Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Virtuelle Realitäten - Grundlagen und Begrifflichkeiten
3 Lernen und trainieren in virtuellen Realitäten
3.1 Lernen in und mit virtuellen Lernwelten
3.2 Trainieren in virtuellen Trainingswelten
3.3 Leitlinien für den Umgang mit virtuellen Realitäten
3.3.1 Leitlinien für den Umgang mit virtuellen Lernwelten
3.3.2 Leitlinien für den Umgang mit virtuellen Trainingswelten
3.3.3 Wissenserwerb vs. Fertigkeiten - Auswahl der geeigneten VR
3.4 Simulator-Sickness and more - Nebeneffekte von VR
3.5 Transfer von in VR erlernten Fertigkeiten und Wissen auf reale Situationen
3.5.1 Transfervon in virtuellen Lernwelten erlerntem Wissen
3.5.2 Transfervon in virtuellenTrainingswelten erlernten Fertigkeiten
3.6 Erwartungen und Grenzen
4 Einsatz virtueller Realitäten in der militärischen Ausbildung
5 Diskussion
6 Literatur
Anhänge
Anhang A: Formen der Veranschaulichung in Virtuellen Realitäten
Anhang B: Technologische Determinanten der Telepresence
Hinweis: Die Protokolle zu den Interviews mit Sprechern militärischer Ausbildungseinrichtungen der Deutschen Marine wurden aus rechtlichen Gründen aus der veröffentlichten Version dieser Arbeit entfernt.
1 Einleitung
Edwin Albert Link entwickelte in den Jahren 1927 bis 1929, auf der Basis seiner Erfahrungen mit Mechanik und Pneumatik aus dem Klavier- und Orgelbau, ein erstes Simulationsgerät. Mit dessen Hilfe sollten angehende Piloten risikofrei und kostengering notwendiges Wissen und Fertigkeiten des Fliegens erlernen, ohne den Boden zu verlassen. Zu Beginn nur zur Unterhaltung in Vergnügungsparks anerkannt, wurde mit der Zeit auch das Interesse der U.S. Air Force geweckt, da ihr bisheriges Trainingsprogramm mithilfe des Gerätes verbessert werden konnte (L3 Communications, 2010). Der Link-Simulator ging als erster Flugsimulator in die Geschichte ein und hat den Grundstein gelegt zur Entwicklung und Erforschung jener virtuellen Lern- und Trainingswelten, wie sie in der heutigen Zeit zur Unterhaltung sowie zu Ausbildungszwecken genutzt werden.
Erkenntnisse zum Lernen mit traditionellen Medien konnten bis heute einige gewonnen werden (z.B. Weidenmann, 1993). Mit Orientierung auf Virtuelle Realitäten (VR) als Trainingsmedium hingegen gleicht die Erkenntnislage einem undurchsichtigen Urwald. Empirische Untersuchungen zu VR als Trainingspool wurden bisher nur in einzelnen Ansätzen vorgenommen (z.B. Darken & Banker, 1998 und Schlechter & Burnside, 1996).
Hedberg und Alexander (1994) zufolge entwickelt sich das notwendige Umweltverständnis eines jeden Individuums durch bewusste Anteilnahme in der alltäglichen, ordinären Praxis der Gesellschaft. Unter diesem Gesichtspunkt können VR auch als Erweiterung unserer natürlichen Lernumgebung gesehen werden, besonders wenn es um das Erlernen spezifischer Fertigkeiten geht. Kurz auf den Punkt gebracht scheint VR ein geeignetes Tool für das zu sein, was wir umgangssprachlich unter learning-by-doing verstehen.
In der vorliegenden Arbeit soll versucht werden, aus bisher gewonnenen Erkenntnissen zu VR jene zu abstrahieren, die für Lern- und Trainingsprozesse in virtuellen Realitäten von Bedeutung sind, um so einen Leitfaden für die effektive Gestaltung, die Wahl der benötigten VR und den richtigen Umgang mit VR zu entwickeln. Im zweiten Schritt wird anhand von Beispielen aufgezeigt, inwieweit sich Ausbildungseinheiten des amerikanischen sowie des deutschen Militärs VR-basierte Ausbildungssysteme zunutze machen.
