Die Funktion der Ohnmacht in der Englischen Literatur des 18. Jahrhunderts


Mémoire de Maîtrise, 2002

84 Pages, Note: 1.5


Extrait


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

Theoretischer Teil
Die Ohnmacht aus medizin-philosophischer Sicht
Sprach- und Körperdiskussion im 18. Jahrhundert
Exkurs zu Religion und Moralphilosophie im 18. Jahrhundert
Die Religion im 18. Jahrhundert
Die Moralphilosophie im 18. Jahrhundert
Die Frau, das sensible Wesen

Praktischer Teil
Ohnmachtanfälle aufgrund eines Objektverlusts
Moll Flanders
Tom Jones
Die schamhafte Ohnmacht
Pamela
Dances Pamela; Shamela
Betsy Thoughtless; Female Quixote; Evelina
Die glückliche Ohnmacht
Die Schreckensohnmacht

Zusammenfassung und Ausblick

Bibliographie

Einleitung

Ein Phänomen, das in der literarischen Darstellung des Körpers über alle Epochen hinweg eine facettenreiche Komponente bildet, ist die Ohnmacht. Es liegt auf der Hand, dass dieses Phänomen als Bestandteil der Rhetorik des Überwältigtseins aufgrund seines ästhetischen Potentials für literarische Inszenierungen besonders reizvoll ist. Dabei folgen die meisten Ohnmachten dem „Grundmuster von Schrecken, Zusammenbruch und Abwehr“ (Galle 1993, 111). Die vorliegende Arbeit hat es sich zur Aufgabe gemacht, literarisch inszenierte Ohnmachten nach eben jenem Grundmuster zu untersuchen. Die Betrachtungen konzentrieren sich dabei auf die englische Literatur des 18. Jahrhunderts, wobei das Motiv der Ohnmacht hauptsächlich in narrativen Texten untersucht wird. Wenn die „Variationen, die eine Zeit mit einem Motiv vornimmt, die Epoche kennzeichnen“ (Frenzel 1966, 30), so kann davon ausgegangen werden, dass sich an der jeweiligen Ausgestaltung des Ohnmachtmotivs gleichermaßen signifikante Entwicklungsschritte in der kulturellen Konzeption des Körpers ablesen lassen. Der Untersuchungsgegenstand legt – wie noch zu zeigen sein wird – eine Fokussierung des 18. Jahrhunderts nahe.

Die pathologische Dimension der Ohnmacht wird in dieser Untersuchung nicht untersucht. Ohnmachten, die etwa in Verbindung mit Epilepsie, Katalepsie, Hysterie oder auch Hypochondrie eintreten, haben ihre Ursache in der jeweiligen Krankheit und nicht in einem äußeren Geschehen. Für die literarische Ausgestaltung ist jedoch genau dieses äußere Geschehen von beträchtlichem Interesse, denn es erhält durch einen Ohnmachtanfall eine besondere Akzentuierung. Die Zeit bleibt für einen kurzen Augenblick stehen und der Moment erfährt dadurch eine Fokussierung. Des Weiteren beruhen pathologisch begründete Ohnmachten auf einer anatomischen Dysfunktion, wohingegen die hier relevanten Ohnmachtanfälle lediglich ein Bild momentan „kollabierender leiblicher Normativität“ (Galle 1993, 104) vermitteln. In Anlehnung an Zedlers Großes Vollständiges Universal-Lexicon nenne ich meinen Untersuchungsgegenstand die „eigenleidige Ohnmacht“ (1732-1752, Band V, Spalte 993).

Der eben nur kurzzeitige Verlust des normativen körperlichen Status dürfte dafür verantwortlich sein, dass sowohl die Betroffenen als auch die Betrachter des Spektakels die Ohnmacht meist als belangloses Ereignis herunterspielen konnten und somit den Blick auf die eigentliche Brisanz des Phänomens verstellten. Durch das Bestreben, nur schnellstmöglich wieder in den Rahmen konventionalisierter Körperlichkeit zurückzukehren, geriet das in den Hintergrund, wofür die Ohnmacht Ausdruck und Lösung zugleich ist: das Spannungsverhältnis, das aus dem Gegenspiel von Körper und Kultur entsteht. Mit der Ohnmacht verabsolutiert sich die körperliche Wirklichkeit, wodurch die zivilisatorische Norm unterlaufen wird. Über die Ohnmacht wird die Dementierung kultureller Codes inszeniert.

Versteht man die Ohnmacht als Bild des Körpers, das zu dessen Schutz inszeniert wird, dann ist die Geschichte der „zwischen Physiologie und kultureller Inszenierung changierenden Ohnmacht“ (Galle 1993, Vorwort) vor dem jeweiligen kulturhistorischen Hintergrund zu schreiben. Es zeigt sich, dass die Geschichte der Ohnmacht auf das Engste mit der Geschichte des Körpers verknüpft ist – eine Rekonstruktion der Ohnmachtgeschichte erfordert somit auch die Einbeziehung zeitgenössischer medizin-philosophischer Abhandlungen.

Die im 18. Jahrhundert stattfindende Aufwertung des Körpers führte auch zu dessen intensiveren Beobachtung. Einerseits wurden unveränderliche körperliche Merkmale einer eingehenden Betrachtung unterzogen und katalogisiert (z.B. in Lavaters Physiognomische Fragmente) und andererseits erfuhr die Funktion der Gebärdensprache eine Renaissance. Zum ersten Mal erlangt sie hier den Status des Vermittlers authentischer Gefühle. Es liegt auf der Hand, dass die Ohnmacht als vegetative Begleiterscheinung der Affekte ebenso diesem Repertoire der Gemütsbewegungen angehört. Aus diesem Grund muss in dieser Arbeit auch auf die Rolle der Physiognomie im 18. Jahrhundert eingegangen werden.

Während hinsichtlich der Ohnmacht im medizinischen und literaturtheoretischen Schrifttum das Interesse an der Frau zu dominieren scheint, sind ohnmächtige Männer in der fiktionalen Literatur durchaus keine Rarität. Und dennoch steht außer Frage, dass weibliche Ohnmachten in der Literatur eindeutig überwiegen, besonders ab der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Die Ohnmacht avanciert zum festen Bestandteil der weiblichen Gestik. Verantwortlich dafür zeigt sich einerseits die stärkere Gewichtung der Nerven in der Biologie und andererseits die Religions- und Moralphilosophie des 18. Jahrhunderts. Das besondere Interesse an der weiblichen – der schamhaften – Ohnmacht soll in dieser Arbeit deutlich gemacht werden. Vorausgehend erfolgt jedoch ein vorbereitender Exkurs zur Religion und zur Moralphilosophie.

Meine Literaturauswahl ist gestützt auf den allgemeinen Kanon der englischen Literatur des 18. Jahrhunderts. Dabei habe ich mich auf diejenigen Werke konzentriert, in denen entweder eine besonders aussagekräftige Ohnmacht vorkommt oder in denen sich ein neuer Ohnmachttypus manifestiert. Diese Werke zählen nicht immer zum innersten Kreis des Kanons. In dieser Studie unberücksichtigt bleiben natürlich diejenigen Standardwerke, in denen keine Ohnmacht vorkommt.

