Aktiencrash - Wenn Börsianer verrückt spielen


Fachbuch, 1995

139 Seiten, Note: 1


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis:

Abbildungsverzeichnis

1. Einleitung

2. Die historischen Spekulationskrisen
2.1. Die Tulpenspekulation
2.2. Das Finanzsystem von John Law
2.3. Der Südseeschwindel
2.4. Die Landspekulation in Florida
2.5. Der Aktiencrash von 1929
2.6. Der Aktiencrash von 1987
2.7. Der "Minicrash" von 1989
2.8. Die Kuweitkrise von 1990
2.9. Der "Gorbatschow - Crash" von 1991

3. Analyse der Spekulationskrisen
3.1. Charakteristika der Anlegergruppen
3.2. Phänomen der Massenpsychologie
3.3. Gemeinsamkeiten aller untersuchten Spekulationskrisen
3.4. Vergleich des Aktiencrash von 1929 mit dem Aktiencrash von 1987

4 Schlußbetrachtung und Ausblick

Anhang

Literatur- und Datenbankverzeichnis

Abbildungsverzeichnis:

1 Preisentwicklung von "Switser" - Zwiebeln: Terminmarkt

2 Der Aktienkurs von John Laws Mississippi-Kompagnie ..

3 Die Aktie der South-Sea-Company an der Londoner Börse

4 Zahlungsdreieck

5 Wall Street auf Höhenflug

6 Deutscher Aktienmarkt 1926-1935

7 DJIA und Dividendenentwicklung

8 Diskont und Marktsätze

9 Brokerdarlehen und der Dow Jones Index

10 Dow Jones Index: Hoch-, Tief- und Schlußkurse sowie Handelsumsätze am NYSE

11 Englischer Aktienmarkt

12 Französischer Aktienmarkt

13 Einkommen der Arbeitnehmer und Arbeitgeber

14 Inflation und langfr. Zins der USA

15 Fusionen und Übernahmen

16 Nettoemission des Unternehmenssektors

17 Auslandskäufe in deutsche Aktien

18 DAX Index und Aktienkäufe der Ausländer

19 Kurs/Gewinn-Verhältnis USA und Deutschland

20 Dividendenrendite USA und Deutschland

21 Zinsdifferenz zwischen den USA und Deutschland

22 Dow Jones Index (Im Jahr 1987)

23 S&P Index and Futures Contract

24 DAX Index (Im Jahr 1987)

25 US-Dollar (1987-1988)

26 Zinsentwicklung 1989

27 Kurs/Gewinn - Verhältnis am Aktien- und Rentenmarkt

28 US-Aktienindizes: Rekordhoch nicht bestätigt

29 Kurs/Gewinn - Verhältnisse am Aktien- und Rentenmarkt

30 Value - Line - Index: Breiter Markt schon auf Talfahrt

31 Nordseeöl: Preisexplosion im Sommer

32 Ölpreis: Aufstieg und Fall

33 Deutscher Aktienindex: Jäher Absturz

34 Zinsentwicklung 1990

35 Deutscher Aktienindex: Abgestürzt

36 Börsenzyklus: Gesetzmäßigkeit seit Generationen

37 Amerikanische Börsenentwicklung von 1924-1929 und 1982-1987

38 Preise der US-Börsensitze

Börsenhändlers Freud und Leid

( von Karl - Heinz Schwarzhaupt)

Die Hausse ist die schönste Zeit

Vor allem, wenn sie lang und breit.

Wenn die Kurse erst mal steigen,

Hängt der Himmel voller Geigen.

Der Händler träumt von goldenen Zeiten. Läßt sich von Euphorie verleiten.

Der Bestand wird groß und größer. Die Buchhaltung wird bös und böser. Denen wird es bang und bänger, derweil die Hausse lang und länger.

Ganz plötzlich kommt am Markt der Dreh, die Zinsen steigen peu à peu.

Noch glaubt man nicht an einen Sturz. Nur eine Pause - die ganz kurz. Drum geht man nochmal kräftig ran und kauft und kauft, soviel man kann.

Doch oh weh - der Zins steigt weiter. Es ist wie auf der Hühnerleiter. Die Angst geht um - der Markt sieht rot. Kein Zweifel mehr, die Baisse droht.

Der Händler seufzt: "Das darf nicht sein, Fortuna - laß mich nicht allein". Bald zittert er - fängt an zu beten, Die Reserven gehen flöten.

Die Baisse läßt uns alle schwitzen, wenn wir auf den Beständen sitzen.

1. Einleitung

Das Auf und Ab der Börsenkurse hatte schon immer eine magische Anziehungskraft auf die Menschen. Der Traum vom schnellen und einfachen Geld erfüllte sich jedoch für die meisten nicht. Häufig beendete ein Crash die Träume vom großen Reichtum und die meisten der Spekulanten verloren einen Großteil ihres Vermögens. Obwohl die Analysemethoden immer weiter verbessert wurden und heute vielfach Computer die Kauf- und Verkaufsentscheidungen treffen, kam es an den Aktien- und Bondmärkte immer wieder zu heftigen Marktbewegungen. Dies signalisiert, daß wir keinen "Vollkommenen Kapitalmarkt" im Sinne der Kapitalmarkttheorie besitzen und ihn sehr wahrscheinlich auch niemals erreichen werden. Denn sehr oft spielt die Psyche der Anleger eine übergeordnete Rolle, welche man nicht mit noch so modernen Analysemethoden vorhersehen kann.

Der aufmerksame Leser wird jedoch feststellen, daß bei allen in diesem Buch analysierten Spekulationskrisen eine immer sehr ähnliche Kursentwicklung und Verhaltensweisen der Marktteilnehmer stattfand. Die Kurse werden erst durch das unbegrenzte Spekulationsfieber in schwindelerregende Höhen getrieben. Schließlich folgt ein Crash, der die Kurse dann wieder in die Nähe ihres wahren Wertes zurückführt. Die Folge des Crashs bleibt oftmals nicht auf das Vermögen der Spekulanten begrenzt, vielmehr wird die gesamte reale Wirtschaft mit in Mitleidenschaft gezogen. Sehr häufig bildet ein Crash auch den Anfang einer wirtschaftlichen Rezession wie dies beispielsweise der Schwarze Freitag im Jahr 1929 war.

Neuberg, im Juni 1996 Matthias Leibner

2. Die historischen Spekulationskrisen

2.1. Die Tulpenspekulation

Im Jahr 1554 entdeckte der Naturforscher Busbeck im türkischen Adrianopel die Tulpe und brachte sie nach Mitteleuropa. Besonders in Holland entstand bald deren große Beliebtheit. Es wurden neue Arten gezüchtet und anfangs interessierten sich nur Garteninhaber für diese Pflanzen. Ein größeres Interesse richtete sich jedoch bald auf den Besitz und die Zurschaustellung der schönsten und ausgefallensten ihrer Art. Mit der Nachfrage nach Tulpenzwiebeln stieg auch deren Preis, jedoch ohne daß die Zucht oder die Einfuhr der Zwiebeln im entsprechenden Maße stieg. Wenig später begannen reiche Kaufleute sich mit ansehnlichen Tulpenbeeten gegenseitig zu übertrumpfen.