2 Virtuelle Realitäten - Grundlagen und Begrifflichkeiten
Wie in vielen anderen Bereichen, stellt die Frage nach der Definition eine erste Herausforderung dar. Dabei gilt auch für den Forschungsbereich der VR, dass die jeweiligen Definitionen zumeist auf den fokussierten Untersuchungsgegenstand ausgerichtet und die darauf folgenden Untersuchungen entsprechend organisiert werden. Gleichermaßen können die Begrifflichkeiten durch den fokussierten Untersuchungsgegenstand variieren. So zeigen Bente, Krämer und Petersen (2002), dass mit dem Fokus auf VR im Sinne kreativer Prozesse und Kunst gern von Artificial Reality gesprochen wird. Ferner weisen die Autoren darauf hin, dass in populärwissenschaftlichen Texten die Begriffe Cyberspace und VR synonym verwendet werden. Ähnlich ergeht es dem wissenschaftlich anerkannten Begriffder Computersimulation. Fürdie Autoren Harmon und Kenney (1994) stellen Simulationen und VR zwei unterschiedliche Medien dar, wobei VR als qualitative Steigerung der Computersimulation erscheint; doch eine eindeutige, definitorische Unterscheidung treffen die Autoren nicht. Nach Bente et al. (2002) hingegen wurde der Begriff der Simulation im populären Sprachgebrauch durch den Begriff VR über die Zeit hinweg verdrängt.
Eine einheitliche Definition von VR ist im wissenschaftlichen Forschungsdiskurs noch nicht zu finden. Hedberg und Alexander (1994) versuchen mit ausgewählten Definitionen die Spannweite jener Definitionsversuche darzustellen. Die Beschreibungen reichen von VR als betretbare Cartoonwelt oder als Computer der Sinne, Gefühle, Denkweisen und Erfahrungen kontrollieren und verändern kann, bis hin zur computergenerierten, multidimensionalen Umwelt, die der Teilnehmer als real akzeptiert.
Bente et al. (2002) sowie Hedberg und Alexander (1994) zeigen auf, dass die meisten Definitionen zunächst auf die Hardwarebedingungen fokussieren, die einen möglichst realistischen Eindruck vermitteln sollen. Dabei werden unter dem Begriff VR verschiedene Systeme klassifiziert, wie z.B. Desktop-VR, Fahrzeug-basierte Systeme, Immersive VR- Systeme bis hin zu Augmented Realities, in denen reale und virtuelle Komponenten gemixt werden und folglich die Intensität der Immersion und Telepräsenz verstärkt werden kann (für eine genauere Übersicht Bente et al., 2002).
In Bezug auf das Lernen und Trainieren in VR kommen mit Hedberg und Alexander (1994), ergänzend zu den Hardwarebedingungen, drei die VR definierenden Dimensionen hinzu, welche Einfluss auf die Wahrnehmung der User haben und folglich auf den Lern- und Trainingserfolg. Die erste Dimension beschreibt den Grad der Immersion, also die Intensität mit jener der User in die virtuelle Welt eintaucht. Die zweite Dimension bezieht sich auf die Detailtreue der repräsentierten Information und die Dritte auf den Grad der Anteilnahme seitens des Users. Den Autoren zufolge beeinflusst die Ausprägung der einzelnen Dimensionen sowie deren Wechselwirkung, ob die Mensch-Computer-Schnittstelle (Interface) dem User bewusst ist, d.h. ob er es hier eher mit Interactive Multimedia zu tun hat. Oder ob jene im Handlungskontext unsichtbar wird und der User sich entsprechend in einerVirtuellen Realität bewegt (siehe Abbildung 1).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Definierende Dimensionen Virtueller Realität in der Ausbildung (nach Hedberg & Alexander, 1994). Die Ausprägung der drei Dimensionen (a), (b) und (c) beeinflussen, inwiefern die Mensch-ComputerSchnittstelle (Interface) vom User wahrgenommen wird und folglich mit einem Interaktiven Multimedium agiert oder sich in Virtuellen Realitäten bewegt.
