Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1.0 Einleitung
2.0 Ideelle Liebeskonzeption
2.1 Neoplatonische Vorstellungen der Liebe
2.2 Neoplatonische Liebe in La dama boba
2.3 Liseos, Nises und Fineas ideelle Liebesvorstellungen
3.0 Materielle Liebeskonzeption Laurencios
4.0 Konflikt beider Liebeskonzeptionen
5.0 Historischer Bezug zur spanischen Gesellschaft des Siglo de Oro
6.0 Zusammenfassung
7.0 Bibliographie
1.0 Einleitung
Die im Jahre 1613 von Lope de Vega verfasste Mantel- und Degenkomödie La dama boba trägt zwei konträre Liebeskonzeptionen in sich. Während die eine, auf Theorien des Neoplatonismus gestützt, die ideelle und reine Liebe verkörpert, stellt die andere, die von Habgier angetriebene, materielle Liebe dar. Diese gegensätzlichen Auffassungen der Liebe und der daraus resultierende Konflikt sollen im Folgenden aufgezeigt werden. Zunächst jedoch wird die neoplatonische Vorstellung der Liebe erläutert und in Bezug zu Lope de Vegas ideeller Liebeskonzeption in La dama boba gesetzt. Anschließend wird gezeigt, in welcher Form die wirtschaftliche und gesellschaftliche Lage des Goldenen Zeitalters in der Komödie Eingang findet.
2.0 Ideelle Liebeskonzeption
2.1 Neoplatonische Vorstellungen der Liebe
Zum Verständnis der Komödie La dama boba ist es unerlässlich, einen Einblick in die Theorien der Neoplatoniker zu erhalten, die Lope de Vega sich zu eigen macht, um dem Leser die ideelle und reine Liebe zu veranschaulichen. Der Neoplatonismus ist die philosophische Lehre, die die Lehren Platons bewahrt. Sie setzt als Ziel ihrer Philosophie „[...] das Hinaufführen der Seele aus den Bereichen der wahrnehmbaren Welt in die höheren Stufen des intelligiblen Kosmos."[1] Plotin, dem Begründer des Neoplatonismus, folgend, gelange die Seele zu dem Zweck in die Körper der Menschen, um letztlich von irdischen Affekten gereinigt zu ihrem Erzeuger und Ursprung Gott zurückzukehren. Für diese Rückführung der Seele stehen dem Menschen drei mögliche Wege offen: Die Musik, die Dialektik und Metaphysik der Philosophie sowie die Liebe. Die Ideen der Neoplatoniker von der Liebe gliedern sich in zwei unterschiedliche Theorien. Zum einen sprechen sie von der Liebe, die am Körperlichen Gefallen findet und zum anderen von der himmlischen und unsterblichen Liebe, die sich jungfräulich danach sehnt, sich mit Gott zu vereinigen.[2] Diesem Verständnis zufolge ergibt sich folgende Schlussfolgerung: Jeder Mensch besitzt sowohl das Potential für himmlisches Wissen als auch für fleischliches Verständnis. Gemäß neoplatonischer Auffassung soll der Mensch die körperliche animalische Liebe zu besinnlicher und engelhafter Liebe lenken.[3]
2.2 Neoplatonische Liebe in La dama boba
In einigen Szenen ist eine idealisierende Sicht der Liebe zu erkennen, die auf die Theorien des Neoplatonismus zurückgeführt wird. So erzählt Duardo in seinem Sonett von drei erreichbaren Stufen der Liebe. Bei der ersten handelt es sich um die elementare, kreatürliche Stufe. Die zweite Stufe ist die der geläuterten und vernunftgeleiteten Liebe. Die dritte und höchste Stufe beschreibt die Anschauung der reinen Liebe.[4]
La calidad elementar resiste mi amor, que a la virtud celeste aspira, y en las mentes angélicas se mira, donde la idea del calor consiste.[5]
Dieses Sonett lässt sich mit der Veränderung Fineas in Verbindung setzen. Sie verändert sich durch ihre starke Liebe zu Laurencio von einem dummen, ungebildeten Mädchen in eine charmante, intelligente Frau. Die Liebe fungiert hier als Lehrmeister und ermöglicht einen stufenartigen Anstieg ihrer geistigen und seelischen Kräfte.[6] So beschreiben auch die Lehren des Neoplatonismus über die Liebe eine stufenweise Steigerung der geistigen und seelischen Wahrnehmung:
„ [...] der Erotiker [...] muss [...] daran gewöhnt werden, jenes Schöne wahrzunehmen [...] und von dort ist er über die einzelnen Stufen hinzuführen zu den schönen Betätigungen, Gesetzen, Künsten, und zu dem, was in den Tugenden an Schönem enthalten ist; von hier aus dann zum intelligiblen Schönen und schließlich zum Sein selbst.“[7]
Der Entwicklungsprozess Finea zeigt eindeutig, dass die Ideen Lope de Vegas hinsichtlich der reinen Liebe auf die Lehre der Neoplatoniker zurückzuführen sind. Zugleich entnimmt der Leser Duardos Sonett die Vorstellung von der engelhaften, himmlischen Liebe, die danach strebt, sich mit Gott zu vereinigen und nicht am Körperlichen Interesse findet.[8]
