Vom Wachhund zum Schoßhund? Eine Analyse der Beziehung von Journalisten und Politikern anhand des Rational-Choice-Ansatzes

Rational Choice in den Medienwissenschaften


Hausarbeit (Hauptseminar), 2010

70 Seiten, Note: 1,0

Vanessa Köneke (Autor:in)


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung – Was ist da faul im Staate Deutschland?

2. Der Rational-Choice-Ansatz in den Medienwissenschaften
2.1. Rational-Choice – Warum man kein homo oeconomicus sein muss und
dennoch rational handeln kann
2.2. Was leitet Journalisten und Politiker in ihrem Handeln

3. Die Beziehung von Journalisten und Politikern – Eine antagonistische Kooperation
3.1. Der Informations-Aufmerksamkeits-Markt
3.2. Die Interaktion als Gefangenendilemma
3.3. Die Machtfrage
3.4. Entwicklung: Entpolitisierung und Medialisierung
3.4.1. Veränderung der Restriktionen und Anreize
3.4.2. Rationale Reaktionen
3.5. Das Intereffikationsmodell

4. Wenn die Lapdogs doch mal bellen: Zu Hoch- und Niedrigkostensituationen,
Skandalen und ungleichen Machtverteilungen
4.1. Die unsichtbare Hand: Warum Kooperation nicht zwingend zu verzerrter
Berichterstattung führt
4.2. Hoch- und Niedrigkostensituation: Wenn sich Recherche doch lohnt
4.3. Angebot und Nachfrage: Zwischen vierter Gewalt und verlängertem Arm
4.4. Von Parteispenden, Bonusmeilen und Liebesbeziehungen: Aufgedeckte Skandale
als Paradebeispiel für kritischen Journalismus?

5. Medienwirkung – der vergessene Akteur

6. Zusammenfassung und Ausblick

7. Literaturverzeichnis

8. Anhang
8.1. Eidesstattliche Erklärung
8.2. Anhang zum Intereffikationsmodell

1. Einleitung – Was ist da faul im Staate Deutschland?

„Es ist ein frommer Wunsche, dass Journalisten immer kritisch

und unbestechlich, Politiker immer sachbezogen und integer zu sein haben“[1]

Ein Blick in die derzeitige Politikberichterstattung der Medien bringt einige Skurrilitäten zu Tage: Da wetteifern Kanzlerkandidaten in Fernsehduellen um das besser Image bei den Bürgern. Da entblößen gewählte Repräsentanten - oder solche die es werden wollen - die privatesten Dinge oder treten in Seifenopern auf, um den Wähler mit unterhaltenden Merkmalen auf sich aufmerksam zu machen. Ebenso bizarr mag es erscheinen, wenn heute-Journal und Tagesthemen auf einmal nicht nur harte Fakten bringen, sondern auch boulevardeske Stücke einfließen lassen. Statt „Fakten, Fakten, Fakten“ zählt im Journalismus vermehrt Unterhaltung. So bemerken langjährige Zeitungsleser, wie sich selbst recht konservativ gestaltete Zeitungen wie die Frankfurter Allgemeine Zeitung oder die Neue Zürcher Zeitung immer mehr mit Bildern schmücken. Investigative Recherche, wie sie Günther Wallraff einst personifizierte, ist heute weniger zu entdecken denn je. Stattdessen bauen etliche Journalisten vermehrt auf Agentur- und Pressemitteilungen oder auf die Arbeit anderer Medien; sprich sie „drehen“ Stories ständig weiter statt ein neues Thema zu recherchieren[2]. Statt kritischen Journalismus zu betreiben und als „Hüter des Gemeinwohls“ und „Wachhunde“, die den Politikern auf die Finger schauen, aufzutreten, scheinen Journalisten immer mehr zum „Schoßhund“ der poltischen Öffentlichkeitsarbeit zu werden.[3]

Dem normativen Bild von Journalismus und Politik als Akteure im Sinne des Gemeinwohls wird dies kaum noch gerecht.[4] „Was ist da faul im Staate Deutschland?“, mag sich daher so manch einer fragen. Warum agieren Journalisten und Politiker häufig entgegen den Ansprüchen, welche die Gesellschaft an sie stellt? Die Antwort könnte der Rational Choice Ansatz liefern und die vorliegende Arbeit will versuchen, eine solche Antwort darzustellen. Ein Vorteil des Rational-Choice-Ansatzes ist hierbei, dass er sich interdisziplinär verwenden lässt[5], so dass im Folgenden sowohl Ansätze aus der Politikwissenschaft, als auch aus der Journalismus- und Kommunikationsforschung – speziell aus der Public-Relations-Forschung - sowie aus den Wirtschaftswissenschaften und der Psychologie einfließen werden. Außerdem werden sowohl Arbeiten aus der auf der Mikroebene angesiedelten Akteursforschung, als auch aus der auf der Makroebene angesiedelten Systemtheorie berücksichtigt, da sich - wie gezeigt werden wird - beide Ansätze mit Hilfe des Rational-Choice-Ansatzes vereinen lassen.

Im zweiten Kapitel sollen dazu zunächst die Grundsätze des Rational-Choice-Ansatzes erläutert werden. Außerdem werden bereits einige Aspekte des Ansatzes separat auf Politiker und Journalisten übertragen. Im dritten Kapitel werden dann beide Akteure in Beziehung zueinander gesetzt, wozu das Marktmodell und die Spieltheorie genutzt werden. Anschließend wird die Frage aufgeworfen, wer von beiden Akteuren am längeren Hebel sitzt und die Medienagenda bestimmt[6]. Auch die Frage nach den Urhebern der politischen Entscheidungen wird angeschnitten. Sind Journalisten tatsächlich nur der verlängerte Arm der Politik? Oder müssen hingegen die Politiker „Theater“ für die Medien spielen? Um diese Fragen zu beantworten, werden ebenfalls im dritten Kapitel einige Veränderungen im politischen und journalistischen Umfeld thematisiert, welche die Handlungsspielräume der Akteure maßgeblich prägen. Darauf aufbauend soll die Beziehung mit Hilfe des sogenannten Intereffikationsmodelles auf den Punkt gebracht werden. Im vierten Teil werden die vorangegangen Ergebnisse dann z.T. eingeschränkt bzw. auf unterschiedliche Situation spezifiziert. Das fünfte Kapitel wird schließlich einen kurzen Blick auf den bis dahin eher vernachlässigten Akteur des Rezipienten bzw. Bürgers werfen, bevor in Teil sechs die Überlegungen der Arbeit in einem kurzen Fazit zusammengefasst werden sollen.

