Unfassbar! Schein-wahre Geschichten aus dem Gruselkabinett

Filmische Authentizität als Gestaltungsmittel von Horrofilmen anhand von Beispielen


Term Paper, 2011

41 Pages, Grade: 2


Excerpt


Inhaltsverzeichnis:

1. Einführung

2. Grundlagen
2.1. Dokumentarfilm vs. Spielfilm
2.2. Found-Footage-Film
2.3. Horror

3. Filmuntersuchungen
3.1. Ruggero Deodatos Film Cannibal Holocaust (1980)
3.2. The Blair Witch Project (1998)
3.3. Paranormal Activity (2007)
3.4.[»REC] (2007)
3.5. The Last Exorcism (2010)

4. Fazit

5. Quellenangaben
5.1. Literaturquellen
5.2. Internetquellen

6. Anhang A: Ergänzende Angaben zu der Filmen
6.1. Cannibal Holocaust
6.2. The Blair Witch Project
6.3. Paranormal Activity
6.4.[»REC]
6.5. The Last Exorcism

1. Einleitung

„ Gilgamesch, der sagenhafte König von Uruk, unterdrückt sein Volk, woraufhin die Götter Enkidu als Gegenspieler erschaffen. Enkidu kommt aus der Steppe in die Stadt; er und Gilgamesch werden unzertrennliche Freunde. Gemeinsam wagen sie die Fahrt in den Zedernwald, wo sie dessen dämonischen Wächter Humbaba erschlagen. Zurück in Uruk erlegen sie den von der beleidigten Göttin Ischtar gesandten Himmelsstier. Doch Enkidu muss sterben. Angesichts der Unausweichlichkeit des Todes bricht Gilgamesch auf, das ewige Leben zu suchen. Er gelangt ans Ende der Welt zu Utnapischti, der ihm von der Sintflut berichtet. Erfüllt mit dem Wissen um den Platz des Menschen im Kosmos kehrt Gilgamesch nach Uruk zurück. “ 1

Dämonen, Vampire, Hexen sowie andere Monster und Bösewichte sind keine Erfindung des Kinos. Bereits in der „ältesten Schrift der Menschheit“2, dem „Gilgamesch-Epos“, werden die Grenzen des menschlichen Daseins sowie die Suche nach dem ewigen Leben thematisiert. Dämonische Wesen wachen über den Wald, Götter entscheiden über das Leben... Helden, die gegen Monster und Ungeheuer kämpfen, kommen oft in der antiken Mythologie der Griechen und der Römer vor. Zahlreiche Phantasiewesen verewigen im Märchen den Kampf zwischen Gut und Böse. Zahlreiche Schriftsteller, Philosophen und andere Wissenschaftler beschäftigen sich mit dem Phänomen des Bösen sowie dessen Platz in der menschlichen Weltanschauung. Quellen und Vorbilder des Grauens, die den Filmemacher zu guten Horrorgeschichten inspirieren und anregen, finden sich überall, selbst in den Träumen. Und es ist kein Geheimnis, dass Horrorfilme mit den Ängsten des Menschen spielen.

Doch in dieser Arbeit wird nicht nach dem Sinn des Bösen gesucht und auch nicht nach der besten Gruselgeschichte aller Zeiten. Vielmehr sind verschiedene Verkörperungen des Bösen Hauptakteure in einer Auswahl von Filmbeispielen, die angeblich das Eintreffen des so genannten Bösen in die Welt des Menschen dokumentieren. Dabei geht es bei der Untersuchung dieser Filme hauptsächlich um die Frage nach der Simulation von Wahrheiten und dem Glaubwürdigkeitsfaktor dieser: Mit Hilfe welcher Darstellungsmitteln werden aus fiktiven Inhalten möglichst authentisch wirkende Filme produziert? Wo ist dabei die Grenze zwischen Realität und Fiktion? Sollte man alles glauben, was man zu sehen bekommt oder sollte man es doch nicht glauben, weil es so unfassbar zu sein scheint, dass es gar nicht wahr sein kann? Letzten Endes ist alles eine Frage der Einstellung.