Wurden bislang die Tulpenzwiebeln nur unter Gärtnern gehandelt, so gestaltete man den Handel ab dem Jahr 1634 professioneller. Der Handel wurde standardisiert, indem man die billigeren Tulpen nach Gewicht (nach "Assen") handelte. Die teuren und seltenen Zwiebeln wurden weiterhin einzeln gehandelt. Die Tulpenzwiebeln wurden sowohl auf Auktionen als auch in einfachen Dorfgaststätten gehandelt. Anders als bei Aktien, konnte sich jeder Bürger ein konkretes Bild des Spekulationsobjektes machen. Dies motivierte alle Gesellschaftsschichten sich an der Tulpenspekulation zu beteiligen. "Edelleute, Kaufleute, Handwerker, Schiffer, Bauer, Torfträger, Schornsteinfeger, Knechte, Mägde, Trödelweiber...", sie alle wollten an den steigenden Preisen für Tulpen teilhaben. Das Tulpengeschäft expandierte derart, daß man bald Gesetze zum Schutze der Tulpenhändler einführte. Viele Notare, Sekretäre und Schreiber befaßten sich ausschließlich mit dem Tulpengeschäft. Auf entsprechenden Kurszetteln wurden die Preise für die Zwiebeln veröffentlicht. Tulpenzwiebeln wurden sowohl gegen Kasse als auch auf Termin gehandelt. Um möglichst schnell und bequem reich zu werden, nahmen viele Holländer Kredite auf oder verkauften ihr Anwesen um mit noch mehr Geld der Tulpenspekulation nachgehen zu können. Darunter litt zunehmend auch das normale Alltagsleben, da viele anstatt zu arbeiten, lieber aus den Gewinnen der Tulpenspekulation ihren Lebensunterhalt bestritten. Als man erfuhr, daß sich auch das Ausland für Tulpenzwiebeln interessierte, erzielten die Zwiebeln unter hohen Umsätzen neue Höchstkurse. So bekam man für eine einzige Zwiebel zwölf Acker Land oder einen neuen Wagen mit zwei Pferden.

Doch die Zeit, wo alle an dem Handel mit den Zwiebeln verdienten und glaubten daß "die Armut hinfüro zur Sage in Holland werden würde", ging im Februar 1637 zu Ende. Als auf einer Auktion statt der erhofften 1.250 nur 1.000 Gulden für eine Zwiebel zu erzielen waren, verbreitete sich diese Nachricht im ganzen Land. Plötzlich erkannte man, das die Preise auch fallen können und viele Spekulanten begannen zu verkaufen. Vor allem die Spekulanten, die auf Kredit spekulierten, bekamen Angst und verkauften. Für sie war nicht nur ihr Vermögen in Gefahr, sondern es bestand auch das Risiko einen Schuldenberg zu behalten. Da das Angebot stark zunahm und sich die Käufer vom Handel zurückhielten, fielen die Kurse sehr stark.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 1: Preisentwicklung von "Switser" - Zwiebeln: Terminmarkt Quelle: Aschinger, Spekulation, S. 59

Erst jetzt begannen einige darüber nachzudenken, ob die Preise für die Tulpenzwiebeln nicht überteuert waren. Die Preise fielen derart stark, daß man bald darauf ganze Wagenladungen von Zwiebeln für wenige Gulden kaufen konnte. Die professionellen Tulpenhändler, die bei der Hausse und den hohen Umsätzen gut verdient hatten, versuchten durch Reklameveranstaltungen die Bevölkerung zu beruhigen und von dem hohen Wert der Tulpenzwiebeln zu überzeugen. Doch der Versuch schlug fehl und die Preise fielen weiter, bis die Zwiebeln wieder das waren, was sie sind, einfache Gartenblumen. Noch lange litt Holland unter den Folgen des Krachs. Viele hatten ihr gesamtes Vermögen verloren oder mußten noch lange ihre Schulden, die sie durch Spekulation auf Kredit erhalten hatten, zurückzahlen. Jetzt begannen die Geschädigten sich einen Sündenbock zu suchen, ohne zu erkennen, daß sie selbst durch ihre Käufe und durch die damit einhergehenden allgemeine Massenhysterie die Kurse in schwindelerregende und überzogene Höhen gebracht hatten. Die Geschädigten riefen in ihrer Verzweiflung nach dem Staat, das er ihnen Helfen solle, doch auch er konnte ihnen nicht helfen. Die entstandene allgemeine Verarmung wirkte sich negativ auf das Wirtschaftsleben aus, und es kam zu einer großen Depression in Holland. Von der allgemeinen Tulpenmanie blieb in Holland die große Beliebtheit für Blumen bis heute erhalten.

2.2. Das Finanzsystem von John Laws

John Law wurde im Jahre 1671 als Sohn einer aristokratischen Mutter in Edinburgh geboren. Sein Vater war Goldschmied an der North Bridge in Edinburgh und betrieb die zu dieser Zeit üblichen Bankgeschäfte. Um das Bank- und Börsenwesen kennenzulernen ging der junge Schotte John Law nach London. Seinen Lebens- unterhalt verdiente er sich in London meist durch Glücksspiele. Als er im Jahr 1694 bei einem Zweikampf seinen Gegner tötete, kam er unter Mordanklage ins Gefängnis. Wenig später konnte er aus diesem auf das europäische Festland fliehen. In der Folgezeit verdiente er sich seinen Lebensunterhalt durch Würfelspiele, indem er die Chancen berechnete. Über seinen Aufenthalt in London und bedingt durch seine vielen Reisen hatte sich Law ein breites Fachwissen über Finanzen erworben, so daß er bereits 1705 ein Buch über das Banknotenwesen veröffentlichte.

Die Kriege Ludwigs XIV hatten die Staatsschulden bis zu dessen Tode am 1. September 1715 auf drei Milliarden Livres ansteigen lassen. Die hierauf jährlich zu zahlenden Zinsen von 90 Millionen Livres machten alleine 56 Prozent der gesamten Staatseinnahmen aus. Auch der Staatsschatz, der zwischen 700.000 und 800.000 Livres lag, reichte beiweitem nicht zur Schuldentilgung aus. Bereits 1694 mußte England und 1714 Frankreich die bare Schuldenregelung einstellen. Da der Nachkomme von König Ludwig XIV, nur fünf Jahre alt war, übernahm der Herzog von Orléans als neuer Regent die Führung Frankreichs.

Im Jahre 1716 traf Law in Paris ein, wo er bald die Bekanntschaft des Herzogs von Orléans am Spieltisch machte. Dieser verhalf John Law bereits am 2. Mai 1716 eine eigene Bank, die Banque Générale, zu gründen. Die Bank wurde mit einem Kapital von sechs Millionen Livres ausgestattet, von denen drei Viertel in Form von Staatsanleihen und ein Viertel in Bargeld eingezahlt wurden. An den Gewinnen der Bank war der Staat zu drei Vierteln beteiligt, während Jean Law für die Leitung der Bank ein Viertel erhielt. Die Aufgaben der Bank bestand in der Diskontierung von Wechseln, der Aufnahme von Depositen, der Besorgung von Kassageschäften und der Ausgabe von Banknoten. Durch die Banknoten die Laws Bank ausgab wurde der Zahlungsverkehr zwischen Paris und den Provinzen erheblich erleichtert. Die Banque Generale vergab günstige Kredite an die Bevölkerung, und bekämpfte somit die Wucherer, die zuvor 30 Prozent Zins forderten. Durch ein Diskret, welches bestimmte, daß künftig die Steuern inform des Papiergeldes von Law zu zahlen seien, wurden die Law'schen Banknoten und dessen Bank vom Staat unterstützt. Obwohl die Bank nur sechs Millionen Eigenkapital besaß, wurden bereits nach kurzer Zeit 60 Millionen Livres an Papiergeld ausgegeben. Da man das Papiergeld auf Wunsch in Edelmetalle umtauschen konnte, benötigte John Law eine zusätzliche Einnahmequelle zur Absicherung des ausgegebenen Papiergeldes. Zu diesem Zweck wurde die Mississippi Company (die Compagnie d'Occident) gegründet. Das Kapital der Gesellschaft von 100 Millionen Livres mußte durch französische Anleihen eingebracht werden. Später wurden diese Anleihen in eine jährliche Annuität von vier Millionen Livres, welche der Staat zahlte, umgewandelt. Die Gesellschaft erhielt das Recht, die französische Kolonie Louisiana beliebig auszubeuten und den Handel dorthin zu organisieren.

