Leseprobe
Inhalt
1 Einleitung
2 Regelungen im Überblick
2.1 Baden-Württemberg
2.2 Bayern
2.3 Nordrhein-Westfalen
3 Auswirkungen der institutionell-strukturellen Faktoren auf die Anwendungshäufigkeit
3.1 Gemeindestruktur
3.2 Zulässigkeit
3.2.1 Themen
3.2.2 Kostendeckung
3.2.3 Fristen
3.3 Quoren
4 Fazit
5 Literaturverzeichnis
1 Einleitung
Ausgangspunkt für die Fragestellung dieser politikwissenschaftlichen Arbeit ist die in den Medien häufig zitierte Politik- und Parteienverdrossenheit der Bürger. Die Ausweitung von direktdemokratischen Mitwirkungs- und Entscheidungsrech- ten, gerade auf kommunaler Ebene, wird hierbei in der politikwissenschaftlichen Forschung als probates Mittel gesehen, um die Partizipation der Bürger am politi- schen Willensbildungs- und Entscheidungsprozess auszuweiten. Während in den ersten Jahrzehnten im repräsentativen System der Bundesrepublik direktdemokra- tische Elemente fast keine Rolle spielten, änderte sich dies im Verlauf der 90er Jahre schlagartig. Ausgehend von Ostdeutschland wurden die Kommunalverfas- sungen durch die flächendeckende Einführung von Bürgerbegehren und Bürger- entscheide und der Direktwahl des Bürgermeisters dahingehend reformiert. Diese Arbeit konzentriert sich ausschließlich auf Rechte des Souveräns im Hinblick auf Sachentscheidungen und blendet die Personalentscheidungen in Form der Direkt- wahl des Bürgermeisters aus (Bogumil 2002, S. 194).
Ergänzend sei hinzugefügt, dass auch auf Landesebene das Plebiszit durch Volks- initiative, Volksbegehren und Volksentscheid Einzug hielt (vgl. Jürgens / Rehmet 2009). Auf Bundesebene ist dagegen bis heute kein Verfahren für die direkte Durchsetzung des Volkswillens vorgesehen (Heussner / Jung 2009, S.15-16).
Eine ausführliche Definition von Bürgerbegehren und Bürgerentscheid stammt vom Verwaltungsgericht Kassel:
„Bürgerbegehren und Bürgerentscheid sind unmittelbare Mitwirkungsrechte der Bürger im kommunalpolitischen Geschehen. Sie stellen sich als Kernstück direkter Demokratie auf Gemeindeebene dar. Durch sie erlangt die Stimmbürgerschaft einer Gemeinde das Recht, wichtige Gemeindeangelegenheiten im Bürgerbegehren zu benennen und, wenn der Gemeinderat sie nicht im Sinne der Initiative entscheidet, darüber abschließend selbst im Bürgerentscheid zu befinden.“ (Paust 1999, S. 29)
Dieses Recht wird, bedingt durch das föderative System der Bundesrepublik, durch die Landesparlamente in den Kommunalverfassungen der einzelnen Bundesländer geregelt. Hieraus ergeben sich deutliche Unterschiede sowohl in institutioneller Sicht durch die variierenden Ausgestaltungen, als auch in struktureller Sicht durch die unterschiedlichen Gemeindestrukturen.
Beim Vergleich der Anwendungshäufigkeit von Bürgerbegehren in den einzelnen Bundesländern wird ein markantes Gefälle deutlich (vgl. Mittendorf 2009a). Die- ses führt schließlich zur Kernfrage dieser Arbeit: Wie wirken sich die unterschied- lichen institutionellen und strukturellen Rahmenbedingungen der einzelnen Bun- desländer auf die Anwendungshäufigkeit von Bürgerbegehren aus? Ein Vergleich der drei Bundesländer Baden-Württemberg, Bayern und Nordrhein-Westfalen soll dieser Frage nachgehen. Für die Eingrenzung auf diese drei Bundesländer gibt es zwei Gründe. Zum einen haben diese Länder die größten Erfahrungen beim Um- gang mit diesem Instrument, zum anderen ist sowohl die Datenlage als auch die Forschungsliteratur für diese am ergiebigsten.
Die Analyse stützt sich zum einen auf die Auswertung der zu diesem Forschungs- bereich erschienenen Fachliteratur und zum anderen auf die Datensammlung der „Forschungsstelle Bürgerbeteiligung und Direkte Demokratie“ an der Universität Marburg. Da es keine offiziellen Statistiken für Bürgerbegehren und Bürgerent- scheide gibt (in Baden-Württemberg führt das Innenministerium eine interne Sta- tistik), stellt diese Datenbank die umfangreichste aber leider nicht vollständige Datensammlung dar. Zunächst werden die Genese und die unterschiedlichen Rahmenbedingungen vorstellt, und die wesentlichen Unterschiede herausgearbeitet. Danach findet ein Vergleich der relevanten Variablen und ihre Auswirkungen auf die Anwendungshäufigkeit statt. Im Schlussteil dieser Arbeit werden die Ergebnisse zusammengefasst darstellt und ein Ausblick gegeben.
