Der Menschheit schöner Traum. Oder: Prinzip Gerechtigkeit

Zum Begriff und Geschichte der Gerechtigkeit im Lichte philosophisch-ethischer Diskussion.


Hausarbeit, 2011

20 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Auftakt

2 Genealogie der Gerechtigkeit
2.1 Wurzeln
2.1.1 Frühzeitliche Provenienz
2.1.2 Drei Grundprinzipien archaischer Gerechtigkeit
2.2 SiKaioonvp - Basis neuzeitlicher Gerechtigkeit
2.2.1 Platon: von Tugend und Gerechtigkeit
2.2.1.1 Die Idee der Gerechtigkeit im Werke Platons
2.2.1.2 „Über das Gerechte“ in der Politeia
2.2.1.3 Fazit zur platonischen Gerechtigkeit
2.2.2 Aristoteles - vom engen und weitenVerständnis der Gerechtigkeit
2.2.3 Wert und Wirkung der Antike
2.3 Vom personalistischen Ansatz zur Verfahrensgerechtigkeit
2.3.1 Mittelalter und Scholastik
2.3.2 KonzeptionenderNeuzeit
2.3.3 Das 20. Jahrhundert: Relativismus, Liberalismus, Kommunitarismus.

3 Ausklang - Zwischen Freiheit und Gleichheit

Literaturverzeichnis

1 Auftakt

Kaum eine Idee ist so unsagbar wichtig für das Verstehen von Mensch und Gesellschaft, so vielfältig wandelbar, so eingängig und doch im Grunde fremd, wie die Gerechtigkeit. Kaum ein Begriff aber auch, der gleichermaßen strittig ist wie sie.

Ihrem Wesen nach polymorph, ist sie ebenso ein politischer Kampfbegriff wie Ordnungsprinzip und Tugend. Eine Chimäre also, der schwer nur beizukommen ist, mit dem Bemühen, ihre allgemeinsten Mechanismen offen zu legen. Kulturübergreifend suchten und suchen die Menschen eine universelle Antwort zu finden, auf die Frage hin, was denn Gerechtigkeit vom Grunde auf sei, und die Mannigfaltigkeit ihrer Antworten in Geschichte und Gegenwart macht umso deutlicher, dass die Frage der Gerechtigkeit immer wohl Aporie bleiben muss. Sicher haben sich im Laufe der Debatte konkrete Denk- bzw. Spielarten der Gerechtigkeit herauskristallisiert, die Schwerpunkte allerdings verschieben sich kontinuierlich.1 Ein fundamentales Prinzip zu konstatieren fällt demnach weiterhin schwer.

In diesem Sinne schickt sich die vorliegende Arbeit an, lediglich einen kritischen Überblick zu gewähren, über die Lokalisation des Gerechtigkeitsbegriffs in Gegenwart und Vergangenheit. Dabei soll es vordergründig um ein prinzipielles Verstehen, teilweise auch Beurteilen derjeweiligen Ansätze der Geistesgeschichte gehen, also expressis verbis um einen Versuch allgemeinen und rein theoretischen Herangehens.

Dahin gehend ist der Hauptteil der Arbeit der Genealogie der Gerechtigkeit gewidmet, das heißt den Begriffsursprüngen mit besonderer Berücksichtigung archaischer (vor allem altjüdischer) sowie antiker Vorstellungen der Gerechtigkeit. Darüber hinaus wird die konzeptionelle Entwicklung anhand unterschiedlicher Theorien von Antike bis Moderne zu skizzieren versucht.

Es folgt abschließend eine kurze Zusammenfassung und fernerhin der kritische Hinweis auf die spezifischen Probleme im Zusammenhang mit den dargebotenen Gerechtigkeitskonzeptionen.

2 Genealogie der Gerechtigkeit

Um sich der Gerechtigkeit in ihrer Vielgestaltigkeit nähern zu können, ist es zunächst ratsam, einen Überblick über den Begriff selbst und seine sich vor dem Hintergrund der Geistesgeschichte wandelnde Bedeutung zu gewinnen.

