Familiengeführte Unternehmen der Lebensmittelindustrie zwischen handwerklicher und industrieller Produktion

Analyse, Strategien und Differenzierungsmöglichkeiten


Master's Thesis, 2011

174 Pages, Grade: 2,0


Excerpt


Inhaltsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Tabellenverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

1. Einleitung
1.1. Ziel der Arbeit
1.2. Aufbau der Arbeit
1.3. Begrifflichkeiten

2. Lebensmittelproduktion in Deutschland: Ein Überblick
2.1. Die Agrar- und Ernährungswirtschaft
2.2. Zahlen und Daten zur Lebensmittelproduktion in Deutschland
2.3. Eine kurze Geschichte der Lebensmittelindustrie

3. Familiengeführte Unternehmen
3.1. Die Besonderheiten des Familienunternehmertums
3.1.1. Verknüpfung von Familie und Unternehmen
3.1.2. Nachfolge
3.1.3. Kontinuität
3.1.4. Persönlicher Kontakt
3.1.5. Unternehmensführung und Leitung
3.1.6. Finanzierung
3.1.7. Zusammenfassung
3.2. Die wirtschaftliche Bedeutung von Familienunternehmen
3.3. Familiengeführte Unternehmen in der Lebensmittelproduktion

4. Kommunikation über industrielle Lebensmittel
4.1. Begrifflichkeiten und theoretischer Hintergrund
4.2. Kommunikation durch Verbände
4.3. An Verbraucher gerichtete Kommunikation der Lebensmittelindustrie
4.3.1. Werbung
a) Analyse von Lebensmittelwerbung im deutschen Fernsehen
b) Methodik der Analyse
c) Die sechs Werbewelten für Lebensmittel
d) Interpretation
e) Besonderheiten der Werbung familiengeführter Unternehmen
4.3.2. Kommunikation auf Unternehmenswebseiten
4.4. Die Lebensmittelindustrie am Pranger der Gesellschaft
4.5. Zwischenfazit: Entstehung von Verbraucherverunsicherung

5. Verbraucherbefragung zur industriellen Lebensmittelproduktion und über familiengeführte Unternehmen
5.1. Untersuchungsziele
5.2. Qualitative Tiefeninterviews
5.3. Untersuchungsdesign
5.3.1. Die Befragten
5.3.2. Der Leitfaden der Befragung
5.3.3. Durchführung
5.4. Analyse

6. Ergebnisse der Verbraucherbefragung
6.1. Über die Befragten und deren Verunsicherung
6.1.1. Nicht kritische Befragte
6.1.2. Etwas kritische Befragte
6.1.3. Sehr kritische Befragte
6.2. Wahrnehmung der Lebensmittelindustrie
6.2.1. Theoretische Betrachtungen von Einstellungen und Image
6.2.2. Das Image der Lebensmittelindustrie
6.2.3. Die Marktkenntnis der Befragten
6.2.4. Gegenüberstellung von handwerklicher und industrieller Lebensmittelherstellung
6.2.5. Konsequenzen für die Lebensmittelindustrie
6.3. Familiengeführte Unternehmen
6.3.1. Wahrnehmung familiengeführter Unternehmen
6.3.2. Möglichkeiten für Familienunternehmen

7. Resümee

Literatur

Verzeichnis der Anhänge

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Aufbau der Arbeit

Abbildung 2:Wertschöpfungskette der Ernährung

Abbildung 3: Untergliederung der amtlichen Statistik innerhalb der Lebensmittelproduktion

Abbildung 4: Kennzahlen zur Wirtschaftskraft der Ernährungsbranche

Abbildung 5: Dimensionen eines Familienunternehmens

Abbildung 6: Besonderheiten von Familienunternehmen

Abbildung 7: Verteilung der untersuchten Spots auf Themenfelder und Produktgruppen

Abbildung 8: Entstehung von Misstrauen

Abbildung 9: Ausgewählte Möglichkeiten der Systematisierung eines Interviews

Abbildung 10: Techniken beim Leitfadeninterview

Abbildung 11: Darstellung des Interviewablaufs

Abbildung 12: Dreikomponententheorie

Tabellenverzeichnis

Tabelle 1: Kennzahlen der amtlichen Statistik zur Lebensmittelproduktion

Tabelle 2: Kennzahlen des BLL zur Wirtschaftskraft der Ernährungsbranche

Tabelle 3: Die gr öß ten Hersteller von Nahrungs- und Genussmitteln in Deutschland

Tabelle 4: Auswertung der Werbeanalyse

Tabelle 5: Auswirkungen von hohem und niedrigem Involvement

Tabelle 6: Soziodemographische Angaben zu den Befragten

Tabelle 7: Bewertungen der Assoziationen zur Lebensmittelindustrie

Tabelle 8: Top 3 Assoziationen zur Lebensmittelindustrie nach Kategorien

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1. Einleitung

„ Lebensmittel sind keine Waren wie alle anderen. Lebensmittel sind Mittel zum Leben “

(BMELV, 2011). Dieses Zitat stammt von Ilse Aigner, der Bundesministerin für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz und verdeutlicht die Sonderstellung, die Lebensmittel einnehmen. Im Anschluss fordert sie dazu auf, den Wert der Lebensmittel besser zu wertschätzen (vgl. BMELV, 2011).

Der Wert der Lebensmittel, insbesondere industriell hergestellter Lebensmittel, wird von vielen Verbrauchern nicht wahrgenommen oder gar abgestritten. Die Lebensmittelindustrie ist vermehrter Kritik von unterschiedlichen Seiten ausgesetzt, die häufig öffentlich in Massenmedien geäußert wird. Ihr Image erscheint dadurch angeschlagen. Verbraucher werden immer wieder als verunsichert in Bezug auf Lebensmittel beschrieben.

Die Alternative zur industriellen - ist die handwerkliche Lebensmittelproduktion. Unternehmen der Lebensmittelindustrie sind z. T. aus handwerklichen Unternehmen gewachsen, heute jedoch werden die meisten Lebensmittel auf industrielle Weise hergestellt. Diese gewachsenen Unternehmen (aber auch neu gegründete Unternehmen der Lebensmittelindustrie) befinden sich häufig in Familienhand.

1.1. Ziel der Arbeit

Familienunternehmen haben insbesondere in der jüngeren Vergangenheit starke Aufmerk- samkeit erfahren, was sich anhand zahlreicher Veröffentlichungen zeigt. Dabei sind spezifi- schere Untersuchungen von Familienunternehmen innerhalb einer Branche noch selten zu fin- den.

Die vorliegende Arbeit soll auf deutsche familiengeführte Unternehmen innerhalb der Le- bensmittelindustrie eingehen. Dazu wird einerseits die gesamte Lebensmittelindustrie analy- siert und die beträchtliche wirtschaftliche Bedeutung familiengeführter Unternehmen, sowie deren Besonderheiten herausgearbeitet. Andererseits liegt der Schwerpunkt der Arbeit auf der Verbraucherwahrnehmung. Wie beurteilen Verbraucher die industrielle Lebensmittelherstel- lung im Vergleich zur handwerklichen Produktion? Was verbinden sie mit bzw. wie beurtei- len sie familiengeführte(n) Unternehmen? Anhand der Ergebnisse sollen Möglichkeiten für familiengeführte Unternehmen der Lebensmittelindustrie aufgezeigt werden, sich von ma- nagementgeführten Unternehmen abzugrenzen. Dies gilt insbesondere im Kontext des ver- meintlich schlechten Images der Lebensmittelindustrie und der angeblich zunehmenden Ver- unsicherung von Verbrauchern. Deswegen wird ebenfalls untersucht, ob und in welchem Ausmaß beides tatsächlich zu finden ist und welche Konsequenzen Verbraucher und Lebensmittelindustrie aufgrund dessen ziehen.

Nicht thematisiert wird hingegen die eigentliche Produktion von Lebensmitteln, wie handwerklich oder industriell diese in familiengeführten Unternehmen stattfindet und ob ein Unterschied zu managementgeführten Unternehmen besteht. Zudem werden keine konkreten familiengeführten Unternehmen, sondern deren Gesamtheit untersucht, weswegen sich nicht alle Aussagen auf jedes einzelne Unternehmen übertragen lassen.

1.2. Aufbau der Arbeit

Nachfolgende Abbildung 1 zeigt den Aufbau der Arbeit. Zur Einleitung werden die für die vorliegende Arbeit zentralen Begriffe definiert. Daran anschließend folgen zwei theoretische Kapitel: In Kapitel 2 wird ein Überblick über die Lebensmittelproduktion in Deutschland ge- geben. Ausgehend von der gesamten Wertschöpfungskette der Ernährung wird dargestellt, welche wirtschaftliche Bedeutung der Agrar- und Ernährungswirtschaft im Ganzen und der Lebensmittelindustrie im Speziellen zukommt. Im nächsten Kapitel 3 wird sich mit familien- geführten Unternehmen beschäftigt. Dazu werden einerseits ausführlich ihre Besonderheiten im Vergleich zu managementgeführten Unternehmen dargestellt, andererseits werden ihre wirtschaftliche Bedeutung und ihre Bedeutung innerhalb der Lebensmittelindustrie beschrie- ben.

