Um Luhmanns systemtheoretische Betrachtungsweise der Gesellschaft nachvollziehen
zu können, erscheint es in einem ersten Schritt notwendig, seine Sichtweise auf
moderne Gesellschaften näher zu erläutern. Luhmann kennzeichnet sie anhand zweier
zentraler Merkmale.
1.1 Komplexität
Moderne Gesellschaften sind hoch industrialisiert und verwissenschaftlicht, ihre
Funktionsweisen und Strukturen sind auf mehreren Ebenen miteinander verflochten,
gleichzeitig können nicht mehr alle Bereiche der Gesellschaft miteinander verknüpft
werden.1 Luhmann bezeichnet diesen Zustand als Komplexität. Für den modernen
Menschen ergibt sich daraus eine Überfülle an Optionen. Er ist „[…] stets mit mehr
Möglichkeiten des Erlebens und Handelns [konfrontiert], als aktualisiert werden
können.“2 Diese Fülle an Möglichkeiten, also „[…] alles, was weder notwendig noch
unmöglich ist […]“3, bezeichnet Luhmann als Kontingenz. Aus „[…] Gegenseitigkeit
und wechselseitiger Orientierung und Einflussnahme […]“4 resultiert doppelte
Kontingenz, meint also die Eröffnung neuer und den Ausschluss alter
Handlungsoptionen durch Interaktion.
Nach Luhmann ist eben diese, für den Einzelnen nicht mehr zu bewältigende,
Komplexität das Hauptmerkmal jeder modernen Gesellschaft. Aus dieser Erkenntnis
heraus leitet er die Hauptaufgabe moderner Gesellschaften nämlich die Reduzierung
von Komplexität, also die Selektion von Möglichkeiten, ab.5
1 Vgl. Treibel, Annette: Einführung in soziologische Theorien der Gegenwart, Opladen 2000, S.25.
2 Luhmann, Niklas zitiert nach: Treibel, Annette: Einführung in soziologische Theorien der Gegenwart, Opladen
2000, S.25.
3 Luhmann, Niklas zitiert nach: Treibel, Annette: Einführung in soziologische Theorien der Gegenwart, Opladen
2000, S.38.
4 Treibel, Annette: Einführung in soziologische Theorien der Gegenwart, Opladen 2000, S.38.
5 Vgl. ebd., S.26.
Inhaltsverzeichnis
- 1. Merkmale moderner Gesellschaften
- 1.1 Komplexität
- 1.2 Funktionale Differenzierung
- 2. Systeme
- 2.1 Systemtypen und Systembildung
- 2.2 Sinn und Kommunikation
- 2.3 Autopoiesis
- 3. Literaturverzeichnis
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die vorliegende Hausarbeit analysiert die systemtheoretische Betrachtungsweise der Gesellschaft, wie sie von Niklas Luhmann formuliert wurde. Dabei werden die zentralen Merkmale moderner Gesellschaften, die Rolle von Systemen und die Entstehung von Systembildungen im Rahmen der Luhmannschen Theorie beleuchtet.
- Komplexität und Kontingenz als Kennzeichen moderner Gesellschaften
- Funktionale Differenzierung und ihre Auswirkungen auf soziale Systeme
- System-Umwelt-Differenz als grundlegendes Prinzip der Systembildung
- Unterscheidung zwischen psychischen und sozialen Systemen
- Ebenen der Systembildung: Interaktions-, Organisations- und Gesellschaftssysteme
Zusammenfassung der Kapitel
1. Merkmale moderner Gesellschaften
Dieses Kapitel führt in die systemtheoretische Perspektive von Niklas Luhmann ein und beschreibt die beiden zentralen Merkmale moderner Gesellschaften: Komplexität und funktionale Differenzierung. Es wird erläutert, wie diese Merkmale die Funktionsweise und Struktur der Gesellschaft prägen.
1.1 Komplexität
Der Abschnitt analysiert die zunehmende Komplexität moderner Gesellschaften, die durch Industrialisierung, Verwissenschaftlichung und die Vernetzung von Funktionsbereichen entsteht. Die Überfülle an Möglichkeiten, die sich daraus ergibt, bezeichnet Luhmann als Kontingenz und erklärt, wie sie zu doppelter Kontingenz in der Interaktion führt.
1.2 Funktionale Differenzierung
Dieses Unterkapitel beschreibt die wachsende funktionale Differenzierung moderner Gesellschaften, die sich durch die Spezialisierung von Subsystemen wie Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Recht auszeichnet. Es wird die Beziehung zwischen funktionaler Differenzierung und Komplexität sowie die Bedeutung dieser Entwicklung für den Fortschritt der Gesellschaft dargestellt.
2. Systeme
Kapitel 2 befasst sich mit der zentralen Rolle von Systemen in der Luhmannschen Theorie. Es wird die System-Umwelt-Differenz als grundlegendes Prinzip der Systembildung und die Unterscheidung zwischen psychischen und sozialen Systemen erklärt.
2.1 Systemtypen und Systembildung
Dieser Abschnitt widmet sich den verschiedenen Typen von Systemen, wie psychischen und sozialen Systemen, und untersucht die Prozesse der Systembildung, die durch die Stabilisierung der System-Umwelt-Differenz entstehen. Es werden die drei Ebenen der Systembildung (Interaktions-, Organisations- und Gesellschaftssysteme) vorgestellt und ihre charakteristischen Merkmale herausgestellt.
Schlüsselwörter
Die vorliegende Hausarbeit fokussiert auf die Systemtheorie von Niklas Luhmann, insbesondere auf die Analyse moderner Gesellschaften. Daher stehen Themen wie Komplexität, funktionale Differenzierung, System-Umwelt-Differenz, psychische und soziale Systeme, Interaktionssysteme, Organisationssysteme und Gesellschaftssysteme im Mittelpunkt. Der Schwerpunkt liegt auf der Untersuchung der Prozesse der Systembildung und der Bedeutung dieser Prozesse für die Funktionsweise und Struktur der Gesellschaft.
- Quote paper
- Jan Trützschler (Author), 2003, Die Systemtheorie nach Niklas Luhmann und die Komplexität der Systeme, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/17450