Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Begriffsklärung
3. Stilistische Ordnung des Wortschatzes
3.1 Differenzierung des Wortschatzes
3.1.1 Stilistisch neutrale Wörter
3.1.2 Substantive
3.1.3 Adjektive
3.2 Weitere Mittel um Stileffekte zu erzeugen
4. Funktionalstilistik
5. Zwischenfazit
6. Vergleich der öffentlichen Reden von Barack Obama und Angela Merkel
6.1 Definition und linguistische Merkmale einer politischen Rede
6.2 Neujahrsrede von Angela Merkel
6.2.1 Kontext der Rede
6.2.2 Linguistische Stilanalyse und Interpretation
6.2.3 Wirkung und Funktion
6.3 Rede von Barack Obama in deutscher Übersetzung
6.3.1 Kontext der Rede
6.3.2 Linguistische Stilanalyse und Interpretation
6.3.3 Wirkung und Funktion
6.4 Vergleich der beiden politischen Reden
7. Fazit
8. Quellen
9. Anhang
Rede von Barack Obama am 20.01.2009
Rede von Angela Merkel am 31.12.2008
1. Einleitung
Der deutsche Philosoph Friedrich Nitzsche hat einmal gesagt: „Den Stil verbessern, das heißt den Gedanken verbessern“. Wenn einem also im Kopf klar ist, was man ausdrücken will, optimiert sich mein Stil parallel. Stil entsteht also automatisch durch die sprachliche Umsetzung von Gedanken?
„Moderne Stilauffassungen (pragmatische, kommunikative, funktionale) betrachten Stil als die sprachliche Realisierung der – wie auch immer – außersprachlich vorgegebenen Faktoren der Redesituation. Das bedeutet, dass jeder Text, da immer eine situativ geprägte Äußerung, Stil haben muss.“ Jede Äußerung besitzt Stil – entscheidend geprägt wird er letztlich vom außersprachlichen Kontext?
Um die verschiedenen Ansätze zu bewerten, gilt es also im Vorfeld zu definieren, was Stil eigentlich ist, welche Ausprägungen er haben kann und wie er zu erkennen ist. Der französische Maler, Dichter und Filmregisseur Jean Cocteau (1889-1936) kam schon vor über einem halben Jahrhundert zu folgendem Ergebnis: Stil ist die Fähigkeit, komplizierte Dinge einfach zu sagen, nicht umgekehrt.“ Je einfacher ein Text formuliert ist, desto verständlicher und stilvoller ist er demzufolge? So einfach scheint es nicht zu sein, deshalb soll im Folgenden, der Begriff Stil näher bestimmt und am konkreten Beispiel der politischen Rede analysiert und interpretiert werden.
2. Begriffsklärung
Der Stil stammt von dem lateinischen Wort „stilus“ und bedeutet spitzer Pfahl, Schreibgerät oder Griffel - also ein Werkzeug zum Schreiben auf eine Metalltafel.[1] Spricht man heute von Stil, können damit verschiedenste Dinge verbunden sein. So spielt Stil etwa im Zusammenhang mit der Mode eine wichtige Rolle - ein Kleid im Stil der 20er Jahre oder ein stilvolles Jackett. Auch beim Tanz, im Bereich Sport oder in der Malerei gibt es verschiedene Stile. Allen Verwendungsbereich gemein ist aber, das Stil immer für das wie steht. Er zeigt die Art und Weise auf. Wenn der Philosoph Arthur Schopenhauer Stil aber als “der genaue Abdruck der Qualität des Denkens.“[2] definiert, bringt er den vielgestaltigen Begriff damit schon in den hier relevanten Zusammenhang mit Sprache – der Sprachstil beziehungsweise Schreibstil.