Theoretischer Teil

Die Ohnmacht aus medizin-philosophischer Sicht

Auch wenn in dieser Arbeit der Schwerpunkt auf das 18. Jahrhundert zu liegen kommt, darf nicht ganz außer Acht gelassen werden, dass Ohnmachten nicht ausschließlich ein historisches Phänomen darstellen. Auch heute noch stellt die Synkope (so der medizinische Fachbegriff für die Ohnmacht) ein häufiges Problem des klinischen Alltags dar: 30% der Bevölkerung erleiden im Lauf ihres Lebens eine Ohnmacht (Vater 2002, 102) und bis zu 6% aller Krankenhauseinweisungen erfolgen aufgrund einer solchen (Kapoor 1990, 162). In vielen Fällen handelt es sich um ein singuläres Ereignis ohne weitere gesundheitliche Konsequenzen. Wenn eine Synkope jedoch zum wiederholten Male auftritt, stellt dies neben dem potentiellen Verletzungsrisiko auch eine schwerwiegende Beeinträchtigung der Lebensqualität dar[1]. Trotz dieser Häufigkeit des Phänomens der Ohnmacht ist es bis heute noch nicht gelungen, eine allgemein gültige Definition herauszuarbeiten.

Den Begriff der Ohnmacht umgangsprachlich zu definieren, stellt keine große Aufgabe dar. Von einer Ohnmacht spricht man dann, wenn einer Person die Kontrolle über ihren eigenen Körper verloren ging, d.h. wenn die Person ohne Macht ihrem eigenen Körper gegenüber ist. Das Problem dieser sehr oberflächlichen Definition besteht natürlich darin, dass sie sehr allgemein gehalten ist. So macht sie einerseits keinerlei Unterscheidungen zwischen verschiedenen Ursachen, Dauer, Symptomen und Auswirkungen von Ohnmachten und andererseits grenzt sich diese Definition nicht von anderen Formen des Verlustes der Körperkontrolle ab. So hat z.B. eine hysterische Person keinerlei Kontrolle mehr über ihren Körper, dennoch spricht man in diesem Falle nicht von einer Ohnmacht.

Eine medizinische Definition hilft zunächst weiter. Von einer Synkope spricht der Mediziner dann, wenn ein plötzlicher aber harmloser, kurz dauernder Bewusstseinsverlust eingetreten ist. Als Ursache für die Ohnmacht wird „eine mangelhafte Durchblutung des Gehirns“ (dtv-Lexikon 1999, Lemma ‚Ohnmacht’) genannt. Diese Definition ist nun um einiges enger gefasst und dennoch greift sie zu kurz. Es ist zwar tatsächlich die mangelnde Sauerstoffversorgung des Gehirns, bedingt durch eine mangelnde Durchblutung, welche zu einer Ohnmacht führt. Doch diese ist nicht die alleinige Ursache der Ohnmacht, sondern sie ist bereits das Symptom einer tiefer liegenden Ursache. Was die medizinische Definition nicht berücksichtigt, ist die Frage nach der Ursache der mangelnden Sauerstoffversorgung des Gehirns. Diese Frage ist jedoch von zentraler Bedeutung, will man das Phänomen der Ohnmacht besser verstehen.

Den Ursachen nähert man sich, wenn man den Begriff der Ohnmacht durch den des Schwindels erweitert[2]. Leider stellt auch der Begriff Schwindel umgangssprachlich eine leere Worthülse dar, in die alles hineingepackt werden kann, was mit einer Störung der Wahrnehmung und der Körperhaltung, gepaart mit vegetativen Begleiterscheinungen (e.g. Übelkeit und Erbrechen) zu tun hat. In einer restriktiven medizinischen Definition „wird unter Schwindel lediglich eine eindeutige Bewegungsillusion bzw. –halluzination aufgrund einer Störung im vestibulären System verstanden“ (Kömpf 1984, 18). Dies erklärt nun auch, wieso die ohnmächtige Person den sprichwörtlichen Boden unter den Füßen verliert, nämlich weil eine Störung des dem Gleichgewicht dienenden Organ vorliegt. Dafür ist im Falle der Ohnmacht, wie bereits erwähnt, die zu geringe Sauerstoffversorgung des Gehirns mitverantwortlich. Bei der Ursache für den Zusammenbruch der leiblichen Integrität muss laut Kömpf zwischen den beiden Varianten „pathologischer Läsionsschwindel“ und „physiologischer Reizschwindel“ (beide 1984, 19) unterschieden werden. Der pathologische Läsionsschwindel ist bedingt durch eine anatomische Dysfunktion – d.h. eine permanente, pathologische Fehlfunktion führt zu Schwindelanfällen – und daher nicht Gegenstand dieser Arbeit. Dem physiologischen Reizschwindel, zu dem auch die Ohnmacht gehört, liegt, wie der Name sagt, ein Reiz zu Grunde. Der Reiz ist eine wahrgenommene Änderung in der Umgebung, die eine Reaktion hervorruft. Diese Änderung kann sowohl äußerer als auch innerer Natur sein, also tatsächlich stattgefunden haben oder nur imaginiert worden sein.

Zusammengefasst heißt das, dass man dann von einer Ohnmacht sprechen kann, wenn aufgrund einer plötzlichen äußeren oder inneren Änderung der Umgebung die Wahrnehmung dermaßen überreizt wird, dass die Blutzirkulation für eine kurze Zeit unterbrochen wird und das Gehirn daher nur noch mangelhaft mit Sauerstoff versorgt werden kann, was schließlich zu einer Aussetzung des Bewusstseins führt.

Auch wenn der biologische Ablauf einer Ohnmacht heute bekannt ist, darf nicht vergessen werden, dass der Forschungsstand in dem für diese Arbeit relevanten Zeitraum (i.e. im 18. Jahrhundert) noch nicht soweit war. Der Stand der Wissenschaft ist natürlich für die literarische Verwertung des Ohnmachtmotivs von Bedeutung, er darf allerdings nicht mit dem Informationsstand des Autors verwechselt werden. Dieser orientiert sich am Wissen der Gesellschaft (welches wiederum vom jeweiligen Forschungsstand geprägt ist). Konkret bedeutet dies, dass für eine Analyse der literarischen Verwendung des Ohnmachtmotivs im 18. Jahrhundert nicht nur der damalige Forschungsstand berücksichtigt werden muss, sondern auch das damalige gesellschaftliche Wissen über das Phänomen der Ohnmacht, welches einerseits von eben jenem aktuellen Forschungsstand und andererseits vom tradierten Wissen geprägt ist. Um die Funktion der Ohnmacht – nicht nur als literarisches Motiv, sondern auch im realen Leben – verstehen zu können, müssen daher auch diejenigen Komponenten berücksichtigt werden, welche die Ohnmacht zu dem geformt haben, wie sie gesehen und angewendet wurde.

Was die biologische Komponente der Ohnmacht betrifft, so muss die Spur mindestens bis Galen (129-199 n. Chr.) zurückverfolgt werden. Galen selbst folgt der aristotelischen Naturphilosophie, welche durch den wechselseitigen Einfluss von Leib und Seele charakterisiert ist[3]. Dies hat auch auf das Krankheitsbild der Ohnmacht Auswirkungen: Galen weist in seiner Theorie auf die enge Verbindung von Ohnmacht und dem Seelenleben hin[4]. Generell gesehen beruht sein medizinisches System auf drei grundlegenden Konzepten: den Temperamenten, dem Blutfluss und den Säften. Bezüglich der Ohnmacht sind besonders die Säfte von zentraler Bedeutung. Diese müssen einerseits richtig zusammengesetzt sein und andererseits ungehindert fließen können, damit der Organismus Mensch fehlerlos funktionieren kann. Der Wahrnehmungsprozess des Menschen ist aber laut Galen so kompliziert beschaffen (vereinfacht wiedergegeben fließt die Information (die Wahrnehmung) vom äußeren Sinnesorgan über das Gehirn zum Magen, weiter zum Herz und zurück zum Gehirn), dass er zahlreiche Fehlerquellen in sich birgt. Diese Fehler rühren von einem falschen Erkenntnisvermögen der Seele her. Das heißt, die Seele muss sich in einem stabilen Zustand befinden, damit der Wahrnehmungsprozess reibungslos funktioniert.