2. Der Rational-Choice-Ansatz in den Medienwissenschaften

„After a century of normative Reasoning on how journalism should be, after decades of applying systems theory to media and journalism without successfully linking it to empirical analysis, the time has come to work with a new set of assumptions on how journalists behave in the real word. This set of assumptions has been provided by the rational choice theory.”[7]

Obwohl schon länger versucht wird, die Ökonomik[8] als Analysemethode für Verhalten auf jedwedem Gebiet heranzuziehen[9], steckt der Rational-Choice-Ansatz in den Medienwissenschaften noch in den Kinderschuhen[10]. Statt einer akteurs- und handlungsbezogenen Perspektive hantierten Medienwissenschaftler bislang eher mit Systemtheorien.[11][12] Gleichwohl haben im deutschsprachigen Raum jüngst besonders Gerald Hosp, Marie-Luise Kiefer sowie Stephan Ruß-Mohl und Susanne Fengler die Ökonomik als akteursbezogene Analysemethode der Medien vorangetrieben.[13]

2.1. Rational-Choice – Warum man kein homo oeconomicus sein muss und dennoch rational handeln kann

In Bezug auf die genaue Definition des Ansatzes herrschen unterschiedliche Ansichten, was sich auch in einer Vielfalt unterschiedlicher Begriffe widerspiegelt.[14] Dennoch gibt es einige Kernannahmen, die allen Rational-Choice-Theorien gemein sind.[15] Zu diesen Kernannahmen gehören vor allem der methodologischer Individualismus[16] und das Rationalitätsprinzip[17].

Methodologischer Individualismus bedeutet, dass sich kollektive Phänomene (auf der Makroebene) durch die Handlungen von Individuen (auf der Mikroebene) erklären lassen, wobei jene Handlungen wiederum von den kollektiven Strukturen beeinflusst werden.[18] Ausgangspunkt ist stets das Individuum, das zu erklärende Phänomen aber meist ein übergreifendes Ereignis. Aufgrund dieser Mehr-Ebenen-Analyse spricht man auch vom Strukturell-individualistischen Ansatz.[19] In der zweiten Kernannahme – dem Rationalitätsprinzip – sind implizit gleich mehrere Annahmen enthalten. Dazu zählt zunächst die Hypothese, dass Akteure versuchen ihre Bedürfnisse bestmöglich zu befriedigen; diese Annahme wird als Nutzenmaximierung bezeichnet.[20] Das Handeln richtet sich demnach nach den Bedürfnissen, bzw. Motiven und Präferenzen[21] der Akteure und ist daher zielgerichtet[22]. Die Nutzenmaximierung erfolgt zudem stets unter der Bedingung der Knappheit[23] von Ressourcen wie Zeit, Geld o.ä., was dazu führt, dass Handeln sich Entscheiden bzw. Wählen zwischen Alternativen (Choice) bedeutet. Die dritte und vielleicht wichtigste Teilannahme ist jedoch, dass diese nutzenmaximierende Wahl anhand eines rationalen[24] Kalküls erfolgen sollte, das heißt anhand einer Kosten-Nutzen-Abwägung, bei der die Akteure nicht nur ihre Präferenzen, sondern auch ihren Handlungsraum betrachten, um so zu einer effizienten[25] Entscheidung zu kommen.[26] Der Handlungsraum ergibt sich zum einen aus einschränkenden Restriktionen, auch constraints genannt, und zum anderen aus motivierenden Handlungs anreizen[27]. Restriktionen können sich dabei beispielsweise aus den persönlichen Fähigkeiten, aber auch aus anderen Akteuren ergeben.[28] Positive Handlungsanreize können z.B. materielle oder soziale Belohnungen wie Einkommen und Anerkennung sein.[29][30]

Obwohl die rationale Nutzenmaximierung allen RC-Theorien gemein ist, hat sich der allgemeine RC-Ansatz mittlerweile von der den ersten Rational-Choice-Theorien immanenten Annahme eines homo oeconomicus im Sinne eines vollständig informierten und alle Alternativen objektiv abwägenden Akteurs, der stets eigennützig materielle Interessen verfolgt, distanziert.[31] Unvollständige Informationen, „satisficing[32] und kognitive Beschränkungen sowie subjektive Wahrnehmung der Situation[33], der Einfluss von Normen und Werten[34] und offene Präferenzen, die auch Altruismus zulassen, stehen mittlerweile nicht mehr im Gegensatz zu rationalem Handeln, sondern lassen sich mit ihm verbinden.[35][36] Der moderne Rational-Choice-Ansatz ist daher als solcher inhaltlich „leer“[37]. Erst durch Zusatzannahmen über spezifische Handlungspräferenzen und Restriktionen können sich unterschiedliche Rational-Choice-Theorien ergeben.[38] Daher gibt es zwar nicht die Rational-Choice- Theorie, aber den Rational-Choice- Ansatz.[39]

Zusammenfassend lässt sich der Rational-Choice-Ansatz am besten in seinen drei Teilschritten beschreiben: 1. Logik der Situation 2. Logik der Selektion und 3. Logik der Aggregation[40], wobei die erste Logik aussagt, dass sich die Handlungsalternativen aus der Situation bzw. den Restriktionen ergeben, die zweite, dass die Auswahl der Alternative dann zielgerichtet entsprechend der Präferenzen[41] und rational im Sinne einer Effizienz-Analyse erfolgt und die dritte, dass sich durch die Anhäufung einzelner Handlungen und deren Aggregation anhand von bestimmten Aggregationsregeln strukturelle Phänomene ergeben[42]. Die erste Logik verbindet folglich Makro- und Mikroebene, die zweite Mikro- und Mikroebene und die dritte Mikro- und Makroebene, weshalb wie erwähnt auch vom strukturell-individualistischen Ansatz die Rede ist und sich auch systemtheoretische Überlegungen statt nur explizit am individuellen Handeln ausgerichtete Annahmen aus der Medienwissenschaft für diese Arbeit nutzen lassen.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1. Strukturell-individualistisches Analyseschema (Coleman´sche Badewanne). Quelle: nach Kunz, 2004, S. 26

2.2 Was leitet Journalisten und Politiker in ihrem Handeln?

Im folgenden Abschnitt werden die Grundannahmen des RC-Ansatzes auf Politiker und Journalisten übertragen.