„Theoretische Grundlage einer Stilistik, die sich als Rezeption und Analyse aller Formen sprachlicher Kommunikation versteht, ist die Stiltheorie, die ihrerseits Stil als sprachliche Gestaltung begreift.“[3] Sanders ordnet damit Stil bereits 1977 einer wissenschaftlichen Disziplin, nämlich der Sprachwissenschaft zu und versucht den linguistisch schwer zu bestimmenden Ausdruck zu erfassen und definieren. Im Laufe der Jahre war immer wieder umstritten, ob Stil ein Teilgebiet anderer Wissenschaften, etwa der Sprach- oder Literaturwissenschaft ist, oder ob man Stilistik bereits als eigenständige Disziplin ansehen kann. Die Gradwanderung ergibt sich durch den Untersuchungsgegenstand der Diziplinen. Die Stilistik befasst sich, im Gegensatz zur Sprachwissenschaft, nur mit einem Teil der sprachlichen Elemente, nämlich mit eben jenen Stilelementen. Stilelemente sind natürlich immer auch Sprachelemente, aber sie gehen über ihre grammatische Wirkung hinaus. Sprachelemente sind auf der anderen Seite nicht immer Stilelement, denn dann wäre Sprache automatisch mit Stil gleichzusetzen.
Bei der hausarbeitsbezogenen Fragestellung nach der stilistisch relevanten Ordnung der sprachlichen Mittel am Beispiel des Wortschatzes, ist die exakte Klärung des Begriffes Stil jedoch von konsequenter Bedeutung. Dabei soll der Autor Hans-Werner Eroms helfen. Er versucht in seinem Grundlagenwerk Stil und Stilistik eine aktuelle, inhaltliche Definition zu formulieren und beschreibt Stil hinsichtlich seines Gebrauchs in der Sprachwissenschaft zunächst einmal als einen ambivalenten, also doppeldeutigen Begriff. Diese Doppeldeutigkeit, nennt er auch das „Janusgesicht des Stils“[4].
Die Ambivalenz erklärt er einerseits aus der Bewertung, des von einem Text Erwarteten. Also die Einhaltung konventioneller Formulierungen. Andererseits beschreibt er die Eigenständigkeit, die sich aus selbst gewählten stilistischen Formulierungen, die eben jene Konventionen durchbrechen, ergibt[5].
Kurz zusammengefasst heißt das: Stil ist ein Wahlphänomen. Welcher Stil gewählt wird, hängt immer von Konventionen, Wirkungsabsichten und persönlichen Neigungen ab. Texten mit Stil kann nur gelingen, wenn man von konventionellen Festlegungen abweicht. Erst die Mischung aus normativen Vorgaben und eigenen Variationen kann dem Text oder Diskurs im Ganzen eine stilistische Marke verleihen. Dabei ist Text nicht zwangsläufig im Sinne von etwas Geschriebenen gemeint, wie es die Textlinguistik definiert, sondern als „jede mündliche oder schriftliche Sprachäußerung mit kommunikativer Funktion“[6]. Wann man genau von dem gelungenen Einsatz von Stil sprechen kann, darüber herrscht ebenfalls Uneinigkeit, da jeder Mensch ein subjektives Stilgefühl hat. Um Stil möglichst objektiv zu bewerten, muss man das unterschiedliche stilistische Potential einzelner sprachlicher Mittel kennen. Dazu wird im Folgenden konkret der Stil des Wortschatzes untersucht.
3. Stilistische Ordnung des Wortschatzes
Wörterbücher nehmen oftmals eine Einteilung von Wörtern zu jeweils festgelegten Stilen vor. Sie erfassen das Stilpotential und charakterisieren die Wörter damit. Schlägt man etwa willkürliche Begriffe wie Leasing, Mätresse oder Ganove im Duden nach, erhält man Zuordnungen wie Wirtschaft, früher und aus der Gaunersprache, umgangssprachlich abwertend.[7] Weiter kann man auch Wörter finden die als „regional, salopp, veraltet, fachsprachlich“[8] und so weiter charakterisiert werden. Mit einer solchen Stilgrammatik, also der stilistischen Markiertheit von Wörtern im Duden, werden diese von Anfang an einer Stilebene zugewiesen. Demzufolge werden sie allgemein scheinbar nicht als neutral wahrgenommen. Neutrale Wörter unterscheiden sich also von stilistischen und stehen ihnen gegenüber. Allerdings kann man Wörter in mehr als nur die zwei Kategorien ‚Stil‘ und ‚Neutralität‘ einteilen. Wird ein Wort als stilistisch empfunden, können nämlich im Grad des Stils noch einmal Abstufungen vorgenommen werden.