Zum Begriff der filmischen Authentizität hat der Filmwissenschaftler Manfred Hattendorf folgende Definition vorgeschlagen: „Authentizität ist ein Ergebnis der filmischen Bearbeitung. Die >Glaubwürdigkeit< eines dargestellten Ereignisses ist damit abhängig von der Wirkung filmischer Strategien im Augenblick der Rezeption. Die Authentizität liegt gleichermaßen in der formalen Gestaltung wie der sozialen Rezeption mitbegründet.“3 Aber es ist letzten Endes der Rezipient, der bewusst oder unbewusst darüber entscheidet, ob er eine Geschichte als authentisch und glaubwürdig empfinden möchte oder nicht. Wer an die Existenz von Aliens glaubt, ist leichter dafür anfällig, einer frei erfundenen (also gefälschten) Dokumentation über Aliens zu vertrauen, als ein Skeptiker. Dabei spielen auch die Medienkompetenz, der Bildungsgrad und die gesammelte Erfahrung eine wichtige Rolle. Dennoch wird es auf der medialen Ebene immer schwieriger zwischen Wahrheit und Lüge zu unterscheiden. Die schnelle Entwicklung der Technik macht es den Filmemachern (und nicht nur) immer leichter, die Sinne des Zuschauers zu täuschen, und somit auch seinen Verstand. Es kommen immer mehr Filme auf den Markt, die trotzt frei erfundener Inhalte dem breiten Publikum als wahre Geschichten verkauft werden. Solche Geschichten sind allgemein dem Begriff Fake (Fake: frisieren, fälschen, vortäuschen, simulieren, Fälschung, Schwindel, Schwindler(in), Simulant(in)4 ) zuzuordnen und zielen bewusst darauf ab, den Zuschauer zu betrügen.

Der Begriff „Fake“ stammt aus dem Englischen und wird erst seit einigen Jahren im deutschsprachigen Raum verwendet. Eine einheitliche Definition des Begriffes gibt es bisher nicht. Stefan Römer z.B. unterscheidet im Feld der bildenden Kunst zwischen „Fake“ und „Fälschung“: „Im Gegensatz zur traditionellen Kunstfälschung handelt es sich bei der hier vorgeschlagenen Konzeption von Fake um eine künstlerische Strategie, die sich von vornherein selbst als Fälschung bezeichnet; insofern ist die juristisch verfolgte Täuschungsabsicht mit Betrugsvorsatz für das Fake weitgehend irrelevant.“5 Im Gegensatz dazu ist in der Filmkunst (und in dieser Arbeit) mit dem Begriff „Fake“ nicht die Fälschung einer bereits vorhandenen Filmproduktion gemeint, sondern die Fälschung von Realität: Der Zuschauer wird bewusst manipuliert und in die Irre geführt. Dabei bleibt es ihm überlassen, ob er dieser „Fälschung“ glauben möchte oder nicht. Oft gibt es Hinweise im Film selbst darauf, dass das Erzählte nicht der Wahrheit entspricht bzw. entsprechen müsse. In Kubrick, Nixon und der Mann im Mond (William Karel, 2002) z.B. läuft bereits in der 3. Minute eine kurze Information über dem Bild: „Fiktion oder Realität? Finden Sie es heraus und gewinnen Sie ein Mondgestein auf www.arte-tv.com“. Doch die eigentliche Entlarvung des Fakes geschieht erst im Abspann. Durch eine geschickte Mischung aus Fakten, Hypothesen und fiktiven Inhalten gelingt es dem Regisseur, einen dokumentarischen Fake-Film zu inszenieren, dessen zentrale Botschaft an das Publikum der Hinweis auf die mögliche Manipulation und Irreführung durch Massenmedien sein soll.6

In weiteren Verlauf dieser Arbeit werden die Filme Cannibal Holocaust, The Blair Witch Project, [භZ ΁, Paranormal Activity sowie The Last Exorcism auf Aufbau, Funktion und Darstellungsmittel untersucht. Dabei liegt der Fokus nicht auf der Glaubwürdigkeit der erzählten Geschichten, sondern viel mehr darauf, wie diese erzeugt wird. Neben der gemeinsamen Zugehörigkeit zum Horrorgenre sind die o.g. Filmbeispiele auch als Fake-Dokumentationen oder Found-Footage-Fakes einzustufen. Zunächst wird kurz auf die Bedeutung beider Begriffe in Zusammenhang mit dem zu untersuchenden Filmmaterial eingegangen, was gleichzeitig als Überleitung ins Filmanalytische dienen soll.