Die Schnittstelle bezieht sich dabei aufdrei Ebenen: auf visueller, auditiver und haptischer Ebene (Papin & Gorzerino, 1997). Die visuelle Schnittstelle (Visual Interface) zieht die größte Aufmerksamkeit auf sich und ist der wesentliche Grund für die allgemeine Beliebtheit von VR-Technologien. Das Gefühl zur Immersion ist den Autoren zufolge stark verbunden mit der Größe des Sichtfeldes und der stereoskopischen (3D-) Illusion. Der auditiven Schnittstelle (Auditory Interface) werden zwei Möglichkeiten zugeschrieben: zum eiSeite I 5 nen Stereosound und zum anderen 3D-Sound. Letzteres ist den Autoren zufolge nur dann sinnvoll, wenn die Darstellung durch mehr Informationen ergänzt werden soll. Die haptische oder taktile Schnittstelle (Haptic Interface) erscheint als eigenständiges Problemfeld im Rahmen der VR-Forschung. Objekte zu greifen oder zu manipulieren setzt voraus, dass der gleiche Tastsinn mithilfe von Sensoren und entsprechend technischem Equipment erzeugt wird, wie dies bei realen Objekten der Fall ist. Im Grunde müsste mit jener Technik ermöglicht werden, dass die neuronalen Rezeptoren derart stimuliert werden, dass die komplexe Haptik mit all ihren Facetten künstlich hervorgerufen wird. Gaetano Canepa (1997) zufolge erfordert das Design der haptischen Schnittstelle zum einen Wissen über die haptische ,Bildauflösung' bei der Perzeption von Objekteigenschaften und zum anderen Wissen über die menschliche Kinematik, im speziellen der Hand- und Extremitätenbewegungen. Besonders für virtuelle Trainingseinheiten erscheint es sinnvoll im Hinterkopf zu behalten, dass menschliches Verhalten und Entscheidungen durch alle fünf Sinne beeinflusst werden (Canepa, 1997). Wie im Verlauf dieser Arbeit aufgezeigt wird, kommt zu den klassischen Schnittstellen die Schnittstelle der (User-)Bewegung (Movement Interface) hinzu (siehe Abschnitt 3.5.2, S. 32).
Im Sinne eines Definitionsversuchs von VR gibt es folglich zwei Seiten zu betrachten: Einerseits die Art der Technologie, wie z.B. Computerscreens, die dreidimensionale virtuelle Welten abbilden, HMD oder begehbare Räume sowie entsprechendes Zubehör, um weitere Sinne anzusprechen wie z.B. Datenhandschuhe. Auf der anderen Seite steht die Wahrnehmung des Users, d.h. inwieweit er in das Rezeptionserleben involviert ist und wie intensiv das Presenceerleben (siehe Abschnitt 3.2, S. 17) bei ihm ausgeprägt ist (Ben- te et al., 2002) sowie der Grad der aktiven Anteilnahme des Users.
Mit jenem Hintergrund und dem Fokus auf Ausbildung und Training in VR, wird in der vorliegenden Arbeit VR als Lernumgebung aufgefasst, „die räumlich-dreidimensional organisiert ist, die aktiv und selbstgesteuert erkundet werden kann und deren visuelle Präsentation dynamisch dem Explorationsverhalten [...] angepasst wird" (Schwan & Buder, 2002, S. 109.). Innerhalb dessen können der Umfang der Technologie (von Desktop-VR bis Augmented Reality), der Grad der detailgetreuen Präsentation, der Grad der Interaktivität sowie der Grad der Immersion variieren.
