Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
A. Sprachentwicklung durch Netzsprache
B. Deutsche Sprache und Schrift in Chat, E-Mail & Co
1. Mündlichkeit und Schriftlichkeit in der Netzkommunikation
1.1 Modell der Mündlichkeit und Schriftlichkeit
1.2 Konzeptionelle Mündlichkeit im virtuellen Dialog
2. Kommunikationsdienste im Internet
2.1 E-Mail
2.1.1 E-Mail vs. Snail-Mail
2.1.2 Sprache in E-Mails
2.2 Instant-Messaging
3. Der Chat - Plaudern 2.0
3.1 Mediale und kommunikative Randbedingungen
3.2 Sprache und Gespräch im Chat
4. Dienstübergreifende Merkmale der Netzsprache
C. Netzsprache als neue Form der schnellen Kommunikation
Literaturverzeichnis
A. Sprachentwicklung durch Netzsprache
LOL, Rotfl, BRB oder AFK. Einigen Menschen dürften diese drei Abkürzungen nichts sagen. Anders verhält es sich allerdings bei Menschen, die schon einmal eine der zahlreichen Kommunikationsmöglichkeiten im Internet genutzt haben und sich mit derartigen Abkürzungen auskennen. Denn dann ließen sich diese ungewöhnlichen Buchstabenkombinationen einfach in Laughing out loud, Rolling on the floor laughing, Be right back und Away from keyboard aufschlüsseln. Man müsste also schon selbst Teil einer Online-Community sein oder sich direkt mit dem Thema „Virtuelle Kommunikation“ befassen, um manche Gespräche und Aussagen der User zu verstehen. Aktuelle Studien zeigen, dass die Kenner des Bereichs Netzsprache und deren Eigenheiten vor allem aus der jugendlichen Bevölkerung stammen. So erfährt man aus der Studie „Gesprächskultur in Deutschland 2009“, dass vor allem die unter 20-Jährigen nicht mehr sehr viel von einem direkten Gespräch - der sogenannten Face-to-Face-Kommunikation - halten. Nur die Hälfte dieser Gruppe gab an, dass das persönliche Gespräch die wichtigste Kommunikationsform sei (vgl. Gesprächskultur in Deutschland 2009 - Highlights der Studie). Netzsprache ist also vor allem ein Phänomen der jungen Generation. Und mit dem Wandel der gesprochenen Sprache, wie es beispielsweise die Jugendsprache zeigt, verändert sich auch die Sprache beim Schriftwechsel.
„Das Internet ist bislang noch ein schriftdominiertes Medium“ (Storrer 2000, S. 1). Das heißt, neben den neuaufkommenden Techniken, wie Voice-over-IP oder dem Video-Chat, sind es vor allem der Online-Chat, Foren, Instant Messaging oder der E-Mail-Verkehr, mit denen über das weltweite Netzwerk kommuniziert wird. Die meisten Unterhaltungen finden also nach wie vor schriftlich statt. Dabei verändert sich offensichtlich etwas in der geschriebenen Sprache der User. Formelle und unpersönliche Gewohnheiten beim Schriftwechsel weichen dem informellen und persönlichen Gespräch. Es findet also eine Annäherung an die Sprechsprache statt.
Dieses Phänomen und die Frage danach, ob diese Verschiebung zugunsten der Mündlichkeit die alltägliche Kommunikation zwischen Menschen weitläufig verändern kann, soll in der folgenden Arbeit diskutiert und geklärt werden.