a) Die Akteure

Das obige Schaubild und die drei Schritte des RC-Ansatzes verbinden zunächst Mikro- und Makroebene, bzw. übertragen auf die hiesige Analyse Politiker und Journalisten als Einzelakteure mit dem Mediensystem bzw. dem politischen System. Bisher vernachlässigt wurde die Mesoebene. Sie hat eine Doppelposition.[43] Zum einen entwickelt sich die Mesoebene wie die Makroebene aus einer Aggregation individueller Handlungen, zum anderen sind auf der Mesoebene kollektive bzw. korporative Akteure denkbar, die wiederum die Makroebene konzipieren.[44] Solche kollektiven Akteure sind z.B. Medienunternehmen und Parteien[45]. Im Folgenden zwar meist von Journalisten und Politikern die Rede sein, aber genauso gut lässt sich die Beziehung synonym zwischen einzelnen Medien und einzelnen Parteien untersuchen.[46]

Zudem soll für die weitere Analyse noch eine weitere Annahme getroffen werden. Und zwar agieren Journalisten häufig nicht direkt mit Politikern, sondern mit deren Pressesprechern und Beratern.[47] Daher werden auch Ansätze und Ergebnisse aus der Public-Relations-Forschung (Öffentlichkeitsarbeit)[48] einfließen. Dabei wird die Annahme getroffen, das Public Relations (PR)-Manager entsprechend den Zielen der Politiker, für die sie arbeiten, agieren, d.h. ebenfalls das Ziel der Stimmmaximierung verfolgen (siehe Punkt b). Dies lässt sich dadurch erklären, dass der Job eines PR-Managers – vor allem in der Politik – stark vom Amt des Politikers abhängt.[49] Verliert der Politiker sein Amt, wird auch der PR-Manager entlassen[50] oder rückt zumindest zusammen mit dem Politiker in eine weniger Status-trächtige Position ab.[51][52]

b) Die Ziele

Wie erwähnt handeln Individuen, um ihren Nutzen entsprechend ihrer Präferenzen zu maximieren. Zur genaueren Erklärung der Handlungsursachen von Politikern und Journalisten soll nun auf einen mehrstufigen Motivationsprozess von Dylla zurückgegriffen werden. Dabei werden die drei Ebenen der Fundamentalbedürfnisse, der Motive und der Ziele unterschieden. Als Fundamentalbedürfnisse gelten allen Menschen gemeine Bedürfnisse wie der Wunsch nach physischem Wohlergehen und sozialem Status.[53] Auf der Ebene der Motive lassen sich dann jedoch unterschiedliche Motive unterscheiden; sei es etwa Macht, Eigennutz, Selbstverwirklichung oder Altruismus. Als Ziel wird folglich das bezeichnet, was (vermeintlich) zu einer Befriedigung der Motive führt. Demnach sind „Entscheidungen Mittel zur Befriedigung der Fundamentalbedürfnisse, welche über die Realisierung des Ziels und Motivs erfolgt.“[54] Die Unterscheidung von Zielen und Motiven erleichtert die empirische Forschung, da Ziele leichter zu untersuchen sind als Motive.[55] Ein wichtiges Ziel zur Befriedigung der Fundamentalbedürfnisse dürfte der Beruf sein, vor allem in anerkannten und öffentlichkeitswirksamen Berufen wie denen eines Politikers oder Journalisten. So argumentiert Lindenberg, dass sozialer Status ebenso wie physisches Wohlergehen vor allem über Einkommen erreichbar sei und Einkommen wiederum durch Berufstätigkeit.[56][57]

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2. Logik der Bedürfnisbefriedigung. Quelle: nach Kunz, 2004, S. 114.

Das Ziel der Berufstätigkeit scheint also für Politiker ebenso wie für Journalisten durch die situative Logik ihrer speziellen Berufe ein effizientes Instrument zur Bedürfnisbefriedigung zu sein. Das heißt in erster Linie versuchen Politiker sowie Journalisten, ihren Arbeitsplatz zu erhalten: Politiker haben das Ziel, (wieder-)gewählt zu werden und Journalisten das Ziel, möglichst viele Rezipienten zu erreichen. Man spricht auch davon, dass Politiker das Ziel der Stimmmaximierung[58] verfolgen und Journalisten das Ziel der Aufmerksamkeitsmaximierung[59] .[60] Die Motive der Politiker/Journalisten müssen dabei zunächst offen bleiben; sie können von der Vergrößerung des Gemeinwohls bis zum persönlichen Machtdrang reichen.[61]

c) Restriktionen

Wie alle Akteure sind auch Politiker und Journalisten in ihrem Handeln verschiedenen Restriktionen unterworfen. Für Politiker können sich Restriktionen unter anderem aus der ideologischen Orientierung der Partei, den Präferenzen der Bürger und politischen Ereignissen außerhalb des Machtspielraums ergeben, sowie natürlich aus dem Gesetz. Journalisten sehen sich ebenfalls Restriktionen in Form von Gesetz und den Präferenzen der Rezipienten gegenüber. In letzter Zeit immer mehr thematisiert werden jedoch die ökonomischen Restriktionen[62], so dass zum Teil sogar mit kritischem Ton von einer „Ökonomisierung“ oder „Kommerzialisierung" der Medien geredet wird, welche die Berichterstattung vorrangig nach wirtschaftlichen Kalkülen ausrichte und inhaltliche Entscheidungen zweitranig werden lasse[63].

Auf die einzelnen Restriktionen wird zum Teil noch näher eingegangen, jedoch sollen zunächst zwei für die Beziehung von Journalisten und Politikern besonders wichtige Rahmenbedingungen genannt werden: Medien sind auf Politiker als Informationsquellen angewiesen und Politiker wiederum auf die Medien als Übermittler ihrer Themen und Plattform um Wähler auf sich aufmerksam zu machen[64]. Es besteht also eine gegenseitige Abhängigkeit, welche die jeweiligen Handlungsspielräume beeinflusst.[65]

d) Entscheidungsketten

Was genau aber bedeutet Handeln in Bezug auf Journalisten und Politiker eigentlich? Beide Akteure müssen – wie jeder Mensch – ständig eine Vielzahl von Entscheidungen treffen[66]. Bei Politikern sind dies grob zum einen die genuin politischen Entscheidungen (etwa über eine Steuererhöhung o.ä.) und zum anderen Entscheidungen darüber, welche Entscheidungen überhaupt gerade zu treffen sind; sprich Entscheidungen über die Politische Agenda. Beide Kategorien gehören zur Herstellungspolitik[67]. Davon abzugrenzen sind desweiteren Entscheidungen der Darstellungspolitik bzw. der Politikvermittlung, d.h. Entscheidungen darüber, welche Themen Politiker an die Öffentlichkeit bringen und wie sie dies tun.[68]