Ist dies nicht der Fall, hat das Auswirkungen auf die Säftezusammensetzung, welche aus dem Gleichgewicht zu geraten droht. Der Mensch ist nun in seiner körperlichen Souveränität beeinträchtigt: es kann zu Störungen der Sinneswahrnehmungen und auch des Gehirns kommen, was dann wiederum deren Ausschaltung zur Folge hat.

Die Ursache für eine falsche Zusammensetzung der Säfte liegt also nicht in den äußeren oder inneren Organen, sondern in einer Seele, die sich bereits nicht mehr im Gleichgewicht befindet. Um Ohnmachten zu vermeiden, ist es deshalb unabdingbar, dass sich die Seele in einem fehlerlosen Zustand befindet. Dies bedeutete für Galen, dass jegliche Extreme zu vermeiden sind. Besonders der Bereich der Leidenschaft – und damit ist Galen wegweisend für die Ohnmachtinszenierungen des 18. Jahrhunderts – ist davon tangiert:

Du fait que les erreurs [de l’âme] proviennent d’une opinion fausse, alors que les passions proviennent d’une élan irrationnel, j’ai considéré qu’il fallait me libérer moi-même d’abord des passions. Il est vraisemblable qu’à cause de celles-ci aussi nous nous forgeons en quelque sorte de fausses opinions.

(Galen 1995, 7)

Da Galen nicht davon ausgeht, dass der Mensch an sich gut ist, ist die Zügelung der Leidenschaften ein nicht einfaches Unterfangen. Dies stellt kein angeborenes Gesetz dar, sondern muss mühsam erlernt werden. Am Besten kann dies laut Galen über eine kritische Auseinandersetzung mit den Leidenschaften und Tugenden erreicht werden. Denn es ist wichtig, dass man sich im Klaren darüber ist, was ein tugendhaftes – und damit ausbalanciertes – Verhalten bedeutet, welche Konsequenzen es mit sich führen kann und wieso es dennoch einem zu leidenschaftlichen Leben vorzuziehen ist[5]. Hat man sich diese theoretische Grundlage erarbeitet und akzeptiert, liegt noch immer ein steiniger Weg vor einem: eine intensive Selbstbeobachtung muss praktiziert werden. Die Gefahr besteht jedoch darin, dass der Mensch sich gerne von sich selbst blenden lässt, dass er Fehler, die er begeht, gar nicht als solche erkennt. Deshalb ist es von Vorteil, die Selbstbeobachtung erstmals durch eine Fremdbeobachtung (durch einen bereits tugendhaften Freund) zu ersetzen. Die Fremdbeobachtung soll erst dann wieder der Selbstbeobachtung Platz machen, nachdem die Tugendhaftigkeit, also das gezügelte Leben, vollständig internalisiert worden ist. Im psychoanalytischen Terminus ausgedrückt heißt das, dass das Über-Ich die Funktion des Es übernehmen muss.

Es dauerte bis ins 16. Jahrhundert, bis Galens Säftetheorie aufgekündigt wurde. Erst dann gerieten seine Texte und die sich nach und nach offenbarenden Geheimnisse des sezierten Leichnams miteinander in Konflikt. Die Säftetheorie wurde durch Vesal widerlegt und durch den von William Harvey entdeckten großen Blutkreislauf ersetzt. Es waren nun nicht mehr die Säfte (i.e. deren falsche Zusammensetzung oder deren gehinderte Fluss), welche sich für eine Ohnmacht verantwortlich zeigten, sondern das Blut. Damit war man zwar auf der richtigen Spur, jedoch noch immer weit davon entfernt, das Phänomen der Ohnmacht definitiv zu entschlüsseln. Neue Theorien über den biologischen Ablauf einer Ohnmacht wurden geboren, die heute zum Teil recht kurios anmuten. Eine davon stammt aus René Descartes Traktat Über die Leidenschaft der Seele. Bei einer Ohnmacht öffnen sich laut Descartes die Herzklappen über das normale Maß hinaus, sodass zuviel Blut ins Herz hineinfließen kann und das dortige Feuer erstickt. Besonders erstaunlich ist, dass Descartes die Freude als diejenige Leidenschaft hervorhebt, welche am häufigsten Ohnmachten hervorruft:

Art. 122: Über die Ohnmacht

Die Ohnmacht steht dem Tode ziemlich nahe; denn man stirbt, wenn das Feuer im Herzen ganz erlischt, und man wird ohnmächtig, wenn es so erstickt wird, daß nur noch so viel Wärme bleibt, um es später wieder anzünden zu können. Es gibt auch mehrere krankhafte Körperzustände, welche eine Ohnmacht veranlassen können; von den Leidenschaften hat aber nur das Übermaß der Freude diese Wirkung, und es geschieht in der Weise, daß sie die Eingänge zum Herzen ungewöhnlich erweitert, weshalb das Blut aus den Venen plötzlich in solcher Menge eintritt, daß die Wärme es nicht so schnell verdünnen kann, um die kleinen Häute zu heben, welche die Eingänge dieser Venen verschließen. So erstickt es das Feuer, welches es für gewöhnlich unterhält, wenn es nur in maßvoller Weise in das Herz eindringt.

(Descartes 1646, 63)[6]

Abgesehen vom Blutkreislauf hat noch eine andere Entdeckung das Krankheitsbild der Ohnmacht grundlegend verändert: die Nervenbahnen. Die Wahrnehmungen der äußeren Sinnesorgane gelangen nun nicht mehr über irgendeinen diffusen Weg zum Gehirn, sondern sehr konkret über die Nerven. Diese Entdeckung war bezüglich der Ohnmacht fast noch wichtiger als die Entdeckung des Blutkreislaufes, denn eigentlich hat man mit dem Blutkreislauf keine wirklich neuen Erkenntnisse über die Ohnmacht gewonnen (ausgenommen die Tatsache, dass die Galenschen Körpersäfte nicht existieren, das Blut jedoch irgendeine Rolle spielen muss). Die Nerven hingegen nahmen als Verbindung von Sinnesorgan und Gehirn eine zentrale Stelle ein. In ihnen erkannte man das Medium, das einerseits das Gehirn mit Informationen von den Sinnesorganen versorgt und umgekehrt diese Informationen wieder zurück zu den Sinnesorganen befördert. Sie sind also Dreh- und Angelpunkt, wenn es um die Wahrnehmung und den Informationsfluss geht.