3.1 Differenzierung des Wortschatzes
Gemäß Eroms Ausführungen kann der gesamte Wortschatz durch entsprechende Kategorien in stilistische Schichten eingeteilt werden. Die erste Schicht nennt er Grundschicht. Sie umfasst alle als neutral empfundenen Wörter. Wobei hier von einer virtuellen Neutralität gesprochen werden muss, denn eine wirkliche universelle Neutralität existiert nicht. Die Auffassung dessen, was man als sprachlichen Stil oder sprachliche Neutralität bezeichnen kann, variiert stark. Eine Schicht über den von Eroms als neutral eingestuften Worten, sammeln sich Wörter, die sich stilistisch von den neutralen Wörtern abheben, weil sie einen bestimmten Vorkommensbereich markieren und dadurch einen Stilwert aufweisen. Wahrnehmen kann man diese Wörter allerdings nur vor dem Hintergrund der neutralen Wörter, die sozusagen ihre Basis bilden.
Wörter mit denen sich spezielle Stileffekte erzielen lassen, die also extrem stilistisch auffällig sind, bilden die oberste Schicht des Wortschatzes. Sie haben ein höheres Stilpotenzial und weisen ein „Kolorit“[9], das heißt eine natürliche Färbung auf. Wörter, die einen Stileffekt erzeugen zeigen individuelle kommunikative Absichten.
Bei dieser Schichtung des Wortschatzes sollte beachtet werden, dass die Wörter im Einzelnen bewertet werden, eine Aussage zum Stil eines Textes sich aber nur treffen lässt, wenn der Text im Ganzen analysiert wird. Es sind also nicht einzelne sprachliche Phänomene wie zum Beispiel Stilfiguren oder nur die Stilgrammatik, sondern die Gesamtheit des Textes entscheidend, wenn der Stil beurteilt wird. Barbara Sandig unterteilt Wörter deshalb in „Merkmalstypen“ beziehungsweise „Merkmalsbündel“[10]. Ein Text wird auf einen bestimmten Merkmalstyp hin untersucht, zum Beispiel bei einem behördlichen Anschreiben, die Häufung von Wörtern aus der Beamtensprache. Danach können weitere Merkmale untersucht werden, die in eine ähnliche Richtung gehen also zum Beispiel die höfliche Anrede. Die verschiedenen Merkmalstypen zusammen, bilden dann ein gemeinsames Merkmalsbündel. Sammeln sich zum Beispiel umgangssprachliche oder fachsprachliche Wörter, enthält der Text eher lustige oder ernste Formulierungen, wurden viele Anglizismen verwendet und so weiter.
3.1.1 Stilistisch neutrale Wörter
Obwohl das Stilempfinden der Menschen sehr unterschiedlich ist und deshalb die Stilanalyse immer wieder der Kritik der Subjektivität ausgesetzt ist, hat Eroms ziemliche exakte Vorstellungen davon, welches Wort welcher Stilschicht zugeordnet werden sollte. So sind etwa die Wörter als stilistisch neutral zu bezeichnen, die in allen Funktionalstilen vorkommen. Funktionalstile sind etwa Alltagssprache, Wissenschaftssprache, literarische Sprache und so weiter, die ebenfalls durch entsprechende Merkmale gekennzeichnet sind. Das heißt, dass die Ausdrücke, die in jedem beliebigen anderen Text vorkommen könnten, als neutral charakterisiert werden. Dies würde vorrangig Wörter mit rein grammatischer Information oder fehlendem Synonym innerhalb eines Funktionalsstils betreffen. Man kann aber nicht allgemein davon ausgehen, dass Wörter, die hauptsächlich einen grammatischen Auftrag erfüllen, wie beispielsweise Pronomen zwangsläufig neutral sind. Alle Sprachelemente können potentielle Stilelemente sein. Das Prädikat Stilelement tragen nicht zwangsläufig nur Substantive, Adjektive und Verben. Stil ist abhängig von der Art des Gebrauchs. Dieser entscheidet darüber, ob ein Wort stilrelevant ist oder nicht.
