Leseprobe
Inhalt
1. Einleitung
2. Das Berufsvorbereitungsjahr heute
2.1 Aufbau, Struktur und Ziele des BVJ
2.2 Jugendliche mit besonderem Förderbedarf
2.3 Entwicklungen auf dem Ausbildungsmarkt
3. Kritische Sicht auf das BVJ
4. Zukunftsperspektiven
4.1 Handlungsoptionen
4.2 Modularisierung des Berufsbildungssystems
5. Schlussbemerkung
6. Anhang
6.1 Literaturverzeichnis
1. Einleitung
„ Der Verdacht liegt […] nahe, dass sich das Bildungssystem mit dem Instrument des „BVJ“ der erfolglosen, benachteiligten und schwierigen Jugendlichen möglichst rasch und in gewisser Weise elegant entledigt.“ (Schröder, Thielen, 2009)
Anfang der 70er Jahre ist der Bildungsgang des Berufsvorbereitungsjahres (BVJ) in Deutschland in verschiedenen Formen eingeführt worden, um als ein bildungspolitisches Instrument den Strukturveränderungen auf dem Arbeits- und Ausbildungsmarkt zu begegnen. Seit seiner Einführung stiegen die Schülerzahlen stetig an. Trotz dessen muss sich das BVJ konsequenter Kritik stellen. Kann es seiner ursprüngliche Intention, nämlich Jugendliche ohne Ausbildungsvertrag in das duale System einzugliedern, bzw. deren Chancen auf einen erfolgreichen Übergang zu steigern, heute noch gerecht werden? Wie sieht die Situation auf dem gegenwärtigen Arbeits- und Ausbildungsmarkt aus und ist das Konzept des BVJ inzwischen zu veraltet als das es den momentanen Herausforderungen noch gerecht werden könnte? Woran lässt sich beurteilen, ob das BVJ Jugendlichen mit besonderem Förderbedarf tatsächlich erfolgreiche Hilfestellung bietet oder ob es stattdessen zu einem Mittel geworden ist, unbequeme und schwierige Jugendliche auszugliedern?
Diesen Fragen soll in folgender Ausarbeitung auf den Grund gegangen werden. Hierzu soll zunächst betrachtet werden, was die gegenwärtigen Inhalt und Zielsetzungen des BVJ sind und was überhaupt die Definition von Jugendlichen mit besonderem Förderbedarf ist. Darauf folgend, um den Nutzen und die Wirkung des Bildungsganges bewerten zu können, ist ein Blick auf die Statistiken und die Entwicklung des BVJ im Kontext des Geschehens auf dem Ausbildungsmarkt unabdingbar. Hierbei sind insbesondere die Ausarbeitungen und Statistiken des Berufsbildungsberichtes mit in die Betrachtung einbezogen worden.
Im Weiteren werden kritische Gesichtspunkte in Bezug auf das BVJ betrachten und deren Gültigkeit bewertet, sowie Zukunftsperspektiven und notwendige Handlungsoptionen in Bezug auf das BVJ aufgeführt, kritisch betrachtet und bewertet.
2. Das Berufsvorbereitungsjahr heute
2.1 Aufbau, Struktur und Ziele des BVJ
Das Berufsvorbereitungsjahr etablierte sich in den 70er Jahren in den unterschiedlichen Bundesländern der Bundesrepublik Deutschland in unterschiedlichen Formen. Auch heute gibt es noch keine bundesweite Vereinheitlichung des Bildungsganges. Einige Charakteristika sind den unterschiedlichen Ausformungen des BVJ allerdings gemein: so ist das BVJ allgemein als ein Teil des Übergangssystems innerhalb der Berufsbildenden Schulen angesiedelt und sieht sich konkret als ein Angebot an Jugendliche und junge Erwachsene, die das allgemein bildende Schulsystem ohne einen Abschluss, bzw. mit einem Hauptschulabschluss verlassen haben und nicht in das duale System oder das Schulberufssystem einmünden konnten. Oft wird in diesem Zusammenhang von den so genannten sozial- bzw. marktbenachteiligten Jugendlichen gesprochen.
Beim BVJ handelt es sich um einen ein- bis zweijährigen Bildungsgang, der primär in Vollzeitunterricht, d. h. in einem Umfang von ca. 35 Stunden pro Woche, stattfindet. Ziel ist es, den Schülerinnen und Schüler eine Berufsorientierung zu vermitteln und sie konkret auf eine betriebliche Ausbildung im dualen System vorzubereiten. Da viele der Schülerinnen und Schüler als nicht „ausbildungsreif“ eingestuft werden, liegt ein besonderer Schwerpunkt darauf, die individuellen Kompetenzen der jungen Erwachsenen zu fördern und zu stärken, um ihnen die Einmündungsprozesse in weitere Bildungsgänge oder in Ausbildung zu erleichtern. Auch das Nachholen eines allgemein bildenden Schulabschlusses, insbesondere des Hauptschulabschluss, soll hierbei ermöglicht werden.
