Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1 Einführung
2 Indikatoren von Qualität
2.1 Umgang mit den journalistischen Arbeitsmitteln
2.2 Wahrnehmung der journalistischen Arbeitsprozesse
2.3 Wissenschaftlich fundiertes Abstraktionsniveau
3 Qualitätsvorgaben
3.1 Anforderungen der Mediensysteme
3.2 Abhängigkeiten von Werbung
3.3 Zusammenwirken mit Public Relations
3.4 Ethik
3.5 Recht
3.6 Normen
4 Qualitätskontrolle
5 Folgerungen für Studienangebote
Literatur- und Quellenverzeichnis
1 Einführung
Was ist damit gemeint, wenn die „Qualität“ in Theorie und Praxis des Journalismus thematisiert wird? Welche Merkmale mag jene Qualität haben – und welche Ausprägungen kennzeichnen sie?
Unterstellt wird bei der noch offenen Frage nach einer Qualitätsdefinition immerhin ein Zusammenhang von Theorie und Praxis im Journalismus. Die Praxis desselben ist dabei greifbar und daher vorstellbar, weil uns die Produkte der journalistischen Praxis im Alltag nahezu unausweichlich umgeben. Sie sind – das ist festzuhalten – in der Regel nach branchenüblichen Regeln erstellt worden. Aber sie sind keine Einzelwerke, daher auch keine Kunstwerke, sondern sie sind Design-Produkte, die außer in der Form auch im Inhalt, ja sogar in der Tendenz den Rahmenvorgaben des jeweiligen Publikationssystems folgen. Journalismus kennen wir nur noch „formatiert“, nicht als Solitäre.
Ist in dieser Hinsicht Qualität vielleicht dann gegeben, wenn der Journalist seinen Rahmenvorgaben in möglichst vollkommener Weise nachkommt?
Und wie ist es mit der Frage der Realitätsabbildung durch den Journalismus – erzählen uns die Journalisten tatsächlich, was in der Welt passiert ist? Wäre das ein Qualitätsmerkmal? Könnten Journalisten dies überhaupt leisten? Allein schon die Prämisse, dass journalistische Produkte den Rahmenvorgaben ihres Systems folgen, stellen diese Vorstellung bereits wieder grundsätzlich infrage.
Oder wie steht es um die Berufung des Journalisten, dem Gemeinwohl zu dienen, also eine soziale, gemeinschaftsbildende Funktion wahrzunehmen? Kann man daran Qualitätsmerkmale festmachen? Journalismusforscher bestreiten derweil diese Ausrichtung des Journalisten: er sei vor allem ein „Homo oeconomicus“ – so sehen es zumindest Susanne Fengler und Stephan Ruß-Mohl.[1]
Und dann ist da noch die politische Dimension mit dem Bild von den Medien als Vierte Gewalt im Staate. Die Rückgewinnung gesellschaftlicher Funktionen des Journalismus würde SWR-Chefreporter Thomas Leif gern als Qualitätsorientierung sehen. Demgegenüber bröckelt, erkennt Leif, diese dereinst profilierte Nachkriegsrolle des Journalismus, denn er sei mit dem Darstellen von Positionen beschäftigt und folge damit einem Politikbetrieb, in dem die Wirtschafts-Lobby den Ton angebe.[2]
Die Paradigmen der Medienethiker aus der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts scheinen ins Vergessen geraten zu sein. Der Journalist als „Hermeneut, der Weltstoff und Weltsituation in ihren Sinngehalten methodisch auslegt“,[3] lebt noch in den letzten „Urgesteinen“ jener Zeit fort, wie z. B. Peter Scholl-Latour. Heutige Ausbildung, Studium und Praxis zielen aber mehr auf das Handwerkliche und die Rahmenbedingungen als auf eine Vision oder gar eine Berufung. Eine dem Journalismus zugehörige Ethik gibt es dennoch sehr wohl.
Zwischen den ökonomischen Bedingungen seiner Branche und unseres Wirtschaftssystems einerseits und ethischen Ansprüchen andererseits arbeitet also der Journalist. In diesem Spannungsfeld wird erwartet, dass er Qualität liefert.