2 Regelungen im Überblick
Das grundsätzliche Verfahren eines Bürgerbegehrens und dem darauf folgenden Bürgerentscheid ist in verschiedene Phasen unterteilt. Am Beginn dieses Prozes- ses steht zunächst einmal die Auseinandersetzung unterschiedlicher Akteure (z.B. Einzelpersonen, Bürgerbewegungen, Parteien und Verbände) des öffentlichen Lebens mit politischen Entscheidungen und der Entwicklung einer gegensätzli- chen Meinung. Ebenso kann in dieser Phase eine Meinung zu einem Thema ent- stehen, zudem bisher noch keine bindende politische Entscheidung getroffen wur- de. Hieraus ergibt sich die Unterscheidung in „Korrekturbegehren“, die sich gegen einen Beschluss des Gemeinderats richten, und „Initiativbegehren“, die ein ganz neues Thema auf die politische Agenda setzen. In der Initiierungsphase haben die Initiatoren das Thema konkretisiert und auf eine Unterschriftensammlung vorbe- reitet. In der anschließenden Qualifizierungsphase versuchen die Urheber des Bürgerbegehrens ein festgesetztes Unterschriftenquorum wahlberechtigter Bürger zu erreichen, um damit einen Bürgerentscheid auszulösen. Nach der Einreichung der Unterschriftensammlung zum Bürgerbegehren, diese muss bei Korrekturbe- gehren in manchen Bundesländern innerhalb einer festgelegten Frist erfolgen, entscheidet der Rat über die Zulässigkeit des Bürgerbegehrens und legt einen Termin für den Bürgerentscheid fest. Der Rat hat zu diesem Zeitpunkt auch die Möglichkeit dem Begehren zu entsprechen, so dass es zu keinem Bürgerentscheid kommt. Anschließend, an diese parlamentarische Interaktionsphase, folgt bei Zu- lässigkeit die öffentliche Meinungs- und Entscheidungsphase, die mit dem Bür- gerentscheid endet. Nach dem Entscheid folgt hierauf wiederum eine politische Auseinandersetzung der am Prozess beteiligten Akteure. In dieser sogenannten Nachphase setzen erneut Diskussionen über das behandelte Thema ein (wie z. B. die Umsetzung bei Erfolg oder die Suche nach anderen Kompromisslösungen bei Misserfolg). Die in manchen Kommunalverfassungen vorgesehenen Ratsbegehren ( Bürgerentscheide die meist mit 2/3 Mehrheit vom Rat eingeleitet werden) sind in dieser Untersuchung nicht relevant, da sie nicht als direktdemokratisches Verfah- ren angesehen werden (Rehmet / Weber / Pavlovic 1999, S.118-121).
Es folgt nun ein Überblick über die länderspezifische Ausgestaltung, bzw. die wichtigsten Entwicklungslinien von Bürgerbegehren und Bürgerentscheiden in den ausgewählten Bundesländern mit ihren wesentlichen Unterschieden.
2.1 Baden-Württemberg
Den Anfang macht Baden-Württemberg, das als einziges Bundesland bereits zu seiner Gründung Bürgerbegehren und Bürgerentscheide in seiner Landesverfas- sung vorsah und diese in die Kommunalverfassung 1955 aufnahm (Spies 1999, S. 84; Wehling 2005 S. 14). Normiert sind diese im Art. 21 der baden- württembergischen Gemeindeordnung (Juristischer Informationsdienst 2010). Im Verlauf der Jahrzehnte wurde dieser Paragraph mehrmals geändert. Nach der ak- tuell gültigen Fassung kann die Bürgerschaft einen Bürgerentscheid durch Bür- gerbegehren beantragen, falls es sich um eine Angelegenheit des Wirkungskreises der Gemeinde handelt, für den der Gemeinderat zuständig ist. Durch einen Nega- tivkatalog werden Weisungsaufgaben und Angelegenheiten, die kraft Gesetzes dem Bürgermeister obliegen, Fragen der inneren Organisation der Gemeindever- waltung, die Rechtsverhältnisse der Gemeinderäte, des Bürgermeisters und der Gemeindebediensteten, der Haushalt wie auch die Jahresabschlüsse, die Bauleit- planung und Entscheidungen in Rechtsmittelverfahren vom Bürgerentscheid aus- geschlossen. Weiterhin sieht dieses Gesetz bei einem Korrekturbegehren eine
Frist von sechs Wochen für die Einreichung des Begehrens nach Bekanntmachung eines Ratsbeschlusses vor. Grundsätzlich benötigt ein erfolgreiches Begehren Un- terschriften von mindestens 10 Prozent der wahlberechtigten Bürger. Allerdings unterliegt dieses Einleitungsquorum einer Ausnahmeregelung die vorsieht, dass bei Gemeinden bis 500.00 Bürger 2500, bei bis zu 100.000 Einwohnern 5.000, bei bis zu 20.0000 Einwohnern 10.000 und bei mehr als 200.000 Einwohner 20.000 gültige Unterschriften genügen. Die im Begehren verlangten Maßnahmen müssen begründet und des weiterem einen Kostendeckungsvorschlag enthalten. Das für den Erfolg eines Bürgerentscheids notwendige Quorum ist auf 25% der Stimmberechtigten festgelegt. Wie schon angesprochen unterlagen diese Rege- lungen mehreren Novellierungen, wobei gerade die Reformen von 2005 zu einer deutlichen Änderung des geltenden Rechts führten. Die alte Rechtslage schränkte die Themenzulässigkeit auf wenige Bereiche durch einen Positivkatalog ein, der genau vorgab welche Gemeindeangelegenheiten bürgerentscheidsfähig waren. Allerdings wurde mit der Reform der Negativkatalog, durch den Ausschluss der Bauleitplanung und den örtlichen Bauvorschriften, erweitert. Desweiteren galt vor 2005 eine Frist für Korrekturbegehren von 4 statt 6 Wochen und das Zustim- mungsquorum für Bürgerentscheide lag bei 30 statt 25 Prozent (Rehmet / Mitten- dorf 2008, S. 11).
