Heilkunst im 17. Jahrhundert

Wie Dr. Menni die Seligenstädter Mönche kurierte und dabei mit Abt Leonhard I. in Streit geriet


Wissenschaftlicher Aufsatz, 2001

66 Seiten


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Einleitung

I. Teil: Der Streitfall
Anmerkungen zum I. Teil

II. Teil: Die ärztliche Kunst
1. Dr. Menni und seine Patienten
2. Die Krankheiten
3. Die Arzneien
Anmerkungen zum II. Teil

Anhang
1. Lateinisches Verzeichnis der Heilpflanzen
2. Bekannte Ärzte
3. Vertrag des Klosters mit Dr. Menni
4. Literaturverzeichnis

Vorwort

Auf ‚Datenschutz’ wird heute sehr viel Wert gelegt. Das war nicht immer so. Frühere Zeiten kannten den Datenschutz weder dem Begriff noch der Sache nach. Damals ging ja auch das, was heute nicht einmal ein Krankenkassenangestellter wissen darf, notfalls durch alle Amtsstuben, und so finden sich in den Akten Einzelheiten über sehr persönliche Dinge, im vorliegenden Falle über Krankheiten von Seligenstädter Mönchen. Ihr Arzt, Dr. Menni aus Aschaffenburg, wusste (oder hielt) nichts von ärztlicher Schweigepflicht, so dass wir uns heute von den Krankheiten, die im letzten Jahrzehnt des Dreißigjährigen Kriegs die Seligenstädter Mönche heimsuchten, ein ziemlich genaues Bild machen können.

Auf dieses Thema bin ich während meiner Recherchen zu der im Mai letzten Jahres erschienenen Chronik von Leonhard Walz gestoßen und halte die vorliegende Abhandlung für eine passende Ergänzung dieser Chronik, gewissermaßen für ihren Zwillingsbruder. Es finden sich nämlich hier großteils die gleichen Personen (Colchon, Walz, Fischer, Ramsay, v. Dohna usw.) oder Vorgänge (Eroberung Seligenstadts durch hanauische Truppen, Befreiung durch v. Dohna, Pest, Hungersnot, Evakuierung des Klosters usw.), wie sie auch durch Walz bekannt sind.

Ich finde es immer reizvoll, wenn bekannte Begebenheiten einmal aus einer anderen, unüblichen Perspektive betrachtet werden; in diesem Falle ist es die des Krankenbettes. Die Tatsachen bleiben zwar dieselben, gewinnen aber an Fülle und Lebensnähe, verlieren sozusagen ihre Eindimensionalität.

„Unter jedem Dach ein Ach!“, so lautet ein geflügeltes Wort, dem wohl jeder zustimmen wird, der hinter die Fassaden zu schauen versteht. Auch unter dem Dach des Klosters Seligenstadt gab es dieses „Ach“, so wenig man das auch erwartet, wenn man nur auf die offiziellen Verlautbarungen der Würdenträger blickt und sich von den imposanten Schauseiten beeindrucken lässt. Lassen wir also den Datenschutz einmal getrost beiseite und sehen uns hinter den Fassaden um. Da wird uns viel Menschliches und Allzumenschliches begegnen.

M.S.

Einleitung

Über die ärztliche Kunst vergangener Jahrhunderte haben wir Kenntnis aus unterschiedlichen Quellen. Da sind zum einen die Aufzeichnungen berühmter Ärzte, die ihr Wissen und den reichen Schatz ihrer Erfahrungen den nachfolgenden Generationen weitergeben wollten. Auch fanden manche Rezeptsammlungen ihren Weg aus Klosterapotheken in die Öffentlichkeit, von den zauberischen Salben und Pulvern der Kräuterweiblein und ihren Liebestränken gar nicht zu reden. All diese Bücher waren Studier- und Lehrwerke für angehende Chirurgen und Apotheker, gewissermaßen das theoretische Rüstzeug für die Praxis des Arztes. Aber wie sah dieser Alltag wirklich aus, der ja in seiner Banalität nicht beschrieben, sondern bewältigt sein wollte, und von dem wir daher meist wenig wissen?

Fast immer stößt der Historiker nur dann auf Beschreibungen des Gewöhnlichen, wenn etwas Außergewöhnliches, etwa ein seltenes Naturereignis, ein Rechtsstreit oder ähnliches, den alltäglichen – und daher nicht erwähnenswerten – Verrichtungen ein Gewicht beimisst, das sie, für sich genommen, niemals haben könnten.

Ein solcher Streitfall nun ist Gegenstand dieser Abhandlung. Ihm verdanken wir Einblicke in die ärztliche Praxis und die mit ihr verbundenen Belastungen, wie sie in der Regel kein Lehrbuch bietet. Bei den Streithähnen, die sich hier gegenüberstehen, handelt es sich um den Abt des Klosters Seligenstadt Leonhard Colchon (1) und den Doktor der Philosophie und Medizin und dazu Physicus in Aschaffenburg Johann Heinrich Menni (2). Leonhard Colchon, geboren am 5.5.1593 in Lüttich, war von 1625 bis 1653 Abt des Klosters Seligenstadt. Dr. Menni war Stadtmedicus in Aschaffenburg. Von Abt Colchon ist ja hinreichend bekannt, dass er keinem Streit aus dem Wege ging, aber auch Dr. Menni war nicht zimperlich im Austeilen, so dass sich mit dem Konflikt schließlich sogar die kurfürstliche Regierung in Mainz befassen musste. Aus Sicht des Historikers war dies ein wahrer Glücksfall; denn nur diesem Umstand ist es zuzuschreiben, dass die zwischen den Kontrahenten bzw. den Behörden gewechselten Schreiben noch erhalten und im Mainzer Regierungsarchiv (3) archiviert sind.