Wortneutralität kann auf zwei verschiedenen Wegen erreicht werden: durch „Systemzwang“ oder „Systemneutralisierung“[11]. Systemzwang bedeutet, dass das Paradigma beziehungsweise Wortfeld einelementig ist. Es gibt keine Alternativen, kein Synonym. Das ist vorrangig bei Präpositionen, Adverbien und Pronomina der Fall, zum Beispiel und, mit, für, bei und so weiter, aber auch bei dem Substantiv Schwester.
Systemneutralisierung erklärt, dass aus einem Wortfeld beziehungsweise Paradigma Alternativen ausgewählt werden können[12]. Das heißt, es existieren zwar Synonyme für einen bestimmten Ausdruck, aber sie sind nur für einen bestimmte Funktionalstil neutral und würden in einem anderen Funktionalstil angewandt wiederum hervorstechen und einen Stilwert oder Stileffekt erzeugen. Sagt beispielsweise ein Arzt zu seinem Patienten, dass dieser an Influenza leide, ist dieser Ausdruck für den Fachsprachbereich des Arztes normal. Trotzdem erzeugt er einen Stilwert, weil er den Funktionsbereich markiert beziehungsweise auf ihn hinweist. Würde aber, der Patient zu Hause erzählen er habe Influenza, würde dieses Wort stark von dem umgangssprachlichen Stil abweichen und einen Stileffekt erzeugen. Obwohl die neutralen Wörter eine Art „stilistische Leerstellen“[13] bilden, sind sie in einem Text unerlässlich. Sie bilden den Kontext der Stilwörter.
Um neutrale Wörter zu umgehen und damit eine Monotonie zu vermeiden, wird häufig auf Stilfiguren zurück gegriffen. Diese führen im Regelfall immer zu Stileffekten. Doch auch Stilfiguren wirken im Übermaß verwendet störend. Stilelemente sind zum Beispiel Historismen, Anachronismen, Fremdwörter, Fachwörter oder Wörter anderer Funktionalstile sein.
3.1.2 Substantive
Ein ähnliches Beispiel wie die ärztliche Influenza gibt das Paradigma Zahlungsmittel. Ihm unterstehen verschiedene Ausdrücke wie etwa Geld, Mäuse, Zaster, Moneten, Kohle, Kies, Zahlungsmittel und so weiter. Die Verwendung des passenden Ausdrucks erfolgt entsprechend der kommunikativen Absicht. Benutzt werden, kann aber in jedem Fall der Begriff Geld, denn wird in der Regel als neutral wahrgenommen. Zahlungsmittel wiederum erzeugt einen Stileffekt, weil es ein Ausdruck ist, der normalerweise in der Fachsprache der Banken verwendet wird. Benutzt ein Bankangestellter den Begriff, ist er zwar für diesen normal beziehungsweise unauffällig, ihm wird aber trotzdem ein Stilwert zugeordnet, denn er ist das Signal für einen bestimmen funktionalen Kommunikationsbereich. Würde der Bankangestellte aber das Wort Moneten bei einer Kundenberatung benutzen, erzeugt er einen auffälligen, negativen Stileffekt – eine so genannte Stilblüte.[14]
3.1.3 Adjektive
Bei Adjektiven ist die Stilbetrachtung etwas schwieriger als bei Nomen, weil sie von vornherein oft eine wertende Position einnehmen. Bei dem Wortfeld mit sehr gut, stark, dufte, knorke, ausgezeichnet, toll, phänomenal, super, irre sind nur die beiden Wendungen sehr gut und ausgezeichnet neutral, denn sie sind in allen Funktionalstilen einsetzbar. Bei der Verwendung soll kein Stileffekt erzeugt werden, es liegt also eine Systemneutralisierung vor. Alle anderen Wörter sind größtenteils Modewörter der Umgangssprache zuzuordnen. Da die Sprache ständigen Wandlungen unterworfen ist, alte Wörter neu benutzt werden, neue hinzukommen, verändert sich auch eine solche Bewertung oder Einordnung. Und noch einmal ist zu betonen, dass bei Bewertungen immer eine starke subjektive Komponente mitschwingt.[15]