B. Deutsche Sprache und Schrift in Chat, E-Mail & Co.
1. Mündlichkeit und Schriftlichkeit in der Netzkommunikation
1.1 Modell der Mündlichkeit und Schriftlichkeit
Wenn man heutzutage durch die Weiten des Internet surft, merkt man schnell, dass die sprachlichen Regeln des Internets nicht gleich den sprachlichen Regeln der realen Kommunikation entsprechen. Vielmehr stellt man nach kurzer Zeit fest, dass eine bestimmte Varietät der Sprache gegeben ist (vgl. Dürscheid 1994, S. 142). So kann es passieren, dass man auf der einen Seite auf höchst wissenschaftliche, formelle Textpassagen trifft, doch schon auf der Nächsten Diskussionen verfolgt, die eher einem persönlichen Gespräch ähneln. Letztere Kommunikationssituationen sind wohl jene, die man im World Wide Web vermehrt beobachten kann. Denn virtuelles Unterhalten spielt eine immer größere Rolle unter den Menschen. So sei wiederrum auf die Studie „Gesprächskultur in Deutschland 2009“ hinzuweisen, deren Ergebnisse zeigen, dass rund 76 Prozent der Unter-20-Jährigen das Internet mehrmals in der Woche als Kommunikationsmittel intensiver Gespräche nutzen, 38 Prozent sogar täglich (vgl. Gesprächskultur in Deutschland 2009 - Summary, S. 1).
Dass bei solch scheinbar großem Andrang im Internet nicht immer auf formelle Kriterien der Schreibung geachtet werden kann, versteht sich von selbst. Offensichtlich wird das Internet häufig dazu genutzt, um Gespräche zu führen, die man im Normalfall von Angesicht zu Angesicht geführt hätte. Daher ist anzunehmen, dass insgesamt eine Verschiebung des Verhältnisses von Sprech- und Schreibsprache stattfinden muss (vgl. Storrer 2000, S. 1). Um diese Verschiebung zu klären, ist es sinnvoll das Modell der Mündlichkeit und Schriftlichkeit von Koch/Oesterreicher näher zu betrachten.
Die Autoren definieren die Ausdrücke „schriftlich“ und „mündlich“ auf zweierlei Arten. Zum einen sei damit ausgedrückt, ob eine Äußerung geschrieben oder tatsächlich gesprochen wird. Hierbei handelt es sich also um das Medium der Realisierung sprachlicher Äußerungen. Zum anderen wird festgehalten, dass das Begriffspaar „schriftlich - mündlich“ auch die Modalität der Äußerung beschreiben kann. Das heißt, dass „eine bestimmte Ausdrucksweise gewählt wird und diese eher ‚mündlich‘ […] oder eher ‚schriftlich‘ […] angelehnt ist (Dürscheid 2006, S. 43). Das bedeutet, eine Äußerung - tatsächlich geschrieben oder ausgesprochen - kann nichtsdestotrotz eher schriftlich oder mündlich wirken.
Koch/Oesterreicher bildeten dazu zwei Dimensionen der Mündlichkeit und Schriftlichkeit, um dieses ambige Phänomen zu erläutern. Die mediale Dimension bezieht sich darauf, in welchem Medium die Äußerung tatsächlich verwirklicht wird, die konzeptionelle Dimension beschreibt die gewählte Ausdrucksweise der Äußerung (vgl. Dürscheid 2006, S. 43). Mit diesen Erkenntnissen könnten nun sämtliche Äußerungen in medialen und konzeptionellen Dimensionen kategorisiert werden. Dabei sind laut Koch/Oesterreich auch gegensätzliche Paare, wie medial schriftlich/konzeptionell mündlich möglich. Um diese Einstufung zu erleichtern, wurde ein Schriftlichkeits-/Mündlichkeitsmodell entwickelt, damit verschiedene Äußerungsformen eingeordnet werden können (Abb. 1).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 1 (vgl. Dürscheid 2006, S. 45)
Anhand eines solchen vereinfachten Modells, lässt sich die Dimension der Äußerung hinsichtlich des Mediums und der Konzeption in polarisierten Richtungen zuordnen. Betrachtet man beispielsweise das Gespräch mit Freunden, lässt sich dieses eindeutig zum Mündlichkeitspol hin einordnen. Realisiert wird solch ein Gespräch medial mündlich und konzeptionell mündlich, da es sich um eine eher lockere Unterhaltung mit Vertrauten handelt, die vermutlich informell und von Jargon und Umgangssprache geprägt ist. Anders verhält es sich mit einem wissenschaftlichen Vortrag. Dieser ist zwar medial mündlich, allerdings fällt dieser eher in einen offiziellen Rahmen. Dieser Rahmen sorgt dafür, dass man einen solchen
Vortrag auch eher konzeptionell schriftlich gestaltet. Ob die Äußerungen bei einem Vortrag ganz im konzeptionellen Schriftlichkeitspol anzusiedeln ist, liegt letztendlich am Redner selbst, der den Text entweder abliest (starke konzeptionelle Schriftlichkeit) oder nur teilweise abliest, eigene Gesprächsfäden bildet und eventuell sogar Diskussionen und Dialoge zulässt (weniger konzeptionell schriftlich).