Weiterhin soll im Folgenden zwischen virtuellen Lernwelten (VLW) und virtuellen Trainingswelten (VTW) unterschieden werden. Unter VLW werden hier virtuelle Lernumgebungen verstanden, mit dessen Hilfe vorrangig Wissen erworben werden soll. Dies geschieht zumeist mit Desktop-VR, die eine leichte Bedienung unterstützen, sodass kognitive Ressourcen auf die Informationsverarbeitung konzentriert werden können. In VTW werden unterschiedlichste (motorische und kognitive) Fertigkeiten ausgebildet, wie z.B. der Umgang mit Gerätschaften, Problemlösen oderTeamworking.
Eine Unterscheidung in virtuelle Lern- und Trainingswelten ist sinnvoll, weil der Erwerb von Wissen und der Erwerb von Fertigkeiten unterschiedlichen Prozessen unterliegen. Lern- und Trainingsprozesse stellen somit unterschiedliche Anforderungen an VR und sollten in der Forschung, sowie auch in der Anwendung, als unterschiedliche Ausbildungsformen betrachtet werden, auch wenn es Überschneidungen zwischen ihnen geben mag.
3 Lernen und trainieren in Virtuellen Realitäten
Bei der Beschäftigung mit Publikationen rund um den Themenbereich Ausbildung, lernen oder trainieren in VR fällt auf, dass eine Unterscheidung zwischen Lern- und Trainingsprozessen kaum stattfindet und zum Teil aus Untersuchungen zum Lernen mit VR auf ein Training in VR generalisiert wird. Auf dieses Problem weisen auch Morineau, Gorzerino und Papin (1997) hin. Die Autoren verstehen unter Lernen den Erwerb von Informationen aus der Umwelt, während ein Training hauptsächlich auf Reaktionen des Individuums auf die Umwelt fokussiert. Letzteres resultiert demnach aus dem Output (Aktionen) der Individuen und den Folgen in der Umwelt. Lernen hingegen resultiert aus dem kontextuellen Input. In ihrer kognitionspsychologischen Studie untersuchten Morineau et al. den möglichen Einfluss eines Umgebungswechsels von VR zur realen Umwelt, et vice versa, auf die Lernleistung. Eine der Schlussfolgerungen ist, dass virtuelle Umwelten eine hohe Auslastung im Gedächtnis und den Verarbeitungsprozessen verursachen und daher für den Wissenserwerb nicht geeignet sind. Diese Annahme entspricht dem Limited-Capacity-Model von Annie Lang (2000, zit.n. Schwan & Hesse, 2004), welches annimmt, dass verschiedene kognitive Verarbeitungsprozesse um einen gemeinsamen limitierten Ressourcenpool konkurrieren. In Verbindung mit der Cognitive-Load-Theory (siehe Abschnitt 3.1, S. 8) bedeutet dies für das Lernen mit VR, dass die zumeist sehr komplexe mediale Repräsentati- on von VR im menschlichen kognitiven System eine hohe Auslastung verursacht und ein hohes Verarbeitungslevel für sich in Anspruch nimmt (Morineau et al, 1997). Die für effektives Lernen notwendigen kognitiven Ressourcen für Verarbeitungsprozesse zwischen Arbeitsspeicher und Langzeitspeicher wären demnach nicht mehr gegeben.
Dieses Beispiel zeigt, dass Wissenserwerb und Training jeweils unterschiedliche Ansprüche an VR stellen. Mit diesem Hintergrund sollen im Folgenden Anforderungen und Eigenschaften von VLW und VTW beleuchtet, sowie sich daraus ergebende Leitlinien für den Umgang mit jenen aufgezeigt werden. Weiterführend soll auf mögliche Nebeneffekte durch Erlebnisse mit VR eingegangen sowie Erkenntnisse zur zentralen Frage der Übertragbarkeit von in VR erlernten Fertigkeiten auf reale Situationen dargestellt werden.