3.2 Weitere Mittel um Stileffekte zu erzeugen
Um Monotonie zu vermeiden oder bestimmte Intentionen zu übermitteln, werden Stilelemente wie Historismen, Anachronismen, Fremdwörter, Fachwörter oder Wörter abweichender Funktionalstile verwendet. Die meist verwendetsten Stilmittel sind aber rhetorische Figuren und Tropen. Diese sprachlichen Darstellungsformen weichen lexikalisch oder syntaktisch von der üblichen Sprechweise ab und ermöglichen es, gezielt verschiedene Stileffekte zu erzeugen. Jedes rhetorische Mittel besitzt eine Funktion. Auch hier spielen der sprachliche Kontext und die Leseerwartung des Rezipienten wieder eine wichtige Rolle. Rhetorische Figuren können je nach Gattung, Textsorte und so weiter, sehr verschieden wirken. Meist sollen sie die Exaktheit einer Aussage verstärken, charakterisieren oder etwas verdeutlichen beziehungsweise verlebendigen. „Die geläufigen Stilfiguren (Metapher, Personifikation, Vergleich, Klimax, Hyperbel,…) stammen ursprünglich aus der altgriechischen und lateinischen Dichtung und Rhetorik. Erste Versuche zur Unterscheidung, Benennung und Systematisierung der Stilfiguren wurden ebenfalls bereits in der antiken Rhetoriktheorie gemacht.“[16]
4. Funktionalstilistik
Sprachverhalten und Stil orientieren sich nach Redekonstellation und Zweck. Jede Kommunikation erfüllt immer eine bestimmt Funktion beziehungsweise verfolgt ein spezielles Ziel und wird unter bestimmten Bedingungen verwendet. Man spricht in diesem Zusammenhang auch vom Funktionalstil[17] der Sprache, also die Sprache in einem bestimmten Funktions- oder Verwendungsbereich. So kann ein Stil etwa amtlich, publizistisch oder wissenschaftlich sein. Eroms nimmt eine Gliederung in acht verschiedene Typen vor: Alltagssprache, Wissenschaftssprache Öffentliche Kommunikation, Sprache der Medien, Sprache der Unterweisung, literarische Sprache, sakrale Sprache und Werbesprache.
Diese Einteilung variiert begrifflich immer von Autor zu Autor. Einigkeit herrscht stattdessen dahingehen, dass jeder Bereich einer, ihm angemessenen und charakteristischen Verwendungsnorm unterliegt. Diese Norm ergibt sich aus dem gesellschaftlich relevanten Zweck eines bestimmten sprachlichen Verwendungsbereiches.
Stil entsteht durch die Anpassung an einen bestimmten funktionalistischen Verwendungsbereich oder anders gesagt, ein Funktionalbereich gibt eine bestimmt Anzahl an Stilmitteln vor. Kritisch betrachtet werden muss hierbei natürlich die schwierige Abgrenzung der Bereiche voneinander, die sich teilweise überschneiden. Erneut muss man an dieser Stelle auch die Ambivalenz des Stilbegriffs beachten. Weicht man von funktionalstilistisch vorgebenden sprachlichen Stilmitteln ab, hat auch das zumeist eine stiltechnisch begründete Intention, denn Stil als Wahlphänomen bedeutet das Einhalten und gleichzeitige Durchbrechen vorgegebener Konventionen.
Im Gegensatz zu der Technik einzelne Wörter isoliert nach ihrem Stilwert zu beurteilen, ist die Funktionalstilistik weit aussagekräftiger bei der Frage nach angemessenen sprachlichen Mitteln und Stilphänomenen. Doch beiden gemein ist, die neutrale Basis, denn auch bei der Funktionalstilistik gilt „Alle überall gleichen Faktoren und Elemente sind neutral. Sie stellen den Hintergrund dar auf denen sich die stilistisch genutzten abheben.“[18]
Die Verbindung der sprachlichen Mittel und funktionalen Eigenschaften manifestiert sich schließlich in den Vertextungsstrategien.