Auch in Bezug auf die Ohnmacht nehmen die Nerven ab dem 17. Jahrhundert eine Schlüsselposition ein. Um Ohnmachten zu vermeiden, war es wichtig, die Nerven in einem gutem Zustand zu halten. Einen Ansatz dazu sah man wiederum in der Zügelung der Leidenschaften, da man annahm, dass ein zu passioniertes Leben zu Störungen der Nervenbahnen führen konnte. Während sich also das medizinische Krankheitsbild (i.e. Ohnmacht aufgrund falscher Säftezusammensetzung) überholt hatte, so hat sich die Ursachentheorie nicht weiter geändert. Nach wie vor galten exzessiv ausgelebte Leidenschaften als hauptverantwortlich für Ohnmachtanfälle. Jedoch war nicht das Abtöten der Leidenschaft das erklärte Ziel, sondern deren Domestizierung, was allein durch die Orientierung an der Tugend erreicht werden konnte. Das vollkommene Ausschalten der Leidenschaft hätte aus damaliger Sicht das Problem der Ohnmacht zwar gelöst, ließe sich jedoch kaum durchführen. Denn einerseits ist die Sexualität (die wichtigste aller Leidenschaften) ein Trieb, d.h. ein angeborenes Prinzip, und andererseits käme der laut geäußerte Wunsch nach einer vollständigen Auslöschung der Leidenschaft einem Aufruf zur Revolution gleich. Schließlich ist ein Minimum an sexueller Leidenschaft vonnöten, damit die Gattung Mensch überhaupt überleben kann.

Die Theorie, dass ein zu ausschweifender Lebenswandel Nervenkrankheiten und Ohnmachten hervorrufen kann, hatte das ganze 18. Jahrhundert über Bestand und konnte sich bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts halten[7]. Genau so wenig änderte sich natürlich der Krankheitsverlauf, der bereits von Lukrez (cf. Fußnote 4) knapp umrissen wurde. Dauer und Heftigkeit von Ohnmachtanfällen können demnach stark variieren, die Symptome hingegen sind sich immer sehr ähnlich: Neben dem Verlust des Orientierungssinnes und des Bewusstseins zeichnet sich eine Ohnmacht durch einen flachen aber schnellen Puls, kalten Schweiß und Blässe im Gesicht aus.

Letztere sind aber nicht nur Symptome der Ohnmacht, sondern auch des Schocks. Heute weiß man, dass sowohl die Ohnmacht als auch der Schock ihre Ursache in der mangelnden Blutversorgung des Gehirns haben. Daher ist auch die Therapie die gleiche: die Beine hochhalten. Dadurch wird der Kreislauf stabilisiert, denn das Blut kann leichter aus den Beinen zum Herzen zurückfließen und steht so schneller zur Verbesserung des

Blutdrucks zur Verfügung. Durch das zusätzliche Befreien des Oberkörpers von enger Kleidung wird einerseits die Atmung und andererseits der Blutfluss vom Herzen zum Gehirn erleichtert. Die Zeit der Bewusstlosigkeit kann dadurch sehr stark verkürzt werden.

Anders als heute wusste man im 18. Jahrhundert allerdings noch nicht, welche Rolle das Blut bei Ohnmachten genau spielt und die Behandlung sah demnach auch ganz anders aus als heute. Wie die Ursachen hat sich auch die Art der Behandlung von der Antike bis ins 18. Jahrhundert nicht verändert. Um möglichst schnell aus dem Zustand der Sinn-Losigkeit befreit zu werden, war es wichtig, die Lebensgeister wieder zu erwecken, oder, wie es seit der Entdeckung der Nervenbahnen präziser heißt: die Nerven zu reizen. Dies führte mitunter zu recht eigenartigen Heilungsvorschlägen. Um eine ohnmächtige Frau wieder zu Bewusstsein bringen zu können, empfiehlt z.B. der englische Nervenarzt Robert Whytt:

[...] muss man eine Ader öffnen; nachhero kann man sich bemühen, sie wieder durch den Rauch der stinkenden Asa, verbrannter Federn, oder durch Bernsteinöhl und Hirschhornspiritus, die man auf Baumwolle tröpfelt und der Kranken in die Nase stecket, zu ermuntern. Es können diese Mittel durch den starken und plötzlichen Eindruck, den sie auf die höchst empfindlichen Nerven der Nase machen, nicht nur die verschiedenen Werkzeuge des Körpers wieder in Bewegung bringen, sondern auch die unangenehme Empfindung in demjenigen Theile des Körpers schwächen oder aufheben, welcher diese Ohnmacht verursacht hat.

(Whytt 1764, 358-361)[8]

Daneben listet Whytt noch weitere Therapieempfehlungen auf, wie z.B. heiße Ziegelsteine unter die Fußsohlen zu legen, warme Fußbäder zu geben oder das sogenannte „antihysterische Pflaster“ auf den Leib der Ohnmächtigen zu legen (alle Whytt 1764, 361-362). Natürlich war dergleichen nicht immer zur Hand, und es galt zudem auch nicht gerade als schicklich, jemandem verbrannte Federn unter die Nase zu halten. Als weitaus dezenter erwies sich da das populär gewordene Riechfläschchen.

Bernsteinöl empfiehlt Whytt nicht nur, weil es „die Werkzeuge des Körpers wieder in Bewegung“ versetzt, sondern auch, weil es das Atemholen leichter macht. So beschreibt er in seinen Beobachtungen den Heilungsversuch mit Bernsteinöl an einer Patientin, die an „hysterischer Ohnmacht“ litt: „Das Bernsteinöhl, welches man ihr vor die Nase hielt, schwächte im Anfange die krampfichte Zusammenziehung der Stimmritze, und machte das Athemholen leichter“ (Whytt 1764, 178)[9]. Whytt hält es also für wichtig, dass die Atmung richtig funktioniert. Bemerkenswert ist, dass er dies mit Hilfe von Bernsteinöl zu erreichen versucht und nicht, wie andere Mediziner, durch das Öffnen der Kleidung.

Das Freimachen des Oberkörpers wäre durchaus naheliegend gewesen, da die Bekleidungsmode des 17. und 18. Jahrhunderts den Leib regelrecht zugeschnürt hatte. Das Streben nach einer Zügelung der Leidenschaften fand sein Pendant in der Kleidung: Um das Jahr 1700 hatte das Korsett Hochkonjunktur[10]. Erstaunlicherweise wird seitens der Mediziner zu keiner Zeit diese beengende Mode für das Auftreten von Ohnmachtanfällen verantwortlich gemacht, während sie sich mit anderen vom Korsett herführenden Schäden zum Teil intensiv beschäftigten (cf. Junker 1988, 146).

Wie bereits erwähnt, liegt einer Ohnmacht immer eine bewusst oder unbewusst wahr­genommene Änderung in der Umgebung zugrunde. Die Ursache für eine solche Änderung können ganz unterschiedlicher Natur sein. Während Descartes hauptsächlich die Freude dafür für verantwortlich macht, so listet Whytt in seinen Beobachtungen (1764) eine ganze Reihe von Ursachen auf: „Ausdünstungen [...] und andere Arten von Gerüchen“ (p. 16), „Anhören trauriger Geschichten oder [ein] stark rührenden Anblick“ (p. 16), „leerer Magen und Gifte“ (p. 17), „[den] Schmerz der güldnen Ader“ (i.e. Hämorrhoiden, p. 27), Zahnschmerzen und allgemeine „Zärtlichkeit der Nerven“ (beide p. 77), „warmes Blut, wenn es in den Magen kommt“ (p. 89), „Anblick einer Katze“ und Zimt (beide p. 99), Blutverlust (p. 142), Sonnenfinsternis (p. 162), Traurigkeit (p. 163), „Blähungen, Schärfe oder andere Ursachen“, „plötzliche Verstopfung der monatlichen Reinigung“ und „heftige Gemütsbewegungen“ (p. 179).