Der Unterricht im BVJ sieht dabei eine möglichst kleine Klassengröße vor und soll durch eine konsequente, sozialpädagogische Begleitung unterstützt werden. Insbesondere sollen allgemein bildende, fachtheoretische und fachpraktische Inhalte miteinander verknüpft werden. Hierbei wird das didaktische Prinzip der Handlungsorientierung zugrunde gelegt und der Unterricht soll im Rahmen einer methodischen Handlungs- oder Projektorientierung stattfinden. Durch ein verpflichtendes Betriebspraktikum innerhalb des Schuljahres sollen die Schülerinnen und Schüler an den Arbeitsalltag herangeführt werden und einen Eindruck von der betrieblichen Ausbildung bekommen. Wie auch in der dualen Ausbildung sollen die Inhalte möglichst in Lernsituationen vermittelt werden, die durch die Bildungsgangkonferenz in einer Zusammenarbeit von allen jeweils beteiligten Lehrerinnen und Lehrern erstellt werden. Der Fokus liegt dabei insbesondere auf der praktischen Orientierung des Unterrichts, um eine theoretische Überanspruchung der Schülerinnen und Schüler zu vermeiden. Insgesamt führt das Berufsvorbereitende Jahr in keiner seiner unterschiedlichen Ausformungen zu einem anerkannten Ausbildungsabschluss.
Der ursprüngliche Zweck zu dem das BVJ Anfang der 70er Jahre ins Leben gerufen wurde, war es, „[…] temporäre Dysfunktionalitäten der Allokationsprozesse im Verhältnis von Bildungs- und Beschäftigungssystem sowie ebenso vermeintlich vorübergehende konjunkturelle Krisensymptome abzufedern.“ (Münk, 2008) Inzwischen ist allerdings deutlich geworden, dass das BVJ seinen ursprünglichen Charakter als kurzfristiges Steuerungs- und Interventionsinstrument längst verloren hat und zu einem fest etablierten Teil des Berufsbildungssystems, insbesondere des Übergangssystems, geworden ist.
2.2 Jugendliche mit besonderem Förderbedarf
Wie schon aufgezeigt richtet sich das Angebot des BVJ insbesondere an Jugendliche mit einem besonderen Förderbedarf. Aber welche jungen Erwachsenen gehören zu den so genannten „Jugendlichen mit besonderem Förderbedarf“ und was sind die Gründe dafür? Diese Fragen sollen im Folgenden auf den Grund gegangen werden.
Laut Definition des BVJ soll insbesondere für Jugendlichen ohne Hauptschulabschluss der Übergang in die berufliche Bildung erleichtert werden. Statistiken zeigen, dass lediglich ein Fünftel aller Schulabbrecher der allgemein bildenden Schulen einen Ausbildungsplatz im dualen System erlangen können. Durch den fehlenden Schulabschluss bleibt ihnen ein Einstieg in das Schulberufssystem verwehrt. Folge dessen ist, dass vier Fünftel aller Jugendlichen ohne Schulabschluss in einen Bildungsgang des Übergangssystems einmünden, insbesondere auch weil sie im Regelfall noch der Schulpflicht unterliegen. Aber diese Entwicklung ist nicht nur bei denjenigen jungen Erwachsenen ohne Schulabschluss zu beobachten: die Jugendlichen mit Hauptschulabschluss haben inzwischen ebenfalls große Schwierigkeiten, eine Ausbildungsstelle im dualen System zu bekommen, lediglich zwei Fünfteln gelingt der Einstieg, während nur 8% in das Schulberufssystems eintreten. Der Rest findet sich ebenfalls im Übergangssystem wieder. Was allerdings besonders auffällig ist, ist das sich diese Entwicklung nicht nur auf Schülerinnen und Schüler der unteren Bildungsschichten reduziert, auch von den Jugendlichen mit einem mittleren Schulabschluss findet sich noch ein Viertel der Schüler nach Abschluss des allgemeinen Schulwesens im Übergangssystem wieder. (Vgl. Baethge, 2008)
Diese Statistik zeigt auf, dass das duale System der Berufsausbildung eine seiner traditionellen, großen Stärken inzwischen deutlich eingebüßt hat: Jugendliche aus bildungsschwächeren Gruppen durch eine Ausbildung beruflich in die Gesellschaft zu integrieren.