Die Gegenleistung bestand lediglich darin, bei jeder Thronbesteigung eine goldene Krone zu überreichen und jährlich mindestens 6000 weiße Einwanderer und 3000 Negersklaven nach Louisiana zu bringen, sowie den bekehrten Indianern eine ausreichende Anzahl von Kirchen und Geistlichen zur Verfügung zu stellen. Der Verkauf der Aktien verlief zunächst sehr schleppend, da kurz zuvor der französische Geschäftsmann Antoine Crozat an dem selben Vorhaben gescheitert war. Als zudem auch noch die Gebrüder Paris eine Konkurrenzgesellschaft gründeten, der das Publikum mehr Vertrauen entgegenbrachte, fiel der Kurs der Mississippi Aktie von 500 Livres auf 280 Livres zurück. Die inzwischen in Banque Royale umbenannte Bank steigerte nun den Umlauf des Papiergeldes ganz erheblich. Die Mississippi- Gesellschaft fusionierte mit der Senegal-Compagnie, und erhielt das Münzrecht. Die Aktien stiegen daraufhin auf 300 Livres. Nun schloß Law ein Termingeschäft ab, indem er 200 Aktien zu je 500 Livres auf sechs Monate kaufte und dafür 40.000 Livres Prämie zahlte. Da das Termingeschäft in Frankreich unbekannt war, erreichte er dadurch große Aufmerksamkeit. Als das Konkurrenz- unternehmen der Gebrüder Paris durch Entzug der Konzession ausgeschaltet wurde, konnte Law bei steigenden Kursen immer mehr Aktien verkaufen. Um das Steigen der Kurse noch zu verstärken, versprach Law riesige Smaragdberge und unterstützte Autoren, die Louisiana in einem guten Licht darstellten. Bilder wurden veröffentlicht, auf denen Indianer abgebildet waren, die den Franzosen freundlich zuwinkten. Die Gesellschaft stellte nun immer größere Auswanderertrupps zusammen, die mit der Bergung der Gold- und Silbervorkommen schnell reich werden wollten. Diese Pioniere waren es, die das heutige New Orleans gründeten. Um die Aktienemission noch zu steigern, durften nur noch junge Aktien gegen Vorzeigen von vier alten Aktien erworben werden. Da auch die Zukunftsaussichten von Louisiana sehr positiv dargestellt wurden, begannen die Franzosen die alten Aktien bei stark anziehenden Kursen zu kaufen.

John Law unterbreitete dem Herzog von Orléans nun das Angebot, die Staatsschulden von 1,5 Milliarden Livres komplett von der Mississippi-Gesellschaft zu übernehmen. Da die französische Regierung für ihre Altschulden zwischen vier und fünf Prozent Zinsen zahlte, während Law nur drei Prozent verlangte, nahm der Regent das Angebot gerne an, wodurch er eine jährliche Ersparnis von 15 - 20 Millionen Livres erreichte. Das hierzu nötige Geld bekam Law durch Ausgabe von 300.000 neuen Aktien, welche erfolgreich an das Publikum verkauft wurden. Die Emission verlief derart stürmisch, daß sogar einige weibliche Interessenten sich selbst anboten um nur das Recht auf einen Aktienerwerb zu erlangen. Vor den Schaltern der Mississippi-Gesellschaft war das Gedränge derart hoch, das hierbei oftmals einige Anleger zu Tode kamen. In der Rue Quincampoix handelten alle Gesellschafts- schichten von Morgens bis Abends mit den Anteilen der Gesellschaft. Obwohl Law der großen Nachfrage nach den Aktien seiner Gesellschaft mit der Ausgabe neuer begegnete, stieg der Preis der Mississippi-Gesellschaft in nur vier Monaten um 3.600 Prozent. Die Kursschwankungen innerhalb einer Stunde konnten 30 Prozent erreichen. So fielen die Kreditzinsen, die bis zu einem Prozent in der Stunde betrugen, für den Spekulanten nicht ins Gewicht.

Die Einnahmen der Aktienverkäufe wurden für die Rückzahlung der Staatsschulden verwendet. Mit der Ausgabe neuer Aktien wurde auch gleichzeitig immer mehr Papiergeld im Umlauf gebracht. In der Zeit von Juli bis zum Dezember 1719 wurden neue Banknoten in Höhe von 890 Millionen Livres gedruckt. Mit diesem neuen Geld kauften die Bürger Frankreichs umgehend die Aktien der Mississippi-Gesellschaft und ließen deren Kurse weiter ansteigen. Parallel zu dem Kursanstieg der Aktien stiegen auch die Löhne und die Mieten. Explosionsartig entwickelten sich die Preise für Luxusartikel, die sich viele neureiche Spekulanten nun leisten konnten.

Von der Aktienhausse angezogen kamen viele Zuwanderer nach Paris und so stieg die Bevölkerungszahl in der Zeit von 1716 bis 1720 um 33 Prozent. Als Law statt der erwarteten zwölf Prozent Dividende auf einer außerordentlichen Hauptversammlung im Herbst 1719 vierzig Prozent Dividende ankündigte, erreichten die Kurse wenig später ihren Höhepunkt mit etwa 18.000 bis 20.000 Livres. John Law genoß in Frankreich ein großes Ansehen. Er wurde Generalkontrolleuer der Finanzen, Ehrenmitglied der französischen Akademie der Wissenschaft und erhielt die Ehren- bürgerrechte der Stadt Edinburgh.

Als Law merkte, daß sein Imperium zu wackeln begann, versprach er den Aktionären 200 Prozent Dividende. Um diese Dividende zahlen zu können währen 600 Millionen Livres erforderlich gewesen, die Mississippi-Gesellschaft hatte jedoch nur etwa 90 Millionen Livres Einnahmen pro Jahr. Es blieb also John Law nichts weiteres übrig, als durch die Ausgabe immer neuer Banknoten genügend Geld in Umlauf zu bringen und somit die Kurse zu stützen.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 2: Der Aktienkurs von John Laws Mississippi-Kompagnie Quelle: Martin, Spekulationen, S. 89

John Laws Mississippi-Gesellschaft war offensichtlich stark überteuert. Sie erreichte auf ihrem Höchstkurs ein Kurs/Gewinn- Verhältnis (KGV) von 130 bei einer Dividendenrendite von nur einem Prozent. Doch die Anleger schauten schon lange nicht mehr auf eine vernünftige Bewertungsbasis, sondern wurden alleine durch die immer weiter steigenden Kurse angelockt.

Im Januar 1720 wurden einige Großanleger mißtrauisch und begannen ihre Aktien zu verkaufen. Als die Kurse zu fallen begannen, ließ Law Ausrufer durch die Straßen maschieren, die unter Musikbegleitung von den reichen Schätzen in den Kolonien berichteten. Diese Werbeaktion hatte jedoch nur einen kurzen Erfolg, denn als auch noch die ersten enttäuschten Auswanderer zurückkamen und berichteten, daß sie in Louisiana kein Gold oder Silber gefunden hatten, begann der Kurs der Mississippi- Gesellschaft wieder langsam zu fallen. Um das Vertrauen der

Kapitalanleger zurückzugewinnen, stattete Law ein Heer von Pariser Bettlern mit Schaufeln aus und ließ sie durch Paris wandern, so als ob sie unterwegs nach Louisiana wären um dort Gold abzubauen. Als diese Bettler aber nach einigen Wochen wieder an ihren üblichen Plätzen saßen, mußte der Schwindel von John Law auffliegen. Der Aktienpreis halbierte sich in kurzer Zeit und Law versuchte durch Stützungskäufe den Kurs nicht weiter abgleiten zu lassen. Als das Verkaufsvolumen zu groß wurde, mußte er die Stützungskäufe einstellen. Er fuhr zur Börse und versuchte durch besänftigende Worte die Börsianer zu beruhigen, jedoch hatte dies nur einen kurzen Erfolg und die Kurse begannen erneut zu fallen. Um zu verhindern daß die Aktienbesitzer ihre Aktien in Edelmetalle tauschten anstatt in Laws Papiergeld, verbot die Regierung der Bevölkerung einfach den Besitz von Gold oder Silber. Doch anstatt für die Aktien Laws Geld zu nehmen, hortete die Bevölkerung lieber Gold oder Silber bzw. kaufte Sachwerte wie Grundstücke oder Schmuck, deren Preise daraufhin stark anstiegen. Bald wollte die Bevölkerung weder das Papiergeld noch die Mississippi Aktie besitzen.