Im ersten Teil dieses Kapitels, ist vornehmlich das frühzeitliche Ideenfundament zu beleuchten beabsichtigt. Im zweiten Teil werden sodann die beiden bedeutsamsten Gerechtigkeitskonzeptionen der klassischen Antike vorgestellt. Platons Idee der Gerechtigkeit wird hierbei den Schwerpunkt nicht nur des Kapitels, sondern der Arbeit in toto darstellen. In den folgenden beiden Teilen ist ferner intendiert, die wesentlichen Modelle des Mittelalters und der Neuzeit zu umreißen, um schließlich die Positionen der Gegenwart darzustellen.

2.1 Wurzeln

2.1.1 Frühzeitliche Provenienz

Die Vorstellung der Gerechtigkeit ist ein globales Phänomen, das in praktisch allen Weltkulturen aufzufinden ist, auch wenn nicht jede Kultur einen konkreten Begriff vorweisen kann, diese zu beschreiben. Der klassische Konfuzianismus sei hier als Beispiel genannt.2

Eine Besonderheit gerade frühzeitlicher bzw. archaischer Kulturen stellt ferner die religiöse Qualität3 der Gerechtigkeitskonzeptionen dar. Sowohl das vorsokratische Griechenland, als auch die Kulturen Ägyptens und Mesopotamiens gründen ihre Gerechtigkeit aufReligion und kosmische Ordnung.4

Jedoch sollte diese oberflächliche Gemeinsamkeit nicht über das hohe Maß an Divergenz der einzelnen Konzepte hinweg täuschen. So ist das universalistische Konzept Ägyptens - ma’at - vor allem durch den Einklang von gesellschaftlicher und göttlicher Ordnung charakterisiert, d. h. von einem Moralprinzip, das das Totenreich gleichermaßen bestimmt, wie das Leben. Denn:

„Die ägyptische „Gerechtigkeit“ verbindet die Gerechtigkeit im strengen Sinn: das, was die Menschen einander schulden, mit dem, was sie der göttlichen Ordnung schulden und mit einer wechselseitigen Verantwortung füreinander, mit Solidarität.“5

Wohingegen die Gerechtigkeit im archaischen Griechenland, festgemacht an den großen Epen Homers, zunächst dominiert bleibt, durch eine agonale Kultur des Faustrechts, dessen höchster Wert - timê , die Ehre des Einzelnen beschreibt.6 Ein drittes und letztes Beispiel findet sich in Altisrael, genauer noch im Alten Testament. Die altjüdische Gerechtigkeitsvorstellung - np!2£ - enthebt sich dem menschlich Fassbaren und wird erst - als Ausdruck göttlichen Willens - verständlich in der Bundestreue JHWH mit dem Volke Israel.7 Ein Bund freilich, der nicht auf Gleichberechtigung beruht. Ein allgemeines Verständnis dieses sehr eigenen Gerechtigkeitsbegriffs ermöglicht die Interpretation der alttestamentarischen Erzählungen Salomos.8 Zwar kommt in diesen der Begriff der Gerechtigkeit faktisch nicht vor, so sind sie doch um so mehr imstande, das altjüdische Gerechtigkeitsdenken darzustellen. Denn als Gott Salomo einen Wunsch gewährt, ist es keine weltliche Begierde, die Salomo leitet, sondern das Verlangen, Gottes Wort zu gehorchen und dadurch ein tiefes Verständnis von Gut und Böse zu erlangen.9 Es bedarf ferner keiner direkten Einsicht in Gottes Gerechtigkeitjedoch aber Frömmigkeit und Treue, um gerecht zu handeln.

„Gerechtigkeit ist also nicht eine den Einzelvorschriften vorangehende Tugend, aus der heraus Gesetze geschaffen und legitimiert werden können, sondern sie entsteht erst aus der Befolgung der Gesetze, die selbst keiner anderen Legitimation bedürfen als ihrer Quelle im Willen Gottes.“10

2.1.2 Drei Grundprinzipien archaischer Gerechtigkeit

Es bleibt festzuhalten, dass trotz aller inhaltlicher Disparität11 sich die frühzeitlichen Gerechtigkeitskonzeptionen in wesentlichen Punkten ähneln. Wie oben erwähnt, ist es der Gottesbezug, aber auch der Glaube an eine kosmische Ordnung - wenngleich auch dieser unterschiedlich ausgeprägt ist - der sie vergleichbar macht. Darüber hinaus schwingen, vor allem in griechischer und jüdischer Vorstellung, drei weitere Bedeutungen mit, wenn von Gerechtigkeit die Rede ist.