Danach erfolgt der Analyseteil der Arbeit. Im Kapitel 4 wird die Kommunikation über indust- riell produzierte Lebensmittel untersucht. Dazu wird einerseits die Kritik beschrieben, die von verschiedenen Seiten an der Lebensmittelindustrie geäußert wird. Andererseits wird auch die Kommunikation der Verbände der Lebensmittelindustrie betrachtet, sowie die Kommunikati- on einzelner Unternehmen der Lebensmittelindustrie. Dazu werden vor allem Fernsehwerbung und die Kommunikation auf den Webseiten der Unternehmen analysiert, insbesondere im Hinblick auf die Kommunikation über die Produktionsprozesse. Im Zuge dieser Analyse wer- den Bildcollagen erstellt, die die handwerkliche und industrielle Lebensmittelproduktion zei- gen. Diese Bildcollagen kommen bei der Befragung von Verbrauchern zum Einsatz, die im folgenden Kapitel 5 thematisiert wird. Die Befragung findet im Rahmen qualitativer Tiefenin- terviews mit Verbrauchern statt, die in ihren Einstellungen bezüglich Ernährung und im Hin- blick auf soziodemographische Merkmale möglichst unterschiedlich ausgewählt wurden. Wie Abbildung 1 zeigt, wird dafür nicht nur auf die Bildcollagen zurückgegriffen, sondern auch auf theoretische Zusammenhänge und Erkenntnisse, die innerhalb der Kapitel 2 und 3 gewonnen wurden.

Im Kapitel 6 werden die Ergebnisse der Verbraucherbefragung dargestellt und in den Kontext zu den bisherigen Überlegungen gesetzt. Ausgehend davon werden Möglichkeiten der Diffe- renzierung für familiengeführte Unternehmen abgeleitet. Im 7. Kapitel erfolgt ein abschlie- ßendes Resümee.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1: Aufbau der Arbeit

(Quelle: Eigene Darstellung)

1.3. Begrifflichkeiten

Die Definition und die Abgrenzung einiger zentraler Begriffe sind für das weitere Verständnis dieser Arbeit wichtig, daher werden im folgenden Abschnitt die grundlegenden Termini definiert. Hierzu zählen einerseits “familiengeführte Unternehmen“ und damit verwandte Begriffe, und andererseits Begriffe rund um Lebensmittel und deren Herstellungsweisen.

Familienunternehmen sind insbesondere in der jüngeren Vergangenheit Gegenstand wissen- schaftlicher Forschungen, Studien und Publikationen (vgl. Sharma, 2004, S. 1). Allerdings hat sich noch keine einheitliche Definition durchgesetzt (vgl. Kohleisen, 2004, S. 13). Denn der Begriff „Familienunternehmen“ beschreibt weder eine Rechtsform, noch wird er in offiziellen Statistiken gebraucht, sondern er entstammt der Alltagssprache. Dadurch existiert ein breites Spektrum, was unter einem Familienunternehmen verstanden werden kann (vgl. Wimmer, Domayer, et al., 1996, S. 18 f.).

Als ein “nominelles Familienunternehmen“ gilt bereits ein Unternehmen, dessen Name einen Familiennamen enthält. Laut dieser Definition ist unerheblich, in wessen Besitz oder unter welcher Führung sich das Unternehmen befindet (vgl. ZEW, IfM, 2010, S. 13). Da sich die vorliegende Arbeit mit familiengeführten Unternehmen beschäftigt, ist diese Definition im weiteren Verlauf nicht mehr relevant. Andere Kriterien müssen herangezogen werden, um familiengeführte Unternehmen zu beschreiben.

Folgende drei Merkmale sind in vielen Definitionen von Familienunternehmen enthalten.

1. Eigentum

Ein Unternehmen muss sich mehrheitlich im Besitz einer oder mehrerer Familien befinden. Je nach Definition ist dies entweder durch eine Kapitalmehrheit und/ oder durch eine Mehrheit an Stimmrechten möglich (vgl. Stiftung Familienunternehmen, 2010; Baumgartner, 2009, S. 20 f.; ZEW, IfM, 2010, S. 6; von Andreae, 2007, S. 7 ff.).

2. Führung

Die Beteiligung mindestens eines Familienmitglieds an der Führung, der Leitung oder der Kontrolle des Unternehmens muss gegeben sein (vgl. Stiftung Familienunternehmen, 2010; WIFU, 2010; Kunze, 2008, S. 4).

3. Einfluss und Wille

In vielen Definitionen von Familienunternehmen kommt als subjektive, schwer messbare Komponente der Einfluss, den die Unternehmerfamilie auf das Unternehmen hat, hinzu (vgl. WIFU, 2010). Oft ist auch die Rede von einem bestimmten Wertesystem, welches von der Unternehmerfamilie vorgegeben und vorgelebt wird und welches sich prägend auf das gesamte Unternehmen auswirkt (vgl. Hennerkes, 1998, S. 2). Oder der Wille der Un- ternehmerfamilie das Unternehmen zu führen, zu erhalten und fortzuführen wird in die Definition mit aufgenommen (vgl. Baumgartner, 2009, S. 20; Weissmann, Schultheiss, 2006, S. 72).

Nicht alle vorhandenen Definitionen enthalten auch alle drei Kriterien. Einige sind weiter, andere enger gefasst. So bezieht die Stiftung Familienunternehmen in ihrer Definition auch diejenigen Unternehmen mit ein, die in erster Generation geführt werden, sowie Einzelunternehmen und Selbstständige (vgl. Stiftung Familienunternehmen, 2010). Dagegen kann für das Wittener Institut für Familienunternehmen (WIFU) erst dann von einem Familienunternehmen gesprochen werden, wenn der Plan besteht, das Unternehmen in die nächste Generation zu übergeben. Einzelunternehmen und Start-ups sind - nach dieser Definition - nicht automatisch Familienunternehmen (vgl. WIFU, 2010).

Bei der Masse an unterschiedlichen Definitionen und dem breiten Spektrum, das diese abde- cken, ist es notwendig, eine eigene Definition zu finden. Wie der Name schon sagt, gilt für familiengeführte Unternehmen, dass das Kriterium Führung (Leitung oder Kontrolle) erfüllt sein muss. Über die Erfüllung des Kriteriums Eigentum scheint die größte Einigkeit in der Li- teratur zu herrschen. Aus nachvollziehbaren Gründen: Denn auch wenn möglich erscheint, dass mehrere Mitglieder einer Familie ein Unternehmen leiten, wird dieses dadurch nicht au- tomatisch zu einem Familienunternehmen. Die Familienmitglieder sind, solange sich das Un- ternehmen nicht auch in ihrem Eigentum befindet, lediglich Angestellte. Wie bereits erwähnt, hat das dritte Merkmal Einfluss und Wille einen eher subjektiven Charakter. Wie soll bei- spielsweise ermittelt werden, wie stark die Unternehmerfamilie die Unternehmenskultur ge- prägt hat? Auch der Kausalzusammenhang ist nicht eindeutig: Ist es ein Familienunterneh- men, weil die Unternehmerfamilie das Unternehmen prägt und dieses (weiter-)führen will o- der führt und erhält die Unternehmerfamilie das Unternehmen, weil es ein Familienunterneh- men ist? Ist dieses letzte Kriterium eine Ursache oder eine Konsequenz von familiengeführten Unternehmen? Aus den genannten Gründen wird dieser Aspekt bei der Formulierung einer Definition nicht weiter berücksichtigt - auch wenn er im weiteren Verlauf der Arbeit eine Rolle spielen wird und im Hinterkopf des Lesers bleiben sollte.

Die der Arbeit zugrunde liegende Definition eines Familienunternehmens ist relativ einfach gehalten, da eine detaillierte Abgrenzung der Begrifflichkeit bei Berücksichtigung der Untersuchungsziele nicht notwendig ist (vgl. Kapitel 1.1.) Die Definition lautet:

Ein Unternehmen ist ein familiengeführtes Unternehmen, wenn eine Person und/ oder eine Familie die Mehrheit an Kapital und/ oder an Stimmrechten eines Unternehmens hält und mindestens ein Mitglied der Familie aktiv an der Leitung des Unternehmens beteiligt ist.

Im weiteren Verlauf der Arbeit wird “Familienunternehmen“ und “familiengeführte Unter- nehmen“ als Synonym verwendet. Das Gegenteil von familiengeführten Unternehmen sind managementgeführte Unternehmen. Wird auf Artikel, Daten oder Theorien Bezug genommen, die deutlich von der vorliegenden Definition abweichen, wird an entsprechender Stelle darauf verwiesen.

Im nächsten Abschnitt wird die Bedeutung des Begriffes Lebensmittelindustrie beschrieben. Auch hierzu existiert keine allgemeingültige Definition, weswegen eine Annäherung daran erfolgt. Dazu wird zuerst die Bedeutung von “Lebensmittel“ beschrieben, anschließend wird definiert, was unter “Industrie“ verstanden werden kann. Danach erfolgt die Verknüpfung beider Begriffe, sowie die abschließende Definition von Lebensmittelindustrie.