Die Regierung versuchte Law mit Erlassen, wie das Verbot Schmuck zu tragen oder Aktien auf Termin zu Handeln, zu unterstützten. Doch weder die Schließung der Börse in der Rue Quincampoix noch die Fusion der Mississippi-Gesellschaft mit der Banque Royale konnten die Menschen beruhigen. Ein königlicher Erlaß gab die Herabsetzung auf 5.000 Livres für die Aktie bekannt. Um dem Volkszorn zu entkommen, floh John Law im Dezember 1720 mit nur 800 Livres seines Institutes nach Brüssel. Das Papiergeld Laws verlor am 21. November 1720 seine Eigenschaft als gesetzliches Zahlungsmittel. Durch Laws Finanztricks hatte er dem Regenten zu riesigen Spekulationsgewinnen verholfen. John Law lebte noch vier Jahre in London, ging dann nach Venedig, wo er sich als Spieler und Spekulant nur mühsam über Wasser hielt, bevor er dort 1729 als armer Mann starb. Die Mississippi- Gesellschaft erhielt 1723 das Monopol für Tabak- und Kaffeeverkäufe, später befaßte sie sich mit verschiedenen Tätigkeiten wie z.B.: der Organisation von Lotterien, bis sie schließlich 1772 aufgelöst wurde. Nach dem Zusammenbruch war das wirtschaftliche und finanzielle Leben in Frankreich gestört. Die Spekulationsperiode hatte bedeutende Besitzverschiebungen zur Folge. So gewannen manche dienenden Schichten während der Hausse große Vermögen, welches jedoch die wenigsten halten konnten. Auch das Ausland, wie z.B. Holland, Oberitalien und die Schweiz hatten sich an der Spekulation beteiligt. Die Krise in Frankreich verursachte ein bis in das 19. Jahrhundert andauerndes Mißtrauen gegen Aktienbanken und Papiergeld.

2.3. Die Südseespekulation

Zur selben Zeit als in Frankreich das Spekulationsfieber um die Mississippi-Aktie grassierte, versuchte man in England auf ähnliche Art und Weise seine Staatsschulden zu vermindern. Auch England war im Jahr 1713 mit 53.680.000 Pfund hoch verschuldet. Für die Vergabe von Krediten erteilte England Privilegien an Kapital- gesellschaften. So bekam z.B. die Bank von England das Privileg zur Ausgabe von Noten, die Ostindische Kompanie bekam die Handelsrechte für das Kap der Guten Hoffnung und die Südsee- Gesellschaft bekam die Handelsrechte für Südamerika.

Die Südsee-Gesellschaft wurde bereits im Jahre 1711, vor der Mississippi-Gesellschaft, gegründet. Ihr Gründungskapital gab sie dem englischen Staat als Kredit und bekam dafür im Gegenzug sechs Prozent Zinsen sowie diverse Privilegien für den Handel mit Südamerika. Am 2. Juni 1713 wurde auf der Hauptversammlung vom Präsidenten der Südsee-Gesellschaft und von Englands Finanz- minister Graf Oxford verkündet, daß man sich an dem lukrativen Sklavenhandel beteiligen wird. Die englische Regierung unterstützte das Vorhaben der Gesellschaft, indem sie ihr einige Schiffe schenkte. Von dem französischen Modell der Schulden-reduzierung beeindruckt forderte 1719 die englische Regierung die Südsee- Gesellschaft auf, ihr ein Darlehen in Höhe von 7,5 Millionen Pfund bereit zu stellen. Die Gesellschaft willigte ein und begann am 12. April 1720 ihre Aktien zum Kurs von 300 Prozent, zahlbar in fünf Raten zu je 60 Pfund, zu verkaufen. Als die Ausgabe der Südseeaktien begann, waren in Frankreich die Kurse der Mississippi-Gesellschaft bereits seit Januar 1720 stark gefallen. Doch selbst John Law kaufte zu niedrigen Kursen Aktien der Südsee-Gesellschaft, die er jedoch wenig später, als es seiner Gesellschaft schlechter ging, wieder verkaufen mußte. Unbeeindruckt von dem Kursverfall in Frankreich stiegen die Kurse der Südsee-Gesellschaft unbeirrt weiter, und so konnte der Staat fast seine gesamten Staatsschulden in Kapital der Südsee-Gesellschaft umwandeln. Lediglich vier Millionen Pfund Staatsschulden verblieben bei der Regierung, während die restlichen 38 Millionen das Kapital der Südsee- Gesellschaft bildeten.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 3: Die Aktie der South-Sea-Company an der Londoner Börse Quelle: Martin, Spekulationen, S. 98

Von der aufkeimenden Spekulationslust angesteckt, kam bald eine Welle von Neuemissionen, sogenannte Bubbles, auf den Markt. Die Gesellschaften verfolgten teilweise sehr utopische Geschäftsziele. So wurde z.B. eine Gesellschaft gegründet, die ein Perpetuum Mobile bauen wollte oder es wurde einfach eine Gesellschaft gegründet, deren Zweck noch geheim gehalten werden sollte. Da fast jeder Kauf einer Neuemission mit einem Kursgewinn verbunden war, wurden von den Spekulanten alle Gesellschaften gekauft, unabhängig von deren Geschäftsfeld. Da der Kaufpreis in Raten zu entrichten war, und folglich sehr niedrig lag, konnten sich alle Bevölkerungsschichten an der Spekulation beteiligen. Anfangs verdiente jeder an dem Emporschießen der Kurse, so daß es zu einer starken Nachfrage nach Luxusartikeln kam. Auf dem Höhepunkt des Gründungsbooms, im Sommer 1720, erreichte der Kurswert aller englischen Aktien einen Wert zwischen 300 und 500 Millionen Pfund, was zu dieser Zeit etwa das fünffache des gesamten Bargeldumlaufs in Europa ausmachte.

Als sich die Kurse der Südsee-Gesellschaft nicht einmal mehr durch eine positive Nachricht aus Amerika steigern ließen, begannen einige Großanleger, die über Insiderwissen verfügten, ihre Aktien zu verkaufen. Als sich diese Nachricht als falsch herausstellte und auch noch ein Gesetz zur Bekämpfung von unseriösen Neugründungen in Kraft trat, brach der Kurs der Gesellschaft innerhalb von 14 Tagen von etwa 1.000 Pfund bis auf 150 Pfund ein. Von dem Kurssturz waren vor allem die Spekulanten betroffen, welche auf Kredit spekulierten oder ihr Hab und Gut in die Spekulation investiert hatten. Viele hatten sich mit ihrer Kreditspekulation übernommen und konnten ihre Zinsen nicht mehr zahlen. Daraufhin gerieten viele Banken in Schwierigkeiten, da sie die meisten Spekulationskredite abschreiben mußten. Die geschädigten Spekulanten suchten nach einem Sündenbock, welchen sie in den Direktoren der Südsee- Gesellschaft fanden. Anfang 1721 wurde schließlich das Vermögen der 33 leitenden Direktoren der Gesellschaft beschlagnahmt.

Nachdem die Südsee-Gesellschaft saniert wurde, existierte sie noch weitere 100 Jahre bevor sie schließlich aufgelöst wurde. Die Aktienkrise in England hinterließ tiefes Mißtrauen der Börse gegenüber und viele verglichen diese mit einer Lotterie oder einem Spielkasino und die Börsenmakler mit Gaunern und Halunken.

2.4. Die Landspekulation in Florida

Wenige Jahre vor dem Kurssturz an der Wall Street tobte bereits eine Spekulationswelle in den Vereinigten Staaten, die sich auf die Grundstücke in Florida bezog. Höhere Einkommen und bessere Transportmöglichkeiten machten Florida mit seinem milden Klima als Urlaubsort für die Amerikaner attraktiv. Man erwartete, daß Florida sich bald zu einer Touristenmetropole entwickeln würde, mit der Folge, daß die Preise für Bauland ins Unermeßliche steigen würden. Das Land von Florida wurde in Bauplätze aufgeteilt, welches man mit einer zehnprozentigen Anzahlung sofort kaufen konnte. In den meisten Fällen wollten die Käufer nicht in Florida leben, sondern sie kauften sich mit ihrer Anzahlung eine Option das Land zu einem bestimmten Preis zu erwerben. Dieses Recht konnte nun wieder weiterveräußert werden. Da man zum Kaufen nur jeweils zehn Prozent des Grundstückspreises zahlen mußte, konnte man mit relativ wenig Geld große Landflächen erwerben, die man sich sonst nicht hätte leisten können. Da sich jeweils der Wertzuwachs auf das ganze Grundstück bezog, erzielte man mit den gehandelten Optionen eine große Hebelwirkung. Die Bodenpreise stiegen in wenigen Jahren bis auf das Vierfache ihres alten Wertes. Als die Spekulationseuphorie 1924 und 1925 ihren Höhepunkt erreichte, verdoppelten sich die Preise der Optionen innerhalb weniger Wochen. Daher mußten sich die Amerikaner über die Tilgung ihrer Kredite keine Gedanken machen, da sie innerhalb kürzester Zeit ein Vielfaches ihres Geldes besaßen.