An dieser Auflistung lässt sich erkennen, dass die Ohnmacht zwar ein häufiges Phänomen im 18. Jahrhundert war, dass die Ursachen dafür jedoch unterschiedlichster Natur sein konnten. Nicht alle Menschen fielen wegen den gleichen Gründen in Ohnmacht. Generell können diese Ursachen in zwei Gruppen eingeteilt werden: in körperlich (e.g. Hämorrhoiden oder Blutverlust) und sensorisch bedingte (e.g. Anblick einer Katze oder Sonnenfinsternis). Bei Letzteren fällt auf, wie groß die Bandbreite der zu Ohnmacht führenden Ursachen ist. Im Grunde kann alles zu einer Ohnmacht führen, wenn die Person damit reizbar ist.

Sprach- und Körperdiskussion im 18. Jahrhundert

Betrachtet man die Erscheinung der Ohnmacht nach der medizinischen Sicht nun unter dem Gesichtspunkt der zeitgenössischen Ansichten zur Interaktion zwischen Geist und Körper, kann man sie als eine Form der Körpersprache verstehen. Die Zeit der Aufklärung war geprägt vom Drang nach der Wahrheitsfindung. Wie näherte man sich nun vor diesem Hintergrund der Frage nach der Verbindung der Seele zum Leib?

Das 18. Jahrhundert, das Jahrhundert der Aufklärung, wurde von Ulrich Ricken auch als „Jahrhundert der Sprachdiskussion“ bezeichnet (Ricken 1984, 77)[11]. Dass bei den Aufklärern hauptsächlich sprachphilosophische Themen hoch im Kurs standen, überrascht nicht, ging es doch generell darum, in das Erkenntnisvermögen der menschlichen Existenz einzudringen. Die Sprache als die den Menschen spezifizierende Eigenschaft geriet dabei ins Zentrum des Interesses. Besonders die Suche nach dem Ursprung der Sprache beschäftigte die damaligen Philosophen und Literaten. Bei allen Unterschieden war man sich dahingehend einig, dass die Gebärdensprache zusammen mit einfachen Lautäußerungen, am Anfang der Sprachgeschichte gestanden haben muss[12]. Ebenso herrschte kein Dissens darüber, dass allen gebärdensprachlichen Äußerungen die Leidenschaften der Seele zu Grunde liegen müssen. Dies trifft, wie im vorangegangenen Kapitel erläutert, auch auf das Phänomen der Ohnmacht zu. Sie wird seit der Antike als Ausdruck einer affizierten Seele verstanden. Es ist daher nicht abwegig, die Ohnmacht in die Reihe des gebärdensprachlichen Repertoires einzugliedern.

Mit der fortschreitenden Zivilisation des Menschen differenzierte sich die einfache Lautsprache immer stärker. Verantwortlich dafür zeigt sich das Mitteilungsbedürfnis des Menschen. Denn dieser möchte seine erlebten Empfindungen, wie z.B. Freude oder Schmerz, anderen Leuten mitteilen, wobei sich mit der Zeit ein elaboriertes Zeichensystem konstituierte. Parallel zu der immer stärkeren Gewichtung der Wortsprache nahm die Bedeutung der Gebärdensprache kontinuierlich ab. Wie Kamper und Wulf betonen, ist die

gesteigerte Bedeutung des Wortes stark verbunden mit dem Verlust an Körperlichkeit: „Zivilisation als Transformation des Körpers ins Geistige war und ist nämlich auf der anderen Seite Abstraktion vom Körper.“ (Kamper/Wulf 1984, 12). Wenn sich erst mal eine Wortsprache gebildet hat, dann ist die einst notwendige Gebärdensprache nur noch deren Anhängsel. Das heißt aber nicht, dass sie gänzlich in die Bedeutungslosigkeit hinabgesunken wäre. Denn obwohl die Körpersprache quantitativ an Gewicht verloren hat, konnte sie qualitativ ihren hohen Stellenwert beibehalten.

Was sich verändert hat, ist die Funktion der Gebärdensprache. Ihr Zweck ist es nicht mehr, Inhalte wiederzugeben (diese Funktion hat ja die Wortsprache übernommen), sondern das wiederzugeben, was mit der Wortsprache allein nicht möglich ist. Denn keiner Sprache – geschweige denn der Wortsprache – ist es möglich, die Wirklichkeit adäquat abzubilden. Besonders der Bereich des Seelenlebens, die Gefühle und das Empfinden, lassen sich mit der Lautsprache nur sehr unzureichend und nur unter einem relativ hohen Zeitaufwand wiedergeben. Da die Gebärdensprache dem Ursprünglichen generativ näher liegt als die Wortsprache, ist sie besser in der Lage, das ebenfalls dem Ursprung nahe Seelenleben adäquat abzubilden. Eine spontane Geste ist zudem viel weniger zeitintensiv als der Versuch, das Gleiche mit Worten wiederzugeben und auch deshalb ist sie wesentlich verlässlicher, d.h. Emotionen lassen sich oft mit einer Geste deutlicher vermitteln, als in verbaler Form.

Bereits im 18. Jahrhundert also hat man die Gestik und die einfachen Lautäußerungen in den Bereich des Vorsymbolischen gelegt. Während sich die Wortsprache im Verlauf der Zivilisierung immer weiter vom Ursprung entfernt hatte, blieb die Gebärdensprache stehen. Letztere soll nun darüber berichten, was mit der Wortsprache nicht gesagt werden kann. Die spontane Gestik wurde als Äußerung des Un- und Vorbewussten verstanden:

Was nicht zum Bewusstsein gelangt, aber dennoch das Handeln des Subjekts weitreichend bestimmt, sind Sedimentierungen sensitiver Wahrnehmungen, die dem Bewusstsein entgehen, deren körperliche Reflexe aber dennoch als diffuse Empfindungen spürbar werden können.

(Behrens 1994, 565)

Das bedeutet, dass sich das Bild der Seele durch den Körper mitteilt. Was die Wortsprache nicht abbilden kann oder möchte, dass schafft nun der Leib. Da dieser Prozess unbewusst abläuft, hat das einzelne Subjekt keine Kontrolle darüber. Mit anderen Worten heißt das, dass der Mensch dem Körper unterworfen ist und keine Macht mehr über ihn hat. Natürlich kann der Mensch versuchen, seinen Körper zu kontrollieren, doch war man in der Aufklärung der Auffassung, dass dies einerseits nicht erstrebenswert und andererseits nur bedingt möglich sei. Man kann den Leib zwar disziplinieren und versuchen zu verhindern, dass sich das Seelische durch den Körper mitteilt, doch gegen spontane Gefühlsregungen und deren sichtbare Zeichen am Leib ist der Mensch nicht gefeit.

Dass der Mensch seinem eigenen Körper unterworfen ist, ist vor allem vor dem Hintergrund der Täuschung von Interesse, wenn also ein Dissens zwischen Gedachtem und Gesagtem besteht. Dabei stellt sich der Körper stets hinter die Wahrheit, d.h. wenn der Körper sich einschaltet, entlarvt er das eben Gesagte als Lüge. Alois Hahn geht davon aus, dass der Körper „unfreiwillig Auskunft über eine vorher verborgene Wahrheit gibt“ (Hahn 1988, 671). Das heißt, dass es schon möglich ist zu lügen, ohne dass sich das am Körper bemerkbar macht. Wenn sich der Körper jedoch einschaltet, dann bildet er die alleinige Wahrheitsinstanz[13].