2. Grundlagen

Die Frage nach der Grenze zwischen Realität und Fiktion gehört zu den Fragen, auf die es keine allgemein gültige Antwort gibt. Literaturwissenschaftler, Philosophen wie auch Medienpsychologen verweisen darauf, dass „fiktionale Inhalte nicht vollkommen losgelöst von der Realität sind bzw. es auch gar nicht sein können“7. Das Fiktive kann nicht aus dem Nichts erschaffen werden. Es basiert auf schon Vorhandenem, das im Laufe einer Geschichte in einen neuen Kontext eingearbeitet wird. Somit sind auch fiktive Figuren „grundsätzlich denkbare Figuren, die lediglich als erdacht bezeichnet“8 werden.

In der Medienwissenschaft geht es bei der Differenzierung von Realität und Fiktion hauptsächlich darum, ob „ein medial vermittelter Inhalt als real oder als fiktiv gilt. >Real< wird dabei in der Regel gleichgesetzt damit, dass das Gezeigte auch tatsächlich so passiert ist bzw. dass es Anspruch darauf erhebt, der Wirklichkeit zu entsprechen. >Fiktiv< bedeutet dagegen, dass das Gezeigte frei erdacht oder den Umgang mit "harten Fakten" und "durchgedrehten Verschwörungstheorien" sensibel macht." In: http://www.3sat.de/page/?source=/ard/sendung/104217/index.html erfunden ist, entsprechend vollkommen losgelöst von Ereignissen und Gesetzen der realen Welt sein kann und als Gegenteil der Wahrheit anzusehen ist.“9 Demzufolge gelten Spielfilme allgemein als fiktive Geschichten und Dokumentarfilme als reale, der Wahrheit entsprechende … Doch auch hier fließen viel zu oft die Grenzen ineinander. So gibt es z.B. Spielfilme, die nach wahren Begebenheiten gedreht wurden, sowie Dokumentarfilme, die frei erfundene Inhalte wiedergeben. Letztere haben ]bewusst zum Ziel, das Publikum zu täuschen sowie in die Irre zu führen, und zeigen exemplarisch die Möglichkeiten der Manipulation durch Massenmedien auf. Nur wenige Zuschauer hinterfragen die Wissenschaftlichkeit der Dokumentarfilme. Für viele steht deren Wahrheitsgehalt unreflektiert außer Frage.

2.1. Dokumentarfilm vs. Spielfilm

Als Dokumentarfilm wird in der Regel ein Film verstanden, der „Ereignisse u. Zustände tatsachengetreu zu schildern sucht“10. Dabei soll diese Schilderung möglichst objektiv und wirklichkeitsgetreu stattfinden und auf Fakten basieren, die der Wahrheit entsprechen. Originalschauplätze und O-Töne11, Interviews mit Zeitzeugen und Experten, nicht gestellte Protagonisten und Überraschungsereignisse als Teil des dokumentierten Geschehens sowie verschiedene Beweismittel aus Archiven und anderen nachvollziehbaren Quellen, sind typische Merkmale eines Dokumentarfilms. Der Dokumentarfilm hat nicht als Ziel der reinen Unterhaltung zu dienen, sondern viel mehr der Bildung und Aufklärung des Zuschauers, indem er ihm neues Wissen und neue Erkenntnisse über die Welt zu vermitteln versucht oder bereits vorhandene zu vertiefen. Vielleicht ist auch das der Grund, warum Zuschauer Dokumentarfilme blind vertrauen. Vielleicht ist aber der Zuschauer selbst einfach zu bequem gar faul oder ungebildet, um dokumentarische Inhalte zu hinterfragen. Vielleicht.

Doch was ist, wenn sich ein Dokumentarist irrt? Was ist, wenn er bewusst oder unbewusst dokumentarische Inhalte in den falschen Zusammenhang bringt oder vom Zeitzeugen belogen wird? Angefangen mit der angestrebten Objektivität des Dokumentarischen: Eine absolut objektive Erzeugung von Filminhalten ist aus vielfältigen Gründen nicht möglich. Der subjektiv gefärbte Blick des Filmemachers stellt die Kamera ein und positioniert diese. Er entscheidet was, wo, wann und wie gedreht wird, er entscheidet über Dramaturgie, Montage und Filmästhetik, er entscheidet darüber, was wahr ist und was nicht, selbst wenn seine Entscheidungen auf Tatsachen berufen. Letzten Endes ist der Dokumentarist ein Erzähler von Geschichten wie jeder anderer Filmemacher auch. Zwar haben seine Geschichten einen größeren Anspruch darauf, der Wirklichkeit zu entsprechen, doch auch sie sind möglicherweise nur ein Produkt medialer Manipulation, den zwischen „die Wirklichkeit und die Darstellung der Wirklichkeit durch einen Film schiebt sich auch immer die Wirklichkeit des Filmemachens selbst, die sich der unmittelbaren Vereinnahmung der Wirklichkeit beharrlich entgegenstellt.“12