5. Zwischenfazit
Eine Einteilung der Wörter nach Stil ist immer kritisch zu beurteilen, da Stil kaum objektiven Maßstäben folgt, sondern immer vom persönlichen Empfinden abhängt. Des Weiteren ist Stil dem Wandel der Sprache unterworfen, der sich phasenweise so schnell vollzieht, dass vorgenommene Einteilungen oft nur wenige Jahre nach ihrer Publizierung nicht mehr aktuell sind.
6. Vergleich der öffentlichen Reden von Barack Obama und Angela Merkel
Orientiert man sich auch bei den folgenden Redeanalysen an Eroms Standartwerk, sind die Reden von Politikern im Allgemeinen dem Funktionalstil der öffentlichen Kommunikation zuzuordnen. Dieser ist gekennzeichnet durch eine „Dominanz der Verhaltenssteuerung“[19]. Wie sich diese Dominanz konkret ausdrückt, ist in der anschließenden Analyse der Reden von Barack Obama und Angela Merkel zu sehen. Beide Reden liegen als Wortprotokoll in deutscher Sprache vor[20] und haben gemein, dass sie an die Bevölkerung adressiert sind und sich mit den damals aktuellen politischen und gesellschaftlichen Themenschwerpunkten auseinander setzen. Von der Betrachtung ausgeschlossen sind prosodische Informationen, also die Darbietung der Rede mit spezieller Betonung und Stimmführung. Auch nonverbale Kommunikation, wie Gestik und Mimik sind nicht Teil dieser Stilanalyse. Relevant ist die Beantwortung der Frage nach Stil hinsichtlich der sprachlichen Besonderheiten, Wortwahl, rhetorischen Mitteln, Aufbau und funktionalistischen und textsortenspezifische Auffälligkeiten.
Diese Faktoren prägen in starkem Maß den persönlichen Redestil von Sprechern. Wie sich die beiden Ansprachen im Detail unterscheiden, soll die nachfolgende linguistische Stilanalyse zeigen.
6.1 Definition und linguistische Merkmale einer politischen Rede
Die politische Rede ist im Allgemeinen eine Mischung aus Argumentation, Beschreibung, Erzählen aber auch Appellieren. Wobei die Argumentation die oftmals dominante Vertextungsstrategie ist. Die Zuhörer sollen von einem Standpunkt überzeugt werden. Euphemismen und metaphorische Ausdrücke sind genauso zu erwarten, wie überparteiliche Symbole und ideologisch aufgeladen Schlagwörter.
Wie schon in Kapitel Funktionalstilistik erklärt, wurden viele Versuche unternommen Sprache in spezielle Verwendungsbereiche einzuteilen. Politische Reden werden nach Eroms dem Bereich der öffentlichen Kommunikation zugeordnet. In diesem Funktionalbereich unterscheidet man nochmals zwischen Texten der unmittelbaren Direktive und der mittelbaren Direktive. Politische Reden werden letzterem zugeordnet. Merkmale der mittelbaren Direkte sind etwa, dass Wertungen und Parteilichkeit sind zu erwarten sind. Zudem werden Einstellungen und Überzeugungen vermittelt, detaillierte Handlungsanweisungen aber vermieden.[21]
Der Sprachstil politischer Redner gilt gemeinhin als kompliziert, abstrakt, unscharf und damit oft mehrdeutig. Ziel einer, an die Bevölkerung gerichtete Rede, sollte demzufolge die Komplexitätsreduzierung sein. Der Politiker will im Idealfall verstanden werden und überzeugen. Dazu darf sich die Rede nicht im Detail verlieren.
Da die Erfassung des Stils eines Textes eine sehr komplexe Angelegenheit ist, kommt man nicht umhin sich einige persönliche Schwerpunkte bei der Analyse zu setzen. Ein generelles Konzept zur Stilanalyse, dass auf alle Texte anwendbar ist, existiert in der Wissenschaft bisher nicht.