Welche Aspekte von Qualität dem Journalismus und Theorie und Praxis zukommen könnten, ist also zu klären. Daran anschließend stellen sich die Fragen, welche Vorgaben für diese Qualitäten gelten und wer das alles kontrolliert.
Schließlich lassen sich Folgerungen für das Journalistik-Studium ableiten, das nicht nur berufliche Fertigkeiten vermitteln, sondern auch zu einer konstruktiv-kritischen, akademischen Haltung führen soll. Dazu soll in diesem Kontext auch die Frage gehören, welche erkenntnistheoretische Perspektive geeignet ist, den notwendigen Raum für das Bewusstsein der ethischen Verantwortung des Journalisten zu schaffen.
2 Indikatoren von Qualität
Journalistische Qualität wird an den journalistischen Produkten ablesbar sein, und diese Produkte entstehen nicht automatisch, sondern durch die Arbeit kompetenter Journalisten. Zunächst sind daher die beruflichen Kompetenzfelder in den Blick zu nehmen, um danach einige Indikatoren aus dem Berufsfeld zu identifizieren.
Zu den Basics journalistischer Arbeit gehören Sachkompetenzen – damit ist das Zusammenspiel mit dem System des beauftragenden Medienunternehmens gemeint. Dieser Ansatz schließt Orientierungswissen ein, das dem Journalisten bei Konzeption und Realisation hilft, gepaart mit Gesellschaftswissen und einer grundsätzlich wissenschaftlich geprägten Vorgehensweise.
Des weiteren sind soziale Kompetenzen erforderlich, die einhergehen mit Reflexionsbereitschaft, um sich inhaltlich und systemisch stets auf dem neuesten Stand bewegen zu können. Der Journalist muss sich mit seinem System über das erwartete Selbstbild verständigen können: soll er Mediator sein, der lediglich Inhalte aufbereitet und vermittelt, oder Kommunikator, der die Rezipienten aus eigenem Antrieb und Ermessen benachrichtigt?
Fachkompetenzen sind zudem als selbstverständlich vorauszusetzen – wer beispielsweise nicht weiß, was „Abseits“ bedeutet und warum ein „Elfmeter“ geschossen werden muss, dürfte ohnehin nicht im Sportjournalismus eingesetzt werden. Das benötigte Fachwissen des Journalisten erstreckt sich aber nicht nur auf sein thematisches Berichtsgebiet; als Fachwissen seines beruflichen Fachs werden auch vertiefte Kenntnisse der jeweiligen Medientechnik, des Medienrechts, der Medienökonomie und der Medienpolitik erwartet.
Technische Kompetenzen beinhalten den Umgang mit Computern und der jeweils benötigten Software. Recherche- und Planungstools müssen beherrscht werden, außerdem Gestaltungsprogramme, damit der Journalist sein Produkt auch gestalterisch einbetten oder sogar umsetzen kann – dies wird dort notwendig sein, wo er selbst Hand anlegen kann oder muss beim Layouten seines Mediums.
Schließlich brauchen Journalisten die Kompetenzen zur Vermittlung: Präsentationen sind zu erstellen, die thematisch, sprachlich und gestalterisch auf dem Stand der Zeit sind und den Rezipienten erreichen können. Zu diesem Kompetenzfeld gehört auch die Vertrautheit mit den Formaten, den Darstellungsformen der Medien – und die eigene Erfahrung aus dem aktiven Umgang damit.[4]
Welche Indikatoren lassen sich im Berufsfeld festmachen? Um hier überschaubar bleiben zu können, seien als Indikatoren der Umgang mit den journalistischen Arbeitsmitteln, die exakte Wahrnehmung der journalistischen Arbeitsprozesse sowie das wissenschaftlich fundierte Abstraktionsniveau des Journalisten genannt.