2.2 Bayern
In Bayern hingegen war der Weg zu einer Volksgesetzgebung auf kommunaler Ebene ein langwieriger Prozess. Bereits ab 1949 versuchte die bayerische Staats- regierung eine gesetzliche Regelung zu verabschieden. Jedoch erreichte ein erster Entwurf von 1951 im bayerischen Landtag nicht die notwendige Mehrheit. Auch ein zweiter Versuch 1982, über das bereits seit 1946 auf Landesebene verfasste Instrument des Volksentscheids eine Lösung zu finden, scheiterte an der vorgese- henen Unterschriftenhürde. Durch eine Initiative des Vereins „Mehr Demokratie“ kam es schließlich 1995 zu einem erfolgreichen Volksbegehren. Dies führte zu einem Volksentscheid in dem die Bürger sich zwischen dem eher restriktiven Entwurf des bayerischen Landtages und der bürgerfreundlichen Version von „Mehr Demokratie“ entscheiden konnten. Letzterer erreichte schließlich mit 57,8% die Mehrheit. Das für die kommunale Ebene relevante Gesetz ist in der Bayerischen Gemeindeordnung (bay. GO) im Art. 18a aufgeführt (vgl. Weixner 2005, S. 33-34). Die bay. GO sieht neben der allgemein gültigen Einschränkung des Themenbereichs auf den eigenen Wirkungskreis der Gemeinde einen Negativkatalog vor, der folgende Bereiche ausschließt:
„ […] Angelegenheiten, die kraft Gesetztes dem ersten Bürgermeister obliegen, die Fragen der inneren Organisation der Gemeindeverwaltung, die Rechtsverhältnisse der Gemeinderatsmitglieder, Bürgermeister und Gemeindebediensteten sowie die Haushaltssatzung “. (Gebhard 2000, S. 111-112)
Im Vergleich mit der baden-württembergischen Fassung wird hier vor allem das Fehlen des Ausschlusses der Bauleitplanung deutlich. Bei den formalen Anforde- rungen verlangt die bay. GO eine Fragestellung die mit Ja oder Nein beantwortet werden kann, auf der Unterschriftenliste muss die Fragestellung und Begründung enthalten sein und drei Vertrauenspersonen, die die Unterzeichner vertreten kön- nen, benannt sein. Ein Kostendeckungsvorschlag, wie ihn die baden- württembergische Variante vorsieht, wird hingegen nicht verlangt. Das Einlei- tungsquorum liegt zwischen 3 und 10 Prozent, auch hier ist wieder wie in Baden- Württemberg die Höhe von der Gemeindegröße abhängig. Allerdings erfolgt die Staffelung in festen Prozentsätzen, die mit zunehmender Gemeindegröße fallen. Für ein erfolgreiches Begehren genügen bei bis zu 10.000 Einwohnern: 10%, bei bis zu 20.000 Einwohnern: 9%, bei bis zu 30.000 Einwohnern: 8%, bei bis zu 50.000 Einwohnern: 7%, bei bis zu 100.000 Einwohnern: 6%, bei bis zu 500.000 Einwohnern: 5% und bei über 500.000 Einwohnern: 3% Unterstützung aus dem Kreis der stimmberechtigten Bürger. Für einen erfolgreichen Bürgerentscheid reichte bis 1999 die einfache Mehrheit. Erst in Folge eines Urteils des bay. Ver- fassungsgerichtshofs wurde ein Zustimmungsquorum eingeführt. Seitdem gilt ein ebenfalls gestaffeltes Quorum von 20% bei Gemeinden bis 50.000 Einwohnern, 15% bei bis zu 100.000 Einwohnern und 10% bei größeren Gemeinden (Weixner 2005, S. 52-53).
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