieser Rollenwandel zum Boulevardjournalismus in der Sportberichterstattung beiträgt.

2.3 Die Rolle des Sportjournalisten im Wandel

Im Zuge der gewachsenen Bedeutung der Sportberichterstattung hat auch die Wertschätzung gegenüber den Sportjournalisten merklich zugenommen. Waren sie in den 70er Jahren noch die „Außenseiter der Redaktion“, von Kollegen aus großen Ressorts wie Wirtschaft und Politik belächelt, sind sie heute als professionelle Fachmänner für Sport mehr akzeptiert denn je.[38]Die redaktionsinterne Aufwertung in Kombination mit einer höheren sozialen Anerkennung, mit der Verbesserung der ökonomischen Situation und mit der zunehmenden Professionalisierung/Spezialisierung (Hochschulstudium, Volontariat etc.) hat zu einem größeren Selbstbewusstsein der Sportjournalisten geführt.[39]

Neben dem Selbstbewusstsein hat sich auch das Rollenverständnis der Sportjournalisten geändert. Die Berichterstatter sehen sich vermehrt in der Pflicht, die Rezipienten zu unterhalten, also in die Rolle des Infotainers zu schlüpfen (siehe 2.2). Zwar geben die Journalisten an, dass die sachliche Informationsvermittlung Priorität habe, jedoch räumen insbesondere junge Sportjournalisten der Unterhaltungsfunktion einen gewachsenen Stellenwert in der Berichterstattung ein.[40]Die Gründe für den Unterhaltungstrend wurden bereits in Kapitel 2.2 ausführlich beschrieben, an dieser Stelle sei aber noch einmal betont, dass die Sportjournalisten selbst, gemäß ihres „neuen“ Selbstverständnisses, diesen Trend zusätzlich bestärken.

Des Weiteren ist anzumerken, dass den Sportjournalisten nicht die kritische Distanz zum sportlichen Geschehen fehlen sollte.[41]Aber gerade bei Berichterstattern, die aufgrund ihrer verstärkten Spezialisierung möglicherweise nunmehr fast ausschließlich über einen Sport oder sogar nur einen Verein berichten, besteht zunehmend die Gefahr, dass sie sich emotional stark an den Gegenstand ihrer Berichterstattung binden, zumal „die Kameraderie des Sports leicht auch auf die Sportjournalisten über- greift.“[42]Diese Emotionen können sich dann auch im journalistischen Output widerspiegeln, was wiederum den Wandel hin zu einer am Boulevardjournalismus orientierten Berichterstattung bedingen kann.

Schließlich bleibt zu erwähnen, dass die Sportjournalisten als Gatekeeper (englisch für Schleusenwärter; den Gatekeeper-Prozessen wird in Kapitel 5.1 ausführlich Beachtung geschenkt) fungieren. Das heißt sie wählen aus, welche Ereignisse/Geschichten/Themen den Weg in die Berichterstattung finden und welche nicht. „Die Funktion des Journalisten als Gatekeeper ist unumstritten. Dieses setzt einen verantwortungsvollen Umgang mit der Wahrheit voraus und zieht eine Hierar- chisierung von Ereignissen nach sich.“[43]Aufgrund des Wachstums der Sportberichterstattung (s.o.) und der zunehmenden Flut an Informationen wird der Sportjournalist dabei immer mehr vor eine schwierige Aufgabe gestellt. Er muss aus der Vielfalt an Informationen eine Selektion treffen, nicht selten erhalten dabei brisante und „bunte“ Geschichten den Vorzug vor sachlichen Informationen.

Nachdem aufgezeigt wurde, inwiefern Veränderungen im Sportjournalismus sowie der Rollenwandel des Sportjournalisten zum Boulevardjournalismus in der Sportberichterstattung beitragen, werden nun grundsätzliche Verhaltensregeln im Sportjournalismus (Ethik im Sportjournalismus) aufgeführt, um darzustellen inwieweit Boulevardjournalismus von diesen Verhaltensregeln und damit von einer „sauberen“ Berichterstattung abweicht.

2.4 Die Konstante: Ethik in der Sportberichterstattung

Im Artikel 5 des Grundgesetztes ist die Meinungsfreiheit als Grundrecht fest verankert.[44]Dennoch dürfen Journalisten nicht willkürlich publizieren. Es gibt ethische Normen und Grundsätze, an die sich Journalisten generell zu halten haben, da bilden auch die Sportjournalisten keine Ausnahme. Nicht zuletzt weil diese allgemeingültigen Grundsätze oft mit dem Boulevardjournalismus kollidieren, steht letzterer in der Kritik.

