Methoden in der Bionik: Die Reynoldsbasierte Fluidische Fitness


Scientific Essay, 2011

35 Pages

Dipl.-Ing. Michael Dienst (Author)


Excerpt


Methoden in der Bionik.

Die Reynoldsbasierte Fluidische Fitness.

Luft- zu Wasser- Similarität.

Abstract. Der Aufsatz behandelt die Frage nach einer handgriffigen Formel zur raschen Einkreisung des Gr öß enordnungsbereichs potentieller fluidischer Phänomene in der belebten Natur, die im Sinne der Bionik einen Beitrag leisten, Gestaltungsaufgaben am Unterwasserschiff von Seefahrzeugen zu bearbeiten, sich selbst aber im Medium Luft ereignen. Der Weg der Argumentation führtüber das Buckingham ’ sche Theorem der Similaritätstheorie und Dimensionenbetrachtungen zu der Darstellung eines Sensitivitätsparameters, der die Fluidische Gepasstheit zweier Strömungsphänomene, nachfolgend „ Reynoldsbasierte Fluidische Fitness “ genannt, in Abhängigkeit eines Geometrieparameters, angibt.

Prolog. Man denkt immer, Bionik begänne im Wald. Erst höre ich ihn, dann sehe ich ihn: den Specht. Optimal erledigt er seinen Job. Vorbildlich, möchte ich sagen. Warum nur rotiert in meiner Bohrmaschine ein spiraliges Werkzeug, wo uns doch hier ein kleiner, putziger, obendrein schnurloser Specht, … so oder ähnlich.

Industrielle Produktentwicklungsprozesse und die ihnen inhärenten Gestaltungsvorgänge, ob nun mit oder ohne Seitenblick auf die belebte Natur, funktionieren anders. Meist von Innen nach Außen. Vom Detail zum Ganzen. Von gestaltbaren Modulen zum komplexen Konstrukt. Nun, ein Schiff zu entwickeln, stellt durchaus ein Problem dar, doch existieren Methoden, dieses in eine Schar lösbarer Aufgaben zu verwandeln. Detailfragen oft. Von solch einer Methode soll in diesem Aufsatz die Rede sein. Eine Methode für Detailfragen der „Frühe Phase“ industrieller Produktentwicklungsprozesse, für den ersten strukturierten Hub in einem komplizierten Projektsegment.

Nicht im Wald. Am Ende einer langen Sitzung kümmern wir uns um das Gebäck. Das Gespräch ist nun lockerer, die Themen raumiger, die Kreise weitläufiger, aber immer noch konzentrisch, sich um den Kern unserer rezenten Forschung bewegend: die Optimierung von Leit- und Steuerflächen von Seefahrzeugen. „Irgendwann, nicht heute, aber in der Zukunft, wenn mal Zeit ist, dann aber, … müssen wir das Problem der verstellbaren Dickenrücklage anfassen“. Oh ja, ein spannendes Thema, zweifelsohne. Unsere industriellen Forschungspartner sind keine verschrobenen Spinner; das unterscheidet sie von uns. „Die Abmessungen unserer Ruderprofile sind so in etwa fix, mal breiter, mal schlanker, aber bekannt. NACAs für den Anfang. Die Reynoldszahlen? Eigentlich wie immer; wir fahren die Geschwindigkeit hoch und brauchen ganz unten und ganz oben eben verschiedene Charakteristika. Veritabler Re-Bereich. Variable Profildickenrücklage. Das fasst derzeit keiner an! Ihr etwa?“ Die Frage ist an die Bioniker gerichtet. „Nein, nein, wir fassen es auch nicht an. Obwohl? Schickes Problem“.

Nach einem letzten Keks: „Insekten vielleicht. Wir müssen bei den Insekten nachschauen. Aber? Insekten segeln ja nicht, oder nur selten. Und wenn, dann durch die Luft! Ok, ok. Schluss für heute. Hatten wir nicht noch einen Termin anschließend?“ Es gibt Tage, da wünscht man sich einen Bierdeckel und eine Faustformel.

Bionik. Die belebte Natur hat in den Jahrmillionen der biologischen Evolution äußerst effiziente und Ressourcen schonende Lösungen hervorgebracht. Wir beobachten die Vielfalt biologischer Bauweisen, wir beschreiben und messen die teilweise bis an das physikalisch Machbare optimierte Funktionen, wir bewundern die von einer Einfachheit getragene Eleganz in Gestalt und Dynamik der Lebewesen.

