„Jede feste Gestalt, jeder eindeutige Gedanke, jedes ausgesprochene Wort kam ihnen als tot und verlogen vor.“ Bereits in diesem Ausspruch von Kirill Pigarev wird das Wissen um das Spannungsverhältnis zwischen Gedanken und Worten deutlich. In der Lyrik der russischen Romantik war das Misstrauen gegenüber der Sprache ein wichtiges lyrisches Motiv und zugleich insbesondere bei den Symbolisten ein zentraler Bestandteil.
Diese Thematik findet sich auch in Fedor Tjutčevs Gedicht Silentium! als ein bedeutender Schwerpunkt wieder. Keineswegs vermag in Silentium! ein anderer Vers als „Der ausgesprochene Gedanke ist Lüge“ (II, 4) die Problematik in stilistischer und inhaltlicher Form prägnanter festzuhalten. Diesem Vers erfuhr auch künftig noch eine tragende Rolle, denn er entwickelte sich zum Leitspruch der russischen Symbolisten und könnte zudem auch den Titel von Tjutčevs Lebenswerk schmücken.
Deshalb wirft sich die Frage auf, inwiefern in Silentium! die Problematik der Sprachskepsis und -kritik verarbeitet wurde und wie sich diese auf das Welt- und Menschenwelt auswirkt. Eine Analyse, die sich am Interpretationsschema von Prof. Dr. Birgit Harreß orientieren wird, soll darüber Aufschluss geben.
Im ersten Kapitel gilt es, kritisch zu untersuchen, wie sich der allgemeine Weltzustand und darüber hinaus die Beziehung zwischen Weltordnung und Weltbewohnern gestaltet. Anschließend soll diese Erkenntnis in eine räumliche und zeitliche Konkretisierung eingeordnet werden.
Im zweiten Teil wird unter anderem herauszustellen sein, wie sich die existentielle sowie soziale Verfassung des lyrischen Ichs in die Figurenkonzeption eingliedern. Ein weiteres Ziel besteht darin, zu analysieren, ob und inwieweit das lyrische Ich beispielsweise hinsichtlich körperlicher oder sexueller Gestaltung als lyrische Figur charakterisiert werden kann. Interessant erscheint zudem, eine Figurenperspektivierung unter den Aspekten der Kommunikation, Beziehung zu Raum und Zeit sowie Perspektivierung der lyrischen Haltung vorzunehmen.
In der Gesamtheit soll die Analyse des Welt- und Menschenbildes in Tjutčevs Silentium! einen differenzierten Standpunkt zur Thematik ermöglichen und exemplarisch darstellen, welche enorme Bedeutung diesem Gedicht innerhalb der philosophischen Naturlyrik, der Betrachtung von Sprachskepsis und -kritik, der Epoche der Romantik, der Symbolistenbewegung sowie der gesamten russischen Lyrik widerfährt.
Inhaltsverzeichnis
- 0 EINLEITUNG
- 1 DAS WELTBILD
- 1.1 Allgemeiner Weltzustand
- 1.2 Räumliche und zeitliche Orientierung
- 2 DAS MENSCHENBILD
- 2.1 Figurenkonzeption
- 2.2 Figurencharakterisierung
- 2.3 Figurenperspektivierung
- 2.3.1 Kommunikation
- 2.3.2 Beziehung zu Raum und Zeit
- 2.3.3 Perspektivierung durch lyrische Haltung
- 3 SYNTHESE
- 4 LITERATURVERZEICHNIS
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die Hausarbeit analysiert Fedor Tjutčevs Gedicht Silentium! und untersucht, wie die Problematik der Sprachskepsis und -kritik im Gedicht verarbeitet wird und sich auf das Welt- und Menschenbild auswirkt. Sie folgt dabei dem Interpretationsschema von Prof. Dr. Birgit Harreß. Die Analyse zielt darauf ab, einen differenzierten Standpunkt zur Thematik zu ermöglichen und exemplarisch darzustellen, welche Bedeutung dem Gedicht in der russischen Lyrik zukommt.
- Das Spannungsverhältnis zwischen Chaos und Kosmos als grundlegendes Merkmal des Weltbildes
- Die Rolle der Sprache in der Schöpfung und die Problematik der Sprachskepsis
- Die Beziehung zwischen Mensch und Natur und das Konzept des pantheistischen Monismus
- Die Gestaltung des lyrischen Ichs als Figur und dessen Perspektivierung
- Die Bedeutung des Gedichts in der philosophischen Naturlyrik, der Romantik und der Symbolistenbewegung
Zusammenfassung der Kapitel
0 Einleitung
Die Einleitung führt in das Thema der Sprachskepsis in der russischen Romantik ein und stellt Tjutčevs Gedicht Silentium! als ein zentrales Beispiel dieser Thematik vor. Sie erläutert die Ziele und den Aufbau der Arbeit und führt den Leser in die Analyse des Welt- und Menschenbildes im Gedicht ein.
1 Das Weltbild
1.1 Allgemeiner Weltzustand
Der allgemeine Weltzustand in Silentium! wird als eine Polarität zwischen Chaos und Kosmos beschrieben. Dieses Spannungsverhältnis zeigt sich in zahlreichen Gegensatzpaaren, wie zum Beispiel „Tag“ und „Nacht“. Das lyrische Ich erfährt diese Dualität und wird durch den Antagonismus zwischen Chaos und Kosmos geprägt. Die zentrale Aufgabe des Menschen besteht darin, diese Gegensätze im Inneren zu erleben und zu begreifen.
1.2 Räumliche und zeitliche Orientierung
Das Gedicht bietet keine konkrete zeitliche Einordnung, lässt sich jedoch in die Epoche des späten Idealismus einordnen. Räumlich ist das Geschehen in der Natur angesiedelt. Die „Tiefe der Seele“ wird mit der „Nacht“ gleichgesetzt, wobei diese Tiefe eine unendliche Welt an „geheimnisvoll-wunderbarer Gedanken“ offenbart. Die Innenwelt des Menschen wird mit der natürlichen Ordnung in Einklang gebracht, während die Außenwelt mit „Lärm von außen“ und „Strahlen des Lichts“ diese Einheit zu zerstören droht.
Schlüsselwörter
Die wichtigsten Schlüsselwörter der Arbeit sind Sprachskepsis, Weltbild, Menschenbild, Chaos, Kosmos, pantheistischer Monismus, Romantik, Symbolistenbewegung, lyrisches Ich, Figurenperspektivierung und Tjutčev. Diese Begriffe beleuchten die zentralen Themen und Konzepte des Gedichts Silentium! und stellen seine Bedeutung in der russischen Literatur dar.
- Citation du texte
- Christian Roos (Auteur), 2011, Fedor Tjutčevs "Silentium!" - Eine Analyse des Welt- und Menschenbildes, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/173441