„Nicht alles, was von Rechts wegen zulässig wäre, ist auch ethisch vertretbar. Deshalb hat der Presserat die Publizistischen Grundsätze, den sogenannten Pressekodex, aufgestellt. Darin finden sich Regeln für die tägliche Arbeit der Journalisten, die die Wahrung der journalistischen Berufsethik sicherstellen.“[45]So zum Beispiel die Achtung vor der Wahrheit und Wahrung der Menschenwürde, gründliche und faire Recherche, klare Trennung von redaktionellem Text und Anzeigen, Achtung von Privatleben und Intimsphäre, Vermeidung unangemessen sensationeller Darstellung von Gewalt und Brutalität, keine Publikation von unbegründeten Behauptungen und Beschuldigen, insbesondere ehrverletzender Natur und eine vorurteilsfreie Berichterstattung. Der gesamte Kodex ist der Homepage des deutschen Presserates zu entnehmen. Die Grundsätze werden dabei ergänzt durch zusätzliche Richtlinien, die aufgrund aktueller Entwicklungen und Ereignisse ständig fortgeschrieben werden. Dennoch darf die Wahrung der journalistischen Berufsethik trotz des oben beschriebenen Wandels in der Sportberichterstattung als allgemeingültige Konstante verstanden werden.

Zudem betonte Claus Eurich, Professor am Institut für Journalistik der Technischen Universität Dortmund, auf der ersten Sportjournalismus-Konferenz in Dortmund, die Hohe Verantwortung der Sportjournalisten, da sie noch stärker als ihre Kollegen aus Politik und Wirtschaft der täglichen Herausforderung gegenüber stünden, Dualitäten zu überbrücken und Konflikte nicht zusätzlich anzuheizen. Der Sportreporter solle sich stets als Zeuge des Ereignisses verstehen und seine eigenen Sehnsüchte und Sympathien kritisch hinterfragen.[46]Die journalistische Praxis liefert dagegen ernüchternde Erkenntnisse: „Anstatt Fakten zu präsentieren, Vorgänge zu recherchieren oder bloß Ereignisse zu transportieren wird spekuliert, hypothetisch formuliert und geheimnisumwittert attestiert. Kurzum: die Trennung von Nachricht und Meinung ist ebenso wenig zu finden wie die Nennung von Ross und Reiter, von Namen und begründbaren Fehlleistungen - alles bleibt anonym, kommt aus gewöhnlich gut unterrichteten Kreisen oder war unlängst zu hören. 'Facts are sacred, comment is free' - dieser klassische Satz [...] wird in der journalistischen Praxis immer seltener befolgt. Und mit der Vermischung der Stilformen beginnt auch das Problem einer fairen Berichterstattung.“[47]Die Ausführungen in dieser Arbeit begründen zusätzlich Zweifel, ob die allgemeingültigen ethischen Grundsätze in der sportjournalistischen Praxis tatsächlich dauerhaft Anwendung finden.

Zuvor wurde Boulevardjournalismus und der Wandel der Sportberichterstattung hin zu diesem beschrieben, im nächsten Kapitel wird der Autor den Spielbericht als Gegenstand dieser Untersuchung ausführlich behandeln um sodann Indizien vorzustellen anhand derer auf Boulevardjournalismus in der Spielberichterstattung geschlossen werden kann

3. Der Spielbericht im Fokus: Charakteristika und Abgrenzungen

Im Fokus der vorliegenden Untersuchung stehen die Spielberichte ausgewählter Medien der Partien mit Beteiligung von Werder Bremen in der Fußball-BundesligaSaison 2007/2008. Spielberichte sind ein wesentlicher Bestandteil der Sportberichterstattung in der Presse, zumal ihnen gerade im Bereich des Fußballsports eine wesentliche Funktion zukommt. Der klassische und prototypische Spielbericht, in der Literatur auch als Nachbericht bezeichnet, ist darauf ausgerichtet, „über den Verlauf und die wichtigsten Szenen eines Fußballspiels nachbetrachtend zu informieren.“ Er „hat die Aufgabe, aus den 90 Minuten eines Fußballspiels die wichtigsten, die spielentscheidenden Ereignisse [...] darzustellen.“[48]Der Spielbericht darf also als Basis der Fußball-Berichterstattung in der Presse verstanden werden, schließlich nennt er Ursachen für die Resultate und beschreibt wie das Ergebnis eines Spiels zustande gekommen ist.

3.1 Historische Einordnung

Die Anfänge der Fußball-Berichterstattung und damit auch die der Spielberichterstattung gehen an das Ende des 19. Jahrhunderts zurück. Bis 1880 hatte sich der Sport gesamtgesellschaftlich nicht etablieren können, da er als gesellschaftliches Vergnügen der Oberschicht galt. In den 80er Jahren entdeckte die Presse die Sportbegeisterung in der Bevölkerung und eine Reihe allgemeiner Sportzeitschriften, die als Vorbild für den Sportjournalismus von heute gelten, wurden gegründet. Das Jahr 1880 wird folglich in der Literatur als Beginn der deutschen Sportpresse genannt, zumal fast alle Sportarten schon damals in den Publikationen Berücksichtigung fanden.[49]Am 23. Mai 1886 erschien in den „Münchner Neuesten Nachrichten (MNN) unter dem Titel „Sportzeitung“ erstmals eine eigene Sportrubrik in einer deutschen Tageszeitung.[50]

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts erlebte der Fußballsport einen großen Aufschwung. Die Presse nahm sich dieser von Anfang an beliebten Sportart an und berichtete in Tageszeitungen sowie in Fachpublikationen ausführlich von Fußballspielen.[51]Die „Berichterstattung über diese Sportart“[52]respektive die Fußball-Spielberichte waren fortan nicht mehr aus der Tagespresse wegzudenken.