Phänomene der belebten Natur können technische Entwicklungen beflügeln und wecken Begehrlichkeiten Seitens der Ingenieure: Gerne sollen Maschinen so effizient sein wie Lebewesen. Doch eine schlichte Nachahmung der belebten Natur scheitert, wie nicht wenige Episoden der Technikgeschichte zeigen. Konzepte, Bauweisen und Strategien der Biologie unterscheiden sich in verblüffender Weise von denen der Technik. Der technischen Innovation nach dem Vorbild eines Phänomens, beobachtet in der belebten Natur geht eine wissenschaftliche Auseinandersetzung seiner physikalischen, chemischen und informationstechnischen Ursachen voraus. Die Faszination an der Natur wird zu einem Lernen von der Natur in Hinblick auf technische Nutzung: Ein Grenzgang zwischen Biologie und Technik.

Die Bionik arbeitet auf diesem schmalen Grat; sie verbindet die Naturwissenschaften mit den Ingenieurwissenschaften. Aufgabe der Bionik ist es, Prinzipien der belebten Natur zu entschlüsseln, mit dem Ziel, diese auf künstliche Systeme, auf Artefakte, ja letztendlich auf Maschinen zu übertragen. Die Betrachtung von Ergebnissen der angewandten Bionik legt den Schluss nahe, dass strategische Handlungsweisen für die Übertragung von als optimal angesehenen biologischer Problemlösungen existieren [Rech-94]. Jedoch haben, von wenigen Ausnahmefällen abgesehen [BaNe-98] [Bann-02] [Bapp-99] [Bech-93] [Bech-97], die erheblichen Vorarbeiten auf dem Gebiet der Analyse biologischer Systeme [Nach-98][Nach-00][Tria-95][Liao-03] nicht in dem erwarteten Maße zu Produkten oder technischen Innovationen geführt [Die 11-2].

Am Anfang einer technischen Entwicklung nach dem Vorbild der Natur steht nicht selten die interessierte, aber durchaus absichtsfreie Beobachtung eines Lebewesens in freier Wildbahn, wie es gerne so heißt. Meiner Erfahrung nach fällt es nicht leicht, sich der Faszination biologischer Wesen, Handlungsweisen und Bewegungsabläufe zu entziehen, ihnen nicht versonnen und eigenartig berührt zu begegnen. Wer sich oft in der Natur aufhält oder gerne sein oder des Nachbarn Haustier beobachtet, mag das bestätigen. Derart naive, ja unschuldige Beobachtungen verfolgen zunächst einmal keinerlei Ziele und Zwecke. Später dann, zeitlich und örtlich entfernt, vielleicht erst in Gegenwart einer komplexen Gestaltungsaufgabe, bricht der Gedanke einer Problem- ähnlichkeit und dann einer Lösungsoption mit einem Seitenblick auf ein in der Natur beobachtetes, mechanisches oder fluidisches Phänomen, sich Bahn. Ich bin durchaus kein Romantiker, möchte damit aber andeuten, dass ich die strategische Biosystemrecherche, die sich an dem Lastenheft einer „geführten“ Innovation - wie es nicht selten in den Portfolia namhafter Agenturen für Unternehmensberatung [Livo-02] zu lesen ist - orientiert, für eine Art Märchen halte. Ohne eine naturwissenschaftliche Grundeinstellung wird die Übertragung physikalischer, chemischer und informationstechnischer Phänomene in die Welt der künstlichen Dinge, der Technik nicht gelingen. Bevor wir also Bionik betreiben, und ein fluidisches Phänomen, beobachtet an einem Lebewesen, auf die Lösung eines technischen Problems übertragen können, wird seitens der Physik (auf diesem Planeten) eine Ähnlichkeit, eine Similarität hinsichtlich des Wechselwirkungsgeschehens gefordert. Bei fluidmechanischen Wechselwirkungen und unter der speziellen Voraussetzung voll getauchter (Ähnlichkeits-) Exemplare einerseits, des weiteren dem Umstand Rechnung tragend, dass das Lebewesen im Medium Luft agiert, die Zielsetzung aber die Optimierung eines fluidischen Bauteil im Medium Wasser betrifft, unter diesen Voraussetzungen also ist zuerst eine so genannte Reynoldsidentität aufzustellen, ein nützlicher Ansatz.