Es scheint also nicht immer ganz so einfach zu sein, bestimmte Äußerungen in die Kategorien konzeptionell schriftlich oder mündlich einzuteilen. Um die Einordnung zu erleichtern, teilen Koch/Oesterreicher den konzeptionellen Polen bestimmte Begriffspaare zu. So sei zunächst die Distanz der Sprache wichtig, um eine Einordnung vornehmen zu können. Dabei zeigt sich bei konzeptioneller Mündlichkeit eher eine Sprache der Nähe, bei konzeptioneller Schriftlichkeit eher eine Sprache der Distanz. Konzeptionell mündliche Äußerungen sind also geprägt von Emotionalität, Spontaneität, Raum-zeitlicher Nähe, Bekanntheit und Vertrautheit der Gesprächspartner. Konzeptionell schriftliche Äußerungen haben eher distanzierten Charakter und wirken fremder, emotionsloser und kaum spontan (vgl. Storrer 2000, S. 2).
Die Unterscheidung zwischen Sprache der Nähe und Sprache der Distanz scheint auf den ersten Blick eine sinnvolle Methode zu sein, um die Konzeptionen sprachlicher Äußerungen zu bestimmen. Denkt man allerdings an virtuelle Gespräche, so stellt sich doch die Frage, wie hier die Nähe bzw. Distanz zwischen den Gesprächsteilnehmern zu bewerten ist. Denn Teilnehmer in Chats, Foren und Online-Communitys verwenden eine Ausdrucksweise, die meist der konzeptionellen Mündlichkeit zuzuordnen ist. Räumlich gesehen, können die User hunderte Kilometer entfernt agieren und überbrücken somit im selben zeitlichen Rahmen eine ziemlich hohe Distanz. Dieses Gefühl von virtuell generierter Nähe wird vor allem unterstützt durch Begriffe im Netz, die zusätzlich Vertrautheit hervorrufen können. So betritt man einen nach außen hin geschlossenen „Chat-Raum“, in dem man nur die Gespräche führen oder mit verfolgen kann, die in diesem Raum stattfinden. Metaphorisch gesehen wird also eine gewisse räumliche Nähe simuliert (vgl. Dürscheid 2006, S. 47). Eine Bekanntheit zwischen den Usern in öffentlichen Chats ist auch meist auszuschließen, so dass das Argument der Nähe wiederrum ins Schwanken gerät. Wie zu erkennen, braucht es also weitere Merkmale der konzeptionellen Mündlichkeit, um auch der Kommunikation im Internet gerecht zu werden. Um diese Ungenauigkeit zu klären, werden im folgenden Abschnitt Gesichtspunkte erläutert, die die konzeptionelle Mündlichkeit auf weitere Merkmale beschränken.
1.2 Konzeptionelle Mündlichkeit im virtuellen Dialog
Da die Unterscheidung zwischen Nähe und Distanz nicht hinreichend sind, um eine Äußerung der konzeptionellen Mündlichkeit zuzuordnen, wurden weitere Merkmale herausgearbeitet, die konzeptionell mündliche Sprache beschreiben soll.
Betrachtet man die Sprache in virtuellen Gesprächen, so fallen einige Besonderheiten auf, die man der Dimension der konzeptionellen Mündlichkeit zuordnen kann. Eine Besonderheit bieten die Versprachlichungsstrategien, die typisch für die konzeptionelle Mündlichkeit und der Sprache im Internet ist. So sind solche Texte meist sprachlich weniger elaboriert und vermehrt mit Fehlern bestückt (vgl. Dürscheid 2006, S. 47). Koch und Oesterreicher stellten dazu wiederrum einige Begriffe auf, die den Mündlichkeitspol strikt vom Schriftlichkeitspol trennen. So nennen sie für den Mündlichkeitspol weitaus geringere Informationsdichte, Kompaktheit, Integration, Komplexität, Elaboriertheit und Planung, als es für den Schriftlichkeitspol gelten würde. Denn „konzeptionell schriftliche Texte werden ex negativo über das Fehlen dieser Merkmale definiert“ (Dürscheid 2006, S. 48).