Gestoppt wurde der Aufschwung der Fußball-Berichterstattung jeweils während des ersten und zweiten Weltkrieges. Dem Stillstand des Sportbetriebes und im Zuge dessen der Sportpresse folgte, wie nach dem Ersten Weltkrieg auch nach 1945, ein Neubeginn, bei dem die Sportberichterstattung abermals einen ungeahnten Aufstieg verzeichnen konnte.[53]Der Sportjournalismus und damit einhergehend die Spielberichterstattung im Fußball hat sich seither stetig weiterentwickelt und ist gegenwärtig veränderten Rahmenbedingungen ausgesetzt. Der Wandel der Sportberichterstattung wurde in Kapitel 2 bereits ausführlich erläutert. In dieser Arbeit soll analysiert werden, inwiefern auch die Spielberichte von Werder Bremen in ausgewählten Medien Boulevardaspekte aufweisen. Demnach ist es sinnvoll, zunächst die Charakteristika eines prototypischen Spielberichts aufzuzeigen.

Der Spielbericht gehört unabhängig vom Wandel in der Sportberichterstattung schon dem Wortsinn nach zu der journalistischen Darstellungsform des Berichts. Die Eigenschaften und Funktionen des Berichts werden im Folgenden dargestellt, bevor die besonderen Merkmale des Spielberichts veranschaulicht werden.

3.2 Der Bericht als journalistische Darstellungsform

Der Bericht wird in der Literatur unterschiedlich definiert. Eine einheitliche Verwendung des Begriffs ist nicht gegeben. In einzelnen Redaktionen haben sich hauseigene Abgrenzungen zu anderen journalistischen Darstellungsformen etabliert, diese weichen aber oftmals von externen und wissenschaftlichen Definition ab.[54]Schneider und Raue definieren den Bericht als „den anspruchsvolleren Zwillingsbruder der Nachricht“, der sich von der simplen Nachricht, der Meldung durch Länge und Hintergründigkeit abgrenzt und aufgrund der Sachlichkeit von Darstellungsformen wie Feature, Story oder Reportage unterscheidet.[55]Eine Nachricht und demnach auch ein Bericht ist eine sachliche, präzise und verständliche Information über Tatsachen, die neu, wichtig und/oder interessant und hierarchisch aufgebaut (das wichtigste zuerst) ist. Die Nachricht sollte darüber hinaus die sieben W-Fragen (wer, was, wann wo, wie, warum und woher?) beantworten.[56]

Wolff definiert den Bericht ähnlich als den „engsten Verwandten der Meldung. Beide, Meldungen und Berichte, gehören zur Familie der informierenden Darstellungsformen. Sie transportieren Nachrichten. Und beide müssen dieselben hohen Ansprüche an Recherche, Inhalt und Sprache erfüllen.“[57]Wolff unterscheidet den Bericht von der Meldung ebenfalls aufgrund von quantitativen (Länge) wie qualitativen (Inhalt) Merkmalen. Der Bericht ist folglich, dem Wesen nach, eine ausführliche Meldung, dessen primäre Funktion es ist, den Leser über neue, aktuelle und wichtige Inhalte, also über Nachrichten, zu informieren. Dabei kommt es auf Fakten an, die mit den sieben W-Fragen transportiert werden. Für Kommentare und Meinungen ist in Meldungen und somit in Berichten kein Platz. Kommentare finden sich in anderen journalistischen Darstellungsformen (Kommentar, Glosse, Kritik u.a.), deren Funktion nicht zwingend die Nachrichteninformation ist. Mischformen sind in der journalistischen Praxis allerdings auch vorzufinden.[58]

Wolff unterscheidet darüber hinaus zwischen drei unterschiedlichen Formen des Berichts: Agenturbericht, Zeitungsbericht und Magazinbericht. Der Zeitungs- unterscheidet sich vom Agenturbericht aufgrund des ausführlicheren Inhalts, ansonsten sind sich diese beiden Typen im Aufbau sehr ähnlich. Sie werden nach einem FünfAbsatz-Muster beginnend mit dem Lead-Absatz (Zusammenfassung/Vorspann) gegliedert. Es folgen der Reihe nach der Detail-Absatz (Details der Nachricht), der Hintergrund-Absatz (Ursachen und Zusammenhänge), der Zukunfts-Absatz (Zukunftsaussichten) und der Zukunftsdetail-Absatz (Details der Zukunftsaussichten). Die Gewichtung kann dabei je nach Nachrichtenlage variieren. So ist es durchaus möglich, dass auf die Darstellung der Zukunftsaspekte zu Gunsten der Hintergründe verzichtet wird. Den Magazinbericht versteht Wolff dagegen als „veredelte EreignisInformation“, der sich vom Zeitungsbericht unter anderem durch die Aufmachung, viele Zusatzinformationen, eine sorgfältige Sprache, eine ausgeprägte Personali- sierung, eine These zum Thema sowie einem abweichenden Aufbau unterscheidet. Der Magazinbericht ist vermehrt mit Zahlen, Zitaten, handelnden Personen und szenischen Elementen bestückt. Eine deutliche Abgrenzung zum Zeitungsbericht erscheint dennoch nicht möglich, da Stilmittel der Magazinberichte, insbesondere die Verwendung vieler Zitate und szenischer Elemente, von Journalisten auch in Zeitungsberichten eingesetzt werden.[59]