Für „Lebensmittel“ existiert eine rechtsgültige Definition, die für die vorliegende Arbeit über- nommen wird. Die EG Verordnung 178/2002 regelt, was unter Lebensmitteln verstanden werden soll.

Demnach sind Lebensmittel:

„ alle Stoffe oder Erzeugnisse, die dazu bestimmt sind oder von denen nach vernünftigen Er- messen erwartet werden kann, dass sie in verarbeitetem, teilweise verarbeitetem oder unver- arbeitetem Zustand vom Menschen aufgenommen werden “ (VO (EG) Nr. 178/2002, 2002, S. Artikel 2).

Auch Wasser, Kaugummi und alkoholische Getränke werden nach dieser Definition als Le- bensmittel betrachtet. Die Definition beinhaltet alle bei der Verarbeitung absichtlich zugefüg- ten Stoffe, schließt aber Verschiedenes wie beispielsweise Futtermittel, kosmetische Mittel oder Tabakerzeugnisse aus (vgl. VO (EG) Nr. 178/2002, 2002, S. Artikel 2). Auch das Le- bensmittel-, Bedarfsgegenstände und Futtermittelgesetzbuch (LFGB), das die genannte EG- Verordnung in nationales Recht umsetzt, bezieht sich auf diese Definition (vgl. LFGB, 2005,

S. § 2).

Im nächsten Schritt wird definiert, was unter einer Industrieunternehmung zu verstehen ist. Eine Industrieunternehmung ist ein „ Betrieb, der gewerblich, unter maßgeblichem Einfluss von Maschinen, nach dem Prinzip der Arbeitsteilung Sachgüter erzeugt und diese auf großen Märkten absetzt “ (Gabler Wirtschafts- lexikon, 2010).

Davon abzugrenzen ist ein Handwerksbetrieb, wobei eine exakte Trennung nicht immer ein- deutig erfolgen kann. Denn die Industrie hat sich aus dem Handwerk entwickelt und viele Merkmale stimmen nach wie vor überein. Unterscheidungskriterien können z. B. die Komple- xität der Produktion, der Grad der Spezialisierung oder die Höhe des Kapitaleinsatzes sein (vgl. Gabler Wirtschaftslexikon, 2010). Doch legen diese Kriterien nicht eindeutig fest, wann ein Unternehmen der Industrie oder dem Handwerk zuzuordnen ist. Sie sind weder einfach zu ermitteln, noch operationalisierbar, so dass eine eindeutige Abgrenzung von industrieller und handwerklicher Lebensmittelproduktion nur schwer möglich erscheint. Gleichwohl ist die exakte Differenzierung für die vorliegende Arbeit auch nicht notwendig, so dass festzuhalten bleibt:

Zur Lebensmittelindustrie gehören Unternehmen, die für große Märkte, unter maßgeblichem Einfluss von Maschinen und nach dem Prinzip der Arbeitsteilung Produkte erstellen, die in verarbeitetem oder teilweise verarbeitetem Zustand von Menschen aufgenommen werden können (vgl. Gabler Wirtschaftslexikon, 2010; VO

(EG) Nr. 178/2002, 2002, S. Artikel 2).

Sofern Produkte erzeugt werden, die dazu bestimmt sind, vom Menschen aufgenommen zu werden, bei deren Produktion aber die drei Kriterien, “Bestimmung für große Märkte“, “Ein- fluss von Maschinen“ und “Arbeitsteilung“ nicht zutreffen, kann von Handwerk gesprochen werden. Die Tatsache, dass bei der Herstellung auch nur einzelne Kriterien zutreffen können, macht deutlich, wie schwer die exakte Abgrenzung zwischen Industrie und Handwerk ist.

Die landwirtschaftliche Produktion wird aus der obigen Definition ausgeklammert, weswegen in der Definition auf den Terminus “unverarbeitetem Zustand“ verzichtet wird, der jedoch in der Legaldefinition von Lebensmittel noch enthalten ist.

Nachdem hier die zentralen Begriffe der Arbeit definiert wurden, wird im nächsten Kapitel nochmals detaillierter auf die Herstellung von Lebensmitteln eingegangen. Ausgehend von der allgemeinen Betrachtung der gesamten Agar- und Ernährungswirtschaft fokussiert sich die Perspektive dabei zunehmend auf die Lebensmittelindustrie.

2. Lebensmittelproduktion in Deutschland: Ein Überblick

2.1. Die Agrar- und Ernährungswirtschaft

„ Vom Saatgut bis zum Fast Food “ (Strecker, Strecker, et al., 2010, S. 26) ist es ein langer Weg und doch kann mit diesen Worten treffsicher die Lebensmittelwertschöpfungskette be- schrieben werden, die viele moderne Lebensmittel durchlaufen (vgl. Strecker, Strecker, et al., 2010, S. 26). Im nachfolgenden Kapitel wird diese kurz beschrieben, es werden die innewoh- nenden Verflechtungen aufgezeigt und die Position der Lebensmittelindustrie in der Kette verdeutlicht.

Abbildung 2 zeigt die gesamte Wertschöpfungskette der Ernährung. Schnell wird deutlich, dass das Gesamtsystem der Lebensmittelproduktion mehr umfasst als die Lebensmittelindust- rie, die in dieser Arbeit vorwiegend thematisiert wird: Zur Wertschöpfungskette der Ernäh- rung zählen sowohl direkt Beteiligte, wie z. B. die Landwirtschaft, das Lebensmittelhandwerk oder die Lebensmittelindustrie, als auch indirekt Beteiligte wie z. B. Erbringer von Vorleis- tungen wie Saatgut, Düngemittel, Maschinen oder Dienstleister wie Transporteure oder Versi- cherer (vgl. Strecker, Strecker, et al., 2010, S. 26 f.). Die Lebensmittelindustrie und all ihre di- rekten Verbindungen zu anderen Gruppen der Wertschöpfung sind hervorgehoben.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2:Wertschöpfungskette der Ernährung

(Quelle: Eigene Darstellung modifiziert nach Strecker, et al., 2010, S. 28)

Bei näherer Betrachtung von Abbildung 2 zeigt sich außerdem, dass es sich eher um ein (Wertschöpfungs-)Netz als um eine -Kette handelt. Die Lebensmittelindustrie befindet sich relativ zentral. Nach Anzahl der Verbindungen ist die Lebensmittelindustrie am stärksten in die Wertschöpfungskette eingebunden (10 Verknüpfungen), direkt gefolgt von dem Lebensmittelhandwerk (6 Verknüpfungen).

„Agrar- und Ernährungswirtschaft“ ist ein Terminus, der zur Beschreibung der gesamten Wertschöpfungskette in Deutschland häufig gebraucht wird (vgl. Strecker, Strecker, et al., 2010, S. 26). Jedoch existieren noch andere Bezeichnungen wie beispielsweise Ernährungs- gewerbe, Lebensmittelgewerbe oder Lebensmittelwirtschaft. Häufig liegen keine exakten De- finitionen für die Begriffe vor, wenn darüber gesprochen oder geschrieben wird. Im Kontext der Arbeit wird zwischen den einzelnen Begriffen nicht differenziert, da eine exakte Abgren- zung nicht notwendig ist und das Hauptaugenmerk auf der Industrie als Teil des Gesamtsys- tems liegt.

Insgesamt ist das deutsche Ernährungsgewerbe durch viele kleinere und mittelständische Un- ternehmen gekennzeichnet (vgl. Breitenacher, Täger, 1990, S. 103; Bovensiepen, Eichner Lis- boa, 2007, S. 3). In Deutschland haben 60% der Unternehmen weniger als 50 Mitarbeiter; in südlicheren Ländern der EU liegt der Anteil noch höher (vgl. Walter, 2004, S. 36). Dies wird im weiteren Verlauf des Kapitels weiter thematisiert und belegt.

2.2. Zahlen und Daten zur Lebensmittelproduktion in Deutschland

Im nachfolgenden Abschnitt wird die wirtschaftliche Bedeutung des Ernährungssektors und der Lebensmittelindustrie beschrieben. Dazu werden vor allem Daten des Statistischen Bun- desamtes und des Bundes für Lebensmittelrecht und Lebensmittelkunde e.V. (BLL) herange- zogen.

Insgesamt gesehen ist die amtliche Statistik, die insbesondere in den Statistischen Jahrbüchern vorgestellt wird, dazu geeignet, einen Überblick über die Lebensmittelproduktion in Deutschland zu gewinnen. Allerdings ist die Ernährungswirtschaft in ihrer Gesamtheit kein Gegenstand der amtlichen Statistik, so dass verschiedene Abschnitte betrachtet werden müssen. Bevor auf die einzelnen Daten, die die amtliche Statistik zur Lebensmittelproduktion liefert, eingegangen wird, wird der Aufbau der amtlichen Statistik kurz dargestellt.