3.1 Lernen in und mit virtuellen Lernwelten
„Im Konzert der verschiedenen Formen mediengestützter Wissensvermittlung können virtuelle Realitäten aufgrund ihrer räumlichen Situierung im Verbund mit der Interaktivität eine Reihe von wissenserwerbsbezogenen Funktionen übernehmen, für die herkömmliche Medien weniger angemessen sind" (Schwan & Buder, 2002, S. 110). Schwan und Buder konnten aus Untersuchungen zu bisher angewandten VR im Lehrbereich vier Funktionsbereiche ausfindig machen, welche auf den Wissenserwerb Einfluss ausüben. Zum ersten ist dies die Darstellung der Lerninhalte, d.h. wie detailgetreu oder abstrakt der Lernstoff dargestellt wird, zweitens die Interaktivität, drittens die personale Präsenz in virtuellen Lernwelten und die damit verbundenen Kommunikationsmöglichkeiten, sowie viertens die Organisation und Strukturierung von Lernumgebungen.
Darstellung von Lerninhalten. Die Darstellungsart oder auch die mediale Repräsentation, ist besonders zu beachten, wenn es um die Vermittlung komplizierter Sachverhalte geht, das heißt wenn der Lernende voraussichtlich höhere kognitive Ressourcen aufwenden muss, um den Lerninhalt zu verstehen und in seinem Langzeitgedächtnis speichern soll. Erklärt werden kann dies mithilfe der Cognitive-Load-Theory von John Sweller (1993, zit.n. Schwan & Hesse, 2004), dessen Annahme darin besteht, dass das Arbeitsgedächtnis eine begrenzte kognitive Kapazität besitzt und die Darstellung und das Design (medialer) Lernmaterialien Einfluss auf den Lernprozess haben. Dabei entscheiden drei Faktoren darüber, wie kognitiv beanspruchend die Medienpräsentation ist. Zum ersten ist dies die Komplexität des Medieninhalts, die dem Gegenstand selbst inhärent ist und nicht von der Mediendarstellung beeinflusst werden kann. Zum zweiten ist dies der Kenntnisstand des Rezipienten, das heißt, je ausgeprägter seine Kenntnisse über den Gegenstand sind, desto geringer ist die Beanspruchung des Arbeitsgedächtnisses. Der dritte Faktor ist die Art der Mediengestaltung. Aus der Wechselbeziehung der beiden ersten Faktoren ergibt sich bei der Informationsverarbeitung eine bestimmte kognitive Beanspruchung. Ist der Medieninhalt weniger komplex und leicht zu verstehen, führt auch eine hohe zusätzliche Belastung durch die Mediengestaltung nicht zur kognitiven Überlastung des Rezipienten. Ist der Medieninhalt hingegen sehr komplex und es sind nur wenige Kenntnisse seitens des Rezipienten vorhanden, ist der Spielraum der Mediengestaltung nur gering und eine komplizierte Mediendarstellung führt folglich zur kognitiven Überlastung (Schwan & Hesse, 2004; Tibus, 2008).
Abhängig von der Art und Komplexität des Lerninhalts muss folglich darauf geachtet werden, in welcher Form die Inhalte dargestellt werden. Diesbezüglich unterscheiden Schwan und Buder (2002) zwischen gegenständlichen Sachverhalten, die entweder abbildungstreu oder schematisierend illustriert werden, und abstrakten Sachverhalten, die in VR entweder konkretisierend oder metaphorisch vermittelt werden können (für eine tabellarische Übersicht siehe Anhang A).
Nach Schwan und Buder (2002) sind abbildungstreue Darstellungen zumeist zu komplex und daher eher ungeeignet für die Wissensvermittlung. So werden viele Informationen gleichzeitig präsentiert, die zunächst nicht lernrelevant sind. Dies kann zur Folge haben, dass der Lerner seine Aufmerksamkeit nicht auf die relevanten Informationen fokussieren kann, da andere Reize den Fokus auf sich ziehen, oder er aufgrund der Fülle an präsentierten Informationen überfordert wird. Diese Art der Inhaltsdarstellung wird zumeist für virtuelle Trainings, d.h. die Ausbildung von Fertigkeiten, verwendet, da auf diese Weise mögliche Reaktionen der Umwelt auf das Handeln des Trainees simuliert werden können. Um jene Überforderung oder Ablenkung durch lernirrelevante Reize zu verhindern, sind schematisierende Präsentationen in VLW geeignet. Irrelevante Details werden hier durch vereinfachte oder grafische Darstellungen bewusst ausgeblendet, wodurch kognitive Belastungen reduziert und kognitive Ressourcen auf die Verarbeitung der relevanten Informationen fokussiert werden können.