Diese Liebe wird als höchste der drei beschriebenen Stufen dargestellt; sie verdeutlicht auch symbolisch die nähere Verbindung zu Gott. Im Verständnis der Neoplatoniker ist dies die reine, heilige Liebe (s. 2.1), während die kreatürliche, elementare Liebe mit animalischer Liebe gleichzusetzen ist. Lope de Vega orientiert sich an der Lehre des Neoplatonismus, die animalische Liebe zu engelhafter, himmlischer Liebe zu führen. Auch folgendes Gespräch zwischen Laurencio und Finea belegt die idealisierende Sichtweise der Liebe in La dama boba. Laurencio erzählt Finea, dass er durch ihre wunderschönen Augen an einen anderen Ort gelange:[9]
„Esas estrellas hermosas, esos nocturnos luceros me tienen fuera de mí.”[10]
Mit diesen Worten beschreibt Laurencio die engelsgleiche, reine Liebe, die keinen Gefallen an körperlichen, erotischen Wünschen findet. Laurencios Aussage bringt zum Ausdruck, dass er von der höchsten Stufe der Liebe spricht und dem Ziel, seine Seele mit Gott zu vereinigen, nahe ist. Insonderheit ist die Metamorphose Fineas ein Ausdruck ideeller Liebe. Vor ihrer Verwandlung ist sie nicht in der Lage zu lesen und zu schreiben. Sie scheint einfältig, grob und ignorant. Danach hingegen blüht sie auf zu einer klugen, einfühlsamen, liebenswürdigen Frau. Sie selbst erkennt sich als „nuevo ser".[11] Die Liebe hat eine reinigende und erhellende Wirkung auf ihren Verstand.[12] Der ideelle Wert dieser Darstellung liegt in der Tatsache, dass die Liebe allein und der Glaube an diese es ermöglichen, den Geist zu einer höheren Ebene emporzuheben. Die Vorstellung, dass die Liebe in der Lage ist, Wunder zu vollbringen, ist Ausdruck für eine idealisierende Liebeskonzeption. Zusammenfassend ist festzustellen, dass Ideen der neoplatonischen Liebeskonzeption Lope de Vegas Komödie bestimmen. Es ist die reine Liebe, die von nichts Anderem angetrieben wird als von der Vereinigung mit Gott. Diese Art der Liebe ist unverfälscht und frei von materiellen Absichten.
2.3 Liseos, Nises und Fineas ideelle Liebesvorstellungen
Im Folgenden werden die Liebeskonzeptionen der einzelnen Personen in La dama boba dargestellt. Von den vier Hauptakteuren, die in die Liebesintrige verwickelt sind, -Nise, Finea, Laurencio und Liseo-, halten drei an der ideellen Liebe fest, während der Vierte, Laurencio, vor allem seine materiellen Interessen verfolgt (s.3.0). Besonders auffällig ist das Verhalten Liseos. Sobald dieser feststellt, dass es sich bei seiner Zukünftigen, Finea, um ein dummes Mädchen handelt, entscheidet er sich gegen die geplante Heirat mit ihr und gleichzeitig gegen ihre hohe Mitgift:
„ [...] que ningún tesoro compra la libertad.“[13] Sein Verhalten lässt erkennen, dass Liseo sich nicht von materiellen Absichten leiten lässt. Er hat kein Interesse an Fineas Heiratsgut, denn er scheint selbst ausreichend Vermögen zu besitzen. Deshalb kann er sich es leisten, andere Qualitäten von einer Frau zu verlangen, wie zum Beispiel Schönheit und Intelligenz, über die Nise verfügt:[14] „ [. ] siendo tan entendida Nise, me dará la vida si ella [Finea] me diere la muerte.”[15]
Die Gefühle Liseos gegenüber Nise sind eindeutig. Er liebt sie und gibt nicht auf um ihre Gunst zu werben. Nise ist seiner würdig und muss letztlich nur seine Liebe akzeptieren. Auch sie wird, wie ihre Schwester, durch die Liebe beeinflusst. Allerdings ist es in ihrem Fall nicht die von ihr ausgehende Liebe, sondern die Liebe, die sie durch Liseo erfährt. Donald R. Larson behauptet in seinen Untersuchungen, dass auch Nise aufgrund der Liebe eine Verwandlung durchläuft:
„ [...] she [Nise] is affected by the strength of his [Liseo] attachment. Liseo loves Nise, and this is, [...], the cause of her metamorphosis. [...] Nise has bowed to the authority of love and,[...], become transfigured by its power.”[16]
Nise wird im Verlauf der Handlung von Laurencio, ihrem potentiellen Bräutigam, hintergangen und erfährt von dessen Verrat. Sie willigt kurze Zeit später in die Hochzeit mit Liseo ein.
[...]
[1] Clemens Zintzen: Die Philosophie des Neuplatonismus. Darmstadt 1977, S.6.
[2] Vgl. Zintzen (1977), S.6-10.
[3] Vgl. James E. Holloway: „Lope's Neoplatonism: La dama boba”, in: Bulletin of Hispanic Studies, 1972, S.236-255, hier S. 254.
[4] Vgl. Wolfgang Matzat:„ Lope de Vega- La dama boba”, in: Volker Roloff/ Harald Wentzlaff-Eggebert (Hg.): Das spanische Theater: Vom Mittelalter bis zur Gegenwart. Düsseldorf 1988, S.9l-103, hier S.96.
[5] Diego Marín: La dama boba. Madrid 1984, S.85.
[6] Vgl. Matzat (1988), S.96.
[7] Zintzen (1977), S.9-10.
[8] Vgl. Holloway (1972), S.246.
[9] Vgl. Holloway (1972), S.246.
[10] Marín (1984), S.93.
[11] Vgl. Donald R. Larson: „La dama boba and the Comic Sense of Life”, in: Romanische Forschungen, 1973, S.41-62, hier: S.54.
[12] Vgl. Marín (1984), S.25.
[13] Marín (1984), S.104.
[14] Vgl. Robert Ter Horst: „The True Mind of Marriage: Ironies of the Intellect in Lope's La dama boba”, in: Romanistisches Jahrbuch, 1976, S.347-363, hier: S.352.
[15] Marín (1984), S.71,
[16] Larson (1973), S.61.