Auch Journalisten sehen sich einer ganzen Kette[69] von Entscheidungen gegenüber. Zunächst müssen sie sich entscheiden, über welches Thema sie berichten möchten. Dabei orientieren sich Journalisten unter anderem. an sogenannten Nachrichtenfaktoren, das heißt Themenaspekten, denen Rezipienten meist viel Aufmerksamkeit schenken.[70] Solche Faktoren sind z.B. Nähe zum Publikum, Kontroversität, Überraschung und Prominenz.[71] Nach der Festlegung des Themas folgen Entscheidungen darüber, wie recherchiert wird – z.B. tatsächlich eigene Recherche durch Telefonate und Ortstermine oder Rückgriff auf PR-Material, das „von alleine“ in die Redaktion kommt - und in welchem Umfang recherchiert wird. Schließlich muss entschieden werden, wie und in welchem Ausmaß das Thema präsentiert werden soll und wie es „geframed“, das heißt aus welcher Perspektive es dargestellt werden soll bzw. welche Aspekte besonders betont werden sollen[72]. Bei der vorliegenden Arbeit wird ein Hauptaugenmerk auf die Entscheidung über Art und Ausmaß der Recherche gelegt werden. Ausgehend vom RC-Ansatz folgen Journalisten dabei - wie bei allen Entscheidungen - einer Nutzen-Kosten-Kalkulation.[73] Sie werden nur solange weiter recherchieren und zusätzliche Informationen beschaffen wie der daraus erzielbare Nutzen grösser ist als die Kosten.[74][75]

3. Die Beziehung von Journalisten und Politikern – Eine antagonistische Kooperation

3.1. Der Informations-Aufmerksamkeits-Markt

Wie unter Punkt 2.2.b erwähnt sind Politiker und Journalisten aufeinander angewiesen: Journalisten benötigen Politiker als Informationsquellen und Politiker benötigen Journalisten, um ihre Themen an die Öffentlichkeit zu bringen und auf sich als Kandidaten für die nächste Wahl aufmerksam zu machen. Folglich müssen beide Akteure miteinander interagieren. Aus Rational-Choice-Sicht sind solche sozialen Interaktionen als Tauschhandel, der Marktregeln unterliegt, interpretierbar.[76] Der Tausch dient dazu, die eigenen Handlungsmöglichkeiten auszuweiten, indem man Ressourcen erlangt, über die ein anderer verfügt. Das heißt, der Tausch beruht nicht nur auf einer gegenseitigen Abhängigkeit, sondern auch auf einem Voneinander-Profitieren (vgl. 4.3.3). Beim Tausch zwischen Politikern und Journalisten handelt es sich jedoch nicht um einen monetären Markt. Stattdessen wird Information gegen Aufmerksamkeit bzw. Publizität getauscht.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 3: Der Informations-Aufmerksamkeits-Markt. Quelle: nach Fengler & Ruß-Mohl, 2006

[...]


[1] Zach, 1995, S. 102.

[2] Vgl. Reinemann/Huismann und Fenlger/Ruß-Mohl, 2005, S.163ff.

[3] Zum Ausdruck „watchdog“ versus „lapdog“ vgl. Fengler/Ruß-Mohl, 2005, S. 14ff, S. 159.

[4] Normativ werden Medien verschiedene gesellschaftliche Funktionen zugeschreiben. Jene sind laut Gurevitch/Blumler, 1990, zitiert nach McLeod/Kosicki/McLeod, Douglas , 1994 1. Kontrolle von Ereignissen, die sich auf Wohlfahrt Bürger auswirken könnten ; 2. Soziopolitische Themen sowie deren Ursprünge und Lösungen identifizieren; 3. Plattform für Interessenäußerung sein; 4. Inhalte weiterleiten; 5. Politiker überwachen, damit jene verantwortlich gemacht werden können; 6. Bürger informieren und ermuntern, aktiv am politischen Prozess zu partizipieren; 7. externen Einflüssen zu widerstehen; 8. respektvoll gegenüber dem Publikum sein. Zu Funktionen für den individuellen Rezipienten vgl. Punkt 5, sowie Katz/Blumler 1974; Bonfadelli, 2004; Schweiger 2007, Rubin 1986, Ruggiero 2000; Palmgreen/Rayburn, 1985.

[5] Die Idee der, Ökonomie nicht als isolierte Wissenschaft zu begreifen, geht bereits auf den “Vater” der Ökonomie Adam Smith zurück. Vgl. zur Interdisziplinarität auch Fengler/Ruß-Mohl, 2005, S. 32 und Kunz, 2004, S. 7f sowie S. 61f .

[6] Dies ist Forschungsgegenstand der sogenannten Agenda-Building-Forschung. Das Agenda-Building ist vom Agenda-Setting zu unterscheiden. Ersteres bezieht sich auf die Medien-Agenda, d.h. die in den Medien beachteten Themen; zweiteres auf die öffentliche Agenda, d.h. die in der Öffentlichkeit als wichtig erachteten Themen.

[7] Ruß-Mohl, 2006, S. 190

[8] Ökonomik wird hier als Untersuchungs methode verstanden im Gegensatz zur Ökonomie als Gegenstand der Untersuchung. Vgl. Fengler/Ruß-Mohl, 2005, S. 14.

[9] Becker, 1989. Vgl. auch Coleman, 1990, sowie Esser, 1996.

[10] Vgl. Hosp, 2005; Fengler/Ruß-Mohl, 2000; Reinemann, 2007.

[11] Vgl. Fengler/Ruß-Mohl, 2005; Reinemann, 2007; Schantel, 2000.

[12] Die sozialwissenschaftliche Gesellschaftsanalyse unterscheidet drei Ebenen: die Mikro-, die Meso- und die Makroebene. Dabei bezieht sich die Mikroebene auf Individuen, die Mesoebene auf (kleinere) Kollektive wie Organisationen und die Makroebene auf systemische Teilbereiche der Gesellschaft. Übertragen auf Journalisten und Politiker sind jene als Einzelakteure auf der Mikroebene angesiedelt. Parteien und Medienunternehmen stellen die Mesoebene dar und auf der Makroebene finden sich das politische System und das Mediensystem. Sozialwissenschaftliche Theorien beziehen sich meist nur auf eine der Ebenen; man spricht daher auch von Handlungs- bzw. Akteurstheorien einerseits und Systemtheorien andererseits. Der Rational Choice-Ansatz gehört prinzipiell zu den Akteurstheorien, weist aber wie gezeigt werden wird Ebenen-übergreifende Elemente auf. Zu einer Erläuterung unterschiedlicher System- und Akteurstheorien s. Jarren/Donges, 2006, und Raabe, 2003.