Je nach Ausbildungsinhalt und Komplexitätsgrad des Lernstoffs bietet es sich also an, schematisierende und abbildungstreue Präsentationen zu kombinieren, um z.B. allgemeine oder einzelne Abläufe eines zu erlernenden Systems im ersten - schematisierten - Schritt zu veranschaulichen und im zweiten - abbildungstreuen - Schritt jene im gesamten Kontext einzubinden. „Diese Ergänzung einer virtuellen Realität beispielsweise um textuelle oder grafische Komponenten fördert die Ausbildung multipler Repräsentationen eines Sachverhalts, was wiederum zu einem verbesserten Behalten und einem tieferen Verstehen des Sachverhalts führt" (Schwan und Buder, 2002, S. 114).
Sollen abstrakte Sachverhalte erlernt werden, wie z.B. mathematische Funktionen oder Verlauf und Funktion des Blutkreislaufs, bieten sich entweder konkretisierende oder metaphorische Darstellungen an. Bei der konkretisierenden Form geht es darum abstrakte Sachverhalte bildlich darzustellen und somit das zu Lernende zum Beispiel als dreidimensionale Landschaft oder in dreidimensionalen Verräumlichungen erfahrbar zu machen. Dennoch erfordern, Schwan und Buder, zufolge konkretisierende Darstellungen - im Gegensatz zu abbildungstreuen Präsentationen, die zumeist selbsterklärend sind - entsprechende Vorkenntnisse seitens des Lerners, um die Beziehung zwischen dem Sachverhalt und der Darstellung nachvollziehen zu können. Mithilfe der metaphorischen Darstellungsform werden abstrakte Sachverhalte anhand vertrauter, alltäglicher Sachverhalte zugänglich gemacht. So zum Beispiel die Funktion des Blutkreislaufs, indem personifizierte Blutkörperchen wichtige Gegenstände von einem Organ zum anderen bringen. Durch Analogien zu bekannten Sachverhalten sowie durch Hervorhebungen und Auslassungen können perzeptuelle und kognitive Verarbeitungsprozesse gezielt gelenkt und beeinflusst werden (Schwan und Buder, 2002). Auf der anderen Seite kann dies, den Autoren zufolge, das Problem sein, denn ungünstig gewählte Metaphern können zur Bildung von Fehlkonzepten oder Übergeneralisierungen führen.
Interaktivität. Die Besonderheit virtueller Lernwelten liegt in ihrer Möglichkeit zur Interaktivität. Für eine genauere Vorstellung von der Bedeutung des Begriffs Interaktivität sei hier auf das Herausgeberwerk von Bieber und Leggewie (2004) verwiesen. Im Allgemeinen kann darunter verstanden werden, „dass die Software dem Nutzer/der Nutzerin eine Reihe verschiedener Eingriffs- und Steuerungsmöglichkeiten erlaubt" (Haack, 2002, zit.n. Schaumburg & Issing, 2004, S. 719). Interaktivität kann in verschiedenen Intensitäten auftreten und zeigt sich besonders darin, inwieweit der Mediennutzer den Rezeptionsprozess beeinflussen kann (Goertz, 2004).