Im Frühjahr 1926 kam der Umschwung. Selbst die Überredungskünste der Grundstücksmakler konnten die Preise nicht mehr weiter steigen lassen.

Als im Herbst 1926 zwei Hurrikans über Florida fegten, bei welchem 400 Menschen starben, und das ganze Land verwüstet wurde, begann die große Verkaufswelle. Obwohl einige Verfechter immer noch die Grundstücke in Florida anpriesen, war der Kursverfall nicht mehr zu stoppen. Die Preise fielen etwa auf das ursprüngliche Niveau zurück. Viele Grundstücksspekulanten verloren ihr gesamtes Geld oder konnten ihren Zahlungs- verpflichtungen nicht mehr nachkommen. Obwohl die amerikanische Bevölkerung nun sah, daß viele durch die Spekulation in Florida verarmten und die Preise auch fallen konnten, agierte man an der Wall Street nicht vorsichtiger. Man sah keinen Zusammenhang zwischen dem Floridaboom und dem steigenden Aktienmarkt.

2.5. Der Aktiencrash von 1929

Der Eintritt der USA in den ersten Weltkrieg erfolgte erst sehr spät, als sich die USA durch den Deutschen U-Boot-Krieg provoziert sahen. Eines der wichtigsten Ergebnisse des Krieges war der Wandel der USA von einem Schuldner zu einem großen Gläubiger. Waren die Amerikaner vor dem ersten Weltkrieg noch mit vier Milliarden Dollar bei den Europäern verschuldet, so konnten sie nach dem Krieg eine Forderung von elf Milliarden Dollar gegenüber den Europäern verbuchen. Die größten Schuldner waren Großbritannien mit 4,7 Milliarden und Frankreich mit vier Milliarden Dollar. Die USA erschwerten ihren Schuldnern durch ihren Protektionismus ihre Schulden durch Exporte in die USA zu erwirtschaften. Es entstand ein beständiger Handelsbilanz- überschuß, der jedoch nicht sehr hoch war. In den Jahren 1923 und 1926 lag der Handelsbilanzüberschuß bei nur 375 Millionen Dollar. Im Spitzenjahr 1928 erreichte er etwa eine Milliarde Dollar. Dem Handelsbilanzüberschuß der USA stand natürlich ein Handelsbilanz- defizit der anderen Länder gegenüber. Diese deckten ihr Defizit entweder durch Goldexporte in die USA oder durch Kredit- aufnahmen bei den Amerikanern. Die Europäer wiederum forderten von Deutschland Reparationszahlungen und verweigerten Deutschland ebenfalls den Export in ihre Länder. Verhandlungen über die gemeinsamen Probleme blieben ergebnislos, da jedes Land nur seine nationalen Interessen verfolgte.

Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges 1918 begann man mit dem Wiederaufbau. Die Industrien, welche im Krieg ausschließlich für die Kriegführung produzierten, mußten auf den Friedensbedarf umgestellt werden. Hauptsächlich durch die Jagd nach Waren zur Auffüllung der Lagerbestände erfolgte in den Jahren 1919 und 1920 ein kurzer aber kräftiger weltweiter wirtschaftlicher Boom. Besonders ausgeprägt war er in Großbritannien und in den Vereinigten Staaten. Die während des Krieges gehorteten Geldmittel wurden nun für den Erwerb von Gütern verwendet. Da die Industrie noch nicht das passende Angebot produzieren konnte, stiegen die Preise zügig an. Frankreich, Deutschland und Teile Europas konnten sich nicht an der Konsumnachfrage beteiligen, da ihnen die finanziellen Mittel fehlten. Nach dem starken Preisanstieg erfolgte ein ebenso starker Preisverfall, da die Produktion nun anlief und das Angebot an Waren auf den Markt strömte. Durch die große Inflation, die in Deutschland ab dem Sommer 1922 weite Teile der Bevölkerung um ihr Geldvermögen brachte, begann in Deutschland die wirtschaftliche Erholung erst im Jahr 1924. Erst nachdem in Deutschland die Währungsreform wieder eine allgemein akzeptierte Währung hervor brachte, begann der wirtschaftliche Aufschwung Deutschlands. Den Amerikanern, welche die eigentlichen Nutznießer des Weltkrieges waren, bereitete die Umstellung der Wirtschaft weniger Probleme.

Ihre Industrien waren durch den Krieg nicht beschädigt und sie erhielten Gelder aus Europa zur Tilgung der Kriegsschulden. In den "Goldenen Zwanziger Jahren" erfolgte in den Vereinigten Staaten ein rascher wirtschaftlicher und technischer Aufschwung. Besonders die Automobil- und die elektrotechnische Industrie erreichten hohe Wachstumsraten. Die Zahl der produzierten Autos stieg von 1920 bis 1929 von zwei auf 5,6 Millionen. Im Jahr 1929 besaß bereits jeder fünfte Amerikaner ein Auto. Ein Verhältnis, daß Deutschland erst 1965 erreichte. Gleichzeitig trieb der Staat in einer Phase des "internal improvement" die Verbesserung der Infrastruktur, insbesondere des Straßennetzes, voran. Die Industrieproduktion konnte sich in den Jahren von 1921 bis 1929 verdoppeln, während das Volkseinkommen sich um 50 Prozent erhöhte. Die Güterpreise fielen von 1926 bis 1929 um durchschnittlich fünf Prozent, während eine geringe Arbeitslosigkeit (im Jahr 1929 gab es nur 3,1 Prozent Arbeitslose) herrschte. Den meisten Amerikanern ging es wirtschaftlich gut und man sprach von einer neuen Ära, in der Krise und Depression für immer verschwunden waren. Die Arbeitsproduktivität stieg durch Rationalisierung und neue Produktionsmethoden (wie z.B. die Einführung der Fließbandfertigung) rapide. So stieg in der verarbeitenden Industrie der Output pro Arbeitsstunde in den Jahren von 1922 bis 1929 um durchschnittlich 5,2 Prozent jährlich. Damit erreichten die USA etwa die dreifache Wachstumsrate, wie vor dem ersten Weltkrieg (1899-1914). Das Bruttosozialprodukt pro Kopf stieg von 1921 bis 1929 um 25 Prozent. Eine kurze Unterbrechung des wirtschaftlichen Aufschwungs erfolgte im Jahr 1927. Der Index der Industrieproduktion fiel von 111 im Mai auf 99 im November leicht zurück. Einer der Gründe dieser kurzen wirtschaftlichen Abschwächung dürfte die Umstellung der Fordwerke auf das neue A Modell gewesen sein, wofür die Autoproduktion für 6 Monate unterbrochen wurde.