Weischenberg unterscheidet dagegen zwischen dem Zitatenbericht, dem Tatsachenbericht und dem Handlungsbericht. Der Zitatenbericht bezieht sich dabei dem Wortlaut nach auf zitierte Aussagen, die Zitate sind der Ausgangspunkt für die Ausführungen des Schreibenden. Der Tatsachenbericht ordnet die Fakten zu einer bestimmten Thematik und stellt Zusammenhänge dar und der Handlungsbericht stellt den „Ablauf von Ereignissen zu einem konkreten Endpunkt hin“ in den Fokus. Die drei Berichtsarten haben gemeinsam, dass das Wichtigste am Anfang des Textes zu stehen hat.[60]

Von La Roche präzisiert in seinen Ausführungen die Unterscheidung zwischen Bericht, Meldung und Nachricht. Seiner Definition zu Folge ist der Bericht „reifer“ als die Nachricht und die Meldung. Er kann Zusammenhänge, die Entstehung und andere wichtige Einzelheiten der Thematik ausführlicher darstellen. Nach von La Roche solle, dürfe und müsse der Journalist beim Schreiben eines Berichts die Geschehnisse nicht auf das Nötigste reduzieren, sondern diese beispielsweise mit längeren Zitaten auflockern, authentischer gestalten und beleben.[61]

Die verschiedenen Definitionsansätze in der Literatur verdeutlichen die Schwierigkeit, den Bericht als journalistische Darstellungsform einzuordnen und abzugrenzen. Allen Definitionen gemein ist aber, dass dem Bericht die Aufgabe zukommt, Ereignisse möglichst objektiv, sachlich und tatsachenbezogen darzustellen. Für Haller ist die sachliche Objektivität sogar ein wesentliches Abgrenzungskriterium. Er unterscheidet Bericht, Feature und Reportage in dieser Reihenfolge von der objektivsten zur subjektivsten journalistischen Darstellungsform.[62]

Nachdem die Charakteristika des prototypischen Berichts vorgestellt wurden, werden nun die besonderen Merkmale des Spielberichts aufgezeigt und die Eigenarten dieser sportjournalistischen Darstellungsform genauer beleuchtet, um im späteren Verlauf der Arbeit Boulevardaspekte in der Spielberichterstattung möglichst trennscharf ausmachen zu können.

3.3 Besondere Merkmale des Spielberichts

Der Aufbau und die Gliederung des Spielberichts folgen regelmäßig dem Grundmuster des prototypischen Berichts. So beginnen auch Spielberichte oft mit dem Lead/Vorspann, um anschließend ihrer Funktion nachzukommen und den Leser mittels der W-Fragen über die wichtigsten Ereignisse eines Fußballspiels zu informieren (s.o.). Die sachliche, objektive Informationsvermittlung sollte auch im Spielbericht Hauptgegenstand der Berichterstattung sein, wobei die Sprachauswahl dem Themenkomplex des Fußballsports angemessen sein sollte.[63]Inwiefern Spielberichte tatsächlich von dieser sachlichen und objektiven Darstellungsform abweichen, wird im Verlauf dieser Arbeit noch zu klären sein.

Eine klassische Zuordnung des Spielberichts zu einer der oben vorgestellten Berichtsformen scheint in der Praxis kaum möglich. Am ehesten passt der Spielbericht ins Muster von Weischenbergs Handlungsbericht (s.o.), wonach der Ablauf von Ereignissen hin zu einem bestimmten Endpunkt im Fokus der Berichterstattung steht. Demnach ist das Spielgeschehen aus 90 Minuten Fußball der Ablauf der Ereignisse. Der Abpfiff der Partie beziehungsweise der Ausgang des Spiels kommt dem Endpunkt gleich.

In der sportjournalistischen Praxis haben sich dagegen Mischformen mit Elementen der Reportage, des Features und des Berichts etabliert. Diese Art des „Action-Berichts“ kann personalisieren, Nähe und Authentizität vermitteln. Selbst wenn das Fernsehen das Fußball-Spiel schon in Bild und Ton gesendet hat, ist der Verfasser des Spielberichts in seiner Beobachtung möglicherweise flexibler als die Kameras, er kann Details erkennen und den Überblick behalten. Dabei muss der Verfasser nicht vor angemessenen Wertungen zurückschrecken, allerdings sollte der Spielbericht kein Stimmungs- und Erlebnisbericht sein, vielmehr sollte diese Mischform des Berichts Stimmungen und Erlebnisse beschreiben.[64]Der Spielbericht folgt aufgrund der stereotypischen Ereignisse eines Fußballspiels einem gewissen Muster. Die Mannschaften, Trainer, Taktiken und Tore sind Bestandteil aller Spielberichte, der Schwerpunkt kann aber auch auf der Beschreibung eines Einzelfalls liegen, mit dessen Darstellung ein Gesamtzusammenhang erläutert wird.[65]