Zusammenfassend kann man sagen, dass Dokumentarfilme in der Regel als glaubwürdiger gegenüber Spielfilmen gelten, weil sie sich zumindest darum bemühen, Wahrheiten zu vermitteln, die möglichst realitätsnah dargestellt und durch verschiedene Beweismaterialien unterstützt werden. Andererseits gibt es wiederum auch Spielfilme, die Anspruch darauf erheben, der Wahrheit zu entsprechen (z.B. Geschichten, die nach wahren Begebenheiten entstanden sind), sowie Spielfilme, die wie ein Dokumentarfilm aufgebaut sind (d.h. typische Merkmale der dokumentarischen Filmästhetik und Dramaturgie enthalten), dennoch aber frei erfundene Inhalte präsentieren (Fiktion als Hauptmerkmal des Spielfilms). Eine klare Differenzierung zwischen Dokumentar- und Spielfilm ist aus filmwissenschaftlicher Sicht sehr schwierig. Beide Arten des filmischen Erzählens werden mehr oder weniger als eine Art Reaktion auf vorfilmische Wirklichkeiten geschaffen und können sich aus diesem Grund weder gegenseitig ausschließen, noch absolut voneinander abgrenzen. Schließlich kann man auch mittels eines Spielfilms neue Erkenntnisse gewinnen, was trotzt seiner Fiktionalität nicht zwangsläufig eine Lüge ist. Allerdings könnte man voraussetzen, dass sich der Zuschauer der Fiktion des Spielfilms bewusst ist.

„Man könnte behaupten, die Fiktion unterstütze die Realität, indem sie nichtreale Alternativen vorschlägt oder Modelle bereitstellt, die den Leuten den Umgang mit der Realität erleichtern. Erst durch die Fiktion würden Dinge bewusst werden, die sonst in der Realität verborgen bleiben. Dies ist vielleicht kein Unterschied, aber ein Vorteil der Fiktion: Alles ist erlaubt, jede Geschichte kann erzählt werden, Ähnlichkeiten mit real existierenden Personen sind nur zufällig und nicht beabsichtigt. Die Fiktion kann über sich hinaus auf etwas in der Wirklichkeit verweisen, ohne eine direkte Referentialität aufzuweisen bzw. diese aufweisen zu müssen, wie es vom Non-Fiction-Film verlang wird [7]13

2.2. Found-Footage-Film

Für diese Arbeit scheint der Begriff „Found Footage“ auf den ersten Blick irrelevant, vollkommen sinnlos und überflüssig. Dennoch trifft die Bezeichnung Found-Footage bzw. Found-Footage-Fake auf alle fünf Filmbeispielen zu und es wäre aus diesem Grund zumindest interessant, diese neugewonnene Alternative zum Begriff „FakeDoku“ an dieser Stelle kurz einzuführen.