Da sich die Wahrheit ‚diffus’ über die Körpersprache äußert und man gleichzeitig auf der Suche nach der Wahrheit – dem Ursprünglichen und Authentischen – war, erhielt der Körper im Verlauf des 18. Jahrhunderts eine immer wichtigere Bedeutung. Für Behrens macht die Entdeckung des Unbewussten im 18. Jahrhundert „eigentlich die literarische Entdeckung des Körpers [aus]“ (Behrens 1994, 565). Je wichtiger die Erkenntnis des Unbewussten wurde, desto wichtiger wurde folglich auch der Körper an sich. Das Verhältnis von Leib und Seele ist demnach kein dualistisches. Obwohl beide voneinander getrennt sind, wurde der Körper nicht als Opposition zum Geist angesehen, sondern bildete mit ihm zusammen eine Einheit[14]. Der Leib wurde zum ehrlichen Artikulationsmedium des Un- und Vorbewussten. Um dem Authentischen näher zu kommen, war es daher vonnöten, den Körper zu verstehen, seine Zeichen richtig zu lesen und zu interpretieren.

Der Leib hat also seine eingeschränkte Funktion als „scheinbar vertrautes Gehäuse fühlbaren Lebens“ (Böhme 1989, 145) verloren. Fortan ist er mehr als bloße Hülle. Er ist zu einem interpretierbaren Zeichen geworden, oder wie Hartmut Böhme es formuliert hat: „Körper ist Sprache und Sprache ist Körper“ (Böhme 1989, 171). Verbunden mit dem Einbruch des Körpers in die Zeichenhaftigkeit ist das gestiegene Interesse an ebenjenem. Man wollte wissen, was der Körper sagt, wenn er spricht – gerade im Falle einer Ohnmacht. Es ist daher nicht weiter erstaunlich, dass die Physiognomie – die Wissenschaft der Körpersemiotik – im Zeitalter der Aufklärung ihren ersten Höhepunkt erreichte.

Einen zeitlichen Ursprung der Physiognomie auszumachen ist unmöglich, da es die Menschheit schon seit Urzeiten interessiert hat, in welchem Verhältnis sich das Innere mit dem Äußeren befindet. So findet sich in der Bibel eines der bekanntesten Beispiele aus der klassischen Physiognomie: „Nehmt an, ein Baum ist gut, so wird auch seine Frucht gut sein; oder nehmt an, ein Baum ist faul, so wird auch seine Frucht faul sein. Denn an der Frucht erkennt man den Baum.“ (Matthäus 12.33). Anhand des Äußeren soll man also erkennen, wie das Innere beschaffen ist. Zur Wissenschaft wurde die Physiognomie aber erst mit Paracelsus (1493(?)-1541). Seiner Meinung nach „ist nichts so Geheimes im Menschen, das nit ein auswendig Zeichen an sich hätte. [...] Der da die natürlichen Dinge beschreiben will, der muss die Zeichen vornehmen, und aus den Zeichen das selbige erkennen.“ (Paracelsus zitiert in Böhme 1989, 150). Auch für Paracelsus gab es also einen festen, monokausalen Zusammenhang zwischen dem sichtbaren Äußern und dem unsichtbaren Innern. Dies galt nun im Besonderen für die Medizin: jedes Symptom hat eine im Verborgenen liegende Ursache. Um eine Krankheit erfolgreich behandeln zu können, genügte es nicht mehr, nur die Anzeichen zu entfernen, sondern die Ursachen der Krankheit mussten erkannt und behoben werden. Hierzu musste man in der Lage sein, die Symptome, also die Körperzeichen, richtig zu interpretieren. Der menschliche Leib wurde auf Zeichen hin untersucht, denn jedes hatte eine tiefer liegende Bedeutung.

Bei Paracelsus ist der Körper nicht Quelle einer Krankheit, sondern nur der Schauplatz, auf dem die Krankheit ihre Spuren hinterlassen hat. Die Ursachen einer Krankheit können an ganz anderer Stelle liegen. Paracelsus ging davon aus, dass alles in der Welt mit allem zusammenhängt: Der Leib, die Dinge (z.B. die Metalle), die Erde, das Wasser und die Sterne üben einen wechselseitigen Einfluss aufeinander aus. Der Mensch nun nimmt eine Sonderstellung in der Natur ein, da er quasi am Ende dieser Reihe steht. In ihm sind „die Signaturen des Kosmos inkorporiert“ (Böhme 1989, 155). So ist bei Paracelsus der Mensch nicht Herr über sich selbst und seinen Körper, sondern er ist der Natur unterworfen:

[...] der Mensch ist die verborgen Welt, in dem die sichtbaren Dinge unsichtbar sind, und so sie sichtbar werden, sind es Krankheiten und keine Gesundheit, denn er ist microcosmos, nicht mundus.

Was der Himmel wirket, das müssen sie leiden und erdulden.

(Paracelsus zitiert in Böhme 1989, p. 158)

Der Gedanke, dass der Mensch der Obrigkeit der Natur unterworfen ist, verschwand im Laufe der Zeit wieder aus dem Bewusstsein der Menschen. Die Physiognomie hat sich nicht mehr weiter entwickelt und blieb im Bereich der Medizin haften. Erst im 18. Jahrhundert hat sich diese Wissenschaft der Körpersemiotik reformiert und wieder an Bedeutung gewonnen.

Während bei Paracelsus die Physiognomie hauptsächlich als Instrument zur Empirisierung des Verhältnisses Mensch und Umwelt eingesetzt wurde, um damit die wahre Ursache von Krankheiten erkennen und beseitigen zu können, hat sich deren Fokus im 18. Jahrhundert verschoben. Was in der Aufklärung besonders interessierte, war das Verhältnis des Menschen zu seinem eigenen Innern. Man wollte mit Hilfe der Physiognomie endlich bis zur Seele vordringen und sie empirisieren. Während man in der Antike und in der frühen Neuzeit davon überzeugt war, dass sich die Seele ‚irgendwo’ im Körper befindet, so hat sich diese Anschauung bis zum 18. Jahrhundert geändert[15]. Das seit der Renaissance ungebrochene Interesse am menschlichen Körper, die vielen Sektionen und der damit verbundene wissenschaftliche Fortschritt, ließ die Seele allmählich verschwinden. Nachdem der ganze Körper anatomisch erforscht war und die Seele dabei immer noch nicht gefunden wurde, kamen natürlich mit der Zeit Zweifel über deren wirklichen Existenz auf.

Mit Hilfe der Physiognomie ließ sich nun der Nachweis der Existenz der Seele erbringen, auch wenn sie nach wie vor nicht lokalisierbar ist. Dennoch musste sie vorhanden sein, denn irgendetwas, das sich außerhalb des Kontrollierbaren befindet, muss ja dafür verantwortlich sein, dass sich der Körper spontan mittels Zeichen äußern kann. In der Aufklärung war es also nicht mehr der Kosmos, der den Leib zur Schaubühne werden ließ, sondern die Seele – was sich dann auch in den Ohnmachttheorien zeigte.