In den 50er Jahren wurden die Spielberichte noch relativ ausführlich und mit vielen erzählenden Elementen aufbereitet. Das eigentliche Spielgeschehen wird heute in der Regel wesentlich komprimierter dargestellt. Nicht zuletzt der ausführliche Statistikteil am Ende des Spielberichts oder in einem extra Kasten (Infobox), der mittlerweile ein fester, obligatorischer Bestandteil des Spielberichts ist und alle wichtigsten Informationen zum Spiel, wie die Aufstellungen der Mannschaften, die Torschützen, Platzverweise etc. beinhaltet, ist verantwortlich dafür, dass die narrative Struktur, die zeitliche Abfolge der wichtigsten Szenen vernachlässigt wird.[66]Eine solche „1:0- Berichterstatung“[67], dem Muster des Handlungsberichts nach Weischenberg entsprechend, findet in der sportjournalistischen Praxis nur selten Anwendung.

Hinzu kommt, dass TV und Hörfunk im Rahmen ihrer Vormachtstellung in der Sportberichterstattung (vgl. 2.1) den Fußballalltag oftmals vor dem Erscheinen des Spielberichts ausführlich gesendet haben und die Rezipienten über den Spielverlauf womöglich schon bestens informiert sind. Somit gibt der Spielbericht eher einen Überblick auf die Geschehnisse des Spiels, als ausführlich und im Detail über den Verlauf der Partie zu berichten. „Es handelt sich dabei um eine Mischung von knappen Spielberichten, Spielergebnissen, Bewertungen einzelner Spieler und Mannschaften, Informationen zum Tabellenstand, besonderen Vorkommnissen, Zukunftsaussichten u.a., wobei die Schwerpunkte wechseln können.“[68]

Spielberichte treten demnach regelmäßig nicht in reiner Form auf. Vielmehr können sie als Themenberichte verstanden werden, die thematisch relativ eng abgesteckt sind und bestimmte Aspekte des Spiels aufgreifen und verarbeiten (die Themensetzung in der Spielberichterstattung wird in Punkt 5 dieser Arbeit ausführlich behandelt). Ohnehin bleibt festzuhalten, dass in der Spielberichterstattung fließende Übergänge zu anderen Textsorten respektive Textvarianten keine Ausnahme bilden. Idealtypischen Gattungsvorstellungen stellen in der journalistischen Praxis keinen Ausgangspunkt dar. Dennoch bleibt der Spielbericht, wenn auch als Mischform, in der sportjournalistischen Praxis von Bedeutung.[69]

Nachdem die besonderen Merkmale des Spielberichts[70]aufgezeigt wurden und der Versuch unternommen wurde, diese sportjournalistische Darstellungsform einzuordnen und abzugrenzen, sollen im Folgenden Kriterien aufgezeigt werden, anhand derer Boulevardaspekte in der Spielberichterstattung ausgemacht werden können, um im weiteren Verlauf dieser Arbeit die Spielberichte ausgewählter Medien auf diese Indizien hin zu untersuchen und gegebenenfalls Boulevardjoumalismus in der Spielberichterstattung nachzuweisen.

4. Emotionalisierung der Spielberichterstattung als Indiz für Boulevardjournalismus

Sport lebt von und mit Emotionen. Gerade im Fußball-Sport sind Gefühle wie Freude, Wut, Enttäuschung etc. essentiell für das Mitfiebern und das Miterleben des Sports. Zwar haben Fernsehen und Hörfunk zweifelsohne die besseren Möglichleiten Emotionen in der Spielberichterstattung per Bild und Ton zu transportieren, doch auch geschriebene Spielberichte können emotional aufbereitet sein. Insbesondere Boulevardmedien bedienen sich eines emotionalen Stils in der Berichterstattung und legen großen Wert auf die emotionale Komponente bei der Darstellung von Ereignissen.[71]Ludwig stellte bereits 1987 fest, dass die Sportberichterstattung grundsätzlich dazu neigt „emotional aufgeladen“ zu sein[72]dennoch darf eine hohe Emotionalität in der Spielberichterstattung schon per Definition (vgl. 2.1) als ein wesentliches Indiz für Boulevardjournalismus herangezogen werden. Die vorigen Ausführungen dieser Arbeit begründen diese Herangehensweise zusätzlich.

