Eine zu bejahende und sogar rühmende Sicht auf Gewalt vermitteln zu wollen, wirkt verstörend. Diese Verstörung nimmt nicht ab, wenn man Sorels Betrachtungen über die Gewalt liest. Gewalt, Entscheidungskampf, Krieg – mit solchen Begriffen stellt sich Sorel gegen ein Gesellschaftsmodell, das auf Kompromiss und Integration aller Gruppen ausgelegt ist. Der Vorwurf zivilisatorischer Rückwärtsgewandtheit drängt sich dem Leser spontan auf. Sorel, der sowohl mit einem marxistischen Selbstverständnis als auch aus einer moralisch begründeten Perspektive vom Übergang zum Sozialismus schreibt, erinnert zugleich an historisch längst überwunden geglaubte Verhältnisse, wenn er mit Begeisterung ein Ideal des Krieges und der Gewalt beschwört. Auch wenn der Glaube an die zivilisatorische Überlegenheit der Gegenwart stets ein Vorurteil gegenüber vergangener Epochen ist, bleibt doch das ungute Gefühl, dass Sorel mit moralisch zu verurteilenden Instrumenten die verheißungsvolle Zukunft durchsetzen und mit Mitteln der Barbarei den Sozialismus schaffen möchte. Was bei Marx ein notwendiges Übel ist, die Gewalt als Geburtshelferin jeder neuen Gesellschaft, wird bei Sorel zu einem gesellschaftlichen Prinzip, welches den Fortschritt überhaupt erst ermöglicht.
Die Frage wie aus Gewalt etwas entstehen kann, noch dazu etwas, das als Fortschritt zu dem gelten kann, was sie zuvor oder zugleich abgerissen hat, drängt sich von selbst auf. Sorel stellt sich diese Frage selbst im sozialistischen Sinne: „Das Problem, um dessen Lösung wir uns nunmehr bemühen wollen, ist das Schwierigste von allen denen, die ein sozialistischer Schriftsteller anzuschneiden vermag: Wir müssen uns nun nämlich fragen, wie es möglich ist, sich den Übergang der heutigen Menschen zu dem Zustande freier, in Betrieben ohne Herren arbeitender, Produzenten vorzustellen2.“
In einer Zeit, in der die Sozialisten Europas sich darüber stritten, wie die Transformation vom Kapitalismus zum Sozialismus zu denken und umzusetzen sei und sich gleichzeitig am Vorabend des ersten Weltkrieges eine Epoche der Gewaltausbrüche ankündigte, veröffentlichte Sorel die Betrachtungen über die Gewalt und bot damit den Versuch an, Gewalt und Emanzipation als zwei Seiten einer Medaille zu lesen. Diese Hausarbeit will dieses auch heute noch schwierige Unterfangen verständlich machen.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Mythos und Utopie
- Klassenkampf und Tendenz zum sozialen Ausgleich
- Generalstreik als Krieg
- Gewalt und Mythos
- Fazit
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Der vorliegende Text analysiert Georges Sorels "Betrachtungen über die Gewalt" und untersucht, wie Gewalt in Sorels Denken mit dem Konzept des Mythos verknüpft ist. Dabei geht es um die Rezeption der Gewalt durch Sorel und die Frage, wie Gewalt als ein Mittel zum Sozialismus verstanden werden kann.
- Die Rolle des Mythos in Sorels Revolutionsvorstellung
- Die Verbindung von Gewalt und Mythos in Sorels sozialistischer Theorie
- Die Kritik an der zivilisatorischen Rückwärtsgewandtheit in Sorels Gewaltbegriff
- Die Analyse der Funktion der Gewalt im Kontext des Klassenkampfes
- Die Bedeutung des Generalstreiks als Ausdruck der Revolution
Zusammenfassung der Kapitel
- Einleitung: Die Einleitung stellt Sorels "Betrachtungen über die Gewalt" in den Kontext des frühen 20. Jahrhunderts und beleuchtet die kontroverse Rezeption von Sorels Konzept der Gewalt.
- Mythos und Utopie: Dieses Kapitel erläutert den Begriff des Mythos in Sorels Werk und analysiert die Bedeutung von Mythen als Ausdruck von "Wollungen" einer Gruppe.
- Klassenkampf und Tendenz zum sozialen Ausgleich: Dieses Kapitel untersucht die Verbindung von Klassenkampf und Gewalt in Sorels Denkweise. Es werden die Elemente des Klassenkampfes und die damit verbundene Tendenz zum sozialen Ausgleich dargestellt.
- Generalstreik als Krieg: Dieses Kapitel beschäftigt sich mit dem Generalstreik als einem zentralen Element von Sorels Revolutionstheorie und dessen Interpretation als eine Form des Krieges.
- Gewalt und Mythos: Dieses Kapitel vertieft die Analyse der Verbindung zwischen Gewalt und Mythos in Sorels Werk und untersucht, wie Gewalt durch den Mythos legitimiert und vorangetrieben wird.
Schlüsselwörter
Die wichtigsten Begriffe und Konzepte des vorliegenden Textes sind: Gewalt, Mythos, Sozialismus, Revolution, Klassenkampf, Generalstreik, Utopie, Zivilisation, Barbarei. Darüber hinaus spielen die Werke von Georges Sorel eine zentrale Rolle, insbesondere "Betrachtungen über die Gewalt".
- Quote paper
- Andreas Wiedermann (Author), 2011, Gewalt und Mythos in Georges Sorels Betrachtungen über die Gewalt, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/173633