In der Klassifikation der Wirtschaftszweige stellt die Landwirtschaft zusammen mit der Forstwirtschaft und der Fischerei einen separaten Abschnitt dar (vgl. Statistisches Bundesamt, 2008, S. 73 und 155 ff.). Lebensmittelindustrie und Lebensmittelhandwerk sind dagegen dem verarbeitenden Gewerbe zugeordnet, welches wiederum einen von insgesamt 20 Abschnitten bildet. Jeder Abschnitt ist in zweiter Ebene untergliedert in Abteilungen (vgl. Statistisches Bundesamt, 2008, S. 17 und 78 ff.) Das verarbeitende Gewerbe beinhaltet jede „ mechanisch, physikalische oder chemische Umwandlung von Stoffen oder Teilen in Waren “ (Statistisches Bundesamt, 2008, S. 186), so dass neben der Herstellung von Nahrungs- und Futtermitteln und der Getränkeherstellung noch 22 weitere Abteilungen im verarbeitenden Gewerbe existie- ren (vgl. Statistisches Bundesamt, 2008, S. 78 ff.). Abbildung 3 zeigt die für die Produktion von Lebensmitteln relevanten Abteilungen inklusive der nächsten Untergliederungsstufe, so wie sie im Statistischen Jahrbuch vorhanden sind.

Zwischen handwerklicher und industrieller Produktion wird innerhalb des verarbeitenden Gewerbes keine Unterscheidung gemacht.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 3: Untergliederung der amtlichen Statistik innerhalb der Lebensmittelproduktion

(Quelle: Eigene Darstellung nach Statistisches Bundesamt, 2008, S. 78 ff.)

Bei Betrachtung der amtlichen Statistik ist außerdem zweierlei zu beachten: Erstens wird ne- ben der Produktion von Nahrungsmitteln auch die von Futtermitteln dargestellt und zweitens gehört zur Nahrungsmittelproduktion nicht die Herstellung von Getränken. Nach der für die vorliegende Arbeit geltenden Definition von Lebensmitteln gehören jedoch auch Getränke zu den Lebensmitteln. Da die Getränkeherstellung eine separate Abteilung in der amtlichen Sta- tistik darstellt, kann diese Schwierigkeit umgangen werden, indem sie zur Abteilung „Herstel- lung von Nahrungs- und Futtermitteln“ addiert wird. Der Abzug der „Herstellung von Futter- mitteln“ gestaltet sich schwieriger, da es sich dabei um keine Abteilung, sondern um eine Gruppe handelt, die bei den nachfolgend vorgestellten Kennzahlen nicht einzeln aufgeführt ist. Somit muss bei Betrachtung der in Tabelle 1 aufgeführten Statistik zu Unternehmensan- zahl, Umsatz und Anzahl der Erwerbstätigen bedacht werden, dass die Zahlen nicht nur die Lebensmittelproduktion wiedergeben, sondern dass auch die Herstellung von Futtermitteln da- rin enthalten ist.

Zu beachten ist zusätzlich, dass bei der Anzahl der Unternehmen nur solche erfasst werden, die über mindestens 20 Beschäftigte verfügen. Alle Zahlen beziehen sich auf das Jahr 2008 (vgl. Statistisches Bundesamt, 2010, S. 375). Somit kann auch angenommen werden, dass vorwiegend Industriebetriebe erfasst werden, da kleinere Handwerksbetriebe die Grenze von 20 Beschäftigten nicht erreichen.

Tabelle 1: Kennzahlen der amtlichen Statistik zur Lebensmittelproduktion

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

(Quelle: Eigene Darstellung nach Statistisches Bundesamt, 2010, S. 375)

In Tabelle 1 außerdem enthalten sind die auf das gesamte verarbeitende Gewerbe prozentuier- ten Anteile der Herstellung von Nahrungs- und Futtermitteln und der Getränkeherstellung. Ersteres liegt für die Unternehmensanzahl bei 12,6 %, für den Umsatz bei ca. 8 % und für die Zahl der Erwerbstätigen bei ca. 9,3 %. Der im Vergleich zu den anderen beiden Kennzahlen hohe Anteil an der Unternehmenszahl zeigt, dass relativ viele Unternehmen für die Herstel- lung von Nahrungs- und Futtermitteln existieren. Dass sich die Anzahl der Erwerbstätigen nicht auf einem ähnlichen Niveau bewegt, sondern um gut ein Viertel niedriger liegt, ist ein Indiz dafür, dass, wie bereits im vorigen Kapitel 2.1 angesprochen, kleinere und mittelgroße Unternehmen das Bild der Ernährungsbrache dominieren. Die Getränkeherstellung nimmt re- lativ gesehen mit 0,01 % je Kennzahl nur einen marginalen Anteil ein und wird im Einzelnen nicht weiter betrachtet.

Auch die im Statistischen Jahrbuch angegebenen Konzentrationsraten belegen die Behaup- tung, in der Lebensmittelbranche seien vorwiegend kleinere und mittelgroße Unternehmen zu finden. Der „concentration ratio“ bzw. die Marktkonzentration stellt das wohl einfachste In- strument zur Beschreibung der Marktstruktur dar. Mit der Marktkonzentration wird der am Umsatz gemessene Marktanteil des größten Anbieters (oder einer beliebigen Anzahl größter Anbieter) angegeben (vgl. Knieps, 2008, S. 50). Im Statistischen Jahrbuch ist die Unterneh- menskonzentration der 6, 10, 25 und 100 größten Unternehmen aufgeführt. Die Unterneh- mensgröße wurde nicht nur am Umsatz, sondern zusätzlich auch an der Anzahl tätiger Perso- nen gemessen. Im Vergleich zum Bergbau, zur Gewinnung von Steinen und Erden, sowie zu anderen Abteilungen des verarbeitenden Gewerbes liegen die Unternehmenskonzentrationen für die Herstellung von Nahrungs- und Futtermitteln sehr niedrig. Das gilt sowohl für die Konzentration nach Umsatz als auch für die Konzentration in Bezug auf beschäftigte Perso- nen, wobei letztere vergleichsweise noch geringer ausfällt. Abgesehen vom Anteil der um- satzmäßig 100 größten Unternehmen liegen alle Anteile niedriger als die durchschnittlichen Anteile der insgesamt 28 untersuchten Abteilungen. Für die sechs und zehn größten Unter- nehmen, gemessen an den beschäftigten Personen, nimmt die Herstellung von Nahrungs- und Futtermitteln sogar den letzten Rangplatz ein, gemessen am Umsatz den vorletzten Rangplatz vor der Herstellung von Metallerzeugnissen. In der Getränkeherstellung herrscht eine stärkere Unternehmenskonzentration, wofür die insgesamt relativ geringe Anzahl von 531 Unterneh- men eine Erklärung sein könnte (vgl. Statistisches Bundesamt, 2010, S. 378).

Zusammenfassend lässt sich über die Informationen, die die amtliche Statistik zur Lebensmit- telproduktion in Deutschland liefert, festhalten, dass ein erster Überblick gewonnen werden konnte, auch wenn die vorgestellten Zahlen die Produktion von Futtermitteln beinhalten. Auch die Tatsache, dass in der Ernährungsbranche eher kleinere und mittelgroße Unterneh- men zu finden sind, lässt sich mit Daten aus dem Statistischen Jahrbuch belegen. Dennoch sind Antworten auf einige Fragestellungen offen geblieben. Zum einen werden keine Daten über das gesamte Ernährungsgewerbe veröffentlicht. Zwar könnten zusätzlich Daten aus ande- ren Abschnitten der amtlichen Statistik herangezogen werden wie beispielsweise der Land- wirtschaft, dem Gastgewerbe oder dem Handel, doch beziehen sich diese Daten nicht aus- schließlich auf die Lebensmittelproduktion. Zusätzlich wird, wie bereits beschrieben, keine Unterteilung in handwerkliche und industrielle Produktion gemacht, die jedoch unter Berück- sichtigung des Titels der Arbeit „Lebensmittelindustrie zwischen handwerklicher und indust- rieller Produktion“ wichtig erscheint. Somit ist die amtliche Statistik für spezifischere Be- trachtungen der Lebensmittelbranche weniger geeignet, so dass im nächsten Abschnitt Statis- tiken des BLL vorgestellt werden, die die gesamte Branche näher beschreiben.

Der BLL sieht sich als Spitzenverband der deutschen Lebensmittelwirtschaft. Nach eigenen Angaben kommen seine Mitglieder aus der Landwirtschaft, aus Bereichen des Lebensmittel- handwerks, der -industrie und des -handels, aber auch aus Zulieferbetrieben, der Verpa- ckungsindustrie und aus privaten Untersuchungslaboratorien oder Anwaltskanzleien (vgl. BLL, 2011). Somit umfasst die Lebensmittelwirtschaft, wie sie vom BLL verstanden wird, die komplette Wertschöpfungskette inklusive diverser Dienstleistungen, so wie sie im Kapitel 2.1 vorab beschrieben wurde.

Zu der Wirtschaftskraft des Ernährungsgewerbes veröffentlicht der BLL Zahlen. Dazu kom- mentiert er jedoch, dass die Lebensmittelwirtschaft außerdem ein wichtiger Kunde für andere Unternehmen wie Verpackungs-, Saatgut- oder Landmaschinenindustrie sei (vgl. BLL, 2010).

Somit kann angenommen werden, dass die nachfolgend vorgestellten Zahlen nicht sämtliche Vor- oder Dienstleistungen beinhalten.