6.2 Neujahrsrede von Angela Merkel
Angela Merkel hielt am 31.12.2008 die vierte Neujahrsansprache ihrer Amtszeit als Kanzlerin.
6.2.1 Kontext der Rede
Zunächst sollte bei der Stilanalyse der Kontext der Rede geklärt werden. Mit Kontext ist in diesem Fall die Kommunikationssituation gemeint, die über die rein sprachlich-stilistische Information hinausgehend wirkt. Diese baut bezüglich des Textes eine bestimmte stilistische Erwartungshaltung auf.
Mit einem Rückblick auf das Jahr und einer Vorschau auf das kommende, wendet sich die Kanzlerin, wie traditionell üblich via Fernsehen an das deutsche Volk. Seit 1970 hält in Deutschland der/die amtierende Bundeskanzler/in eine solche Neujahrsrede. Von 1949 – 1969 war dafür der Bundespräsident zuständig. Seit 1952 werden die Ansprachen zum Jahreswechsel im Fernsehen übertragen.[22]
Das Jahr 2008 war nicht nur in Deutschland vor allem durch Schlagworte wie Finanzkrise und Bankpleiten geprägt. In der Kritik der Bürger standen dabei vor allem die milliardenschweren gesetzlichen Zusagen für die Bankwirtschaft, die trotz Staatsschulden und sonstigen finanziellen Defiziten innerhalb einer Woche aufgetrieben wurden. Gerade wegen der Bedeutung für die deutsche Bevölkerung, die Hauptadressaten der Neujahrsrede, war die Kanzlerin förmlich dazu gezwungen entsprechende Themenschwerpunkte zu setzen. Zudem nimmt die Kanzlerin Bezug auf den Konflikt im Gazastreifen, der im Dezember 2008 durch die größte Militäroffensive Israels auf die Hamas seit 1967 bestimmt wurde. Bei dem Luftangriff kamen mehr als 300 Menschen ums Leben, darunter viele Zivilisten - ein Thema von damals höchster Aktualität.
6.2.2 Linguistische Stilanalyse und Interpretation
Ihre Ansprache beginnt mit der Formulierung Merkels, die sie auch in allen anderen Neujahrsansprachen wählt „Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger“ (Z.2). Damit impliziert die Kanzlerin, dass sie sich als eine der Bürgerinnen Deutschlands sieht und mit ihnen auf der gleichen Stufe steht. Sie schafft eine vertrauliche Atmosphäre. Zudem achtet sie darauf, die Regeln der Höflichkeit zu einzuhalten und die Frauen zuerst anzusprechen.
Der vertrauliche Ton, den sie schon mit der Begrüßung anschlägt, wird im ersten Absatz der Einleitung noch extrem verstärkt. Es werden rhetorische Fragen[23] wie zum Beispiel „Was war Ihnen in diesem Jahr wichtig? Ein langgehegter Wunsch? Die Sorge um einen lieben Menschen?“ (Z.3 ff.) genutzt um scheinbar zum Nachdenken anzuregen und die Menschen anzustoßen, ein persönliches Resümee zu ziehen. Doch die Strategie hinter solchen persönlichen Fragen mit Aufzählungscharakter ist im Grunde eine reine Emotionalisierung, um die Aufmerksamkeit der Zuhörer zu erhöhen und sie von Beginn an - im übertragenen Sinne - abzuholen und mitzunehmen. Emotionalisierung ist eine wichtige Strategie bei Reden und Vorträgen, um ein geistiges oder in diesem Fall auch wörtliches Abschalten (nämlich des Fernsehers) der Rezipienten zu vermeiden.