2.1 Umgang mit den journalistischen Arbeitsmitteln
Ob es sich um Print-, Online-, Radio- oder TV-Journalismus handelt: Vertrautheit mit den unterschiedlichen Berichtsformen ist vorauszusetzen. Stephan Ruß-Mohl beschreibt dazu die Textgattungen, die jeweils einzusetzende journalistische Sprache und auch den Umgang mit Zahlen und Statistiken.[5]
Auch Walther von La Roche hat unter primär „handwerklicher“ Perspektive die journalistischen Arbeitsmittel beschrieben und mit seiner Einführung manchem heutigen Journalisten einen strukturierten Einblick in sein künftiges Arbeitsfeld gegeben. Er unterscheidet die Darstellungsformen und vermag sie mit nachvollziehbaren Beispielen zu verdeutlichen.[6]
Die Einhaltung solcher beruflichen Standards, sozusagen „das Handwerkliche“, ist bei der Rezeption journalistischer Produkte gut überprüfbar und kann als erstes Qualitätsmerkmal gelten. Spannende Schreibe, gründliche Recherche und sorgfältiger Umgang mit gegensätzlichen Argumenten werden von den Rezipienten auch heute noch gewürdigt.
Stephan Ruß-Mohl hat zudem Qualitätskriterien zusammengestellt, die im journalistischen Alltag gelten und umgesetzt werden könnten. Dazu gehören Verständlichkeit, Aktualität / Relevanz, Objektivität, Interaktivität, Originalität und Transparenz / Reflexivität. Er geht auf Zielsetzungen und Strategien zur Fehlerkorrektur ein und skizziert so ein Szenario für den Redaktionsalltag, das umsetzbar ist und die journalistische Arbeitsweise als Qualitätsindikator in die Pflicht nimmt.[7]
2.2 Wahrnehmung der journalistischen Arbeitsprozesse
Auswahl, Recherche, Produktion und Redaktion sowie medienspezifische Umsetzung folgen festen Regeln. Da arbeitet auch der freiberuflich tätige Journalist nicht mehr als Einzelner, sondern im Verbund mit anderen.[8]
Das wichtige Thema der Recherche hat Michael Haller formalisiert. Er legt einen Strukturvorschlag vor, der in mancher Hinsicht an die Grundregeln und Qualitätskriterien der Wissenschaftlichkeit erinnert. Fast wie ein Drehbuch liest sich sein Rechercheplan – die Auseinandersetzung damit ist ein Muss für den Journalismus-Studenten.[9]
An dieser im Vergleich zu den Arbeitsmitteln etwas abstrakteren und diffuseren Ebene der Arbeitsprozesse knüpft die wissenschaftliche Reflexion über den Journalismus an. Wesentliche Merkmale der journalistischen Arbeitsprozesse gehören dazu, insbesondere als soziale Dimension der eigenen Profession.
Siegfried Weischenberg sah bereits nach Beginn des Privatrundfunks und der deutschen Einheit den Journalismusbegriff stets komplexer werden, aufgrund von Kommerzialisierungs- und Technisierungsprozessen in den Mediensystemen. Er führte daher die Systemtheorie als Verständnishilfe ein: Sie begreife den Journalismus als Handlungszusammenhang, eingebunden in soziale Prozesse, und unterscheide sich von ontologischen Sichtweisen, die sich auf das Wirken unabhängiger journalistischen Individuen beschränken oder die Journalisten als Anwälte der gesellschaftlichen Kommunikation idealisieren.[10]
Die Einbindung des Journalisten in die journalistischen Arbeitsprozesse und seine Reflexion dieser Prozesse, als Wahrnehmung im Sinne von Beteiligung und von kritischer Durchdringung verstanden, mag daher als zweites Indikatorenfeld für Qualität in Theorie und Praxis verstanden werden.
[...]
[1] Vgl. Fengler and Ruß-Mohl 2005
[2] Vgl. Leif 2005, S. 32.
[3] Boventer 1984, S. 17.
[4] Vgl. Gertler 2004, S. 35 f.
[5] Vgl. Ruß-Mohl 2003, S. 54 - 122.
[6] Vgl. Von La Roche 2004, S. 44 - 163.
[7] Vgl. Ruß-Mohl 2003, S. 334 - 337.
[8] Vgl. Ruß-Mohl 2003, S. 123 - 189.
[9] Vgl. Haller 2008
[10] Vgl. Weischenberg 1992, S. 41.