Vom Tatbestand des "Tatstrafrechts" zur "Psychiatrisierung" einer Kindsmörderin

Strafrechtliche Umdenkprozesse vom 17. bis 19. Jahrhundert


Hausarbeit, 2011

20 Seiten, Note: 3,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

1. Sozialgeschichtliche Betrachtung des Kindsmordes
1.1 Die Situation der typischen Kindsmörderin- Milieu und Beschäftigung

Ursachen und Motive des Kindsmordes in der Literatur
2.1 Ursachen

3. Bestrafung des Kindsmordes- Kindsmord im Strafrecht
3.1 Das Strafrecht in der „Constitutio criminalis Carolina“
3.2 Tat-, und Strafmaßbewertung

4. Umdenkprozesse- Strafrechtliches Denken in der Zeit der Aufklärung
4.2 Der Pionier: Friedrich II., König von Preußen (1740 -1786)

5. Schlussbemerkung

6. Literaturverzeichnis

Einleitung

Die Wandlung in der Behandlung, der Herangehensweise und dem Strafmaß eines Kindsmordes und an seiner mütterlichen Mörderin im Strafrecht der „Constitutio criminalis Bambergensis“[1] und aus deren Grundlage entstehende „Constitutio criminalis Carolina“ hat sich im Laufe des barockschen und aufklärerischen epochalen Zeitalter gewandelt. Stand unter dem Tatbestand des Mordes am eigenen neugeborenen Kind noch zu Beginn des 16.Jhd die Todesstrafe durch Ertränken oder auch, zur effektiveren Abschreckung der Öffentlichkeit, das lebendig Begraben, Pfählen und auch mit glühenden Zangen auseinandergerissen zu werden, so hat sich an diesem Strafmaß an Kindsmörderinnen in diesen Epochen etwas geändert.[2] Im Rahmen der Aufklärung fand zu dieser Zeit ein Umdenkprozess in Bezug auf das strafrechtliche Denken der Menschen, geprägt durch die idealistische – humane, epochenspezifische Zeitströmung, statt. In dieser Arbeit sollen die Umdenkprozesse näher beleuchtet werden, die die Wandlung des Tatstrafrechts zu einer Hinterfragung der Persönlichkeit des Täters führt.