Während die Höhe der Kriegsschulden, die die Engländer und Franzosen zu zahlen hatten, direkt nach dem Krieg feststand, wurde die Höhe der Reparationsforderungen erst 3 Jahre nach dem Waffenstillstand durch eine Kommission auf 132 Milliarden Goldmark ermittelt. Die Engländer beharrten nicht in gleichem Maße wie die Franzosen auf der Zahlung der Reparationen, da ihr wichtigstes Kriegsziel, die Eliminierung der deutschen Kriegsflotte erreicht war, und sie durch den Krieg geringere Schäden zu verzeichnen hatten. Die Franzosen konnten auf die Reparationszahlungen nicht verzichten, da sie die größten Kriegsschäden besaßen und die Reparationsfrage für sie von großem politischem Interesse war. Vor allem nachdem Frankreich bereits zweimal zu Reparationszahlungen herangezogen wurde (1815 und 1871), wollte man nun nicht auf diese verzichten. Dies demonstrierte Frankreich sehr deutlich am 11. Januar 1923 als es das Ruhrgebiet besetzte. Veranlaßt durch den Einmarsch der Franzosen schalteten sich die Amerikaner in die Reparationsverhandlungen ein, mit dem Ergebnis, daß 1924 der Dawes Plan ins Leben gerufen wurde. Dieser legte die jährlichen Reparationszahlungen auf eine Milliarde Goldmark fest, die sich bis 1929 auf 2,5 Milliarden steigen sollten. Die durchschnittlichen Staatsausgaben Deutschlands in den Jahren 1927 bis 1930 betrugen etwa neun Milliarden Mark. Daher fiel es ihm sehr schwer die Reparationszahlungen von jährlich rund zwei Milliarden Mark aufzubringen. Die Reparationszahlungen wurden für die deutsche Bevölkerung immer mehr als ungerecht und zu hoch empfunden. Die amtierende Regierung mußte nach außen hin die deutsche Kreditwürdigkeit durch Zahlungswilligkeit erhalten, innenpolitisch mußte sie jedoch gegen die Oppositionsparteien kämpfen, die gegen die Reparationen agierten.

Auch für den Wiederaufbau Deutschlands und die Modernisierung der Industrie waren große Geldbeträge erforderlich. Da während der vergangenen Inflationszeit die inländischen Sparer meist ihre gesamten Ersparnisse verloren hatten, mußte das Ausland als Kreditgeber gewonnen werden. Frankreich und England kamen als Geldgeber nicht in Betracht, da sie selbst durch ihren Kriegs- schuldendienst und den Wiederaufbau ihre gesamten Mittel benötigten. Folglich wurden die USA zum größten Geldgeber für Deutschland. In den Jahren 1924 bis 1929 wurden etwa 50 Prozent der deutschen Nettoinvestitionen mit Krediten aus dem Ausland finanziert. Deutsche Stadtverwaltungen bauten öffentliche Gebäude, die sie mit dreimonatigen Wechseln finanzierten. Bei Fälligkeit der Wechsel, wurde einfach ein neuer kurzfristiger Kredit aufgenommen. Auch die Unternehmen finanzierten sich immer kurzfristiger. So waren im Jahr 1929 etwa 60 Prozent der aufgenommenen Verbindlichkeiten kurzfristiger Art. Bis Ende 1930 stiegen die gesamten kurzfristigen Kredite auf 14,5 bis 15 Milliarden Reichsmark, während man langfristige Verbindlichkeiten in Höhe von 10,8 Milliarden Reichsmark besaß. Diese Form der Finanzierung wurde schon damals als "Dollarscheinblüte" oder als "Konjunktur auf Pump" kritisiert. Durch den von Deutschland initiierten Weltkrieg und die große Inflationszeit, die erst 1924 in Deutschland zu Ende ging, besaß Deutschland im Ausland keine große Kreditwürdigkeit. Es verliehen ausländische Kreditgeber an Deutschland nur Geld, wenn sie dafür mehr Zinsen bekamen als in ihren eigenem Land und sie es bei Bedarf auch kurzfristig zurückziehen konnten. Da etwa die Hälfte der Kredite die nach Deutschland flossen nur kurzfristig angelegt waren, mußten diese immer wieder erneuert werden. Das stellte bei der noch guten Konjunktur kein Problem dar, konnte jedoch dazu führen, daß die ausländischen Gläubiger bei einer Konjunktureintrübung ihre Gelder plötzlich abziehen. Diese Gefahren erkannte auch Gustav Stresemann. Er räumte im November 1928 ein, daß Deutschland in den vergangenen Jahren von geliehenem Geld gelebt hätte und daß eine Krise in Deutschland durch den Abzug kurzfristiger Gelder verstärkt würde. Deutschland sei nicht nur militärisch entwaffnet worden, sondern auch finanziell.

Um die Reparationen zahlen zu können hätte Deutschland einen Handelsüberschuß mit den Alliierten erreichen müssen. Dies war jedoch durch die geringe Aufnahmefähigkeit für Deutsche Waren im Ausland, sowie dem von den amerikanischen Staaten eingeführten Protektionismus erschwert. Ein plötzlicher Rückzug aus-ländischer Gelder konnte auch den deutschen Banken Probleme bereiten, da auch sie sich im hohen Maße mit kurzfristigen Auslandsgeldern refinanzierten. Solange also Kapital nach Deutschland floß, ergab sich ein Kreislauf des Geldes, mit dem alle zufrieden waren. Deutschland konnte an Großbritannien und Frankreich Reparationen zahlen, diese zahlten ihre Kriegsschulden an die USA, und die USA wiederum transferierten ihr Geld nach Deutschland.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 4: Zahlungsdreieck

Quelle: Der Verfasser

Die amerikanische Wirtschaft war bereits vor dem Börsencrash krisenanfällig. Die durch den ersten Weltkrieg stimulierte amerikanische Wirtschaft hatte den Unterschied zwischen Reich und Arm stark vergrößert. Die gute Ertragslage der Unternehmen ließ in den Jahren 1923 bis 1929 die Kapitalerträge und Unternehmensgewinne um 65 Prozent steigen, während die Einkommen der Arbeiter und Angestellten nur um durchschnittlich elf Prozent stiegen. Alleine die 36.000 reichsten Familien von Amerika verfügten im Jahre 1929 über 42 Prozent des Volkseinkommens, während nur 29 Prozent der amerikanischen Familien erreichten oder überschritten das offizielle Existenzminimum mit 2.500 Dollar Jahreseinkommen. Durch die Einführung neuer Technologien (z.B.: Fließbandfertigung) wuchs die Produktivität der verarbeitenden Industrie rapide. So stieg der Output pro Arbeitsstunde von 1922 bis 1929 um jährlich 5,2 Prozent. Die Investitionen der Industrien in Anlagekapital war jedoch gering. Der Zuwachs an Anlagekapital lag von 1922 bis 1929 bei nur 2,9 Prozent jährlich. Auch die Löhne lagen im Jahr 1929 um nur fünf Prozent höher als im Jahr 1925. Durch die Einführung neuer Technologien konnte die amerikanische Industrie sehr viel rationeller arbeiten. Die Steigerung der Industrie- produktion in den Jahren von 1919 bis 1929 um 42,1 Prozent gelang der amerikanischen Industrie mit einer um 6,5 Prozent geringeren Beschäftigungszahl. Auch die Lohnsumme der Industrie- arbeiter stieg während dieser 10 Jahre um nur 9,2 Prozent. Bei steigender Produktion und Produktivität sowie stabilen Löhnen, Gehältern und Preisen wuchsen die Gewinne der Unternehmen überdurchschnittlich. Diese steigenden Gewinne waren die Grundlage der amerikanischen Aktienhausse der 20er Jahren.

Den amerikanischen Haushalten fehlte jedoch zunehmend die Kaufkraft, um all die erzeugten Güter zu erwerben. Durch diese geringe Kaufkraft der breiten Bevölkerung begann sich die Industrie immer mehr auf die Bedürfnisse der gehobenen Gesellschaftsschicht zu konzentrieren. Sie produzierte nun in großem Umfang Luxusartikel. Anders als bei Massenkonsumgütern, die von einer gesamten Bevölkerung gekauft werden und größtenteils zur Deckung des täglichen Bedarfs unverzichtbar sind (z.B.: Nahrungsmittel), werden Luxusartikel nur von wenigen abgenommen, und bei Geldknappheit verzichten diese als erstes auf eben jene Luxusgüter. Damit erweist sich eine Luxusgüterindustrie wesentlich konjunkturreagiebler als eine Massengüterindustrie. Auch der damalig bedeutendste Industriezweig, die Automobil- industrie, zählte zur Luxusgüterindustrie.