Die Bezeichnung „Found Footage“ steht für Filme, die teilweise oder ganz „aus fremdem, irgendwo und irgendwie vorgefundenem Filmmaterial“14 bestehen. Dabei geht es um ein ästhetisches Verfahren, bei dem „bereits bestehende, von anderen zu bestimmten Zwecken erzeugte Bilder, … in der Folge eine andere Auswertung erfahren“15. Diese neue Technik des Filmemachens hat sich in den 70er und 80er Jahren des 20. Jahrhunderts zur „vermutlich wichtigsten Tendenz im post- avantgardistischen Film der Gegenwart“16 entwickelt. Das vorgefundene Filmmaterial wurde oft verfremdet, zu neuen Bildern verarbeitet oder sogar mit Chemikalien zerstort.. So sollten viele Found-Footage-Filme Bilder präsentieren, die noch nie gesehen wurden. In den Filmbeispielen dieser Arbeit begleitet die Kamera die Protagonisten bis in den Tod hinein. Letzte Bildaufnahmen sind immer die Bilder von dem Fallen der Kamera auf den Boden, nachdem auch der letzten Person, die sie bedient hat, etwas Grausames zustößt. Was aber dieser letzten lebenden Person genau passiert, bleibt dabei meistens eine offene Frage. Jedenfalls werden diese Bildaufnahmen nach einer gewissen Zeit gefunden, betrachtet, zusammengeschnitten und in einen dokumentarischen Kontext gebracht. Die so entstandenen Filme aus angeblich vorgefundenem Filmmaterial sollen die letzten Tage im Leben der Protagonisten dokumentieren. Der Fake dabei ist: Niemand wird vermisst, niemand ist gestorben, es werden keine Filmmaterialien gefunden und es gibt auch keine trauernde Verwandte oder Freunde der „Vermissten“. Alles ist gestellt, inszeniert, frei erfunden, alles ist gefaket. Doch manche dieser Geschichten wurden über Monate hinweg vom Publikum für wahr gehalten, trotzt ihren zum Teil extrem gruseligen Inhalten. Unfassbar, aber wahr! Wie das genau passieren konnte und mit welchen Mitteln die Wahrheit so glaubwürdig simuliert wurde, wird während der Untersuchung der Filmmaterialien ersichtlich. Doch zunächst wird auf einen letzten Begriff eingegangen, der unter etwas anderen Umständen wahrscheinlich oberste Priorität verdient hätte, jedoch nicht bei einer Arbeit, die Mittel und Möglichkeiten der authentischen Darstellung in gefaketen Dokumentarfilmen untersucht. Es geht dabei um den so genannten Horror.

2.3. Horror

Wie bereits deutlich klar wurde, erweist sich die Zuordnung eines Filmes zu einer bestimmten Genre oder Gattung als äußerst schwierig. Fast jeder Film enthält typische Elemente mehrerer Genres bzw. Gattungen, die nicht einmal untereinander klare Grenzen aufweisen können. Es ist ein apokalyptisches Disaster (im metaphorischen Sinne), dennoch unheimlich spannend und reizvoll. Und wo so ein Riesenchaos zu herrschen scheint, erweist sich jede wenn auch noch so kleine oder nur zum Teil sinnvolle Ordnung als eine Dankesrede. Der Horror.

Warum Horror? Warum Horror und nicht Psycho-Thriller oder blutiger Action. Horrorfilme spielen bekanntlich mit den Ängsten des Menschen.17 Dabei geht es nicht nur um Ängste vor dem bösen Monster mit dem hässlichen Gesicht, sondern im Wesentlichen um solche, dessen Ursprung tief im menschlichen Unbewussten verwurzelt liegt. In der wissenschaftlichen Literatur wird die Angst vor dem Tod als „ der Inbegriff von Angst“18 definiert, wobei der eigene Tod keinen realen sondern nur abstrakten Vorstellungen entsprechen kann, da er nicht erfahrbar ist. Auch der Filmkritiker Wojciech Kuczok weist auf die paradoxe Natur des Todes hin, als er das Bedürfnis der Zuschauer nach dem Konsum von Tod (Todesvoyeurismus) untersucht:

Obwohl der Tod „ein von jedem einzelnen schmerzlich gefühltes Konkretums ist, ist er gleichzeitig ein Abstraktum, ein unerkennbares, überaus transzendentes Phänomen; er ist ja die einzige menschliche Erfahrung, von der niemand je persönlich wird Zeugnis ablegen können. Wir wissen, wie der fremde Tod aus der Perspektive des Lebens aussieht, aber dieses Wissen ist ebenso schwach, wie die Liste der daraus entstandenen Vorstellungen lang ist.“19

Der weltbekannte Horrorbuchautor Stephen King unterscheidet in seinem theoretischen Werk „Danse Macabre“20 (1981) zwischen drei grundlegenden genretypischen Arten des Grauen bzw. der Angst: Schrecken, Horror und Ekel.