Es sind unterschiedliche Faktoren, die einen Einfluss nehmen auf die Chancen auf eine erfolgreiche Einmündung in Ausbildung. Hierzu gehören u. a. der Schulabschluss, die Noten des Abgangszeugnisses, das Bildungsniveau der Eltern, die Herkunft, z. B. aus regionalen Ballungsräumen, aber auch ein Migrationshintergrund, der sich empirisch belegbar negativ auf die Einmündungswahrscheinlichkeit auswirkt (Bundesinstitut für Berufsbildung, 2009). Der zweifellos wichtigste Grund für die Expansion des Übergangssystems ist allerdings der Mangel an Ausbildungsplätzen im dualen System. Gerade der momentane Wandel von einer Industrie- zu einer Dienstleistungsgesellschaft aber auch die technische Weiterentwicklung sorgen für eine Rationalisierung von Arbeits- und Ausbildungsplätzen. Insbesondere im gewerblich-technischen Bereich reduziert sich die Zahl von Ausbildungsplätzen zunehmend.
In der Folge werden viele Jugendliche zu Problemfällen stigmatisiert und gerade von Arbeitgeberseite her oft eine angeblich nicht vorhandene Ausbildungsreife bemängelt. Zu beachten hierbei ist allerdings, dass selbst wenn alle Jugendlichen, die sich gegenwärtig im Übergang befinden, als ausbildungsreif eingestuft werden könnten, das Angebot an Ausbildungsplätzen die Nachfrage bei weitem nicht decken könnte.
Es eröffnet sich also die Frage, inwiefern ein Bildungsgang wie das Berufsvorbereitende Jahr dieser Entwicklung begegnet bzw. ob das BVJ dieser Entwicklung überhaupt entgegenwirken kann.
2.3 Entwicklungen auf dem Ausbildungsmarkt
Das Übergangssystem, und damit auch das BVJ, sind in den letzten Jahren enorm expandiert. So stiegt die Zahl der Schülerinnen und Schüler im BVJ von 37.325 im Jahre 1992 auf ganze 71.907 Schülerinnen und Schüler im Jahre 2006. (Vgl. Ulrich, 2008) Als Hauptursache lässt sich hier der steigende Ausbildungsplatzmangel verorten. Aber auch grundlegende Probleme des deutschen Bildungssystems, wie die Passung zwischen allgemein bildendem und Berufsbildendem Schulsystem werden bemängelt. Weitere Kritikpunkte sind zudem die steigenden Anforderungen an die kognitiven Qualifikationen in vielen Ausbildungsberufen oder auch die mangelnde Effizienz der Bildungsgänge und Maßnahmen im Übergangssystem, innerhalb wie auch außerhalb des Berufskollegs. Die statistischen Rahmendaten bestätigen das steigende Ungleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage nach Ausbildungsplätzen, die steigende Schülerzahl in vollzeitschulischen Bildungsgängen am Berufskolleg sowie den Rückgang an Arbeitsplätzen im niedrig qualifizierten Bereich. (Vgl. Bundesinstitut für Berufsbildung, 2009)
Auch eine steigende Jugendarbeitslosigkeit gerade auch im internationalen Vergleich zeichnet sich ab. So waren 2007 insgesamt 1,45 Mio. Jugendliche zwischen 20-29 Jahren ohne eine berufliche Ausbildung. „Ehemalige Hauptschüler/-innen stellen mit 44% die größte Gruppe unter den Unqualifizierten “ (Bundesinstitut für Berufsbildung, 2009). Dies zeigt auf, dass heute jeder 3. Hauptschulabsolvent ohne eine berufliche Erstausbildung bleibt. Bei den jungen Erwachsenen, die das allgemein bildende Schulwesen ohne Abschluss verließen sieht die Statistik noch dramatischer aus: nur 2 von 10 Jugendlichen konnten 2007 eine Berufsausbildung vorweisen, dies bedeutet eine Ungelerntenquote von 84,5%.
Das Übergangssystem wurde mit der Intention eingeführt, diesen Entwicklungen zu begegnen. In Maßnahmen wie das Berufsvorbereitungsjahr oder das Berufsgrundbildungsjahr wurden im Jahr 2006 schätzungsweise 1,9 Mrd. Euro vom Bund investiert (Vgl. Bundesinstitut für Berufsbildung, 2008). Ergebnisse von bundesweiten Analysen des Konsortiums Bildungsberichterstattung zeigen auf, dass mit rund 40% ein deutlicher Teil der Schülerinnen und Schüler relativ dauerhaft im Übergangssystem verbleiben und eine so genannte „Maßnahmenkarriere“ durchlaufen, was bedeutet, dass sie die verschiedenen Bildungsgänge des Übergangssystems nacheinander durchlaufen ohne die Chance zu bekommen, in eine vollqualifizierende, betriebliche Ausbildung einmünden zu können. Von den Jugendlichen, die das BVJ absolviert haben ist dokumentiert, dass diese erheblich eher in weitere Maßnahmen des Übergangssystems einmünden, als in das duale System. Selbst 3 Jahre nach Abschluss des BVJ haben über ein Fünftel noch keine Berufsausbildung begonnen (Vgl. Bundesinstitut für Berufsbildung, BIBB-REPORT 2009).
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