1. Sozialgeschichtliche Betrachtung des Kindsmordes

1.1 Die Situation der typischen Kindsmörderin- Milieu und Beschäftigung

Kindsmörderinnen waren vom Beruf her vorrangig Dienstmägde und Bauernmägde, also hauptsächlich Frauen, die man in der gegenwärtigen Zeit zur unteren sozialen Schicht zählte.[3] In der frühen Neuzeit gehörte die Dienstmagd zu dem sogenannten Gesinde, „das sowohl auf dem Land wie in der Stadt weitestgehend in den Hausgemeinschaften die niedrigen Dienste übernehmen musste.“[4] Ob der Kindsmord auch auf Frauen aus gehobenen sozialen Schichten zutraf, lässt sich anhand der Quellen nicht bestimmen. Ob dies vielleicht daran lag, dass sie sich durch ihre gehobene Schicht einer Anklage entziehen konnten, lässt sich auch in keiner der von mir recherchierten Quellen bestätigen. Feststeht aber, dass die Mehrheit der Kindsmörderinnen Frauen im Stand einer Dienstmagd waren.[5] Diese mussten schon früh in fremden Häusern ihr Geld verdienen, weil sie in ihrem eigenen Elternhaus nicht ernährt werden konnten. Das lag zu einem Teil daran, dass die Eltern Tagelöhner oder kleine Handwerker und/oder dass die Mehrheit der Kindsmörderinnen Voll- oder Halbwaisen waren.[6] Das bedeutet, dass sie meist nur über geringe Einkünfte verfügten und zum großen Teil von ihren Dienstherren abhängig waren.[7] Dominierend sind also die Dienst,- und Bauernmägde auf die wir unser Hauptaugenmerk legen. Richard van Dülmen definiert das Gesindewesen, welches die Magd zugerechnet wurde, als keine Schicht oder sozialen Stand, sondern als eine Altersgruppe, „ die die meisten Frauen durchliefen, bevor sie heirateten und einen eigenständigen Haushalt gründen konnten.“[8] Es gab auch Frauen, die ihr Leben lang Dienstmägde blieben, aber dies war eher nicht die Regel, da die Frauen die Zeit als Dienstmagd als Ausbildungszeit betrachteten und mit dem ersparten Geld einen Lebenspartner finden, heiraten und eine eigene Haushalt führen wollten.[9],[10] Es lässt sich daraus schließen, dass den Frauen kaum Geld zur Verfügung stand, da das wenig verdiente , gespart wurde. Das geht auch aus den untersuchten Fallbeispielen von Kindsmörderinnen hervor. Gegen einen meist festgelegten Lohn[11], Kost und Unterkunft arbeitete die Dienstmagd unter dem Hausherren und wechselt die Arbeitsplätze von Zeit zur Zeit, abhängig je nach Angebot und sozialer Situation.[12] Die Dienstmägde konnten also jederzeit, oder nach Ablauf ihrer Übereinkunft mit den Hausherren, ihren Arbeitsplatz verlassen; waren also nicht gezwungen dort zu bleiben. Ihre Unterkunft gestaltete sich in Form von Gemeinschaftskammern; meist teilten sie sich ihre Unterkunft mit anderen Mägden und Knechten. Es lässt sich unter diesen Umständen auch der erste Anlass zur einer unsittlichen Lebensführung festlegen. Das “Zusammenschlafen“ in den Gemeinschaftskammern mit Magd und Knecht kann zu Anziehung und ersten Näherung von unehelichen Geschlechtsverkehr führen. Die Vermutung kommt auf, ob der erste Akt zum Weg einer Kindsmörderin, nicht schon durch die Berufsausübung als Dienstmagd entsteht. Denn an dem „Beruf“ als Dienstmagd und seiner nieder sozial angesehenen Gesellschaftlichen Stellung[13], hängen Faktoren und Motive, die eine Dienstmagd zu einer Kindsmörderin gemacht haben.

Ursachen und Motive des Kindsmordes in der Literatur

In der Literatur lassen sich verschiedene Ursachen und Motive über den Kindsmord finden; die Angst vor Ehrverlust, materielle Not, eine „Kurzschlussreaktion“ oder auch versehentliche Tötung durch Unwissenheit. Im Weiteren geht es nicht um die genaue Bestimmung der Tatmotive, sondern um einen groben Überblick dieser; anderes würde den Rahmen dieser Hausarbeit sprengen.

2.1 Ursachen

Durch einige Fallbeispiele von verurteilten Kindsmörderinnen[14] und deren protokollierten Aussagen vor Gericht, warum sie ihr Kind getötet hätten, wurde in den meisten Fällen immer wieder mit Armut begründet, in die die arbeitslose Kindsmörderin mit einem ledigen Kind gebracht wurde.[15]

„Weil ich glaubte, es wäre dort besser aufgehoben als hier, wo es mit der Armuth zu kämpfen gehabt“[16]

„Weil ich nicht wu wohin? Wohinaus? Und weil ich für das Kind nichts zu leben hatte[17]

„Noch am Abend war ihr die Idee gekommen, sich des Kindes zu entledigen, da `sie es nicht allein habe durchbringen können`“[18]

„Als sie sich […] auf der Fulda Brücke niedergesetzt habe, sei ihr zum ersten Mal der Gedanke gekommen `daß sie ihr Kind in das Wasser werfen wolle, um dessen elendem Leben ein Ende zu machen.“ [19]

Fielen Delikte wie Unzucht, Ehebruch und Prostitution früher noch in die Gerichtsbarkeit der Kirche, so wurde dieses Vergehen auch zunehmend von staatlichen Obrigkeiten verfolgt; beide Gerichte legten nun sehr großen Wert auf sittliches Verhalten und christliche Ordnung im Haus; daher war der Hausherr und Arbeitgeber zur Überwachung seines Dienstpersonals auch gesetzlich verpflichtet, um mögliches unchristliches Verhalten, bspw. in Form von Unzucht, zu unterbinden. Dem Dienstherrn drohte außerdem eine Strafe, wenn er eine uneheliche Schwangerschaft nicht anzeigte und diese am Ende zum Kindsmord führte.[20]