In der Vorstellung des 18. Jahrhunderts hatte jeder körperliche Ausdruck seinen Ursprung in der Seele. Durch diesen Paradigmenwechsel in der Physiognomie war es nun nicht mehr nur möglich, über das Äußere Informationen zum Gesundheitszustand einer Person zu erhalten, das Äußere gab jetzt auch Auskunft über das Innere eines Menschen. Die Seele wurde durch den Körper freigelegt und war nun sichtbar für alle. Diese Offenlegung der Seele brachte natürlich Konsequenzen mit sich, denn nun konnte anhand des Körpers ein lasterhaftes Leben nachgewiesen werden. Wer ein tugendhaftes Leben führte, also eine schöne Seele besaß, wurde belohnt mit einem schönen und gesunden Körper. Das von der Antike bis hin zur Aufklärung geforderte gemäßigte Leben hatte nun

mit dem Leib einen Gradmesser gefunden. Der Leib kann aber nur dann zu einem Gradmesser der Seele werden, wenn seine Authentizität nicht in Frage gestellt wird, denn der Glaube an die Aufrichtigkeit des Körpers – und somit auch der Seele – schließt aus, dass ein Körper unter Umständen auch manipuliert werden könnte.

Eingangs dieses Kapitels habe ich festgestellt, dass sich mit der fortschreitenden Zivilisierung des Menschen auch die Wortsprache soweit kultiviert hatte, dass sie schließlich zur regelrechten Kunst wurde. Auch wenn sich im Gegensatz dazu die Gebärdensprache nicht unwesentlich vom Ursprung entfernt hatte, so blieb auch sie von der Anschuldigung der Künstlichkeit nicht verschont. Diese skeptische Betrachtung trug ihren Keim im höfischen Leben des 17. Jahrhunderts. Der verlangten Domestizierung der Leidenschaften wurde dort mit einer „Domestizierung der Affekte“ (Bernsen 1993, 84) entsprochen. Das heißt, dass man sich gezwungen sah, die körperlichen Signale – zu denen auch die Ohnmacht gehört – möglichst zu unterbinden[16]. Dabei rückte die Schamgrenze und die Peinlichkeitsschwelle immer weiter vor. Sowohl bereits eine nackte Schulter, als auch eine entblößte Seele, wurde als Gefahr gegen die Sitten angesehen. Es galt die Devise: Keine spontanen Gefühlsbewegungen zulassen, denn

[...] nichts war ohne Bedeutung, keine Körperhaltung, keine gestische oder mimische Gebärde, kein Ausdruck des Gesichts: sie alle wurden zu einem riesigen Gewebe von Zeichen verknüpft, in welchem ein geheimnisvoller Sinn über dem Abgrund zwischen Wesen und Erscheinung hin- und widerspielte [sic].

(Böhme 1989, 146)

Genau wie ein Jahrhundert später sah man bereits im 17. Jahrhundert die Körpergebärde als ein Ausdruck des Un- und Vorbewussten, doch anders als im 18. Jahrhundert konnte man darin nichts Positives erkennen. Das Authentische war nicht gefragt; wer die Gebärden zuließ, der besaß nur ungenügende Kontrolle über seinen Körper, er war also nicht Herr seiner selbst. Somit konnte der Körper also auch ungewollt Auskunft über den seelischen Zustand einer Person geben, was dann dieser Person zum Nachteil reichte[17]. Roland Galle spricht davon, dass im Roman der Klassik „körperliche Signale, vor allem in der Form des Errötens und Erbleichens, eine Gegenrede und eine Korrektur zu dem Selbstbild dar[stellen], das die Protagonisten von sich zu geben bemüht sind.“ (Galle 1994, 588). Wortsprache kann korrupt sein, die Körpersprache dagegen nie. Nur wer eine uneingeschränkte Kontrolle über seinen Körper besaß, brauchte sich vor einer möglichen Fehlinterpretation der Gebärde nicht zu fürchten. Gar keine Gefühlsregung zuzulassen (oder nur solche, die einer sehr starren Formvorlage folgten) hielt man daher für ein geeignetes Mittel, um nicht in eine spätere Erklärungsnot zu gelangen. Ein Jahrhundert später hat sich diese Ansicht radikal verändert.

Gerade weil man sich in der Aufklärung des 18. Jahrhunderts vermehrt um die Beredsamkeit des Körpers interessierte und auf seine Zeichenhaftigkeit achtete, kannte man mit der Zeit das gesamte Verhaltensrepertoire des menschlichen Leibes. Wie die Wortsprache wurde auch die Körpersprache immer stärker konventionalisiert. Die Gefahr, dass die Gebärden simuliert werden könnten, war groß. So wurde in der Aufklärung zwar versucht, die Echtheit zu fördern, doch es konnte nicht verhindert werden, dass der Körper als Instrument eingesetzt wurde, um Eigeninteressen durchzusetzen. Das Gegenteil war häufig der Fall: Da bekannt war, wie welche Körpergebärden interpretiert wurden, konnte man dieses Wissen auch für seine Zwecke instrumentalisieren[18]. Damit geriet die Gebärdensprache in eine Zwickmühle: Einerseits sollte sie dem Anspruch der Natürlichkeit genügen, d.h. ein unwillkürliches Abbild der Seelenregungen liefern, andererseits gehörte sie eindeutig in den Bereich des Künstlichen, da sie über ein konventionalisiertes Zeichenrepertoire verfügt und somit auch erlernbar ist. Der Ausweg aus diesem Zwiespalt wurde dann ausgerechnet in der Gebärde selbst gesucht und gefunden.

Die Qualität eines Körperzeichens, also die Frage, ob es echt ist oder bloß simuliert, ließ sich nach damaliger Meinung am besten über die Spontaneität bestimmen. Um als authentisch zu gelten, musste die Gebärde spontan eintreten, also unmittelbar und ohne Zeitverzögerung, sodass das Bewusstsein keine Chance hat, sich einzuschalten. Daneben war auch die Heftigkeit des Zeichens ausschlaggebend. Je intensiver die Gebärde ausfiel, desto glaubwürdiger erschien sie. Beide erwähnten Punkte schließen die Manipulation jedoch nicht aus. Das gilt auch für die Ohnmacht.

[...]


[1] Bei Untersuchungen stellte sich heraus, dass viele Patienten, die an wiederholten Synkopen leiden, häufig ihren Arbeitsplatz wechseln, kein Auto mehr fahren und unter Ängsten und Depressionen leiden (Linzer 1991, 1041-1042).

[2] Die Forschung geht heute davon aus, dass die Ohnmacht eine Form des Schwindels darstellt.

[3] Die folgenden Ausführungen zu Galen und dessen Ohnmachttheorie stützen sich auf Siegels Buch Galen on Sense Perception (1970).

[4] Bereits bei Lukrez findet sich diese Verknüpfung:
Wenn aber der Geist durch stärkere Furcht erschüttert wird, sehen wir, dass die Seele durch die Glieder hin mit ihm fühlt und dass Schweiß und Blässe am ganzen Körper entsteht und die Zunge stockt und die Stimme erlischt, Dunkel die Augen umgibt, die Ohren klingen, die Gelenke zusammenknicken, dass Menschen endlich oft niederstürzen aus Schrecken der Seele. Daraus kann ein jeder leicht erkennen, dass die Seele mit dem Geiste verbunden ist und, wenn sie von der Kraft des Geistes getroffen wird, ihrerseits dann den Körper stößt und vorwärts treibt. (Lukrez 1972, 3. Buch, Vers 152-160) Obwohl Galen – wie gesehen – nicht der erste war, der auf die enge Verbindung zwischen dem Seelenleben und der Ohnmacht hingewiesen hatte, ist es nicht verkehrt, gerade ihn als Ausgangspunkt für eine medizinische Auseinandersetzung mit dem Ohnmachtmotiv zu nehmen, da seine Autorität als Mediziner bis ins 16. Jahrhundert ungebrochen war und er die Diskussion über die Ohnmacht sogar bis ins 18. Jahrhundert maßgeblich geprägt hatte.