Nach Angaben des BLL sind in der Lebensmittelwirtschaft vier Millionen Menschen beschäftigt, was zehn % aller Erwerbstätigen entspricht. Sie trägt mit 130 Milliarden Euro insgesamt sechs % zur Gesamtwertschöpfung in Deutschland bei (vgl. BLL, 2010). Zum Vergleich gibt der Verband der Automobilindustrie e. V. (VDA), der alle deutschen Hersteller von Fahrzeugen, Motoren, Anhänger und Container, aber auch deren Zulieferer vertritt, an, der Umsatz der Branche beliefe sich auf 316.999 Millionen Euro und sie verfüge über 708.970 Beschäftigte, was beides deutlich geringer ist (vgl. VDA, 2011, vgl. VDA, 2010).

Tabelle 2 zeigt aufgeschlüsselt nach unterschiedlichen Gruppen der Wertschöpfungskette die Anzahl der Betriebe an, sowie die Höhe der Umsätze und wie viel Personen in den einzelnen Gruppen beschäftigt sind. Das entspricht denselben Kennzahlen, die dem statistischen Jahr- buch entnommen wurden und in Tabelle 1 dargestellt sind. Zur besseren Vergleichbarkeit der beiden Datensätze sind die Daten des statistischen Bundesamtes nochmals aggregiert in der untersten Zeile dargestellt.

Bei der Definition des Begriffs (Lebensmittel)-Industrie wurde bereits beschrieben, dass eine Abgrenzung zum Handwerk nicht immer eindeutig erfolgen kann. Auch bei den in Tabelle 2 dargestellten Daten des BLL zählt ein Unternehmen erst dann zur Industrie, wenn es mindes- tens 20 Mitarbeiter beschäftigt. Zum Handwerk wird es dann gezählt, wenn eine Eintragung in der Handwerksrolle vorliegt. Auch hier beziehen sich die Daten auf das Jahr 2008 (vgl. BLL, 2010).

Tabelle 2: Kennzahlen des BLL zur Wirtschaftskraft der Ernährungsbranche

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

(Quelle: Eigene Darstellung nach BLL 2010, Statistisches Bundesamt 2010)

Die aggregierten Daten beschreiben die Herstellung von Nahrungs- und Futtermitteln sowie die Getränkeherstellung, also zwei Abteilungen des verarbeitenden Gewerbes. Wie bereits be- schrieben, werden nur Unternehmen ab 20 Mitarbeitern erfasst, so dass sich vorwiegend in- dustrielle Unternehmen in dieser Gruppe wiederfinden. Beim Vergleich dieser Daten mit de- nen des BLL für die Lebensmittelindustrie zeigt sich, dass diese etwa in einer Größenordnung liegen. Allerdings muss auf einen kleinen Unterschied hingewiesen werden: Denn während das statistische Bundesamt die Anzahl der Unternehmen misst, wird vom BLL die Anzahl der Betriebe aufgeführt. Ein Unternehmen kann aus mehreren Betrieben bestehen (vgl. Statisti- sches Bundesamt, 2010, S. 373).

Zur besseren Übersicht und Vergleichbarkeit der einzelnen Gruppen des Ernährungsgewerbes sind die Daten des BLL in Abbildung 4 nochmals als Säulendiagramm dargestellt. So wird deutlicher, dass die Lebensmittelindustrie im Vergleich zu anderen Gruppen über eine geringe Anzahl von Betrieben verfügt, aber sich mit der Anzahl der Beschäftigten dennoch im Mittelfeld der ausgewerteten Gruppen bewegt. Auch wenn die Lebensmittelindustrie im Vergleich mit anderen Branchen über eine geringe Konzentration verfügt, ist sie doch im Bereich des gesamten Ernährungsgewerbes am stärksten konzentriert.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 4: Kennzahlen zur Wirtschaftskraft der Ernährungsbranche

(Quelle: Eigene Darstellung nach BLL, 2010)

Bei Berechnung der durchschnittlichen Anzahl Erwerbstätiger pro Betrieb wird mit ca. 91 nochmals augenscheinlich, wie groß der Abstand zum zweitplatzierten Lebensmittelgroßhan- del mit ca. 13 durchschnittlichen Erwerbstätigen ist (=Anzahl Erwerbstätige / Anzahl Betrie- be). Wie beim Vergleich der Umsätze und der Anzahl Erwerbstätiger, dargestellt durch rote und grüne Balken, erkennbar ist, teilen sich Lebensmittelindustrie und Lebensmittelgroßhan- del auch hier die Spitzenränge für den durchschnittlichen Umsatz je Mitarbeiter. Allerdings führt hier der Lebensmittelgroßhandel mit ca. 63.000 Euro je Mitarbeiter mit Abstand zur In- dustrie mit ca. 29.000 Euro. Den letzten Platz belegt der Außer-Haus-Markt mit ca. 5.000 Eu- ro (Umsätze / Anzahl Erwerbstätige).

Auch der Unterschied zwischen Lebensmittelhandwerk und -industrie wird deutlicher: Während beide über annähernd gleich viele Erwerbstätige verfügen, generiert die Lebensmittelindustrie beinahe das Vierfache an Umsatz, dafür existieren aber mehr als sechsmal mehr Handwerks- als Industriebetriebe.

Zum Lebensmittelhandwerk gehören heutzutage vorwiegend noch die Fleischereien, Bäcke- reien und Konditoreien. Daneben existieren aber auch seltenere Berufe wie Müller, Brauer, Mälzer oder Weinküfer, die jedoch nur eine untergeordnete Rolle spielen (vgl. Strecker, Stre- cker, et al., 2010, S. 30). Insgesamt existieren in Deutschland knapp 15.000 Bäckerbetriebe und ca. doppelt so viele Filialen. Während die Anzahl der Betriebe seit Jahren rückläufig ist (2004 waren es über 17.000 Betriebe), bleibt die Anzahl der Filialen konstant, der durch- schnittliche Jahresumsatz je Betrieb und die durchschnittliche Anzahl Mitarbeiter je Betrieb steigen leicht auf 858.000 Euro Umsatz und knapp 20 Mitarbeiter (vgl. Zentralverband des Deutschen Bäckerhandwerks e.V., 2010). Mit insgesamt ca. 26.500 Verkaufsstellen, davon knapp 16.000 eigene Betriebe, weicht die Anzahl Fleischereien nur leicht von der Anzahl Bä- ckereien ab. Dagegen beträgt die durchschnittliche Anzahl Mitarbeiter mit zehn nur die Hälfte im Vergleich zu den Bäckereien, der durchschnittliche Umsatz je Betrieb liegt bei knapp einer Mio. Euro und damit etwas höher als bei den Bäckereien (vgl. Deutscher Fleischer-Verband, 2010, S. 10 und 15).

Die Herstellung von Lebensmitteln spielt sich jedoch hauptsächlich in der Lebensmittelindust- rie ab (vgl. Strecker, Strecker, et al., 2010, S. 30; Wagner, 2010, S. 206). Diese nimmt nicht nur innerhalb der Ernährungsbranche eine herausragende Rolle ein, sondern zählt auch in der gesamten Industrie Deutschlands zu den vier größten Industriezweigen (vgl. BLL, 2010; BVE, 2010).

Auch wenn die Lebensmittelindustrie durch überwiegend kleine und mittelständische Unter- nehmen geprägt ist, existieren auch große Hersteller. Die Liberalisierung des europäischen Binnenmarktes stellt für die deutsche Lebensmittelindustrie sowohl Chancen als auch Risiken dar. Durch sich verändernde Strukturen auf den Märkten, sowie durch die Internationalisie- rung der Märkte, sehen sich insbesondere die mittelständischen Unternehmen vor großen Her- ausforderungen wie z. B. neuer, internationaler Konkurrenz (vgl. Strecker, Strecker, et al., 2010, S. 402 ff.). Andererseits ist es dadurch aber auch den deutschen Unternehmen der Le- bensmittelindustrie möglich, zu exportieren. Der BLL veröffentlicht auch Daten zu den Ex- porten der Lebensmittelbrache: 25 % des gesamten Umsatzes wird im Ausland generiert, da- von 80 % innerhalb der EU (vgl. BLL, 2010). Daran hat auch die Finanz- und Wirtschaftskri- se im Jahr 2009 nichts geändert, so dass die Ernährungsbranche als stabilisierendes Element der deutschen Wirtschaft angesehen werden kann (vgl. Balz, 2009, S. 20). Im Jahr 2006 waren die umsatzstärksten Produkte Fleisch und Fleischwaren, Molkereiprodukte, Süßwaren und al- koholische Getränke (vgl. Bovensiepen, Eichner Lisboa, 2007, S. 17).

Die größten Hersteller von Nahrungs- und Genussmitteln in Deutschland für das Jahr 2009 sind in Tabelle 3 dargestellt. Bis auf Philip Morris Deutschland, ein Hersteller von Tabakwaren, produzieren alle aufgeführten Unternehmen Lebensmittel. Dazu muss außerdem angemerkt werden, dass es sich z. T. bei den Unternehmen lediglich um die deutschen Niederlassungen ausländischer Konzerne handelt. Von den zehn Unternehmen stammen lediglich Dr. Oetker, Südzucker und Tchibo wirklich aus Deutschland.