Bereits vor dem Crash deuteten sinkende Autoverkaufszahlen auf erste Sättigungserscheinungen hin. So erreichte die PKW Produktion bereits im März 1929 ihren Höhepunkt von 622.000 produzierten Automobilen und fiel bis kurz vor dem Aktiencrash auf 400.000 Fahrzeuge deutlich zurück. Im Juni 1929 erreichte der Index der industriellen und gewerblichen Produktion seinen Höhepunkt und sank anschließend kontinuierlich zurück. Der Federal Reserve Index der Industrieproduktion fiel von 126 im Juni auf 117 im Oktober 1929.

Die Einführung der Fließbandfertigung erlaubte nun die Produktion billiger Massenprodukte. Bereits in den Jahren 1928 und 1929 besaß jeder fünfte Amerikaner einen PKW und die meisten Haushalte besaßen Rundfunkgeräte und Kühlschränke. Die Amerikaner entdeckten den Teilzahlungskredit. Kostspieligere Konsumgüter wurden durch die Aufnahme eines Kredites nun für viele amerikanische Haushalte erschwinglich. Der Bestand an Teilzahlungskrediten stieg im Jahre 1925 von 1,375 Milliarden auf drei Milliarden Dollar im Jahre 1929. Nachdem der Markt für diese Art von Gebrauchsgütern gesättigt war und die Konsumenten die Zinsen ihrer Kredite zurückzahlten, erwiesen sich die Produktionskapazitäten als zu groß, für die Deckung des Ersatzbedarf.

Die wirtschaftliche Entwicklung hatte die Bildung von Großkonzernen wie z.B. der Automobilindustrie (Ford, General Motors) oder der Schwerindustrie (United States Steel) begünstigt. Doch gerade Großkonzerne sind bedingt durch ihre Größe schwerfälliger und innovationsfeindlicher als Kleinbetriebe. Die Großbetriebe diversifizierten nicht in die Massengüterindustrie, da diese durch fehlende Massenkaufkraft unattraktiv waren. Stattdessen investierten sie lieber in die Luxusgüterindustrie, da die Oberschicht, begünstigt durch steigende Aktienkurse das nötige Kaufkraftpotential besaß. Viele Unternehmen begannen bedingt durch steigende Kurse und mangelnden Investitionsmöglichkeiten auch direkt an der Börse zu spekulieren. Manche Firmen gaben sogar ihr Kerngeschäft auf, um ausschließlich an der Börse zu spekulieren. Auch die neugegründeten Holdinggesellschaften investierten nicht in neue Produktionsanlagen, sondern beteiligten sich an schon bestehenden Unternehmen. Die Holdings besaßen die ganze Versorgungsbranche, die Eisenbahnen und Teile der Vergnügungsindustrie.

Es entstand ein krasses Mißverhältnis zwischen Investition und Spekulation. So fiel die Nettoinvestitionen von 3,5 Milliarden Dollar im Jahre 1925 auf 3,2 Milliarden Dollar im Jahre 1929.

Währenddessen stieg der Nennwert der an der Börse gehandelten Aktien in derselben Periode von 27 Milliarden auf 87 Milliarden Dollar.

Das amerikanische Bankwesen war im 19. Jahrhundert stark expandiert und große Banken wie z.B. J. P. Morgan hatten große Macht erlangt. Sie gingen völlig frei und ohne die Kontrolle einer Aufsichtsbehörde ihren Geschäften nach. Erst 1913 wurde ein Zentralbankensystem geschaffen, welches aus 12 regionalen Zentralbanken bestand welche durch Senken oder Erhöhen des Diskontsatzes die Geldmenge beeinflussen konnte.

Die USA führten bereits im Jahre 1921 wieder Prohibitivzölle ein, was den internationalen Welthandel behinderte. Dies führte zu einem internationalen Protektionismus, mit der Folge, daß sich die Produzenten mit ihren Gütern nicht dem internationalen Wettbewerb stellen mußten, da die hohen Zölle sie von der ausländischen Konkurrenz abschirmten. Die durch den ersten Weltkrieg von ihren Zulieferländern abgeschnittenen neutralen Staaten, begannen nun selbst eigene Produktionsgüterindustrien aufzubauen. Die nach dem Kriegsende entstandene Überkapazität blieb nur durch die hohen Zollschranken bestehen. So wurde z.B. vor 1914 lediglich in 8 Ländern Rohstahl produziert, während nach 1918 bereits in 15 Ländern Stahl erzeugt wurde.

Der erste Weltkrieg hatte zu einer höheren Produktion von Nahrungsmitteln geführt. Begründet wurde dies über eine Ausweitung der Agrarflächen und durch den zunehmenden Einsatz künstlicher Düngemittel. Der Ersatz von Zugtieren durch den Einsatz von Traktoren ließ die Nachfrage nach Futtermittel zusätzlich drastisch sinken. So mußte sich das landwirtschaftliche Angebot nach Ende des Krieges als zu hoch herausstellen. In der Landwirtschaft der Vereinigten Staaten wurde etwa jeder vierte Arbeitnehmer beschäftigt. Die notwendige Produktionskürzung hätte demzufolge zu einen massiven Anstieg der Arbeitslosenzahl geführt. Um dies zu verhindern, schützte der Staat die heimische Landwirtschaft durch hohe Zölle vor einem Preisdruck aus dem Ausland. Um den entstandenen Nachfrageausfall zu kompensieren und die Preise zu stützen, kaufte die amerikanische Regierung nun große Mengen von Agrarprodukten (vor allem Getreide) auf. Während die Preise nach Kriegsende nur langsam fielen, stiegen die Lagerbestände alleine von Ende 1925 bis Ende Oktober 1929 um 75 Prozent an.

Die Aktienkurse erreichten an der Wall Street am 24. August 1921 mit einem Dow Jones Indexstand von 64 Punkten ihren tiefsten Wert in den 20er Jahren. Dann begann eine kontinuierliche Aufwärtsbewegung, die nur 1924 und 1926 von kleineren Korrekturen unterbrochen wurde. Im März 1928 begannen die Aktienkurse sprunghaft zu steigen. Neuemissionen brachten hohe Kursgewinne für ihre Zeichner. Langsam begann sich auch die Öffentlichkeit für die Börse zu interessieren. Immer öfters wurde in den Zeitungen von den steigenden Aktienkursen berichtet. Je höher die Kurse stiegen um so mehr glaubte die Bevölkerung, daß die Großspekulanten den Markt steigen und fallen lassen konnten wie sie wollten. Die Öffentlichkeit lauschte den Worten der einflußreichen Männern. Als sich beispielsweise der Direktor von General Motors positiv über sein Unternehmen äußerte, stieg die General Motors Aktie alleine in zwei Tagen um sechs Prozent. Fast alle Zeitschriften und Zeitungen berichteten im Jahr 1929 über den nicht enden wollenden Kursanstieg an der Wall Street mit Bewunderung. Viele Journalisten ließen sich von Händlern bestechen. Sie meldeten über eine bestimmte Aktie positive Nachrichten, nachdem sich der Händler in dem Wertpapier engagiert hatte. Das breite Publikum kaufte aufgrund der guten Nachrichten, die Kurse stiegen und die Händler konnten die Aktien wieder mit großen Gewinn verkaufen. Ende Sommer 1929 teilten die Nachrichtenagenturen nicht nur die Kurse der Wertpapiere mit, sondern sie kündigten sogar noch an, daß um eine bestimmte Uhrzeit eine bestimmte Aktie von mächtigen Käufern gekauft wird. Die Bevölkerung war der Überzeugung, daß der Aktienmarkt in den Händen weniger mächtiger Männer war. Tatsächlich wurden einzelne Aktien von wenigen Personen beeinflußt. Hierzu poolten einige Händler ihre Geldmittel, wählten einen Poolmanager, der an der Börse ein bestimmtes Wertpapier kaufte. Von den hohen Umsätzen und den steigenden Kursen wurden auch andere Käufer angelockt, die sich bald für diese Aktie interessierten. Mit der Nachfrage nach der Aktie stieg deren Kurs, bis sich der Poolmanager wieder von dem Wertpapier verabschiedete. Die Reaktion des Publikums auf die Pooloperationen einiger Händler war, daß es hoffte, sich möglichst früh an der betreffenden Aktie beteiligen zu können um sich noch einen Gewinn zu sichern.