Emotionen erzeugen Nähe zum Geschehen und indem die Sportberichterstattung emotional aufgeladen ist, kann die Aufmerksamkeit des Lesers über Gefühle gefesselt werden. Ausschlaggebend für diese Wirkung ist ein emotionaler Stil in der Berichterstattung und damit einhergehend eine emotionale Sprache. „Das Wortfeld ist zu untergliedern in die Bereiche Angst und Schrecken, Nervosität und Verwirrung, Trauer, Leid und Enttäuschung, Ärger, Wut und Zorn, Stimmung und Jubel, Sensation und Spannung, Unabwendbares, Unheimliches und Wunderbares.“[73]Ferner tragen ein einfacher Stil, eine verständliche Schreibweise sowie Verstärkungen aller Art, die Vorliebe für sprachliche Bilder, der Gebrauch von Ausrufen und ausdrucksstarke Wortkreationen zur Emotionalisierung in der Sportberichterstattung bei.[74]Auch ein humoristischer, satirischer oder gar beleidigender Stil ist ein Element der Emotionalisierung. Darüber hinaus kann der Leser mit einem kurzen Satzbau, einem telegrammartigen Stil, mit dem der tempo- und ereignisreiche Ablauf des sportlichen Geschehens rekonstruiert wird, an den Text gebunden werden.[75]

„Die Verwendung eines einfachen, 'volksnahen' und umgangssprachlichen Stils verstärkt beim Rezipienten den Eindruck, dass der jeweilige Redakteur „mit dem Herzen bei der Sache ist. Unter Berufung auf journalistische Grundprinzipien wie Ausgewogenheit, Distanz und Nüchternheit eine offenkundig falsche Herangehensweise, [...].“[76]Im Zuge der emotionalisierten Berichterstattung mangelt es folglich, was im inhaltsanalytischen Teil dieser Arbeit noch zu belegen sein wird, oft an einer nüchternen und sachlichen Herangehensweise zum sportlichen Geschehen. Parteilichkeit, fehlende Distanz und einseitige Berichterstattung („Schwarz-Weiß-Journalismus“) gehen nicht selten mit einer emotionalisierten Spielberichterstattung einher.

Emotionen werden in der Spielberichterstattung des Weiteren vornehmlich über Per- sonalisierung, Sensationsmache (Übertreibung/Dramatisierung) und Visualisierung transportiert. Diese Aspekte des Boulevardjournalismus werden nun genauer beleuchtet.

4.1 Sensationalisierung

Sensationalismus beschreibt eine stark sensationelle und übertriebene Darstellung von Ereignissen. Inhaltliche und äußerliche Merkmale des Berichts werden in Hinblick auf Abwechslungsreichtum, Spannung und Dramatik konzipiert und umgesetzt.[77]Insbesondere Boulevardmedien wird der Hang zur Sensationsmache nachgesagt.[78]Gerade die Dramaturgie des Sports bietet ein großes Sensationspotenzial und außergewöhnliche Ereignisse verdrängen nicht selten andere Nachrichten von den Titelseiten der Tagespresse.[79]

Sensationalisierung verfolgt das Ziel, die Berichterstattung interessant aufzubereiten und den Rezipienten emotional anzusprechen, um auf dem hart umkämpften Medienmarkt aus der Masse hervorzustechen. Wesentliche Stilmittel sind dabei die

Verwendung von Superlativen sowie inhaltliche Übertreibung und eine Dramatisierung der Geschehnisse.[80]In Spielberichten mit Boulevardelementen werden so beispielsweise relativ unbedeutende Partien zum Spiel des Jahres aufgebauscht: „Wo Sport und Boulevard zusammenkommen, da schlagen die Superlative Purzelbaum.“[81]

Die emotionalisierte, sensationalisierte Berichterstattung soll den Stil beleben und dem Konsumenten Abwechslung bieten. Sie suggeriert, dass etwas Außergewöhnliches passiert. Die Aussagen werden intensiviert, der Monotonie entgegengewirkt und somit die Aufmerksamkeit des Rezipienten gewonnen. Tatsächlich wird aber durch die übertriebene und dramatische Darstellung nicht unbedingt eine der Realität entsprechende Wiedergabe der Ereignisse erreicht. Augrund dieser Realitätsverzerrung kann dann vielmehr von einer Medienrealität die Rede sein.[82]

Festzuhalten bleibt aber, dass die Dramaturgie des Sports essentiell für die Faszination des Sports ist. Insbesondere Mannschaftssportarten wie Fußball profilieren sich über den ungewissen Ausgang der Spiele, über das Spannungsgefühl, über knappe Ergebnisse und Wendungen im Spielverlauf.[83]Zweifelsohne ist der Grad der Unterhaltung auch abhängig von der Disposition des Publikums, aber Sensationen dienen in Spielberichten als unterhaltsames Element. Sie geben dem Leser das Gefühl, bei ganz besonderen Ereignissen hautnah dabei zu sein, beziehungsweise offerieren die Möglichkeit, den Verlauf des besonders außergewöhnlichen Spiels noch einmal Revue passieren zu lassen.