[13] Außerdem argumentieren einige der Kommunikationstheorien seit jeher implizit aus Rational Choice-Sicht; hier ist besonders die Wirkungs- und Nutzungsforschung - auch Uses & Gratifikations-Ansatz genannt - zu erwähnen, welche versucht zu erklären anhand welcher Motive und Nutzenerwartungen Leser bzw. Zuschauer Medieninhalte auswählen. Vgl. Punkt 5. sowie Katz/Blumler 1974; Bonfadelli, 2004; Schweiger 2007, Rubin 1986, Ruggiero 2000; Palmgreen/Rayburn, 1985. Auch die Nachrichtenwerttheorie (s.u.) sowie Untersuchungen zu Framing und Priming (s.u.) und die Theorie der Schweigespiralen (s.u.) stellen Akteure in den Mittelpunkt. Außerdem werden bei allen Systemtheorien Akteure quasi durch „die Hintertür eingeführt“, wenn es um die empirische Untersuchung geht, da eine solche ansonsten nicht möglich wäre. (vgl. Fengler/Ruß-Mohl, 2000).

[14] Vgl. Dylla, 2008a.

[15] Dylla (2008a) spricht von zwei Kernannahmen (dem methodologischen Individualismus und der Rationalitätsannahme) und weiteren heuristischen Annahmen, während Kunz vier Kernannahmen konzipiert: den methodologischen Individualismus, zielgerichtetes Handeln, Existenz von Restriktionen und Nutzenmaximierung. Die vorliegende Arbeit folgt der Einteilung von Dylla, wobei das Rationalitätsprinzip in mehrere Teilannahmen aufgeteilt werden wird.

[16] Der methodologische Individualismus findet sich implizit auch in der Theorie der Strukturierung von Antony Giddens, im Neofunktionalismus von Jeffrey C. Alexander und der Unterscheidung von System und Lebenswelt von Jürgen Habermas. (Zitiert nach Kunz, 2004, S.25)

[17] Statt von Rationalitäts prinzip ist häufig auch die Rede von der Rationalitäts annahme.

[18] Oder anders ausgedrückt: „Die Handlungsfolgen von heute, sind die Handlungsbedingungen von morgen“. (Homann/Suchanek, 200, 81 zitiert nach Fengler/Ruß-Mohl, 2005, S.65). Zur Verbindung von System- und Akteurstheorien vgl. auch Schimanek. „Handeln konstituiert sich aus der Intentionalität handlungsfähiger Sozialsysteme im Rahmen der Konditionalität handlungsprägender Sozialsysteme S. 428, Heraushebung im Original

[19] Vgl. Kunz, 2004 S. 24; Reinemann, 2007.

[20] Das Prinzip der Nutzenmaximierung geht bis auf Jeremy Bentham und seine Schrift „An Introduction to the Principles of Moral and Legislation“ zurück. Steigern bzw. maximieren lässt sich der Nutzen über Güter, wobei unter Gütern alles verstanden werden kann, dass der Bedürfnisbefriedigung dient und Güter daher auch immaterieller Natur sein können. Vgl. Kunz, 2004 S. 33ff.

[21]Präferenzen sind die Interessen, Motive und Ziele der Akteure, die ihr Verhalten bestimmen“. Fengler/Ruß-Mohl, 2005, S.45.

[22] Zoll S. 33: „Menschliches Verhalten kann als absichtsvolles, vorteilsuchendes und zielgerichtet Verhalten betrachtet werden. Die Poppersche Formulierung „Alles Leben ist Problemlosen“ bringt dies passend zum Ausdruck.“ Vgl. auch Fey, 1990, S.4.

[23] Vgl. u.a. Kirchgässner, 1991, S. 15ff; Fengler/Ruß-Mohl, 2005, S.41ff. „Knappheit ist definiert als die Differenz zwischen Bedürfnissen und Möglichkeiten ihrer Befriedigung. Sie kennzeichnet jedes Handeln.“ (Kunz, 2004, S.34)

[24] Aussagen über die Rationalität des Ergebnisses sind aus dieser Sicht irrelevant; Rationalität bezieht sich einzig auf den Prozes s der Entscheidungsfindung. Vgl. Downs, 1968, S.5

[25] Effizient ist „die Handlungsalternative, die ein gegeben Ziel (Output) mit dem geringsten Input bzw. mit dein gegeben Input den höchsten Output zu erzielen erlaubt“. (Gerecke, 1998, S.210 zitiert nach Fengler/Ruß-Mohl, 2005, S.62.)

[26] Genauer gesagt werden anhand der subjektiven Definition der Situation Alternativen, Konsequenzen und deren Bewertungen sowie Wahrscheinlichkeiten abgeleitet. Gemäß einer Regel wie etwa der Subjektiven-Erwartungstheorie (SEU; vgl. Kunz, 2004, S. 43ff) führt dies zur Wahl einer Alternative.

[27] Häufig wird auch nur der Begriff Restriktion oder nur der Begriff Anreiz verwendet und dabei positive und negative Restriktionen (constraints) bzw. Anreize unterschieden.

[28] Genauer gesagt können Restriktionen Akteurs-intern oder extern sein. Donsbach unterscheidet zudem vier verschiedene Sphären, aus denen Restriktionen stammen können: Subjektsphäre, Professionssphäre, Instiutionssphäre, Gesellschaftssphäre. Restriktionen sind aus Rational-Choice-Perspektive jedoch anders als in institutionellen Modellen (vgl. Donges, 2006 und 2007; Jäckel, 2000) nur eine Rahmenbedingung für die Alternativwahl und keine determinierende Variable; auf die Zieldefinition haben sie keinen Einfluss. Vgl. auch Riker, 1983, S.78: „The scientific merit of the assumption (Anm. des RC) is that it allows both for regularities and for freedom of choice.“

[29] Vgl. Fengler/Ruß-Mohl, 2005, S.45f

[30] Bei der Nutzen-Kosten-Abwägung müssen allerdings nicht nur Kosten aus Restriktionen betrachtet werden. Kosten fallen bei jeder Entscheidung schon alleine dadurch an, dass jede Entscheidung für eine Alternative gleichzeitig eine Entscheidung gegen die andere(n) Alternative(n) darstellt; man spricht daher auch von Opportunitätskosten. Vgl. Kunz, 2004, S. 37

[31] Zur Kritik am Rational-Choice-Ansatz in seiner ursprünglichen Ausprägung vgl. Green/ Shapiro sowie Haug und zur Entkräftigung der Kritik aus heutiger Sicht Dylla 2007a sowie Zoll, 2003, und Kunz, 2004, S. 135ff.

