Am 17. September 2007 erging das Urteil des Europäischen Gerichts Erster Instanz in Sachen Microsoft, das weit reichende Konsequenzen für den Softwarehersteller hat. Die eine Folge ist, dass Microsoft von nun an sein PC-Betriebssystem Windows in zwei Versionen anbieten muss (eine mit und eine ohne den Windows Media Player). Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit der zweiten Folge des Urteils, der sog. „Interoperabilitätsverfügung“. Microsoft wurde verpflichtet, bestimmte Schnittstelleninformationen offen zu legen. Das Unternehmen beherrscht seit langem den Markt für PC-Betriebssysteme. Es weigerte sich jedoch, die Schnittstelleninformationen zu seinem PC-Betriebssystem Windows 2000 Wettbewerbern auf dem nachgelagerten Markt für Arbeitsgruppenserverbetriebssysteme zur Verfügung zu stellen. Diese waren somit nicht in der Lage, Produkte herzustellen, mittels derer eine Kommunikation zu Rechnern mit Windows 2000 möglich war. Lediglich die Arbeitsgruppenserverbetriebssysteme von Microsoft konnten mit dem neuen Betriebssystem interagieren. Die Europäische Kommission warf Microsoft vor, die Dialogfähigkeit zwischen den besagten Produkten bewusst einzuschränken und stellte einen Missbrauch der marktbeherrschenden Stellung auf dem Markt für PC-Betriebssysteme fest. In ihrer Entscheidung vom 24. März 2004 gab sie dem Unternehmen auf, die vollständige Interoperabilität zwischen den fremden Arbeitsgruppenserverbetriebssystemen und dem eigenen PC-Betriebssystem herzustellen. Microsoft sollte die dazu erforderlichen Schnittstelleninformationen seinen Wettbewerbern zur Verfügung stellen. Diese Verpflichtung wurde durch das Urteil des Europäischen Gerichts Erster Instanz im letzten Jahr bestätigt.
Die Interoperabilitätsverfügung erging im Rahmen der Essential Facility Doctrine und ist in die Linie der Rechtssachen Magill und IMS Health einzuordnen, welche die Missbräuchlichkeit von Lizenzverweigerungen zum Gegenstand hatten. Das Urteil zum Fall Microsoft weist zahlreiche rechtliche Besonderheiten auf, von denen vorab zwei genannt werden sollen: Zum einen rückt es die Geltung des Innovationswettbewerbs im Spannungsfeld zwischen den Rechten des geistigen Eigentums und dem Europäischen Kartellrecht in den Mittelpunkt der rechtswissenschaftlichen Diskussion. Zum anderen räumt das Urteil dem Konsumentenschutz bei der kartellrechtlichen Missbrauchskontrolle eine besondere Bedeutung ein.
Inhaltsverzeichnis (Table of Contents)
- Einleitung
- Allgemeines
- Technischer Hintergrund
- Rechtscharakter von Schnittstelleninformationen
- Bisherige Problematik der Schnittstellenoffenlegung
- Die Interoperabilitätsverfügung in Microsoft Corp./Kommission
- Rechtsgrundlage
- Die marktbeherrschende Stellung
- Der erforderliche Grad an Interoperabilität
- Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung
- Analyse der Interoperabilitätsverfügung
- Die Schnittstellenproblematik im Spannungsfeld zwischen Kartellrecht und Recht des geistigen Eigentums
- Die außergewöhnlichen Umstände im Fall Microsoft
- Weitere außergewöhnliche Umstände in der Rechtssache Microsoft?
- Innovationswettbewerb und Innovationsmissbrauch
- Das Diskussionspapier der Europäischen Kommission
- Stellungnahme und Ausblick
- Der modifizierte Prüfungsmaßstab
- Eigene Beurteilung der Interoperabilitätsverfügung
- Auswirkungen auf zukünftige Schnittstellenoffenlegungsproblematiken
- Fazit
Zielsetzung und Themenschwerpunkte (Objectives and Key Themes)
Die vorliegende Arbeit analysiert das Urteil des Europäischen Gerichts Erster Instanz im Fall Microsoft vom 17. September 2007, welches die Offenlegung von Schnittstelleninformationen durch Microsoft zur Herstellung von Interoperabilität mit anderen Betriebssystemen betrifft. Das Hauptziel ist es, die rechtlichen und wirtschaftlichen Aspekte der Interoperabilitätsverfügung im Kontext des Europäischen Kartellrechts und des Rechts des geistigen Eigentums zu untersuchen.
- Spannungsfeld zwischen Kartellrecht und Recht des geistigen Eigentums
- Die Rolle von Interoperabilität in der Computerindustrie
- Missbrauch marktbeherrschender Stellung durch Verweigerung von Schnittstelleninformationen
- Innovationswettbewerb und Schutz des geistigen Eigentums
- Konsumentenschutz in der kartellrechtlichen Missbrauchskontrolle
Zusammenfassung der Kapitel (Chapter Summaries)
Die Einleitung beleuchtet den technischen Hintergrund des Rechtsstreits und die Bedeutung von Schnittstelleninformationen in der Computerindustrie. Anschließend wird die Interoperabilitätsverfügung im Detail dargestellt, inklusive der rechtlichen Grundlagen, der marktbeherrschenden Stellung von Microsoft und der Argumentation der Europäischen Kommission bezüglich des Missbrauchs dieser Stellung.
Kapitel C analysiert die Interoperabilitätsverfügung kritisch unter dem Gesichtspunkt des Spannungsfelds zwischen Kartellrecht und Recht des geistigen Eigentums. Die außergewöhnlichen Umstände im Fall Microsoft werden beleuchtet, darunter die Unerlässlichkeit der Offenlegung von Schnittstelleninformationen und die möglichen Folgen für den Innovationswettbewerb.
Kapitel D bietet eine Stellungnahme der Verfasserin zur Interoperabilitätsverfügung und blickt auf die Auswirkungen des Urteils auf zukünftige Fälle der Schnittstellenoffenlegung.
Schlüsselwörter (Keywords)
Die Arbeit befasst sich mit den zentralen Themen der Schnittstellenoffenlegung, Interoperabilität, Missbrauch marktbeherrschender Stellung, Innovationswettbewerb, Kartellrecht, Recht des geistigen Eigentums, Konsumentenschutz und dem Fall Microsoft. Die Erkenntnisse aus der Analyse des Urteils liefern wichtige Einblicke in die Beziehung zwischen Wettbewerbsschutz und Schutz des geistigen Eigentums in der digitalen Wirtschaft.
- Citation du texte
- Livia Wagner (Auteur), 2008, EuG, Urteil vom 17.09.2007, T-201/04 – Microsoft Corp./Kommission, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/174000