Der Schrecken ist die sporadisch erzeugte Angst vor dem Unbekannten, vor dem Bösen, was nun versteckt hinter der Tür oder in einer dunklen Ecke lauert. Dieses plötzliche Moment der recht überraschenden Angst klingt relativ schnell wieder ab. Die zweite Angst, der Horror oder auch Terror genannt, ist die länger anhaltende Angst vor etwas Außergewöhnlichem oder Übernatürlichem. Dieses „Etwas“ manifestiert sich zunächst relativ langsam, nimmt aber dafür im Laufe der Geschichte eine mehr oder weniger feste Form an, z.B. die eines Monsters oder die eines unerträglichen Geräusches. Nachdem diese Angst eingetroffen ist, bleibt sie auch meistens bis zum Ende der Geschichte bestehen. Der Ekel ist die direkt empfundene Angst vor etwas Widerlichem, ein beinah unerträgliches Gefühl der Aversion und des Abscheus, ein Gefühl der Abneigung. Dieses Gefühl überkommt den Zuschauer sofort beim Eintreffen des Ekels und ruft oft spontane Reaktionen wie Weggucken oder sogar Übelkeit hervor. Extremsten Ekel verursacht wohl übertriebene Gewaltdarstellung wie brutale Folterszenen, perverse Menschen- und Tierquälereien sowie Todesszenen. Subgenres des Horrors, die sich hauptsächlich der Wirkungen dieser dritten Art von Angst bedienen, sind bekannt unter Splatter und Gore, Snuff sowie Mondo- und/oder Kannibalen-Filme.21

[...]


1 Walther Sallaberger: Das Gilgamesch-Epos: Mythos, Werk uŶĚ dƌĂĚŝƚŝŽŶ͘ sĞƌůĂŐ ͘,͘ ĞĐŬ Ž,'͘ München 2008. S. 9.

2 Stefan M. Maul: Das Gilgamesch- ƉŽƐ͘ sĞƌůĂŐ ͘,͘ ĞĐŬ Ž,'͘ DƺŶĐŚĞŶ ϮϬϬϱ͘ ^͘ ϵ͘

3 Manfred Hattendorf: Dokumentarfilm und Authentizität. Ästhetik und Pragmatik einer Gattung. UVK. Konstanz 1994. S. 67.

4 Helmut Willmann, Gisela Türck, Heinz Messinger: Langenscheidts Taschenwörterbuch Englisch. Langenscheidt KG. Berlin, München, Wien, Zürich, New York 2002. S. 221.

5 Stefan Römer: Der Begriff des Fake. (Dissertation). Berlin 1998. S. 11. In: http://deposit.ddb.de/cgi- bin/dokserv?idn=960333363&amp;dok_var=d1&amp;dok_ext=pdf&amp;filename=960333363.pdf

6 2003 wird dieser Film mit dem Adolf-Grimme-Preis ausgezeichnet. In ihrer Begründung schreibt die Juri: "Dieser Film führt den Zuschauer in einer vergnüglich irritierenden Achterbahnfahrt von braver Gutgläubigkeit, wie sie Dokumentationen nun einmal hervorrufen, hin zur empörten Skepsis und zurück zum "Alles ist möglich" Eine verschmitzte Satire, die den Zuschauer wachrüttelt und für

7 Saskia Böcking: Grenzen der Fiktion? Von Suspension of Disbelief zu einer Toleranztheorie für die Filmrezeption. Herbert von Halem Verlag. Köln 2008. S. 27.

8 Ebd., S. 27.

9 Ebd., S. 26.

10 Prof. Dr. Günther Drosdowski, "et.al": Duden. Rechtschreibung der deutschen Sprache. Dudenverlag. Mannheim, Leipzig, Wien, Zürich 1991. S. 213.

11 Originaltonaufnahmen

12 Daniel Sponsel: Die Wirklichkeit des Filmemachers: Über den Prozess der Herstellung eines Dokumentarfilms. In: Daniel Sponsel (Hg.): Der schöne Schein des Wirklichen: Zur Authentizität im Film. UVK Verlagsgesellschaft mbH. Konstanz 2007. S. 159.

13 ůĂƌŝƐƐĂ ĚƚŚŽfer: unE ,d͘ Fake-Dokus im Spannungsfeld von Authentizität, Inszenierung und medialer Wirklichkeitskonstruktion. Verlag Dr. Müller. Saarbrücken 2008. Zitiert nach (Das Zitat wurde wegen Unzugänglichkeit der Originalquelle von einer Primärquelle übernommen) Martina Fröschl: Die Mockumentary als unterhaltsame Reflektion des Tatsachenberichts. (Diplomarbeit). Hagenberg 2009. S. 13.

