Seit rund 25 Jahren sieht sich die EU mit dem Vorwurf mangelnder Legitimität konfrontiert. In der wissenschaftlichen Debatte umfasst diese Kritik meist drei Aspekte: Unterstellt wird zunächst ein Demokratiedefizit. Des weiteren attestieren die Kritiker ein Identitätsdefizit. Und letztlich diagnostizieren sie noch ein Öffentlichkeitsdefizit. Hierbei beschränken sich die Analysen häufig auf die diagnostizierte Nichtexistenz europäischer Medien und den erachteten Mangel an Berichterstattung über europäische Themen. Die drei skizzierten Aspekte lassen sich als Trilemma beschreiben: Demnach kann das Demokratiedefizit nicht einfach mittels einer umfassenderen Institutionalisierung demokratischer Mehrheitsentscheide aufgehoben werden, weil dann aufgrund des Identitätsdefizits die Gefahr besteht, dass Minderheiten marginalisiert und politische Entscheidungen entsprechend nicht akzeptieren werden. Das Identitätsdefizit wiederum lässt sich nicht aufheben, weil ein belastbares Zusammengehörigkeitsgefühl unter den Bürgern Europas nur mittels europäischer Diskurse geschaffen werden kann, die jedoch aufgrund des Öffentlichkeitsdefizits nicht geführt werden können. Dieses aber könnte letztlich nur aufgehoben werden, wenn die politische Elite aufgrund der institutionellen Architektur gezwungen wäre, um die Gunst der Bürger der EU zu werben und aktiv die Öffentlichkeit zu suchen, was aber aufgrund des Demokratiedefizits nur äußerst bedingt der Fall ist. Wie also kann dieses europäische Trilemma, das letztlich in den Vorwurf mangelnder Legitimität mündet, aufgelöst werden? Der Aspekt der Öffentlichkeit erscheint als ein entsprechender Ansatzpunkt: So müssen sich die Kritiker den Vorwurf gefallen lassen, bei ihrer Diagnose eines europäischen Öffentlichkeitsdefizits mit einer Konzeption von Öffentlichkeit zu arbeiten, die nicht nur äußerst eng gefasst ist und somit Akteure und Ebenen gänzlich unberücksichtigt lässt1, sondern in vielen Fällen
auch innerhalb ihres engen Rahmens verschiedene Aspekte – etwa das Angebot des Internets – weitgehend ausspart. Das skizzierte Argument, wonach eine Überwindung des Demokratiedefizits zur
Entwicklung europäischer Öffentlichkeit beitragen könnte, weil die politische Elite erst dann um die Gunst der Bürger der EU werben müsste, mag stimmen. Doch weil die Kritiker wie angesprochen von einer engen Konzeption ausgehen und bestimmte Aspekte europäischer Öffentlichkeit ausklammern, lohnt eine genauere Untersuchung dieses Aspekts.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Öffentlichkeit und ihre demokratietheoretische Einordnung
- Begriff und Bedeutung von Öffentlichkeit
- Öffentlichkeit in modernen Gesellschaften
- Binnenstruktur von Öffentlichkeit
- Akteure in der Öffentlichkeit und ihre Rollen
- Öffentlichkeitsebenen
- Arenatheoretische Implikationen
- Chancen, Grenzen und Risiken durch das Internet
- Definition von Öffentlichkeit in modernen Gesellschaften
- Binnenstruktur von Öffentlichkeit
- Normativ bewertete Funktionen von Öffentlichkeit
- Das liberal-repräsentative Modell
- Das deliberative Modell
- Öffentlichkeits-, Identitäts- und Demokratiedefizit der EU
- Herausforderungen und Ziele der europäischen Integration
- Legitimität politischer Systeme jenseits der Staatlichkeit
- Das Trilemma und seine mögliche Auflösung
- Europäische Öffentlichkeit
- Grundlegende Aspekte
- Historische Entwicklungslinien
- Modellvorstellungen europäischer Öffentlichkeit
- Konstitutionsbedingungen
- Existenz, Form und Ausmaß
- Europäische Medienöffentlichkeit
- Europäische Medien
- Europäisierung nationaler Medien
- Themen- und ereigniszentrierte Teilöffentlichkeiten
- Europäische Öffentlichkeit durch das Internet
- Europäische Themen- und Versammlungsöffentlichkeit
- Kommunikation mit Europa
- Kommunikation über Europa
- Europäische Medienöffentlichkeit
- Grundlegende Aspekte
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Magisterarbeit befasst sich mit dem Legitimationsproblem der Europäischen Union (EU) und analysiert, wie sich das Trilemma aus Öffentlichkeits-, Identitäts- und Demokratiedefizit lösen lässt. Die Arbeit untersucht die Herausforderungen und Ziele der europäischen Integration und beleuchtet die Bedeutung von Öffentlichkeit für die Legitimität politischer Systeme jenseits der Staatlichkeit.
- Das Demokratiedefizit der EU
- Das Identitätsdefizit der EU
- Das Öffentlichkeitsdefizit der EU
- Die Rolle der Medien in der europäischen Öffentlichkeit
- Die Herausforderungen und Chancen der europäischen Integration
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung führt in das Thema der Magisterarbeit ein und stellt das Legitimationsproblem der EU mit den drei Aspekten des Demokratie-, Identitäts- und Öffentlichkeitsdefizits vor. Das zweite Kapitel widmet sich dem Begriff und der Bedeutung von Öffentlichkeit, analysiert ihre Rolle in modernen Gesellschaften und stellt die normativ bewerteten Funktionen von Öffentlichkeit im liberal-repräsentativen und deliberativen Modell dar. Im dritten Kapitel werden die Herausforderungen und Ziele der europäischen Integration erörtert und die Frage der Legitimität politischer Systeme jenseits der Staatlichkeit behandelt. Das Kapitel beleuchtet das Trilemma aus Öffentlichkeits-, Identitäts- und Demokratiedefizit und diskutiert mögliche Lösungsansätze. Das vierte Kapitel befasst sich mit der europäischen Öffentlichkeit, beleuchtet ihre historischen Entwicklungslinien und Modellvorstellungen, analysiert die Konstitutionsbedingungen und untersucht die Existenz, Form und das Ausmaß der europäischen Medienöffentlichkeit und Themen- und Versammlungsöffentlichkeit.
Schlüsselwörter
Europäische Union, Legitimität, Demokratiedefizit, Identitätsdefizit, Öffentlichkeitsdefizit, Europäische Öffentlichkeit, Medienöffentlichkeit, Themen- und Versammlungsöffentlichkeit, Europäische Integration, Trilemma.
- Quote paper
- Florian Doerr (Author), 2011, Medien im europäischen Trilemma von Öffentlichkeits-, Identitäts- und Demokratiedefizit, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/173074