Besonders relevant für Netzsprache und konzeptioneller Mündlichkeit erscheinen auch die Lexik, die Syntax und die kommunikative Haltung der Gesprächsteilnehmer. Im Bezug auf die Lexik, werden meist kurze und einfache Wörter verwendet. Hinzu kommen umgangssprachliche und dialektreiche Ausdrücke, charakteristische sprechsprachliche Partikeln und Interjektionen und häufige Verwendung von Floskeln.
Bei der Syntax und dem Satzbau treten ebenfalls typisch konzeptionell mündliche Merkmale auf. Neben den schon erwähnten vermehrten Satzbaufehlern, kommt es oft zu einem durchweg parataktischen, reihenden Satzbau und typischen sprechsprachlichen Satzkonstruktionen.
Und auch die kommunikative Grundhaltung orientiert sich an einem alltäglichen Gespräch. Neben der typischen Sprecher-Hörer-Rolle zeigt sich das außerdem bei der relativ kurzen Produktion der Sprache, der kurzen Verarbeitungszeit und Rezeption. Die Äußerungen erfolgen zumeist spontan, was eine offene Themenentwicklung zufolge hat (vgl. Storrer 2000, S. 3).
Man kann also zusammenfassend behaupten, dass Sprache im Internet zumeist auch konzeptionell mündlich ist und sich eng an der Sprechsprache orientiert. Auch das Fehlen von emotionaler und räumlicher Distanz, wird von zeitlicher und - zumindest simulierter - Nähe kompensiert. Dass allerdings die Ausprägung der Merkmale der konzeptionellen
Mündlichkeit in unterschiedlichen Kommunikationsdiensten des Internets auch stark variieren, lässt sich nicht bestreiten.
Aus diesem Grund werden im Folgenden verschiedene Kommunikationsdienste des World Wide Web vorgestellt und im Bezug auf Schriftlichkeit und Mündlichkeit differenziert.
2. Kommunikationsdienste im Internet
2.1 E-Mail
Der E-Mail-Service ist wohl der weitaus bekannteste Kommunikationsdienst im Internet. Seit der ersten versendeten E-Mail im Jahre 1984 wuchs die Begeisterung dieser schnellen Methode, Briefe auf elektronischem Wege unkompliziert zu versenden und zu empfangen. Laut den ARD/ZDF-Online-Studien 2000-2009 ist das Versenden und Empfangen von E- Mails die zweit meist genutzte Anwendung im World Wide Web. Rund 82 Prozent der deutschen Männer und Frauen ab 14 Jahre griffen 2009 mindesten einmal wöchentlich auf den Service der elektronischen Post zurück. Nur das Nutzen der Suchmaschinen im Internet konnte diesen Wert noch übertreffen (vgl. ARD/ZDF-Online-Studien 2000-2009 Onlineanwendungen im Zeitvergleich). „E-Mail-Korrespondenz ist [also] in den letzten Jahren zu einem weit verbreiteten Universalmedium alltäglicher Kommunikation geworden“ (Schmitz 2004, S. 96).
2.1.1 E-Mail vs. Snail-Mail
Der Erfolg des E-Mail-Dienstes resultiert aus den etlichen Vorteilen, die das E-Mail-Senden gegenüber der sogenannten „Snail-Mail“ (Schneckenpost) - der herkömmlichen Post - mit sich bringt. Wie hier schon angedeutet, ist es vor allem die Geschwindigkeit des Datenaustausches, der E-Mails für den Internet-User interessant macht. Während man bei der Briefpost schon ein bis zwei Tage auf ein Schreiben warten muss, werden elektronische Briefe im Normalfall innerhalb weniger Minuten zugestellt. Somit ist ein zügiger und unkomplizierter Austausch von Informationen gewährleistet. Ein Antwortschreiben oder eine Weiterleitung muss nicht unnötig neu verfasst werden, sondern kann einfach mit den Funktionen „Antworten“ bzw. „Weiterleiten“ erstellt werden.
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