14 Peter Tscherkassky: Found Footage: Filme aus gefundenem Material. In: Peter Tscherkassky: An der Front der Bilder. Sixpack Film. Wien 1998. S. 40.

15 Yann Beauvais: Verloren und wiedergefunden. /Ŷ͗ ĞĐŝůŝĂ ,ĂƵƐŚĞĞƌ͕ ŚƌŝƐƚŽƉŚ ^ĞƚƚĞůĞ͗ &ŽƵŶĚ Footage Film. Zyklop-Verlag. Luzern 1992. S. 8.

16 Tilman Baumgärtel: Version: Die Found-Footage-Filme. In: Tilman Baumgärtel: Vom Guerillakino zum Essayfilm: Harun Farocki - Werkmonografie eines Autorenfilmers. b_books Verlag. Berlin 1998. S. 178.

17 Thriller und Action auch, doch im Unterschied zum Thriller besteht der Horror „auf der moglichen Prasenz des Ubernaturlichen" (als eine Art Storung) in der Realitat. Vgl.: Antje LinRner: Die Formen der Darstellung des Bosen im Horrorfilm im Vergleich mit mythischen Figuren - Seine Funktion und asthetische Gestalt in filmischen Welt- und Lebensentwurfen: Analysiert an ausgewahlten Szenen und Sequenzen der Filme "Damien - Das Omen II" und "Die Korperfresser kommen". (Magisterarbeit). GRIN Verlag. Leipzig 1998. S. 27. In: http://books.google.de/books?hl=de&amp;lr=lang_de&amp;id=LDkhBcEHIR4C&amp;oi=fnd&amp;pg=PA46&amp;dq=horrorg enre&amp;ots=o-m7BHjlek&amp;sig=aCenuEWgzLz_yLaMlKMmjtpGiLM#v=onepage&amp;q=horrorgenre&amp;f=false

18 Friedrich Strian: Angst und Angstkrankheiten. Verlag C. H. Beck oHG. Munchen 2003. S. 104.

19 Wojciech Kuczok: Höllisches Kino. Über Pasolini und andere. Suhrkamp Verlag. Frankfurt am Main 2008. S. 41.

20 Michaela Hummel: Horror- und Fantasieliteratur (01.09.2009). In: http://www.literaturnetz.com/index.php?/2009090110635/Magazin/Specials/Horror-und-Fantasy- Literatur.html

21 Unter Splatter, Gore, Snuff und Mondo sind mehr oder weniger Filme zu verstehen, die äußerst brutale Gewaltdarstellungen von Folter, Vergewaltigung und Mord „unter dem Vorwand der Authentizität zeigen“. Vgl.: Peter Scheinpflug: Die filmische Agonie des Realen. Snuff als produktive Diskursfigur zur Annäherung an Problematiken des Realismus und der

Excerpt out of 41 pages

Details

Title
Unfassbar! Schein-wahre Geschichten aus dem Gruselkabinett
Subtitle
Filmische Authentizität als Gestaltungsmittel von Horrofilmen anhand von Beispielen
College
University of the Arts Berlin  (Gestaltung: Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation)
Course
Fake und Authentizität
Grade
2
Author
Year
2011
Pages
41
Catalog Number
V173393
ISBN (eBook)
9783640939282
File size
795 KB
Language
German
Keywords
Fake, Authentizität, Realität, Wirklichkeit, Horrorfilm, Found-Footage-Film, Dokumentarfilm, Spielfilm, Medienmanipulation, Macht der Medien, Fiktion, Cannibal Holocaust, Blair Witch Project, [.REC], Paranormal Activity, The Last Exorzism, Kannibalen-Film, Dämonen, Besessenheit, Zombiefilm, Fake-Dokumentation
Quote paper
Raliza Petrova (Author), 2011, Unfassbar! Schein-wahre Geschichten aus dem Gruselkabinett, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/173393

Comments

  • No comments yet.
Look inside the ebook
Title: Unfassbar! Schein-wahre Geschichten aus dem Gruselkabinett



Upload papers

Your term paper / thesis:

- Publication as eBook and book
- High royalties for the sales
- Completely free - with ISBN
- It only takes five minutes
- Every paper finds readers

Publish now - it's free