4.2 Personalisierung

Von Personalisierung ist die Rede, wenn Personen von den Medien als handelndes Subjekt, Ursache oder Mittelpunkt eines Ereignisses dargestellt werden, beziehungsweise sich die Darstellung der Geschehnisse in der Berichterstattung auf einzelne Personen fokussiert.[84]Für die Spielberichterstattung bedeutet das, dass einzelne Sportler in den Fokus der Berichterstattung rücken. „Selbst bei einer Mannschaft wird der Spieler mehr beachtet als andere, der herausragt, der etwas Besonderes vollbringt.“[85]

In den Medien wird Personalisierung strategisch eingesetzt, um beim Rezipienten Emotionen auszulösen und eine Signalwirkung zu erzeugen (den Konsumenten innerhalb des unübersichtlichen Gesamtangebotes mit Personalisierung auf die Bedeutsamkeit des Berichts aufmerksam zu machen), den Rezipienten zu unterhalten und einen Erzählrahmen für die Berichterstattung zu bilden sowie die Komplexität der Geschehnisse auf die Ereignisse rund um einzelne Personen zu reduzieren. Als Folge der personalisierten Berichterstattung produzieren die Massenmedien Promi- nenz.[86]In Spielberichten finden die Personalisierungsstrategien zumeist auf spielentscheidende Akteure Anwendung. Diese werden oft zu Helden gemacht und es wird ein regelrechter Starkult betrieben. Gerade der Sportjournalismus zeigt sich hierfür besonders anfällig, denn „der Spitzensport ist eine Maschine, die ständig neue Stars produziert.“[87]Der Begriff des spielentscheidenden Akteurs kann aber ebenso negativ besetzt sein. Wo es Gewinner gibt, gibt es auch Verlierer und letztere müssen in personalisierten Berichten nicht selten als Sündenböcke herhalten. Gewinnen und Verlieren sind schließlich die wesentlichen dramaturgischen Elemente des Sports und ein personalisierter Wettkampf zwischen unterschiedlichen Charakteren mit Siegern auf der einen und Verlierern auf der anderen Seite liefert einen hohen Unterhaltungswert in der Berichterstattung.[88]Personalisierung fungiert demnach auch als Kaufargument, denn „nur mit attraktiver Unterhaltungsware - und das heißt vor allem attraktive Protagonisten - ist der Sport medienwirtschaftlich relevant.“[89]

Personalisierung bietet für den Rezipienten eine Reihe von Gratifikationen. Insbesondere die Heroisierung der Sportler suggeriert Nähe und einen engen emotionalen Kontakt, dem Konsument wird der Identifikationsprozess erleichtert. Personali- sierung verspricht Orientierung, Unterhaltung (s.o.) und Integration.[90]Des Weiteren wird mit einer anhaltenden positiven personenbezogenen Darstellung die Verlässlichkeit der Berichterstattung bekräftigt. „Personen, die positiv emotional dargestellt

[...]


[1]Vgl. Fischer, Christoph (1993): S. 31.

[2]Die Kritik an der Sportberichterstattung wird in Punkt 2 dieser Arbeit genauer beleuchtet.

[3]Vgl. Fischer, Christoph (1993): S. 281.

[4]Der Begriff Boulevardjournalismus wird in Punkt 2.1 dieser Arbeit definiert.

[5]Vgl. Hackforth, Josef: Zehn Thesen zur Sportberichterstattung im dritten Jahrtausend. In: „Die Welt“ vom 03.01.2000.

[6]Weitere Ausführungen zum Spielbericht sind dieser Arbeit in Punkt 3 zu entnehmen.

[7]Beck, Daniel (2001): S. 5.

[8]Vgl. Koziara, Christian ( 2006).

[9]Vgl. Wipper, Herdin (2003).

[10]Vgl. Gleich, Uli (2004): S. 189.

[11]Vgl. Loosen, Wiebke (2004): S. 14 f.

[12]Fischer, Christoph (1993): S. 34.

[13]Der Begriff Boulevardisierung beschreibt den Prozess der Zunahme von Boulevardelementen in der Berichterstattung.

[14]Vgl. Klemm, Thomas (2007): S. 326.

[15]Vgl. Hackforth, Josef; Schaffrath, Michael (1998): S. 250 f.

[16]Fischer, Christoph (1993): S. 42.

[17]http://lexikon.calsky.com/de/txt/b/bo/boulevardjournalismus.php

[18]Vgl. Hoffmann, Jana (2001): S. 16 ff.

[19]Als Human-Interest-Themen werden Themen bezeichnet, die sich vordergründig an dem zu erwartenden Zuschauerinteresse orientieren. Dies gilt insbesondere, ohne dass dieses Interesse sachlich begründet ist, etwa durch besondere Wichtigkeit oder Aktualität.

[20]Vgl. Koziara, Christian (2006): S. 9 f.

[21]Zitat von Laaser, Erich. In: Wipper, Herdin (2003): S. 349.

[22]Vgl. Boucsein, Markus (1993): S. 153.

[23]Krüger, Arnd (1993): S. 24.

[24]Vgl. Fischer, Christoph ( 1994): S. 57.

[25]Vgl. Bizer, Peter (1988): S. 137f.

[26]Vgl. Krüger, Arnd (1993): S. 28.

[27]Vgl. Loosen, Wiebke (2004): S. 13.

[28]Vgl. Gleich, Uli (2004): S. 183.

[29]Vgl.: Fischer, Christoph (1994): S. 57.

[30]Vgl. Schierl, Thomas (2004): S. 105 f.