„Die mit eingeschlossenen Elemente sind [...]: der Friede (eirêne,pax), das Glück im Sinne eines gelungenen Lebens (eudaimonia, felicitas bzw. beatitudo) sowie dessen Steigerung zum Heil (makariotês).“12

Dieser umfassende Begriffsgehalt macht einmal mehr deutlich, dass es der archaischen Gerechtigkeit - gleich welcher Kultur - vor allem an Trennschärfe mangelt und sie weit Zurückbleiben muss, hinter dem, was die klassische Antike iustitia bzw. dikaiosyne nennen wird.

2.2 öiKaioawq - Basis neuzeitlicher Gerechtigkeit

2.2.1 Platon: von Tugend und Gerechtigkeit

2.2.1.1 Die Idee der Gerechtigkeit im Werke Platons

Die Idee der Gerechtigkeit (dikaiosyne) ist untrennbar verbunden mit dem berühmten Schüler Sokrates,,. Ist er (Platon) doch einerseits Vater der Ideenlehre und andererseits Vertreter einer Gerechtigkeitskonzeption, die im Gegensatz zum archaischen Modell, ganz ohne religiöse Dimension zu denken ist. Gott wird substituiert mit dem Guten - nicht Gott, sondern das Gute (agathon) ist nun Quell und übergeordnetes Prinzip der Gerechtigkeit.13

Zudem ist bemerkenswert, dass die grundlegenden Ansätze neuzeitlicher Gerechtigkeitstheorien14 bereits im Gorgias sowie in der Politeia und den Nomoi antizipiert sind. Da die Argumentation anhand einer Gerechtigkeit verlangenden, kosmischen Ordnung und im Hinblick auf das Unrecht strafende Jenseitsgericht14 im Gorgias, mit seinen späteren Thesen in der Politeia kaum Schritt zu halten vermag15, soll er hier im Weiteren unbeachtet bleiben, und der Fokus auf Platons Hauptwerk gerichtet sein.

2.2.1.2 „Über das Gerechte“ in der Politeia

Schon im ersten Buch der Politeia wird das Problem der Gerechtigkeit als zentrale Frage aufgeworfen. Es gilt zwar bereits hier, dass Ungerechtigkeit niemals lohnenswerter sein kann als Gerechtigkeit. Dieser Schluss allerdings wird allein dadurch relativiert, dass es seiner Herleitung willen, des Wissens um das Wesen der Gerechtigkeit bedarf, das hier (im ersten Buch) allerdings noch im Verborgenenbleibt.16

Ferner wird im zweiten Buch die Deduktion als Methode der Gerechtigkeitsuntersuchung gewählt, wenn Sokrates sagt:

„Gerechtigkeit ist doch Sache des einzelnen Menschen wie eines ganzen Staates? [...] Vielleicht ist nun in einem größeren Gebilde eine größere Gerechtigkeit drinnen, die leichter zu erkennen ist? [369a] Wenn ihr wollt, dann untersuchen wir zuerst an den Staaten ihr Wesen und dann wollen wir sie auch in jedem einzelnen betrachten, wobei wir das größere in seiner Ähnlichkeit mit der Gestalt des Kleineren überprüfen.“17

Ist hier vom Staat bzw. von den Staaten als Objekt der Untersuchung die Rede, so ist damit ausschließlich Platons Idealstaat gemeint, den er im Folgenden zu entwerfen sucht. Denn nur der gute Staat ist auch gerecht.18

Darüber hinaus nehmen hier zwei unterschiedliche Gerechtigkeitsdimensionen Form an, zwischen denen jedoch Platon anders als Aristoteles noch nicht zu differenzieren vermag.19 Eine personelle und eine institutionelle/politische Dimension. Zwar kann grundsätzlich von einem personalistischen Ansatz Platons gesprochen werden, wenngleich aber zu bedenken ist, dass der Einzelne ob seiner politischen Natur (bei Aristoteles zoon phsei politikou) immerzu mit der Polis in Wechselbeziehung gedacht werden muss bzw. erst im Verhältnis zu ihr seinen Wert erhält.