Durch die Entdeckung der unehelichen Schwangerschaft wurden die Frauen in den meisten Fällen daher entlassen; eine uneheliche Schwangerschaft konnte das Haus sonst in Verruf undschlechtes Ansehen bringen und auch Strafen von staatlicher Seite mit sich ziehen:

„Ein uneheliches Kind belastete daher einen Hof nicht nur ökonomisch, sondern auch moralisch.“ [21]

Somit entledigte sich der Hausherr durch die Entlassung der Unzüchtigen der Verantwortung und auch dem Vorwurf eines unmoralisch, unchristlich und unehrenhaft geführten Hauses.[22] Der Kindsmörderin wurde dadurch die Existenzgrundlage genommen.[23] Der meist Halb,- und Vollwaisen Kindsmörderin stand auch die Möglichkeit nicht offen, zu ihrer Familie zurückzukehren; somit bestand auch kein/kaum ein Anlaufpunkt Kindsmörderinnen, die keine dauerhafte Anlaufstelle waren; sie boten meist nur ein bisschen „Wegzehr in ihrer Notlage. In einigen Quellen finden sich Aussagen von Verwandten der“, ein wenig Kleidung oder gewährten eine kurze Zeit lang Unterschlupf, oder konnten nur kurze Zeit Unterschlupf aufgrund eigener finanzieller Notlage anbieten.[24] Wie oben kurz erwähnt, legte die Kirche besonderen Wert auf voreheliche Keuschheit; Sexualität beschränkte sich in den Augen der Kirche ausschließlich auf die Ehe und auch nur zu Fortpflanzungszwecken. Alles was entgegen dieser christlichen Moral geschah, wurde als Bruch des 6. Gebotes betrachtet.[25] Kindsmörderinnen verstießen gegen beide Regelungen; zum einen hatten sie unehelichen Geschlechtsverkehr, zum anderen diente dieser in den meisten Fällen nicht zur Fortpflanzung.[26] Die Bestrafung in Form von Geld- und Gefängnisstrafen und/oder öffentlichen Schandstrafen, die eine junge uneheliche Mutter erleiden musste, sollte auch gleichzeitig als Abschreckung für andere unverheiratete Frauen dienen.[27]

[...]


[1] Die „Constitutio Criminalis Bambergensis“ oder auch „Bambergische Halsgerichtsordnung“ war die für Bamberg verfasste Halsgerichtsordnung.

[2] Strafe für Kindsmord in der „Constitutio Criminalis Bambergensis“: „Item welch weyb jr kindt / das leben vnd glidmaß entpfangen hat / heymlicher boßhafftiger williger weyß ertödet / die werden gewonlich lebendig vergraben vnd gepfelet /[…] /mögen dieselben vbelteterin in welchem gericht die bequemheyt des wassers darzu verhanden ist / ertrenckt werden /[…]/oder aber das vor dem ertrencken die vbeltetterin mit gluenten zangen zerrissen werde /“.

[3] Vgl. hierzu Ulbricht, S.34 („ Untersuchungen für andere Teile Deutschlands,[…] haben ebenfalls ein eindeutiges Überwiegen der Gruppe der Dienstmägde ergeben […].“).

[4] van Dülmen 1991: S.77.

[5] Vgl. hierzu Metz-Becker, ab S.287 genannte „Kindsmörderinnen“.

[6] Die von Otto Ulbricht vorgelegten Daten belegen, dass 48 von 68 Kindsmörderinnen zur Tatzeit Voll- oder Halbwaisen waren, vgl. S.40.

[7] Einige Fallbeispiele zu der sozialen Situationen der Frauen, bevor sie zur Kindsmörderinnen wurden, werde ich unter dem Punkt „ Fallbeispiele“ näher erläutern.

[8] zitiert nach Richard van Dülmen, S. 77.

[9] Vgl. hierzu Richard van Dülmen 1991, S.78 f.