[31]Vgl. http://www.sueddeutsche.de/finanzen/artikel/145/121982/

[32]Vgl. Schierl, Thomas (2004): 106 ff.

[33]Vgl. Schauerte, Thorsten (2004): S. 93.

[34]Tewes, Günter (1991): S. 212.

[35]Vgl. Gleich, Uli (2004): S. 187 f.

[36]Hoffmann-Riem, Wolfgang (1988): S. 13 f.

[37]Wipper, Herdin (2003): Sportpresse unter Druck, S. 347.

[38]Vgl. Görner, Felix (1995): S. 411.

[39]Vgl. Schwier, Jürgen (2002): S. 6.

[40]Hackforth, Josef (1994): S. 37.

[41]Vgl. Klemm, Thomas (2007): S. 329.

[42]Krüger, Arnd (1993): S. 36.

[43]Ebd. S. 46.

[44]Vgl. http://www.bundestag.de/parlament/funktion/gesetze/grundgesetz/gg_01.html

[45]http://www.presserat.de/Pressekodex.8.0.html

[46]Vgl. http://sportnetzwerk.eu/?p=147

[47]Hackforth, Josef (2008): S. 3.

[48]Vgl. Jürgens, Frank (1997): S. 101.

[49]Vgl. Fischer, Christoph (1992): S. 31 f.

[50]Vgl. ebd. S. 39.

[51]Vgl. Weischenberg, Siegfried (1978): S.13.

[52]Vgl. ebd. S. 14.

[53]Vgl. Fischer, Christoph (1992): S. 41.

[54]Vgl. Wolff, Volker (2006): S. 54.

[55]Vgl. Schneider, Wolf; Raue, Paul-Josef (2006): S.67.

[56]Vgl. ebd. S.62 ff.

[57]Wolff, Volker (2006): S. 74.

[58]Vgl. Wolff, Volker (2006): S. 54 ff.

[59]Vgl. ebd. S. 98 f.

[60]Vgl. Weischenberg, Siegfried (1990): S. 26 f.

[61]Vgl. von La Roche, Walter (1999): S. 129.

[62]Haller, Michael (1997): S. 37.

[63]Vgl. Fey, Ulrich (1994): S. 140.

[64]Vgl. Fey, Ulrich (1994): S. 130.

[65]Vgl. ebd. S. 129 f.

[66]Vgl. Jürgens, Frank (1996): S.101 ff.

[67]Fischer, Christoph (1993): S. 31.

[68]Vgl. Jürgens, Frank (1996): S. 103.

[69]Vgl. ebd. S. 103 ff.

[70]Weitere forschungsrelevante Informationen zum Spielbericht sind dem Codebuch im Anhang auf Seite 101 ff. zu entnehmen.

[71]Vgl. Scherer, Helmut (2008): S. 223.

[72]Ludwig, Udo (1987): S. 149.

[73]Kroppach, Dieter (1978): S. 134.

[74]Vgl. ebd. S. 134.

[75]Vgl. Schneider, Wolf (1990): S. 36 f.

[76]Koziara, Christian (2006): S. 16.

[77]Vgl. Mende, Marcus (1996): S. 57 f.

[78]Vgl. Wipper, Herdin (2003): S. 250.

[79]Vgl. Klein, Eckhard (1993): S. 295.

[80]Vgl. Wipper, Herdin (2003): S. 250 f.

[81]Schneider, Wolf (1984): S. 164.

[82]Vgl. Mende, Marcus (1996): S. 57 f.

[83]Vgl. Beck, Daniel (2006): S. 32 f.

[84]Vgl. Schierl, Thomas; Bertling, Christoph (2007): S. 157.

[85]Eilers, Jürgen (1978): S. 222.

[86]Vgl. Schierl, Thomas; Bertling, Christoph (2007): S. 155 ff.

[87]Wipper, Herdin (2003): S. 315.

[88]Vgl. Beck, Daniel (2006): S. 111.

[89]Weischenberg, Siegfried (1988): S. 88 f.

[90]Vgl. Schierl, Thomas; Bertling, Christoph (2007): S. 158.

Ende der Leseprobe aus 126 Seiten

Details

Titel
Boulevardjournalismus in der Sportberichterstattung?
Untertitel
Die Spielberichterstattung von Werder Bremen in der Fußball-Bundesliga-Saison 2007/2008. Ein inhaltsanalytischer Vergleich der Spielberichte ausgewählter Medien
Hochschule
Georg-August-Universität Göttingen
Note
1,7
Autor
Jahr
2009
Seiten
126
Katalognummer
V170125
ISBN (eBook)
9783640888139
ISBN (Buch)
9783640888030
Dateigröße
2919 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Medien, Fußball, Sport, Journalismus, Boulevard, Werder Bremen, Boulevardjournalismus, Bild, Süddeutsche Zeitung, Spielberichte, Spielbericht, Inhaltsanalyse, Print, Online, Internet, Vergleich, Spielberichterstattung, Personalisierung, Visualisierung, Bundesliga, Saison
Arbeit zitieren
Timo Strömer (Autor:in), 2009, Boulevardjournalismus in der Sportberichterstattung?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/170125

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