Tabelle 3: Die größten Hersteller von Nahrungs- und Genussmitteln in Deutschland

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

(Quelle: Eigene Darstellung, nach Strecker; Strecker et al. S. 403)

Vor allem mit Hilfe der Daten des BLL und des statistischen Bundesamtes konnte im voran- gegangenen Abschnitt eine Vorstellung der Struktur der Ernährungswirtschaft vermittelt wer- den. Ebenso wurde die Lebensmittelindustrie als Teilbereich näher beleuchtet und ihre heraus- ragende Stellung in der Lebensmittelproduktion beschrieben.

2.3. Eine kurze Geschichte der Lebensmittelindustrie

Traditioneller Weise waren für die Verarbeitung und Zubereitung von Lebensmitteln immer die privaten Haushalte zuständig. In den frühen Städten wurden Teile der Verarbeitung an die Handwerksproduktion delegiert, die die Produktivität durch technische Geräte erhöhen konn- ten (vgl. Hofer, 2002, S. 165). Trotz Einsatz der Technik wurde die Verarbeitung und Zube- reitung von Nahrung hauptsächlich durch die Saisonalität der Lebensmittel bestimmt (vgl. Vollborn, Georgescu, 2006, S. 81).Mit der Industrialisierung im 18. und 19. Jahrhundert ging ein Wandel in der Ernährung einher. Die Versorgung mit Lebensmitteln lag fortan nicht mehr nur bei der Land- und Hauswirtschaft und dem Handwerk, sondern es entstand mit der Le- bensmittelindustrie ein eigener Industriezweig, der schnell zur überwiegenden Produktions- weise für Lebensmittel wurde (vgl. Baumgartner, 1998, S. 116; Thimm, Besch, et al., 1971, S. 100). Dadurch waren Produktion und Verzehr von Lebensmitteln nicht mehr so engen räumli- chen und zeitlichen Grenzen unterworfen. Durch die industrielle Herstellung und das Halt- barmachen von Lebensmitteln entkoppelte sich die Herstellung vom Verbrauch. Spätestens seit dem Aufkommen von Kühl- und Gefriergeräten ist in Deutschland annähernd jedes Le- bensmittel zu jeder Zeit zu bekommen (vgl. Hofer, 2002, S. 39). Auf die beschriebene Ent- kopplung wird im Kapitel 4.5 nochmals näher eingegangen Zudem revolutionierten verschiedene Erfindungen, die auch heute noch immer Bestand haben, die Ernährung und die Nahrungszubereitung. Denn da große Teile der Bevölkerung in Indust- rien und Bergwerken arbeiteten, blieb für die Zubereitung des Essens wenig Zeit. Zudem wa- ren ärmere Bevölkerungsschichten sehr schlecht ernährt. Im Jahr 1886 erfand Julius Maggi seine erste Fertigsuppe, die Maggi-Würze folgte bald. Schon 1862 brachte Justus von Liebig seinen Fleischextrakt auf den Markt, 1871 wurde die Margarine erfunden und ab 1894 ver- kaufte Dr. Rudolph Oetker Backpulver in Papiertüten. Etwa zeitgleich mit der Erfindung Maggi´s wurde in den USA im Jahr 1886 der Vorläufer der heutigen Coca Cola erfunden (vgl. Grimm, 2008, S. 60).

Indessen wurden nicht nur neue Lebensmittel erfunden, sondern auch neue Verarbeitungs- und Herstellmöglichkeiten. Durch Einsatz künstlichen Düngers und mechanischer Geräte konnte die Produktivität der Landwirtschaft erheblich gesteigert werden. Bereits 1807 entwickelte Francois Appert ein Verfahren zur Hitzesterilisierung von Lebensmitteln. So konnten die grö- ßeren Mengen auch haltbar gemacht werden und ein größerer Handel konnte entstehen. Durch Naturkatastrophen ausgelöste extreme Missernten, die Hungersnöte zur Folge haben, wurden in Europa immer seltener und fanden als letzte in den Jahren 1816/ 1817 und 1846 / 1847 statt(vgl. Bergmann, 1999, S. 71 ff.).

Doch zu der heutigen Vielfalt und Verfügbarkeit unterschiedlichster Lebensmittel, war es ein langer Weg. Lebensmittelmärkte weisen heute alle Kriterien auf, die typisch für Konsumgütermärkte sind. Diese sind besonders:

Viele Anbieter bieten viele Artikel an Viele Produkte sind substituierbar Intensiver Wettbewerb Kurze Produktlebenszyklen Hohe Innovationsrate (viele Me-too-Produkte) Ausgeprägte Produktdifferenzierung und Marktsättigung z. T. hohe Werbeaufwendungen (vgl. Strecker, Strecker, et al., 2010, S. 405)

3. Familiengeführte Unternehmen

3.1. Die Besonderheiten des Familienunternehmertums

Wie bereits im Kapitel 1.3 beschrieben, existiert keine einheitliche Definition von Familien- unternehmen. Nach der für diese Arbeit gewählten Definition müssen die Kriterien des Besit- zes und der Führung erfüllt sein, um von einem familiengeführten Unternehmen zu sprechen. Doch auch wenn darüber, wie genau ein familiengeführtes Unternehmen aussehen muss, keine Einigkeit in der Literatur besteht, gehen doch alle Autoren, die sich mit dem Thema beschäfti- gen, davon aus, dass sich diese von managementgeführten Unternehmen unterscheiden (vgl. Wimmer, Domayer, et al., 1996, S. 26). Forschung über Familienunternehmen fokussiert sich meist auf die Andersartigkeit, untersucht in welchen Bereichen die größten Unterschiede zu managementgeführten Unternehmen liegen, welche Gründe dafür vorliegen und ob dadurch Vor- oder Nachteile denen gegenüber entstehen (vgl. Chrisman, Chua, et al., 2003, S. 443 f.).

Zu der Andersartigkeit von familiengeführten Unternehmen sagt Voigt „ Familienunterneh- men sind nicht Durchschnitt. Sie sind entweder besonders gut oder besonders schlecht, aber eben nicht Durchschnitt “ (Voigt, 1990, S. 64). Diese Aussage findet sich auch im „Amplitu- dengesetz“ wieder. Danach sind die Schwingungen, denen Familienunternehmen ausgesetzt sind besonders groß (im Vergleich zu managementgeführten Unternehmen). Auch das bedeu- tet, dass sie sehr erfolgreich oder aber sehr erfolglos arbeiten (vgl. Baumgartner, 2009, S. 23).

Damit wird besonders deutlich, dass das Familienunternehmertum eine große Chance für Un- ternehmen darstellen kann, dass aber auch Risiken des Scheiterns in der Unternehmensform liegen. Was diese Chancen und Risiken im Einzelnen sind und worin genau der Unterschied zu managementgeführten Unternehmen besteht, wird im folgenden Abschnitt dargestellt.

Die wohl größte Besonderheit familiengeführter Unternehmen ist die enge Verflechtung von Unternehmen, Familie, Eigentum und Führung. Zur Verdeutlichung wird in Abbildung 5 ein Modell vorgestellt, das von Klein entwickelt wurde.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 5: Dimensionen eines Familienunternehmens

(Quelle: Klein, 2010, S. 5).

Diese enge Verflechtung, die in der Abbildung durch Pfeile dargestellt ist, ist wohl das deut- lichste Unterscheidungskriterium zwischen familiengeführten und managementgeführten Un- ternehmen. In letzteren stehen alle Dimensionen einzeln: Beispielsweise steht weder eine Fa- milie hinter dem Unternehmen, noch besitzen die führenden Manager das Unternehmen.

Im Folgenden wird ein Überblick über die wichtigsten Besonderheiten familiengeführter Unternehmen gegeben. Gleichwohl muss darauf hingewiesen werden, dass weitaus mehr Kriterien existieren, die Familienunternehmen von managementgeführten Unternehmen abgrenzen. Hier werden nur die wichtigsten und in der Literatur über Familienunternehmen am häufigsten vorkommenden Merkmale beschrieben. Ebenso werden nicht alle beschriebenen Merkmale auf jedes Familienunternehmen zutreffen. Da für die vorliegende Arbeit eine relativ weite Definition von Familienunternehmen gewählt wurde, fallen verschiedene Formen von Unternehmen unter die Definition. Deswegen können einzelne Merkmale stärker, schwächer oder auch gar nicht auf ein einzelnes Unternehmen passen.

3.1.1. Verknüpfung von Familie und Unternehmen

Allein das Zusammentreffen von Familie und Unternehmen - also von privater und Arbeits- welt - ist problematisch, denn beide Welten unterscheiden sich stark voneinander. Während in der Familie emotionale Bindungen (positive wie negative) dominierend sind, herrschen in der Arbeitswelt vorwiegend Rationalität, Gewinnmaximierung, oder zumindest Nutzenmaximie- rung. Durch die Verknüpfung beider Welten werden Entscheidungen in jedem Bereich von der jeweils anderen Dimension geprägt und beeinflusst. In der Familie spielen dann geschäft- liche Gesichtspunkte eine Rolle und im Unternehmen emotionale (vgl. Baus, 2007, S. 22).