Schwan und Buder (2002) zeigen auf, dass das Ausmaß der Interaktivität, abhängig vom Gegenstandsbereich und der didaktischen Konzeption, variiert. Je nach Form der wissenserwerbsbezogenen Interaktion derer sich VR bedienen, können sie, den Autoren zufolge, gruppiert werden in Explorationswelten, Experimentierwelten, Konstruktionswelten oder Trainingswelten. Explorationswelten ermöglichen dem Lernenden den Gegenstandsbereich eigenständig zu erkunden und sinnlich zu erfahren, wobei er das Tempo selbst wählen kann. Da in jenen Lernwelten die Gegenstände oder Elemente aus allen möglichen Perspektiven betrachtet und erkundet werden können, sind Explorationswelten besonders für verstehendes Lernen geeignet. "The student has the difficult task to uncover the relationships between the newly gained knowledge, which demands a high degree of interaction" (Lotens & Riemersma, 1997, S. 107). Experimentierwelten hingegen ermöglichen es dem Lernenden Gesetzmäßigkeiten und Eigenschaften der Objekte zu erforschen. In jener Art von Lernwelt wird es dem Lernenden ermöglicht, Zusammenhänge und Konsequenzen auf Basis visueller Darstellungen, und in Zukunft eventuell auch auf anderen sinnlichen Ebenen, nachzuvollziehen. Dem recht ähnlich sind Konstruktionswelten, in denen der Lerner Objekte oder ganze Welten selbst schaffen kann. Sowohl Experimentier- als auch Konstruktionswelten dienen dem Erwerb mentaler Konzepte der zu lernenden Sachverhalte (Schwan & Buder, 2002). Als vierte Lernwelt nennen die Autoren Trainingswelten, mit denen prozedurale Fertigkeiten ausgebildet werden (siehe Abschnitt 3.2).
Interaktivität als eine der kennzeichnenden Eigenschaften von VR (sowohl in VLW als auch in VTW) entsteht nicht durch den alleinigen Gebrauch seitens des Users; vielmehr muss sie durch VR-Programm-Designer und Tutoren gestaltet werden. Für eine erfolgreiche Nutzung von VLW ist es daher sinnvoll, angestrebte Lernziele systematisch zu gestalten. Für die Gestaltung der Interaktivität in VR gibt es verschiedene Möglichkeiten.
Ein grundlegendes Gestaltungsmittel ist die Strukturierung des Lernprozesses (Schwan & Buder, 2002). Lerner profitieren besonders davon, wenn sie eine konkrete Aufgabenstellung oder ein Lernziel erhalten. Jene können einerseits instruktional in das virtuelle Trainingsprogramm eingebettet oder vom Ausbilder selbst vorgegeben werden. Letzteres bietet den Vorteil, dass der Lernende Rückfragen an den Ausbilder stellen kann. Auch sollte hier beachtet werden, ob der Lernprozess in einzelne Abschnitte unterteilt werden soll. Auf diese Weise kann ein Lernprogramm z.B. in aufsteigender Komplexität durchgeführt werden, wobei einzelne Abschnitte bei Bedarf wiederholt werden können.
Ein weiteres Gestaltungsmittel ist die Anzahl und Art der Handlungsmöglichkeiten, die dem Lerner zur Verfügung gestellt werden. Dazu zählt auch, dass der Lernende Betrachtungsperspektiven und Blickwinkel wechseln - auch jene Perspektiven, die in realen Umgebungen nicht möglich sind - oder auch eine ganz andere Rolle einnehmen kann. Im Rahmen von Lernprozessen sollte jedoch beachtet werden, dass ein großer Umfang an potentiellen Handlungen [...] einerseits zwar mit einem größeren Spielraum bei der Exploration, anderseits aber möglicherweise mit einer zusätzlichen kognitiven Belastung verbunden [ist], denn es müssen vielfache Handlungsmöglichkeiten memoriert, ausgewählt und realisiert werden, was unter Umständen die elaborierte Verarbeitung des eigentlichen Lernstoffes verringern kann (Schwan & Buder, 2002, S. 120).
Ein weiteres Mittel der Interaktivität ist die Unterstützung des Lerners, d.h. angemessene Hilfestellungen anzubieten sowie eine Wissensdiagnose durchzuführen und dem Lernenden ein entsprechendes Feedback zu geben (Schwan & Buder, 2002). So konnten zum Beispiel Bowman, Wineman und Hodges (1999, zit.n. Schwan & Buder, 2002) zeigen, dass die Lernenden von erlerntem Wissen weniger profitieren, wenn jenes nur mit VLW vermittelt wurde. Wird das in VLW erlangte Wissen jedoch mit anderen Unterrichtsformen zusammengebracht, wie z.B. klassischer Unterricht und Gruppendiskussionen zur Reflexion, kann dies die Lernleistung entsprechend verbessern.