Nach diesem emotionsreichen Einstieg, beginnt Merkel nun spezifische Schwerpunkte zu setzen, nach denen der Hauptteil der Rede sich untergliedert. Die Frage „Oder sich einfach nur kurz bewusstzumachen, welch großes Glück es für uns ist, in Frieden und Sicherheit zu leben?“ (Z.8 f.) wird nur als solche wahrgenommen wird, weil sie mit einem Fragezeichen endet und vermutlich durch Merkels Stimmführung dementsprechend unterstützt wird. Eigentlich kann man hier aber von einer als Frage getarnten, rhetorischen Aufforderung sprechen. Man soll jetzt gedanklich auf das folgende politische Thema vorbereitet werden, dass sie im nächsten Satz anspricht. Dieses wird dann durch einen Vergleich eingeleitet „Viele andere, zum Beispiel die Menschen im Nahen Osten, gäben viel dafür“ (Z.9 f.). Damit ist der erste inhaltliche Schwerpunkt gesetzt, Gaza-Konflikt und der Bogen von der persönlichen Ansprache zum allgemeinpolitischen Thema geschlagen.
Stilistisch auffällig und damit anzumerken, ist das Interrogativpronomen „welch“ bei „welch großes Glück“ (Z.8). Auch wenn es im DUDEN keinen Hinweis auf eine veraltete Sprechweise gibt, vermittelt das Wort dennoch einen bestimmten Stilwert. Vielleicht weil es öfter in Werken bekannter Dichter wie etwa Goethe verwendet wurde („ Welch Glück, geliebt zu werden, und lieben, Götter, welch ein Glück!“[24] ) und somit im Zusammenhang eines gehobenen oder eben veralteten Sprachstils steht.
Nun werden im Hauptteil nach und nach, die Themenschwerpunkte der Bundeskanzlerin abgehandelt. Zunächst beginnt sie mit dem Konflikt zwischen Israel und Palästina. Dabei ist eine Ansammlung negativ konnotierter Wörter wie „Dramatik“ (Z.11), „Kämpfe“ (Z.12), „Terror“ (Z.12), „Opfer von Kriegen und Gewalt“ (Z.18) auffällig. Auch hier wird wieder die Strategie der Emotionalisierung gewählt. Der Rezipient wird an das Übel in dieser Region erinnert und soll erkennen, dass die eigenen Probleme in Deutschland im Vergleich viel kleiner sind. Dies wird explizit mit einem Vergleich deutlich „Gemessen an den Sorgen der Opfer von Kriegen und Gewalt muten unsere Probleme in Deutschland vergleichsweise gering an.“(Z.17 ff.). Man kann Merkel bei diesem Vergleich durchaus eine Art der Untertreibung oder des Herunterspielens unterstellen. Doch gleich relativiert sie ihre Aussage wieder, indem sie bemerkt, dass das aber kein Grund sei „in unseren Anstrengungen für unser Land nachzulassen.“ (Z.19 f.) Und wieder beendet die Kanzlerin dieses Thema mit einem emotionalen Vergleich: „Vieles von dem, was 2008 wichtig war, bleibt es auch 2009. Das ist im eigenen Leben genauso wie in der Politik.“ (Z.20 f.). Von dem Thema Gaza-Konflikt, der für die meisten Deutschen eigentlich weit weg ist, versucht Merkel erneut über das Schaffen einer persönlichen Atmosphäre, Aufmerksamkeit zu erregen Damit will sie auf innenpolitische Themen schwenken, die die Zuhörer persönlich mehr betreffen und daher mehr interessieren.
[...]
[1] DUDEN
[2] Hübscher (1982): 394
[3] Sanders (1977): 7
[4] Eroms (2008): 16
[5] Vgl. Eroms (2008): 5, 16
[6] Sanders (1977): 11
[7] Vgl. DUDEN
[8] Eroms (2008): 57
[9] Eroms (2008): 59
[10] Sandig (2006): 62
[11] Eroms (2008): 60 f.
[12] Vgl. Eroms (2007): 60f.
[13] Sanders (1977). 67
[14] Vgl. Eroms (2007): 62 ff
[15] Vgl. Eroms (2008): 64
[16] Kainer (2007): 17
[17] Vgl. Eroms (2008): 114 ff.
[18] Eroms (2008): 112
[19] Vgl. Eroms (2008): 121 ff.
[20] Verweis auf Reden im Anhang
[21] Eroms (2008): 123
[22] Porsche/Ziemer (2010): 3
[23] Rethorische Fragen: Fragen, auf die Keine Antwort erwartet wird
[24] Lautenbach, Ernst (2004): 628