Reynolds-Zahlen. Schon geraume Zeit bevor industrielle Schiff- und Flugzeugbauer Windkanäle nutzten, um ihre Fahrzeuge systematisch zu optimieren, hatte der Physiker Osborne Reynolds beschrieben, dass sich Zustandsgrößen des Strömungsfeldes, respektive die lokale Geschwin- digkeit und Konstruktionsparameter des Fluidsystems, hier signifikante Längenabmessungen, dann linear variieren lassen, wenn sie auf die Transportkoeffizienten des realen, reibungsbehafteten Fluids bezogen werden.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Die dimensionslose Reynolds-Zahl (Re) stellt das Verhältnis von Trägheits- und Zähigkeitskräften dar. Für reibungsfreie, ideale Flüssigkeiten ist das Verhältnis jedoch unendlich [Die-11-1]. Die Transportkoeffizienten und ν sind wichtige Stoffgrößen in der Fluiddynamik. Sie sind über einen weiteren Stoffwert, der Dichte des Mediums ρ, mit einander gekoppelt. In Tabellenwerken sind beide Darstellungen gebräuchlich. Die dynamische Viskosität ist ein Maß für die Zähflüssigkeit eines Fluids. Je größer die Viskosität, um so mehr nimmt die Fließfähigkeit ab. Deshalb ist es für Beobachtungen im täglichen Leben sinnfälliger, die Fließfähigkeit oder die „Fluidität“ einer Substanz zu beschreiben, also den Kehrwert 1/ . Der Begriff der Viskosität ist eng verwoben mit der Vorstellung eines Widerstands gegen Scherbewegung innerhalb des Fluids [Die-11]. Teilchen zäher Flüssigkeiten sind stärker aneinander gebunden, besitzen eine innere Reibung, die zum Teil über die Anziehungskräfte (Kohäsion) getragen wird. Die kinematischen Viskosität ν trennt die dynamische Viskosität vom Dichteeinfluss des Mediums. Die Viskosität ist sowohl temperatur- als auch druckabhängig.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Tabelle der Transportkoeffizienten und Dichten [Hüt-02] [Gel-10].

Anmerkungen: 1Luft (20 ° C), 2Wasser (20 ° C), 3Maschinenöl, 4Gelatine(bg=240).

Die Reynoldsidentität bedeutet nun folgendes: Sind die Reynoldszahlen zweier fluidischer Szenarien, beispielsweise die Design-Reynoldszahl eines Schiffbauteils und die Reynoldszahl eines beobachteten biologischen Phänomens identisch, erscheint eine Übertragbarkeit im Sinne der Bionik möglich.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Die Größenordnungen der Reynoldszahlen technischer Systeme sind inzwischen gut dokumentiert. Für Flugzeuge und Seefahrzeuge bewegen sich die Re-Zahlen in einem Bereich von 105 und 1010.

Auch für Strömungsbauteile und Anbauten, etwa den Leit- und Steuerflächen an Schiffen existieren aufgrund gut dokumentierter messtechnischer Untersuchungen und zunehmender Verfügbarkeit moderner Hard- und Software zur Strömungssimulation genügend Detailinformationen.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

In der Regel sind die Ingenieure mit den Strömungsverhältnissen im Design-Kontrollraum (Design-Space) und den geometrischen Größenordnungen sehr gut vertraut. Die Reynoldszahl des fluidischen Gestaltungsproblems ist daher für den Entwickler ein wichtiges Kommunikationsmittel und Ausgangspunkt der Strömungsberechnung und der numerischen Simulation: Die Design-Reynoldszahl, ReD [-].

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Details

Title
Methoden in der Bionik: Die Reynoldsbasierte Fluidische Fitness
College
University of Applied Sciences - Beuth  (Bionic Research Unit )
Author
Year
2011
Pages
35
Catalog Number
V171503
ISBN (eBook)
9783640910892
ISBN (Book)
9783640908943
File size
519 KB
Language
German
Keywords
methoden, bionik, reynoldsbasierte, fluidische, finess
Quote paper
Dipl.-Ing. Michael Dienst (Author), 2011, Methoden in der Bionik: Die Reynoldsbasierte Fluidische Fitness, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/171503

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