[32] Simon, 1983.

[33] Vgl. Zoll, 2003; Esser, 2004; Frey, 1997

[34] Zur Möglichkeit einer Symbiose von homo oeconomicus und homo sociologicus vgl. Jäckel, 2000. Wertrationalität, d.h. das Treffen von Entscheidungen anhand von Normen, lässt sich zudem laut Dylla (2008a, S.79) als eine Unterform der Zweckrationalität betrachten.

[35] Vgl. Frey, 1997; Fengler/Ruß-Mohl, 2005, s. 28ff. Von Hosp wird die Präferenzoffenheit als „weiche Variante“ des RC-Ansatzes beschrieben. Allerdings ist anzumerken, dass Akteure entsprechend des RC-Ansatzes trotz Präferenz-Offenheit stets eigennützig handeln – eigennützig im Sinne, dass sie ihren eigenen Nutzen entsprechend ihrer eigenen Präferenzen maximieren. Eigennutz bedeutet jedoch nicht, dass man anderen ständig Schlechtes will, aber auch nicht dass man ihnen Gutes will (vgl. Frey, 1990, S.6f)

[36] Auch routinemäßiges Handeln – oder mit den Worten von Esser Handeln anhand von habits - steht nicht zwingend im Gegensatz zu bewusstem, rationalen Verhalten. Sie Punkt 4.2.

[37] Vgl. Reinemann, 2008, S.199

[38] Dylla, 2008a; Hosp, 2005; Kunz, 2004, S. 35ff. Zur Konstruktion von Zusatzannahmen vgl. Kunz, 2004, S.104ff. Die Zusatzannahmen werden auch als Brückenannahmen bezeichnet.

[39] Problematisch ist jedoch, dass sich der bloße Ansatz nicht empirisch überprüfen lässt. Für eine empirische Überprüfung müssen stets die Zusatzannahmen spezifiziert werden. Erst durch die Festlegung auf bestimmte Präferenzen bzw. Motive wird die Rationalitäts annahme zu einer überprüfbaren Rationalitäts hypothese. Die Rationalitätsannahme als solche ist empirisch nicht überprüfbar. (vgl. Vanberg, 2002). Allerdings ist es laut Vertreten des sogenannten Instrumentalismus auch gar nicht nötig, empirisch korrekte Annahmen zu treffen. Die Hauptsache sei, dass die Vorhersagen relativ korrekt sein (vgl., Popper 1962). Der Rational-Choice-Ansatz ist demnach vor allem als effiziente Heuristik zu verstehen (vgl. Dylla, Fengler/Ruß-Mohl, 2005, S. 31f; Kunz, 2004, S. 69 und 137). Zur Problematik der Empire ist zudem anzumerken, dass sich der Rational-Choice-Ansatz generell schwer empirisch überprüfen lässt, da (kontrollierte) Laborexperimente meist nicht möglich sind, und die Bedingungen in Feldexperimenten so sehr variieren, dass sich daraus kaum allgemeine Aussagen ableiten lassen. Außerdem lassen sich in Feldexperimenten kaum alle intervenierenden Variablen identifizieren.

[40] Vgl. Kunz, 2004, S. 26ff; Esser, 2007.

[41]Entsprechen dieser Präferenzen bewertet das Individuum die einzelnen ihm zur Verfügung stehenden Wahlmöglichkeiten, d.h. es wägt Vor- und Nachteile, Kosten und Nutzen der einzelnen Alternativen gegeneinander ab.“ (Kirchgässner, 1991, 13f.)

[42] Das Ergebnis der Aggregation muss allerdings nicht zwingend intendiert sein, sondern kann den individuellen Interessen durchaus entgegengesetzt sein.

[43] Vgl. Kunz, 2004, S. 31.

[44] Kollektive und korporative Akteure definieren sich vor allem über gemeinsame Ziele und Ressourcen und benötigen die Fähigkeit zur Koordination und Ausbildung einer eigenen Identität (vgl. Kunz, 2004, S. 160; Reinemann, 2007, S.53ff und 2008, S. 196ff; sowie Jarren/Donges, 2006). Kollektive und korporative Akteure grenzen sich dabei durch den Grad der formalen Organisation voneinander ab; bei kollektiven Akteure ist der Grad eher gering bei korporativen hoch (Jarren/Donges, 2006).

[45] Vgl. Downs, 1968, S25.

[46] Dabei gilt jedoch weiterhin das Prinzip des methodologischen Individualismus, dass heißt nicht die Organisation handelt sondern Individuen innerhalb bzw. stellvertretend für die Organisation. Was sich unterscheidet ist die Kategorisierung der Restriktionen. Jene lassen sich wie erwähnt in intern und extern unterscheiden, wobei nun jedoch entsprechend der Doppelfunkton der Mesoebene Restriktionen, die für einen einzelnen Akteur extern sind, für einen kollektiven Akteur intern sein können. Ein Beispiel sind in Bezug auf einzelne Journalisten redaktionelle Vorgaben und Ressourcen extern für den Akteur Medienunternehmen sind sie hingegen intern.. Restriktionen auf Makroebene wie gesellschaftliche Strukturen, Normen und Gesetze oder das Handeln anderer Akteure stellen jedoch auch aus Sicht der Mesoebene externe Restriktionen dar.

[47] Poltische Öffentlichkeitsarbeit mit Hilfe professioneller PR-Berater ist in Deutschland bereits seit den 1970er Jahren etabliert und hat sich seit dem kontinuierlich verstärkt (s.u.). (vgl. Jarren/Donges, 2006)

[48]PR – oder Öffentlichkeitsarbeit – sind die vorsätzlichen Bemühungen zur Gestaltung der Beziehungen eines Unternehmens oder eine anderen Organisation zur Öffentlichkeit mittels Kommunikation“ (Kocks, 2001, S 24). Die Beziehung zwischen Organisation (Partei) und Medien – d.h. die Medienarbeit - ist dabei nur ein Teil der Öffentlichkeitsarbeit. Für Politiker ist sie aber der bedeutendste Teil, da Politiker im Gegensatz zu Unternehmen a) weniger Gelegenheit zu direkter Werbung haben und b) durch die permanente Begleitung durch Journalisten ständig Medienarbeit nötig ist (s.u.) (Sagurana,1997)

Für eine Unterscheidung von PR, Propaganda und Werbung s. Bentele, 1997.

[49] Vgl. Jarren/Donges, 2006, S. 230.