Von der Börsenhausse angezogen, begannen sich bald alle Bevölkerungsschichten an der Spekulation mit Aktien zu beteiligen. Charles Henry Dow, dessen Unternehmen seit dem Jahre 1884 den Dow Jones Index berechnet, sagte daß ein Aktienboom dann zu Ende gehen würde, wenn die Aktien von den Profis zu den Dienstmädchen übergehen. Dies war spätestens im Jahre 1929 der Fall. In der Literatur werden diese unerfahrenen Spekulanten auch als Kellner, Tippfräulein, Gymnasiasten, Witwen und Waisen, Damen und Geistliche, sowie Familienväter bezeichnet. Viele Unternehmen nutzten die hohen Kurse um weitere Aktien auf dem Markt zu bringen. Neuemissionen brachten für ihre Zeichner Zeichnungsgewinne zwischen zehn bis 50 Prozent. Folglich erkundigten sich die Käufer dieser Aktien nicht für welche Investitionsprojekte das Geld verwendet wird, sondern kauften die jungen Aktien allein aus der Gewohnheit, daß alle Neuemissionen Kursgewinne abwarfen. Große Holdinggesellschaften kauften kleinere Unternehmen, die sie mit der Emission von Wertpapieren finanzierte.

Am 6. November 1928 gewann der Ingenieur Herbert Hoover die Präsidentschaftswahl. In seinem sehr optimistischen Wahlkampf verkündete Hoover, daß Amerika dem endgültigen Triumph über die Armut näher sei als jemals zuvor. Am darauffolgenden Tag kam es an der Börse zu einem "Victory Boom", der die Kurse mit sehr hohen Umsätzen sprunghaft steigen ließ. Am 8. Dezember 1928 kam es durch anziehende Geldmarktzinsen zu einem kurzen Kurseinbruch am Aktienmarkt, welcher sich jedoch schnell wieder erholen konnte. Im Sommer 1929 bildete der Aktienmarkt das zentrale Thema in der Tagespresse. Für viele Amerikaner war inzwischen die Aktienspekulation ertragreicher als ihr normaler Beruf. In den Maklerbüros saßen den ganzen Tag über die Kunden, die sich lieber dem Börsenticker widmeten als ihrer normalen Tätigkeit. Der Dow Jones Index stieg von 290,02 Punkten am 31. Mai 1929 bis zu seinen Höchststand am 3. September 1929 auf 386,10 Punkten. Dieser Indexanstieg von 33 Prozent erfolgte innerhalb von nur 95 Tagen. Mit dem Kursanstieg der Aktien stieg auch der Umsatz dramatisch an. Wurden im Jahr 1913 nur 83,4 Millionen Aktien gehandelt, so stieg der Gesamtumsatz im Jahr 1927 auf 576,6 Millionen und im Jahr 1928 wurden bereits 917,7 Millionen Aktien gehandelt. Im Jahre 1929 erhöhte sich der Umsatz erneut auf 1,3 Milliarden Anteile.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 5: Wallstreet auf Höhenflug

Quelle: Martin, Spekulationen, S. 250

Mit dem Umsatzanstieg stieg auch das Einkommen der Aktienhändler. Am Anfang des Jahres 1929 betrug das durchschnittliche Jahreseinkommen der an der New Yorker Börse zugelassenen Wertpapierhändler 367.000 Dollar zuzüglich der Gewinne aus der eigenen meist erfolgreichen Aktienspekulation.

Es gab auch viele warnende Stimmen, die das erreichte Kursniveau für übertrieben hielten. So z.B. sprach Paul M. Warburg von einer hemmungslosen Spekulation die, wenn sie sich fortsetzt, einen Zusammenbruch mit nachfolgender schwerer Krise bedeuten würde. Die Pessimisten wurden als Neider mit altmodischen Ansichten herruntergeredet. Allein um ihre Geschäftsgrundlage nicht zu zerstören, waren die meisten Makler optimistisch für die weitere Entwicklung des Aktienmarktes. Alle bedeutenden Wirtschafts- wissenschaftler äußerten sich positiv über den weiteren Konjunkturverlauf in den USA. So meinte z.B. Keynes im Jahr 1928: "Es kommt keine Krise mehr in unserer Zeit". Auch Professor Irvin Fischer äußerte sich nahe am absoluten Höchststand im Herbst 1929 positiv für den Aktienmarkt. Als am 5. September 1929 Roger Babson vor der Annual Business Conference sprach, meinte er, daß sich ein ähnlicher Zusammenbruch wie in Florida auch früher oder später auf der Börse ereignen werde. Er sah einen Indexsturz von 60 bis 80 Dow Jones Punkten voraus, welcher mit einer wirtschaftlichen Depression verbunden sei. Obwohl die Öffentlichkeit der Meinung von Roger Babson keinen Glauben schenkte, schwächte sich die Börse leicht ab. Man sprach von einem "Babson Break", der jedoch nur einen Tag dauerte und in den folgenden zwei Handelstagen wieder ausgeglichen wurde.

Am 20. September 1929 brach der englische Hatry Konzern zusammen. Clarence Hatry hatte eine Vielzahl von Firmen gegründet, welche Fotoartikel, Kameras und Spielautomaten produzierten. Hatry scheiterte bei dem Versuch die United Steel zu übernehmen, da er Schwierigkeiten hatte die benötigten 8 Millionen Pfund zu beschaffen. Sein Versuch, betrügerische Sicherheiten von seinen verschiedenen Gesellschaften zu verwenden, flog auf, und er mußte bankrott anmelden. Als man Hatrys Geschäfte durchschaute, wurde auch das Vertrauen in die englische und amerikanische Börse angeschlagen. Im Anschluß an diesen Börsenschock erhöhte die englische Notenbank am 26. September ihren Diskontsatz von 5,5 auf 6,5 Prozent. Die Folge war ein Rückfluß europäischer Gelder aus New York.

Mit dem Ausbruch des ersten Weltkrieges wurden die europäischen Börsen geschlossen. Dennoch fand in Deutschland der Freiverkehrshandel während des ganzen Krieges statt. In fast allen marktbreiten Aktienwerten kamen täglich Kurse zustande. Angetrieben von der Kriegskonjunktur, der kriegsbedingten Steigerung der Geldmenge und den anfänglichen Siegen Deutschlands über die Alliierten stiegen die Kurse der Aktien nahezu ununterbrochen. Mit der Wiederaufnahme der amtlichen Notiz im November 1917 begannen die Kurse leicht zu fallen. Ab Februar 1918 begannen die Kurse erneut zu steigen, bis sie mit dem Zusammenbruch Bulgariens, der Türkei und Österreichs im vierten Quartal 1918 einen starken Kurseinbruch erleben mußten.

[...]

Ende der Leseprobe aus 139 Seiten

Details

Titel
Aktiencrash - Wenn Börsianer verrückt spielen
Hochschule
Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main  (Fachbereich Wirtschaftswissenschaften)
Note
1
Autor
Jahr
1995
Seiten
139
Katalognummer
V17154
ISBN (eBook)
9783638217927
ISBN (Buch)
9783656561057
Dateigröße
1831 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Aus einer Diplomarbeit entstandenes Buch, daß im FinanzBuch-Verlag veröffentlicht wurde.
Schlagworte
Aktiencrash, Wenn, Börsianer
Arbeit zitieren
Matthias Leibner (Autor:in), 1995, Aktiencrash - Wenn Börsianer verrückt spielen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/17154

Kommentare

  • Gast am 24.5.2005

    Re: Grafiken.

    Über einen Screenshot (alt + druck) läßt sich ALLES kopieren und in Grafikprogrammen weiterbearbeiten.

  • Gast am 19.5.2005

    Grafiken.

    Leider lassen sich einige Grafiken nicht in externe Dokumente kopieren, was ich sehr ärgerlich finde bei einem digitalem Dokument.

Blick ins Buch
Titel: Aktiencrash - Wenn Börsianer verrückt spielen



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