[5] Dieser Umstand wird im Kapitel über die Religion des 18. Jahrhunderts und auch im Zusammenhang mit Moll Flanders und Pamela behandelt.

[6] Sofern nichts anderes vermerkt, bezieht sich im Folgenden die Jahreszahl beim Zitieren eines Primärtextes stets auf die erste Ausgabe des Originalwerkes und nicht auf die von mir verwendete Version.

[7] Durch die immer stärkere Betonung der Rolle der Nerven im menschlichen Organismus erhielten auch die Nervenkrankheiten wachsende Aufmerksamkeit von Seiten der Medizin. Das Phänomen der Ohnmacht findet im 18. und besonders im 19. Jahrhundert nur noch im Zusammenhang mit den Nerven Beachtung. Im 19. Jahrhundert schließlich verschwinden die Ohnmachten fast ganz aus den Theorien. Ein leidenschaftliches Leben barg nun plötzlich viel stärkere Gefahren als nur das relativ harmlose, kurze Schwinden der Sinne: es führte zur Hysterie (wie Smith-Rosenberg nachwies) und konnte mitunter sogar lebensbedrohlich sein (z.B. im Falle der Tuberkulose).

[8] Was die stinkende Asa ist, erklärt Whytt gleich selbst: „Die stinkende Asa ist die stärkste unter den übelriechenden Gummiarten“ (Whytt 1764, 280). Im Falle von Hirschhornspiritus fügt er noch hinzu, dass Vorsicht bei der Anwendung geboten ist, „weil flüchtige spirituöse Dinge, wenn man sie vor die Nase hält, bey einigen zärtlichen Frauenzimmern noch heftigere Zuckungen erregen können“ (Whytt 1764, 361).

[9] Whytt muss anschließend einräumen, dass diese Patientin dann trotzdem gestorben sei. Dies veranlasste den Übersetzer zu bemerken, dass „Blasenpflaster im Nacken [...] in ähnlichen Fällen zuweilen dienlich [sind]“ (Whytt 1764, 178).

[10] Man riet den Frauen, sogar während der Schwangerschaft ein Korsett zu tragen, damit das Kind in die Länge gezogen wird und die Geburt leichter ausfällt. Aber nicht nur Frauen wurden eingeschnürt, auch für Kinder (Knaben bis ca. zum 7. Lebensjahr) und Soldaten war es schicklich, ein Korsett zu tragen (cf. Junker 1988, 37).

[11] Führende Vertreter der englischen und französischen Aufklärung haben sich an der Sprachdiskussion beteiligt. So z.B. John Locke in Essay Concerning Human Understanding (1690), Bernard de Mandeville in The Fable of the Bees (1714-1729), Lord Kames in Elements of Criticism (1762) und Jean-Jacques Rousseau in Essai sur l’Origine des Langues (1781).

[12] An dieser Ansicht hat sich aus kommunikationswissenschaftlicher Sicht bis heute wenig geändert, wie der anerkannte Sprachwissenschafter Watzlawick in seinem 4. Axiom beweist:

Analoge Kommunikation [i.e. Kommunikation, die auf Analogien basiert – die Gebärdensprache ist ein Beispiel dafür] hat ihre Wurzeln offensichtlich in viel archaischeren Entwicklungsperioden und besitzt daher eine allgemeinere Gültigkeit als die viel jüngere und abstraktere digitale Kommunikationsweise [i.e. wortsprachliche Zeichen].

(Watzlawick 1969, 63)

[13] Diesen Umstand wollte sich auch Flora in The History of Mrs Betsy Thoughtless zu Nutzen machen. Wie die Diskussion im zweiten Teil der Arbeit zeigen wird, hatte sie die Konsequenzen aber nicht durchdacht – was schwerwiegende Folgen mit sich brachte.

[14] So schreibt Descartes im zweiten Artikel seiner Leidenschaften der Seele: „Die Beobachtung zeigt ferner, daß kein Gegenstand so unmittelbar auf unsere Seele einwirkt als der Körper, mit dem sie verbunden ist.“ (Descartes 1646, 2).

[15] Lukrez lokalisierte die Seele im Bereich der mittleren Brust: „Sie aber hat in dem Bereich der mittleren Brust ihren festen Sitz. Da hüpfen nämlich klopfend Schrecken und Furcht, um diese Gebiete herum verbreitet Freude sanfte Beruhigung, da also ist der Geist und die Seele.“ (Lukrez 1972, Buch 3, Vers 140-142). Platon und Aristoteles hatten keine holistisch ausgerichtete Seelenkonzeption. Sie gingen davon aus, dass die Seele geteilt und über den ganzen Körper verteilt ist. Dieser Meinung wollte sich Galen, dessen medizinischer Einfluss bis ins 16. Jahrhundert hinein ungebrochen war, nicht anschließen. Er war wie Lukrez der Meinung, dass die Seele ungeteilt ist. Er gibt aber keine Vermutung ab, wo sie sich befinden könnte.

[16] Roland Galle wies nach, dass mit der zunehmend geforderten Körperkontrolle auch die Bedeutung der Ohnmachtanfälle wuchs:

Besteht nämlich einerseits in den so zahlreichen Arbeiten der jüngeren Zeit über die Geschichte des Körpers und die Körpersprache Übereinstimmung dahingehend, dass die Vorstellung vom Körper als einem einheitlichen System das Ergebnis einer Evolution ist und ihre Durchsetzung im 17./18. Jahrhundert zusammengesehen werden muss mit dem via gesellschaftlicher Kontrolle (Michael Foucault) oder via Selbstzwang (Norbert Elias) forcierten Anspruch zur Domestizierung dieses Körpers, so fällt andererseits ins Auge, ein wie eminentes Gewicht – zur gleichen Zeit – eben die Manifestation des Körpers erhält, mit der jegliche Kontrolle über ihn außer Kraft gesetzt wird: die Ohnmacht.

(Galle 1993, 103)

[17] Dies wird besonders bei Sophias Ohnmachtanfall in Tom Jones ersichtlich.

[18] Wie die Diskussion von Shamela beweist, erwies sich die Annahme, dass der Ehrliche durch seinen Körper seine Wahrheit glaubwürdiger darstellen kann als der Lügner, oft als falsch, „denn zur guten Darstellung gehört ein guter, nicht notwendigerweise ein ehrlicher Darsteller.“ (Hahn 1988, 675).

Fin de l'extrait de 84 pages

Résumé des informations

Titre
Die Funktion der Ohnmacht in der Englischen Literatur des 18. Jahrhunderts
Université
University of Zurich  (Englisches Seminar)
Note
1.5
Auteur
Année
2002
Pages
84
N° de catalogue
V17162
ISBN (ebook)
9783638217972
Taille d'un fichier
626 KB
Langue
allemand
Annotations
Die Magisterarbeit beschäftigt sich mit der Frage der Ohnmacht als Rhetorik des Überwältigtseins. Zentraler Punkt ist das Gegenspiel von Körper und Kultur, exempliziert an der aufklärerischen und empfindsamen Literatur Englands.
Mots clés
Funktion, Ohnmacht, Englischen, Literatur, Jahrhunderts
Citation du texte
Thomas Vetsch (Auteur), 2002, Die Funktion der Ohnmacht in der Englischen Literatur des 18. Jahrhunderts, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/17162

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