[10] Frauen, die als Lebenszeitberuf Dienstmagd waren : bspw. Kindsmörderin Anna Katharina Stuhlmann

[11] Der Lohn wurde nicht nur als Geldlohn ausgezahlt, sondern auch in Naturalien, vgl. hierzu: Hanns Platzer, Geschichte der ländlichen Arbeitsverhältnisse in Bayern, München 1904, 140ff; Kramer, Nachrichten, 88, der eine Klage über gestiegene Löhne aus dem Jahre 1749 zitiert; Göttsch, Beiträge, 58; Philipp Gabriel Hensler, Beytrag zur Geschichte des Lebens und der Fortpflanzung der Menschen auf dem Lande, Wien (1776), 46, für das Kirchspiel Segeberg; aus : Otto Ulbricht „Kindsmord und Aufklärung in Deutschland“.

[12] Vgl. hierzu Richard van Dülmen 1991, S.79.

[13] Abgesehen von einigen Beispielen, in denen eine Dienstmagd als unverzichtbar im Haushalt galt und dementsprechend Ansehen bei den Hausherren hatte

[14] Marita Metz-Becker (1997): „Der Fall: Anna Maria Steinbrecher“, „Der Fall: Anna Katharina Sert“, „Der Fall: Margaretha Schneider“, „Der Fall: Anna Katharina Stuhlmann“, „Der Fall: Elisabeth Wunderlich“, Der Fall: Elisabeth Müller“, in: Der verwaltete Körper, Frankfurt/Main, S.287 ff.

[15] Einige Sekundärquellen stellen Armut als Motiv des Kindsmordes in Frage, da Dienstmägde über Erspartem verfügten und auch sonst als sehr sparsam beschrieben werden. Armut wird eher in Verbindung mit dem Verlust des Arbeitsplatzes gebracht.

[16] Ebd.,S.271.

[17] Ebd., S.289.

[18] Ebd., S.291.

[19] Ebd., S.299.

[20] Vgl. die Verfügung betreffend der Entdeckung unehelicher Schwangerschaften bey Dienstboten in: CS 1779, Kiel 1797, 84f. aus: Otto Ulbricht 1990: S.120.

[21] Van Dülmen 1991: S.81.

[22] In der Literatur gibt es Beispiele über grausame Entlassungen durch den Hausherren, wie z.B. direkt nach der Geburt des Kindes; aber es gibt auch Gegenbeispiele, bei denen der Hausherr die Dienstmagd auch nach der Geburt bei sich weiter beschäftigte; einer der Gründe warum dies geschah, nennt Ulbrich „Die ökonomisierung des Verhältnisses zwischen Hausherr und Gesinde“ ; hierzu näheres s. Ulbricht 1990: S. 126.

[23] In einigen wenigen Fällen nahmen die entlassenen Schwangeren ihren Dienst in einer anderen Stadt wieder auf, was den neuen Hausherren nicht verdächtig vorkam, da ihnen die Schwangerschaft nicht auffiel.

[24] Vgl. hierzu Metz-Becker 1997 : „ Der Fall Elisabeth Wunderlich“ , S.297.

[25] 10 Gebote Gottes: 6. Gebot „ Du sollst nicht ehebrechen“.

[26], was auch aus keinen der mir vorliegenden Quellen hervorgeht.

[27] Vgl. hierzu van Dülmen 1991, S.55. : „Alle zum Tode verurteilten Kindsmörderinnen wurden bis Ende des 18. Jhd. öffentlich hingerichtet, zumeist in Anwesenheit zahlreichen Volkes […]. Die Neugier der Menge nützte die Obrigkeit in ihrem Sinne zur Abschreckung und Belehrung.“

Ende der Leseprobe aus 20 Seiten

Details

Titel
Vom Tatbestand des "Tatstrafrechts" zur "Psychiatrisierung" einer Kindsmörderin
Untertitel
Strafrechtliche Umdenkprozesse vom 17. bis 19. Jahrhundert
Hochschule
Universität Siegen
Note
3,0
Autor
Jahr
2011
Seiten
20
Katalognummer
V176174
ISBN (eBook)
9783668387768
Dateigröße
997 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
tatbestand, tatstrafrechts, psychatisierung, kindsmörderin, strafrechtliche, umdenkprozesse, jahrhundert
Arbeit zitieren
Murat Yildirim (Autor:in), 2011, Vom Tatbestand des "Tatstrafrechts" zur "Psychiatrisierung" einer Kindsmörderin, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/176174

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