Diese Verknüpfung kann sich positiv auswirken. Wenn beispielsweise im Familienunterneh- men mehr Menschlichkeit herrscht als in anderen Unternehmen, kann das dazu führen, dass Mitarbeiter sich loyaler zum Unternehmensführer und zum Unternehmen verhalten, dass Ent- scheidungen unbürokratischer getroffen werden oder dass Stakeholder wie Lieferanten und Kunden wissen, dass es persönliche Ansprechpartner im Unternehmen gibt (vgl. Kempert, 2008, S. 182). Gleichwohl kann sich die Verknüpfung auch mit negativen Folgen für das Un- ternehmen auswirken. Denn Probleme aus einer Dimension werden in die jeweils andere über- tragen (vgl. Kempert, 2008, S. 175).

Negative Konsequenzen hängen vor allem davon ab, wie die Familienmitglieder zueinander stehen. Verstehen sie sich und sind sich einig, dann ist das Unternehmen handlungsfähig. Existiert aber Streit innerhalb der Familie, überträgt sich dieser oft auf das Unternehmen und behindert es (vgl. Weissmann, Schultheiss, 2006, S. 78; Wiechers, Klett, 2005, S. 45). Ver- schiedene Autoren sind sich einig, dass die Unternehmerfamilie selbst die größte Gefahr für ein Familienunternehmen darstellt (vgl. Rüsen, 2009, S. 26; Weissmann, Schultheiss, 2006, S. 79). Gestörte Beziehungen innerhalb der Unternehmerfamilie verursachen oft Krisen inner- halb des gemeinsamen Unternehmens (vgl. Sieger, 2006, S. 1435). Aktuelle Probleme, aber auch Streitigkeiten, deren Ursache weit in der Vergangenheit liegen und die teilweise einer gemeinsamen Kindheit oder vorherigen Generationen entstammen können, werden dann im Unternehmen ausgetragen (vgl. Rüsen, 2009, S. 24). Dringen solche Streitigkeiten bis zu den Mitarbeitern oder bis an die Öffentlichkeit vor, könnte die Familie dadurch Glaubwürdigkeit oder Ansehen verlieren.

Auch innerhalb der Lebensmittelindustrie lässt sich mit Bahlsen ein Beispiel für solch große Streitigkeiten finden. Letztendlich wurde das Unternehmen zwischen drei Geschwistern auf- geteilt, so dass Werner Michael Bahlsen das Kerngeschäft Süßgebäck behielt, Lorenz Bahlsen die Sparte Snacks erhielt und damit das neue Unternehmen Lorenz Bahlsen Snack World gründete und der Ehemann der verstorbenen Andrea Bahlsen zwei Unternehmen aus Öster- reich und der Schweiz, sowie Immobilien erhielt. Ein Cousin der Drei wurde schon vorher mit einer Tochtergesellschaft aus den USA abgefunden (vgl. Weber, Scheele, 22.04.2004; o. V., 19.05.1999).

3.1.2. Nachfolge

Ein weiterer Faktor, der familiengeführte Unternehmen auszeichnet, liegt in der Nachfolge der Unternehmensführung. Während diese bei managementgeführten Unternehmen eher objektiv abläuft und ein geeigneter Kandidat auf dem Arbeitsmarkt oder innerhalb des Unternehmens gesucht wird, verkompliziert sich die Suche bei Familienunternehmen. Denn durch die Verknüpfung von Führung, Eigentum, Unternehmen und Familie kommen subjektive Faktoren hinzu, welche die Entscheidung beeinflussen(vgl. Baumgartner, 2009, S. 28). Die Übergabe ist für alle Beteiligten nicht einfach und birgt Gefahren und Konfliktpotentiale. Das Beharren auf Nachfolgern aus der Familie ist ein häufiges Phänomen und macht die emotionalen Seiten der Übergabe deutlich (vgl. Baumgartner, 2009, S. 32).

Im Volksmund heißt es „ der Vater erstellt ´ s, der Sohn erhält ´ s, beim Enkel zerfällt ´ s “ (Weissmann, Schultheiss, 2006, S. 82). Auch wenn dies sicher nicht immer zutreffend ist, zeigt das Sprichwort doch, unter welchem Druck sich der potentielle Übernehmer befindet und welchen Ängsten der Übergeber bei der Nachfolge ausgesetzt ist.

Der Nachfolger soll die Verantwortung für ein Unternehmen tragen, das eventuell schon seit mehreren Generationen in der Familie ist. Dabei wird er von allen Seiten beurteilt und an sei- nen Vorgängern gemessen. Dass sich die Märkte heute verändert haben und strukturelle Ver- änderungen notwendig werden können, wird dabei teilweise vernachlässigt, so dass der Über- nehmer dann Anpassungen im Unternehmen vor der Familie rechtfertigen muss und als mög- liche Konsequenz mit innerfamiliären Spannungen und Konflikten zu rechnen hat(vgl. Weis- smann, Schultheiss, 2006, S. 82 f.).

Weitere Probleme entstehen, wenn der Nachfolger die Leitung nicht aufgrund eigener Motiva- tion antritt, sondern um den ausgesprochenen oder unausgesprochenen Wünschen der Familie nachzukommen. Dann entspricht die Aufgabe, das Unternehmen zu leiten, nicht seinen Inte- ressen und kann eine Belastung für den Übernehmer sein (vgl. Meyer, 2007, S. 32 f.).

Oder wenn das Gegenteil der Fall ist und der Übernehmer gern das Familienunternehmen füh- ren möchte, jedoch die nötigen Qualifikationen nicht erfüllt (vgl. von Andreae, 2007, S. 23). Hält beispielsweise der Übergeber den potentiellen Übernehmer aus der Familie nicht für kompetent genug - ob fachlich oder persönlich -, die Nachfolge seines Unternehmens anzutreten, befindet er sich in einer moralischen Zwickmühle. Als Verwandter, oft auch als Vater, würde er dem potentiellen Übernehmer gern das Unternehmen vererben, als vorausschauender Unternehmer darf er dies nicht tun (vgl. Baus, 2007, S. 23 f.).

Ebenso wenig sind andere Ängste des Übergebers zu vernachlässigen: Er muss das Unternehmen, in das er (oft sein Leben lang) seine Kraft, Arbeit und Energie gesteckt hat, abgeben (vgl. von Andreae, 2007, S. 176). Ein “Nicht-Loslassen-Können“ ist dabei ein häufig anzutreffendes Problem, das dazu führen kann, dass der neue Unternehmensführer nicht als Nachfolger akzeptiert wird (vgl. Rüsen, 2009, S. 27).

Auch in der Lebensmittelindustrie existieren Beispiele für solches Verhalten. Die Wirtschaftswoche berichtete über Ferrero, ein italienisches Familienunternehmen, das zu den drei größten Unternehmen der Süßwarenindustrie weltweit zählt, dass auch dort der Generationswechsel nicht bewältigt sei. Michele Ferrero habe eine herausragende Stellung im Unternehmen, um ihn herrsche fast eine Art „Personenkult“. Ihm Widerspruch zu leisten sei auch den Top-Managern kaum möglich, sie zollten ihm eher wie einem wichtigen Staatsmann Respekt und Anerkennung. Da ist nicht verwunderlich, dass ihm die Abgabe der Führung schwer fällt. Auch wenn er die Unternehmensführung offiziell schon im Jahr 1997 an seine beiden Söhne abgegeben habe, sei er immer noch der eigentliche Führer, der alle wichtigen Entscheidungen absegnet (vgl. Sauer, Schuhmacher Harald, 07.04.2007).

Auch das Unternehmen an sich befindet sich in der Zeit der Übergabe in einer Ausnahmesituation. Übergeber und Übernehmer sind mit sich selbst beschäftigt und mit den emotionalen Problemen, die die Übergabe mit sich bringt, so dass das Unternehmen ohne Orientierung ist. Die wirtschaftliche Flexibilität kann dabei verloren gehen und insbesondere in schnelllebigen Branchen kann dies zu weiteren Schwierigkeiten führen (vgl. Baumgartner, 2009, S. 28). Auch auf Lebensmittelmärkte trifft diese Schnelllebigkeit zu, denn wie bereits im Kapitel 2.3 erwähnt, sind Lebensmittelmärkte typische Konsumgütermärkte, mit intensivem Wettbewerb, kurzen Produktlebenszyklen und hoher Innovationsrate.