[50] Dies war zum Beispiel auch in der Wirtschaft zu beobachten, als bei der deutschen Post der Kommunikationschef ausgetauscht wurde, nachdem Klaus Zumwinkel wegen Steuerhinterziehung seinen Hut nehmen musste.

[51] Das Interesse des PR-Managers an seinem Beruf ist analog zur im folgenden Unterpunkt beschriebenen Lindenbergschen-Kette erklärbar.

[52] Bei der Gleichsetzung von Presssprechern mit Politikern ist jedoch anzumerken, das Pressesprecher in der Realität oft auch einen Vermittlerrolle haben und zwischen den Stühlen sitzen: Zum einen müssen sie den Politikern die Medieninteressen klarmachen und zum anderen den Medien Rücksicht auf die Politikerinteressen abverlangen. (Vgl. Zach, 1995; sowie Manitz, 1997, und Höver, 1997)

[53] Vgl. Lindenberg 1989.

[54] Dylla 2007a, S. 1669

[55] Vor allem Selbstauskünfte über Motive sind oft fraglich, da Motive a) nicht immer bewusst sind oder b) manchmal nur als ex-post-Rationalisierungen herangezogen werden. Zudem c) offenbart der Befragte seine wahren Motive nicht immer oder d) er hat konkurrierende Motive und kann das wichtigste nicht herausfiltern. (vgl. Dylla, 2008a). Zu Möglichkeiten der Herleitung von Präferenzen vgl. dennoch Reinemann, 2007 und 2008.

[56] Lindenberg spricht von sozialen Produktionsfunktionen (vgl. Kunz, 2004, S. 113ff).

[57] Sozialer Status lässt sich allerdings nicht nur über Einkommen erreichen (vgl. Kunz, 2004, S. 118f). So stellt vor allem für Journalisten weniger das Einkommen einen Status-steigernden Faktor dar als vielmehr die Bekanntheit, die durch regelmäßige Berichterstattung entsteht (Vgl. Fengler Ruß-Mohl, 2005, S.110f). Erst auf zweiter Ebene könne sich die Bekanntheit durch ein höheres Gehalt auch in materiellen Anreizen verfestigen.

[58] Vgl. Downs, 1968, S. 26ff.. sowie Kunz, 2004, S. 76f. Unter Stimmmaximierung lässt sich je nach Wahlsystem entweder das Streben nach der Stimmenmehrheit oder aber nach der Bildung eine Koalition oder auch das Streben nach Einzug ins Parlament als Opposition verstehen (Dylla,2008a). Vgl. auch Niskanen 1971 in ähnlicher Weise zur Budgetmaximierung von Bürokraten.

[59] Unter Aufmerksamkeitsmaximierung lässt sich die die Anzahl der Rezipienten gewichtet nach ihrer Werbeattraktivität verstehen. Vgl. Hosp, 2005, S.285. und s.u..

[60] Das Ziel der Stimm- bzw. Aufmerksamkeitsmaximierung leitet sich daraus ab, dass analog zum Wirtschaftssystem auf Märkten um Wähler bzw. Rezipienten gebuhlt werden muss. Journalisten kämpfen dabei gleich auf zwei Märkten um „Konsumenten“: zum einen um die Rezipienten und zum anderen auf einem gesonderten Markt um Werbekunden.

[61] Downs selbst ging jedoch nicht von Präferenzoffenheit aus, sondern unterstellte Politkern private Motive wie Einkommen, Macht oder Prestige (Downs, 1968, S.27). Zum Mythos, dass Journalisten sich stets dem Gemeinwohl verpflichtet fühlen vgl. Schantel, 2000; Pfetsch/Adam, 2008, Kepplinger, 2000, sowie Ruß-Mohl, 2002.

[62] Die Ökonomische Analyse der Medien wird als Medienökonomie bezeichnet. Vgl. Kiefer, 1997; Mc Manus, 1994; Hamilton, 2004, Hosp, 2005. Obwohl zumeist nur die rein wirtschaftliche Analyse der Nachrichtenproduktion mit dem Begriff Medienökonomie umschrieben wird, unterscheidet Hosp (2005) zwischen Medienökonomie als Industrieökonomie, Medienökonomie als Institutionenökonomie und Medienökonomie als Ergänzung der Politischen Ökonomie. Dabei umfasst nur der erste Bereich explizit die Frage, welche wirtschaftlichen Zwänge die Nachrichtenproduktion prägen. Die Medienökonomie als Instiutionenökonomie geht hingegen der Frage nach, anhand welcher Regeln und Routinen (Institutionen) Journalisten Nachrichtenthemen auswählen und die Medienökonomie als Ergänzung der Poltischen Ökonomie befasst sich mit der Wirkung der Medien auf politische Entscheidungen, d.h. hier werden Medien nicht als unabhängige sondern als abhängige Variable betrachtet.

[63] In der Tat müssen Journalisten nicht mehr nur die herkömmlichen fünf W-Fragen (wer, was, wann, wie und wo) bei ihrer Recherche bedenken, sondern auch die fünf ökonomischen Ws (Hamilton 2004, S.14): Wen interessiert die Information? Was würden die Rezipienten bzw. die Werbewirtschaft dafür zahlen? Wo können Medien diese Leute erreichen? Wann ist es profitabel, diese Information anzubieten? Warum ist es profitabel? Vgl. Mc Manus, 1994; Hamilton, 2004; Altmeppen/Löffelholz, 1999, und Punkt 3.4.1.b.

[64] Die Medien agieren dabei als Gatekeeper: Nur die Themen die von den Medien aufgegriffen werden, gelangen an die Öffentlichkeit (vgl. White, 1964). Auf die Wichtigkeit der Kommunikation und der Medien auf Märkten bzw. auf dem politischen Markt wiesen bereits die Gründerväter der Ökonomik Anthony Downs, Joseph Schumpeter und Gordon Tullok hin (z.B. Downs, 1968, z.B. S. 14).

[65] Wie gezeigt werden wird, jedoch nicht zwingend in negativer d.h. beschränkender Weise.

[66] Bei all diesen Entscheidungen steht das Ziel der Stimm- bzw. der Aufmerksamkeitsmaximierung im Vordergrund. Die Restriktionen können selbstverständlich je nach konkreter Entscheidung variieren.

[67] Auch Entscheidungpolitik genannt.

