Am 15. August 1947 erlangte Indien die Unabhängigkeit von Großbritannien. Im Gegensatz zu den in Europa entstandenen Nationalstaaten, zeichnete sich die neue indische Nation jedoch weder durch eine gemeinsame Sprache, noch eine ihre Bürger vereinende Religion oder kulturelle Tradition aus. “India is merely a geographical expression. It is no more a single country than the equator”, beschrieb Winston Churchill diesen Zustand. Auf dem indischen Subkontinent existieren 23 offiziell anerkannte Sprachen und tausende von Dialekten (Tharoor 2008, 77). Alle großen Weltreligionen, der Hinduismus, der Buddhismus, der Islam, das Christentum und zahlreiche weitere Religionen sind vertreten. Dazu praktizieren ethnisch vielfältige aus Indoariern, Draviden, Adivasi, etc. bestehende und verschiedenen Kasten zugehörige Bevölkerungsgruppen vielfältige kulturelle Bräuche. Mit der großen Vielfalt der Gruppenzugehörigkeiten der Bevölkerung ist auch eine Vielzahl konkurrierender Identitäten verbunden (Stietencron 1995, 112).
Mit der Entstehung des indischen Staates stellte sich jedoch die Frage, worauf dessen, für seinen Zusammenhalt nötige, kollektive Identität beruhen sollte. Bereits unter der britischen Kolonialherrschaft hatte eine Debatte über eine spezifisch indische Identität eingesetzt (Parekh 2003, 117). Verschiedene nationalistische Bewegungen präsentierten dabei konkurrierende Identitätsentwürfe. Eine der wichtigsten Personen im Kampf für die indische Unabhängigkeit und den Entwurf der neuen Nation war, neben Mahatma Ghandi, dessen engster Vertrauter, Jawaharlal Nehru. Als Präsident der ersten provisorischen Regierung von 1946 und erster Ministerpräsident Indiens von 1947 bis 1964 war Nehru stark an der Konstruktion einer auf eine säkulare, demokratische und liberale Philosophie beruhenden indischen Identität beteiligt (Ebd., 118). Seine mythisch verankerte Idee eines neuen Indiens veranschaulicht er in seiner Rede “Tryst with Destiny” am Vorabend der indischen Unabhängigkeit, die als eine der denkwürdigsten in die indische Geschichte eingegangen ist.
Ziel dieser Arbeit ist es, die Konstruktion einer nationalen Identität ab dem 19. Jahrhundert bis zur Entstehung des indischen Staates nachzuzeichnen und die von Jawaharlal Nehru in seiner Unabhängigkeitsrede präsentierte Vision der indischen Identität zu analysieren.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Theoretischer und historischer Hintergrund der indischen Identitätskonstruktion
- Konstruktion und Mythen nationaler Identität
- Historischer Kontext der indischen Identitätskonstruktion
- Konstruktion einer nationalen Identität in Indien
- Identitätsdebatte ab dem 19. Jahrhundert
- "Composite Nationalism"
- Säkularer Nationalismus
- Identitätskonstruktion in Nehrus Unabhängigkeitsrede
- Methode der qualitativen Inhaltsanalyse
- Textauswahl, Erhebungssituation und Analyserichtung
- Zusammenfassende Inhaltsanalyse
- Explizierende Inhaltsanalyse
- Strukturierende Inhaltsanalyse
- Formale Strukturierung
- Inhaltliche Strukturierung
- Typisierende Strukturierung
- Interpretation der Ergebnisse
- Zusammenfassung und Ausblick
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit analysiert die Konstruktion einer nationalen Identität in Indien vom 19. Jahrhundert bis zur Unabhängigkeit und untersucht die von Jawaharlal Nehru in seiner Unabhängigkeitsrede präsentierte Vision der indischen Identität. Der Fokus liegt dabei auf der Frage, wie die indische Identität im Kontext der vielfältigen kulturellen und religiösen Gruppen des Landes konstruiert wurde und welche Rolle die Rede Nehrus in diesem Prozess spielte.
- Die Konstruktion nationaler Identität im Kontext der indischen Diversität
- Der Einfluss von Mythen und Symbolen auf die nationale Identitätsbildung
- Die Rolle von Jawaharlal Nehru und seiner Unabhängigkeitsrede in der indischen Geschichte
- Die Analyse von Nehrus Rede anhand der Methode der qualitativen Inhaltsanalyse
- Die Verbindung von Geschichte, Kultur und Politik in der Konstruktion einer nationalen Identität
Zusammenfassung der Kapitel
Das zweite Kapitel beleuchtet die Konstruktion nationaler Identität anhand von theoretischen Konzepten und untersucht die Rolle von Mythen in diesem Prozess. Es wird ein historischer Kontext der indischen Identitätskonstruktion vom 19. Jahrhundert bis zur Unabhängigkeit skizziert. Kapitel drei analysiert die Entwicklung der indischen Identität anhand von verschiedenen nationalen Bewegungen und Debatten. Das vierte Kapitel konzentriert sich auf Nehrus Unabhängigkeitsrede und präsentiert die Ergebnisse der qualitativen Inhaltsanalyse, die auf die Konstruktion einer nationalen Identität in der Rede eingeht. Abschließend fasst Kapitel fünf die zentralen Erkenntnisse der Arbeit zusammen und bietet einen Ausblick auf weiterführende Forschungsfelder.
Schlüsselwörter
Indische Identität, Nationalismus, Unabhängigkeit, Jawaharlal Nehru, "Tryst with Destiny", Qualitative Inhaltsanalyse, Mythen, Symbolismus, Säkularismus, Diversität, "Composite Nationalism"
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- Susanne Held (Autor), 2011, Konstruktion einer nationalen Identität in Indien, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/171256