Auch für diese zeitweise Orientierungslosigkeit lassen sich Beispiele in der Lebensmittelin- dustrie finden. Hans Riegel, der Chef des Süßwarenherstellers Haribo stritt jahrelang mit sei- nen Neffen um Anteile und die Nachfolge im Unternehmen. Dadurch wurden, laut Manager Magazin, wichtige Investitionen aufgeschoben und Aufgaben wie das Online-Geschäft oder die internationale Aufstellung des Konzerns verschlafen (vgl. Hirn, 24.09.2010). Kurz nach- dem es schließlich doch zu einer Einigung kam, kündigte der langjährige Vertriebs- und Mar- ketingchef, womit das Unternehmen derzeit erneut vor Komplikationen steht. Denn die Ent- scheidungen einer Neubesetzung der Stelle kann nur von Hans Riegel und seinen Neffen ge- meinsam getroffen werden; so wird es durch den Gesellschaftervertrag geregelt (vgl. Chwal- lek, 14.01.2011)

3.1.3. Kontinuität

Neben der Besonderheit der Nachfolge entstehen durch die Verknüpfung von Eigentum und Führung weitere Folgen für das Unternehmen, die sich überwiegend positiv auf das Unter- nehmen auswirken können. Im Vergleich zu anderen Unternehmen zählen bei Familienunter- nehmen weniger die kurzfristigen Quartalsberichte, als eine langfristig ausgerichtete Siche- rung des Unternehmens (vgl. Baumgartner, 2009, S. 23; Wimmer, Domayer, et al., 1996, S. 100; Weissmann, Schultheiss, 2006, S. 76). Familienunternehmen sind weniger an der Erzie- lung schneller Gewinne interessiert und versuchen das Unternehmen und ihre Traditionen über Generationen zu erhalten (vgl. Kempert, 2008, S. 16). In einem Interview der DVZ mit Dr. August Oetker, Vorsitzender des Beirats der Oetker-Gruppe, die in der deutschen Le- bensmittelindustrie eine prominente Stellung einnimmt, sagte dieser, dass er nicht glaube, dass ein Unternehmen davon profitieren könne, wenn es im Abstand von fünf Jahren eine neue Führung bekäme, die alles anders mache, als die vorige (vgl. DVZ, 2010). Genau das ist bei familiengeführten Unternehmen meist nicht der Fall, was für sie einen großen Vorteil ge- genüber managementgeführten Unternehmen darstellt, solange die langjährigen Führungskräf- te kompetent sind.

3.1.4. Persönlicher Kontakt

Doch nicht nur die Ausrichtung der unternehmerischen Perspektive ist von Langfristigkeit geprägt, sondern auch der Führungsstil und die Beziehungen zu Kunden und Lieferanten.

Da der Eigentümer bzw. ein am Eigentum Beteiligter das Unternehmen führt, und dies meist über einen langen Zeitraum hinweg, entsteht eine personenbezogene Kontinuität für die Mit- arbeiter. Der Unternehmensführer und die Eigentümerfamilie stehen zum Unternehmen und für dessen Weiterführung, da sie selbst hohes Interesse am Erhalt des Unternehmens haben (vgl. Meyer, 2007, S. 35). Als Beispiel dafür beschreibt Kempert, ein Unternehmensberater, dass er noch nie einen Familienunternehmer erlebt habe, der sich in schlechten Zeiten einen neuen Geschäftswagen gekauft habe. Dieser wisse gar nicht, wie er dies vor seinen Mitarbei- tern rechtfertigen könne. Damit fungiert die Unternehmensleitung - mehr als in den meisten anderen Unternehmen - auch als Vorbild für die Mitarbeiter (vgl. Kempert, 2008, S. 21). Die- ses Verantwortungsgefühl, das viele Familienunternehmer nicht nur für ihr Unternehmen, sondern auch für “ihre“ Mitarbeiter (z. T. auch für das regionale Umfeld) haben, führt dazu, dass auch die Verantwortung der Mitarbeiter für das Unternehmen wächst. Sie fühlen sich mit dem Unternehmen verbunden und sind loyaler (vgl. Kempert, 2008, S. 16; Weissmann, Schultheiss, 2006, S. 76). Beispielsweise beginnt ein Portrait über Clemens Tönnies, den Be- sitzer und Leiter der B. & C. Tönnies Fleischwerke, mit der Beschreibung des engen Kontakts zu seinen Mitarbeitern, mit denen er gemeinsam zu Mittag isst (vgl. Holler, 2007).

Natürlich muss sich ein Familienunternehmer nicht zwangsläufig verantwortungsvoller ver- halten als ein Fremdmanager. Das Familienunternehmen Schlecker steht beispielsweise immer wieder unter Kritik, da es Mitarbeiter entlässt und durch billigere Leiharbeiter ersetzt oder weil es seine Mitarbeiter überwacht und bespitzelt (vgl. o. V., 12.01.2010, vgl. o. V., 30.03.2008). Auch Herrmann Bühlbecker, dem Eigentümer und Leiter der Lambertz-Gruppe wird in einem Artikel des Manager Magazins vorgeworfen, 500 bis 600 Saisonarbeitskräfte durch schlechter bezahlte Zeitarbeitskräfte ersetzt zu haben. Während es - laut Manager Magazin - der Unternehmensgruppe nicht besonders gut gehe, sie “kümmerliche Renditen“ erziele und von der Substanz lebe, veranstalte Bühlbecker gleichzeitig Charity-Projekte und organisiere Partys mit zahlreichen Prominenten (vgl. Rickens, Schwarzer, 2009).

Diese gefühlte Verantwortung für Mitarbeiter und Region kann indes auch problematische Auswirkungen auf das Unternehmen haben. Befindet sich dieses in einer Krise, so dass Ent- lassungen oder Produktionsverlagerungen nötig werden, werden wichtige Entscheidungen nicht oder zu spät getroffen. Dem Unternehmensführer sind die Mitarbeiter und ihre Schicksa- le persönlich bekannt, er fühlt sich in der Verantwortung und kann weniger rational als ein emotional unbeteiligter Konzernmanager entscheiden (vgl. Weissmann, Schultheiss, 2006, S. 77 f.). Allerdings muss das nicht zwangsläufig der Fall sein. Vor dem Hintergrund dass auch Hengstenberg die komplette Produktion aus der Heimatregion heraus verlagert hat, antwortet Eckart Hengstenberg, jahrelang der Geschäftsführer und heutiger Leiter des Verwaltungsrats von Hengstenberg auf die Frage des Manager Magazins, ob es nicht schmerze wenn die Firma des Urgroßvaters aus der Heimatstadt verschwinde, „ Es wäre sehr unprofessionell, wenn wir wegen einer Sentimentalitätökonomische Notwendigkeiten missachteten “ (Hage, 10.09.2007).

Darüber hinaus kann das Vertrauen der Mitarbeiter, aber auch das von Lieferanten und Kun- den gestärkt werden, indem sie im Unternehmensführer oder der Unternehmerfamilie klare Ansprechpartner finden, an die sie sich persönlich wenden können (vgl. Kempert, 2008, S. 18). Wenn für die Stakeholder eines Unternehmens Ansprechpartner vorhanden sind, die di- rekt an der Unternehmensführung oder am Eigentum beteiligt sind, schafft das eine menschli- che Nähe zum Unternehmen und eine höhere Identifikation mit demselben. In familiengeführ- ten Unternehmen ist die Möglichkeit, den oder einen Chef persönlich zu sprechen eher gege- ben als in Nicht- Familienunternehmen (vgl. Weissmann, Schultheiss, 2006, S. 76 f.). Der langjährige, direkte und persönliche Kontakt zu Kunden kann außerdem dazu führen, dass de- ren Bedürfnisse besser erkannt werden und die Leistungen des Unternehmens besser darauf abgestimmt werden können (vgl. Baumgartner, 2009, S. 25). Dies alles kann zu einem wichti- gen Wettbewerbsvorteil für Familienunternehmen werden (vgl. Wimmer, Domayer, et al., 1996, S. 127 ff.). Genau das kann aber auch wieder zu einem Problem werden: Wenn Fami- lienunternehmen zu nahe am Kunden sind und den Markt nicht mehr in seiner Gesamtheit im Auge haben, können Änderungen auf diesem Markt schnell übersehen werden (vgl. Wimmer, Domayer, et al., 1996, S. 133). Insbesondere auf sich schnell ändernden Märkten, wie teilwei- se in der Lebensmittelindustrie, muss dies bedacht werden.

3.1.5. Unternehmensführung und Leitung

Durch die Verknüpfung der unterschiedlichen Dimensionen kommen bei familiengeführten Unternehmen auch Besonderheiten bei der Führung hinzu, die managementgeführte Unternehmen nur selten aufweisen. Auch die sind ambivalent und können sich positiv aber auch negativ auf das Unternehmen auswirken.

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Excerpt out of 174 pages

Details

Title
Familiengeführte Unternehmen der Lebensmittelindustrie zwischen handwerklicher und industrieller Produktion
Subtitle
Analyse, Strategien und Differenzierungsmöglichkeiten
College
Justus-Liebig-University Giessen  (Institut für Betriebslehre der Agrar- und Ernährungswirtschaft)
Grade
2,0
Author
Year
2011
Pages
174
Catalog Number
V172240
ISBN (eBook)
9783640920501
ISBN (Book)
9783640920334
File size
4956 KB
Language
German
Keywords
Familienunternehmen, Lebensmittelindustrie, Kommunikation, qualitative Interviews, Werbung für Lebensmittel
Quote paper
Johanna Klinger (Author), 2011, Familiengeführte Unternehmen der Lebensmittelindustrie zwischen handwerklicher und industrieller Produktion, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/172240

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