[68] Während Politikvermittlung ein neutral konnotierter Begriff ist, wird der Begriff der Darstellungspolitik eher in negativer Weise gebraucht. Politikvermittlung als solche ist nach Ansicht der meisten Wissenschaftler in einer Demokratie stets nötig, da die Bürger für die nächste Wahl über die derzeitigen politischen Probleme, die Leistungen der amtierenden Regierung und die Konzepte andere Parteien informiert werden müssen. Mit Darstellungspolitik ist hingegen unterschwellig die Meinungen verbunden, dass Politiker mehr auf die Inszenierung ihrer Politik achteten als auf die genuin politischen Entscheidungen (Für eine Übersicht zum Thema Politikvermittlung s. Sarcinelli, 1998.

[69] Reinemann, 2008.

[70] Nachrichtenfaktoren wurden erstmals vom Pionier der Kommunikationsforschung Walter Lippmann aufgestellt. Im deutschsprachigen Raum war vor allem Winfried Schulz ausschlaggebend (Schulz, 1976). In Bezug auf Nachrichtenfaktoren gilt die sogenannte Additionshypothese: D.h. je mehr Faktoren auf ein Thema oder Ereignis zutreffen, umso größer ist der Nachrichten wert des Themas, d.h. umso mehr Aufmerksamkeit wird den Thema geschenkt werden. Im Unterschied zur sogenannten Gatekeeper-Theorie (White, 1964) die davon ausgeht, dass Entscheidungen über die Themenauswahl von den individuellen Präferenzen der Journalisten abhängen, oder der Newsbias-Forschung, welche die politischen Redaktionslinien (d.h. die von der aktuellen Ereignislage unabhängige grundsätzlich politische Tendenz des Mediums) für die Themenauswahl verantwortlich macht, erachtet die Nachrichtenwerttheorie allgemeine Kriterien des Themas für ausschlaggebend: „Die Definition von Realität wie sie uns von den Nachrichtenmedien dargeboten wird, orientiert sich an einem weitgehend allgemein verbindlichen Kanon von Selektion und Interpretationsregeln. Welche Ereignisse zu Nahrichten werden und welche nicht welchen Ereignisse ein hoher und welchen ein niedriger Nachrichtenwert zukomme, darüber besteht unter Journalisten ein ausgeprägter Konsens.“ (Schulz, S. 1976, S. 116; vgl. auch Mauer/Reinemann, 2006). In Anlehnung an die Nachrichtewerttheorie geht Kepplinger (Kepplinger/Bastian, 2000) von einem Zwei-Komponenten-Modell aus: Auf der einen Seite sind die Eigenschaften des Ereignisses (die Nachrichtefaktoren) wichtig für die Themenauswahl, zum anderen aber auch die dem Medium spezifischen Selektionskriterien, wobei unterschiedliche Medien durch unterschiedliche strukturelle Bedingungen unterschiedliche Kriterien haben können.

[71] Manche de Faktoren wie Nähe zum Publikum gelten zeit- und kulturübergreifend. Andere verändern sich im Lauf der Zeit oder unterscheiden sich von Zielgruppe zu Zielgruppe. Für unterschiedliche Auflistungen siehe u.a. Schulz, 1976, S. 106 und 116; Maurer/Reinemann, 2006, S.104; Hausmann, 1994, Kepplinger/Bastian, 2000, und Jansen/Roberto, 1997.

[72]Framing ist ein Vorgang, bei dem a) bestimmte Objekte und Relationen zwischen Objekten betont, also bestimmte Ausschnitte der Realität beleuchtet werden, und b) bestimmte Maßstäbe bzw. Attribute, die man an Objekte anlegen kann, salient gemacht werden.“ (Scheufele,2003, S.46f.) Bzw. laut Entman ist Framing “selecting and highlighting some facts of event or issues and making connections among them to promote a particular interpretation, evaluation and or solution.” (Entman, 2004, S. 5). Ein Beispiel für verschiedene Interpretationsmuster wäre, dass sich die bei der jüngsten Finanzkrise von verschiedenen Regierungen vergebenen Konjunkturpakete entweder positiv als Unterstützung der Wirtschaft oder negativ als steigende Staatsverschuldung framen ließen. Die kommunikationswissenschaftliche Definition von Framing unterscheidet sich daher leicht von der psychologischen Definition. Während in den Kommunikationswissenschaften meist davon ausgegangen wird, dass sich der Inhalt durch die Hervorhebung einzelner Aspekte ändert, bleibt der Inhalt beim psychologischen Framing gleich, nur die Darstellung ändert sich (vgl. Tversky/Kahneman, 1981). So kann z.B. bei einem Bombenangriff psychologisches Framing darin bestehen, von 60 Prozent Überlebenden zu sprechen statt von 40 Prozent Toten. Beim Framing gemäß den Kommunikationswissenschaften wäre es hingegen möglich, die Opfer gar nicht zu erwähnen, sondern den Bombenangriff nur als einen „strategisch erfolgreichen Zug“ herauszustellen.

Frames werden häufig mit Schemata gleichgesetzt. Allerdings handelt es sich laut Entman bei Schemata um mentale „Kategorisierungen“, d.h. automatische Vorgänge im Kopf, während Frames explizit und bewusst von außen geformt werden. Gute Frames enthalten laut Entman Worte, die gut verständlich und erinnerbar sowie emotional geladen und kulturell kongruent sind.

[73] „They seek to maximize attention for their work, they try to minimize costs of investigation and research and to use their sources to their greatest professional benefit and so forth.“ (Ruß-Mohl, 2002; S. 673)

[74] Vgl. Downs, 1968 S. 75 in Bezug auf die Informationsbeschaffung der Wähler.

[75] Kosten fallen bei der Recherche nicht nur explizit durch die Recherche an sich an (wie etwa durch Telefonkosten), sondern auch implizit dadurch, dass die Wahrscheinlichkeit, dass ein anderer Journalist die Story aufdeckt, umso mehr wächst, je länger der Journalist recherchiert.

[76] Vgl. Kirchgässner, 1991, S.8.; Mc Manus, 1994

Ende der Leseprobe aus 70 Seiten

Details

Titel
Vom Wachhund zum Schoßhund? Eine Analyse der Beziehung von Journalisten und Politikern anhand des Rational-Choice-Ansatzes
Untertitel
Rational Choice in den Medienwissenschaften
Hochschule
Universität zu Köln
Note
1,0
Autor
Jahr
2010
Seiten
70
Katalognummer
V173599
ISBN (eBook)
9783640938506
ISBN (Buch)
9783640938414
Dateigröße
1009 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Rational Choice, Medienwissenschaft, Politikwissenschaft, Journalismus
Arbeit zitieren
Vanessa Köneke (Autor:in), 2010, Vom Wachhund zum Schoßhund? Eine Analyse der Beziehung von Journalisten und Politikern anhand des Rational-Choice-Ansatzes , München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/173599

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