[...]


1 Wenn in Archaik und Antike noch personalistische Gerechtigkeitskonzeptionen dominierten, so ist der zeitgenössische Diskurs prozeduralistisch geprägt.

2 Vgl. Weber-Schäfer, Peter, Gerechtigkeitsvorstellungen im konfuzianischen Denken, in: Münkler, Herfried/Llanque, Marcus (Hrsg.), Konzeptionen der Gerechtigkeit. Kulturvergleich - Ideengeschichte - Moderne Debatte, Baden-Baden 1999, 43.

3 Vorab will hier erwähnt sein, dass die Mehr- und Doppeldeutigkeit dieser Konzepte moderne Gerechtigkeitsdimensionen sprengt.

4 Vgl. Höffe, Otfried, Gerechtigkeit. Eine philosophische Einführung, München 2001, 13.

5 Höffe, Gerechtigkeit, 14.

6 Vgl. Horn, Christoph/Scarano, Nico, Philosophie der Gerechtigkeit. Texte von der Antike bis zur Gegenwart, Frankfurta.M. 2002, 18/19.

7 Vgl. Weber-Schäfer, Peter, Die Gerechtigkeit des Herrn. Zur Gerechtigkeitsvorstellung der jüdischen Prophetie, in: Münkler, Herfried/Llanque, Marcus (Hrsg.), Konzeptionen der Gerechtigkeit. Kulturvergleich - Ideengeschichte - Moderne Debatte, Baden-Baden 1999, 23.

8 Vgl. Weber-Schäfer, Die Gerechtigkeit des Herrn, 24/25.

9 Vgl. 1Kön 3, 9-10.

10 Weber-Schäfer, Die Gerechtigkeit des Herrn, 29.

11 Man denke nur an den scharfen Kontrast zwischen der auf Solidarität beruhenden ma at-Lehre und dem göttergeduldeten Rachemechanismus der vorsokratischen Griechen.

12 Höffe, Gerechtigkeit, 17.

13 Vgl. Höffe, Gerechtigkeit, 20.

14 So werden im Gorgias durch Kallikles amoralische, in der Politeia durch Thrasymachos ideologiekritische (und damit mit Rousseau vergleichbare) und durch Glaukon kontraktualistische (im Sinne Hobbes, Positionen aufgezeigt, wenngleich sie auch allesamt verworfen werden. Vgl. dazu Horn/Scarano, Philosophie der Gerechtigkeit, 21/22.

15 Vgl. Horn/Scarano, Philosophie der Gerechtigkeit, 23.

16 Vgl. Platon, Der Staat, Stuttgart 2000, 354a-354c.

17 Platon, Der Staat, 368e-369b.

18 Vgl. Platon, Der Staat, 427e-428a.

19 Vgl. Horn/Scarano, Philosophie der Gerechtigkeit, 26/27.

Ende der Leseprobe aus 20 Seiten

Details

Titel
Der Menschheit schöner Traum. Oder: Prinzip Gerechtigkeit
Untertitel
Zum Begriff und Geschichte der Gerechtigkeit im Lichte philosophisch-ethischer Diskussion.
Hochschule
Universität der Bundeswehr München, Neubiberg  (Institut für Theologie und Ethik)
Veranstaltung
Grundlagen der Ethik: Christliche Sozialethik
Note
1,0
Autor
Jahr
2011
Seiten
20
Katalognummer
V173667
ISBN (eBook)
9783640939404
Dateigröße
498 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Gerechtigkeit, Platon, Aristoteles, Religion, Ethik
Arbeit zitieren
Richard Salomo (Autor:in), 2011, Der Menschheit schöner Traum. Oder: Prinzip Gerechtigkeit, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/173667

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