Bei der Gestaltung der Interaktivität spielt auch die personale Präsenz eine wichtige Rolle. Die personale Präsenz bezieht sich einerseits auf die Darstellung des Lernenden selbst, andererseits auch auf die Anwesenheit anderer realer oder virtueller Personen. Je nach Art der Darstellung ergeben sich unterschiedliche Möglichkeiten des Feedbacks.
Personale Präsenz. Bei der Darstellung von Personen in VR kann es zum einen darum gehen, auf welche Weise der Lernende selbst dargestellt wird, das heißt, ob er die Ich- Perspektive einnimmt oder aber als Avatar in der VLW abgebildet wird und somit eine Third-Person-Perspektive einnehmen kann. In dieser Perspektive wird es dem Lerner ermöglicht seine eigenen Handlungen zu beobachten und zu reflektieren. Beim Erwerb von Fertigkeiten kann eine solche Darstellung unterstützend wirken, doch die Frage ist, ob dies auch auf die Wissensvermittlung zutrifft oder von der relevanten Informationsverarbeitung ablenkend wirkt. Zum anderen können mehrere reale Personen gleichzeitig in einer VLW miteinander agieren, z.B. in virtuellen Workshops oder virtuellen Klassen. Schwan und Buder (2002) sehen hier Vorteile wie z.B. eine kritische Reflektion des Lernstoffes, sowie in Gemeinschaft Ziele und Konflikte auszuhandeln und gemeinsam Probleme zu bearbeiten, was schlussfolgernd zu einer tieferen Elaboration des Lernstoffes führen kann. Die Anwesenheit virtueller Personen (Avatare) kann ähnliche Effekte hervorbringen wie die Anwesenheit realer Personen. Dabei ist die Effektivität der Interaktion jedoch abhängig von der Qualität und Entwicklungsstufe der Avatare. Schwan und Buder weisen diesbezüglich auf Probleme hin, wie z.B. die Spracherkennung.
Organisation und Strukturierung von Lernumgebungen. Zur Organisation gehört es zu entscheiden, ob die Ausbildung in VR nur einmalig oder im Sinne des Bausteinprinzips stattfinden soll. Eine einmalige Nutzung ist im Allgemeinen nur geringfügig effektiv. Insbesondere Befunde von neurobiologischen Untersuchungen (z.B. Spitzer, 2007) zeigen, dass Wissenserwerb nur mittels Wiederholungen stattfinden kann. Das Bausteinprinzip unterstützt die Art und Weise, mit der Individuen ihre Umwelt versuchen zu verstehen, d.h. in Kategorien. In einzelnen Abschnitten werden Wissen und Fertigkeiten vermittelt und vertieft und in späteren Ausbildungsabschnitten miteinander kombiniert.
Nach Schwan und Buder (2002) eignet sich besonders die Strukturierung der VLW als (Universitäts-) Campus. In verschiedenen Arealen, Gebäuden und Räumen können so verschiedenen Bereiche oder Sachverhaltes des Lernbereiches separat behandelt und dadurch leichter zugänglich werden. Diese räumliche Situierung kann den Autoren zufolge den Erwerb und das Behalten komplexer Sachverhalte verbessern. Die räumliche Situierung wird durch die Möglichkeit des virtuellen Teleportierens von einem Ort zum anderen unterstützt. So kann der Lerner zwischen verschiedenen Bereichen und Elementen des zu lernenden Sachverhalts hin- und her springen und auf diese Weise schneller entsprechende Zusammenhänge erschließen.
Die hier aufgezeigten Funktionsbereiche erscheinen als unverzichtbar, wenn es darum geht, VR als Tool zur Wissensvermittlung einzusetzen. Bezogen auf den Erwerb von Fertigkeiten verlieren die Funktionsbereiche jedoch nicht an Bedeutung.
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