Die Akte `Menni gegen Colchon´ enthält insgesamt 38 Schriftstücke vom September 1643 bis Juni 1644. Im einzelnen sind es:

11 Briefe Dr. Mennis an den Erzbischof Anselm Casimir,

2 Briefe Dr. Mennis an den Großhofmeister v. Waldenburg,

2 Briefe Colchons an den Erzbischof,

9 Dekretentwürfe des Erzbischofs und zwar 3 an Dr. Menni, 2 an Abt Colchon und 4 an den kurfürstlichen Kommissar in Aschaffenburg Ägidius de Brabant,

3 Briefe des Erzbischofs an den Kommissar,

1 Brief des Kommissars an den Erzbischof,

4 Spezifikationen Dr. Mennis betreffend seine Tätigkeit als Arzt im Kloster Seligenstadt,

1 Antwort Colchons auf die Spezifikationen,

2 Zeugnisse Seligenstädter Mönche betreffend die Aussagen ihres Abtes,

1 Memoriale Dr.Mennis für den Kommissar,

1 Abschrift aus dem Tagebuch des Klosters und

1 Vertrag des Klosters mit dem Arzt Dr. Menni.

Dieser umfangreiche, rund 140 Seiten füllende Schriftwechsel zwischen den Beteiligten in Seligenstadt, Aschaffenburg und Mainz aus der Schlussphase des Dreißigjährigen Krieges, einer Zeit also, in der Land und Leute bereits großenteils in den oft beschworenen „Totalruin“ getrieben und an den Bettelstab gebracht waren, vermittelt uns vorab eine fundamentale Erkenntnis: Dass es zu dem endgültigen moralischen Verfall, den viele Zeitgenossen als unausweichliches Erbe dieses Krieges erwarteten, nicht kam, ist das unschätzbare Verdienst jener Männer, die in diesen Jahren des Grauens den lokalen Verwaltungen vorstanden und mit ungebrochener Energie Gesetz und Ordnung auch in auswegloser Lage am Überleben hielten. Mehr als die Starrköpfigkeit zweier Dickschädel sollte man die Ernsthaftigkeit und Geduld, die Fürsorge und das rechtliche Denken der Beamten bewundern, die in all dem Elend mit diesem Fall betraut waren. So, als wäre tiefster Friede, als gingen die Dinge ihren gewohnt harmlosen Gang und gäbe es keine dringlicheren Aufgaben zu meistern, so nahmen sie sich der Klagen Mennis und der Einwendungen Colchons an. Diese nimmermüden und tüchtigen Beamten waren es, die mit ihrer Bürokratie den Absturz einer ganzen Generation in blanke Gewalt, Faustrecht und Ganoventum verhinderten, - eine Möglichkeit, die sich am Ende des Dreißigjährigen Kriegs als apokalyptische Vision drohend am Horizont abzeichnete. Überhaupt wirkte die deutsche Beamtenschaft niemals verantwortungsvoller und pflichtbewusster als nach großen Katastrophen, wo oft Übermenschliches zu leisten war. Das gilt für den Dreißigjährigen Krieg ebenso wie für die beiden verlorenen Weltkriege des letzten Jahrhunderts.

Wenden wir uns nun nach diesen allgemeinen Erwägungen unserem Streitfall zu. Dabei verfolgen wir eine doppelte Spur: Zu einem zeichnen wir anhand der 38 erhaltenen Dokumente den Verlauf der Auseinandersetzung zwischen Colchon und Menni im Detail nach, zum anderen widmen wir uns anschließend dem medizinischen Aspekt der Sache, indem wir die vier „Specificationes“ Dr. Mennis auswerten. So ergibt sich eine klare Zweiteilung unseres Themas.

Erster Teil

Der Streitfall

Seine Vorgeschichte liegt im Dunkeln. Es muss ihm aber ein untergründiges Zerwürfnis zwischen Menni und Colchon vorausgegangen sein; hierin einem Gewitter ähnlich, das sich unmerklich aus atmosphärischen Störungen aufbaut, um dann die angestaute Spannung urplötzlich in Blitz und Donner krachend zu entladen. Nicht anders muss es auch dem überraschten Abt Colchon vorgekommen sein, als er erfuhr, Dr. Menni habe ihn in einem furiosen Schreiben an Erzbischof Anselm Casimir des schlimmsten Betruges bezichtigt. Menni, wahrlich kein Meister des Floretts, handhabte lieber den schweren Säbel. Ob seine Entrüstung wirklich echt oder nur gespielter Theaterdonner war, bleibe vorerst unentschieden, jedenfalls wurde der Ton alsbald immer rüder, die Ausfälle beiderseits heftiger, so dass an einen gütlichen Vergleich von Anfang an nicht zu denken war.

Alles begann am 28.8.1643 mit einem (nicht erhaltenen) Brief Dr. Mennis an Kurfürst Anselm Casimir. Darin beklagte er sich, Abt und Kloster Seligenstadt wollten ihn, ihren „wohlemeritierten bestellten medicum ordinarium“ (ordentlichen Arzt), um sein sauer verdientes Honorar prellen. Er bitte darum, der Erzbischof und Kurfürst möge ihm doch zu seinem Recht verhelfen. Dieses Schreiben führte dazu, dass am 24.9. aus Mainz ein Dekret mit beigelegter Klageschrift Mennis an Abt Colchon abging, demzufolge dieser aufgefordert wurde, den „Supplicanten (=Bittsteller) seiner vielfältigen gehabten Mühe halber“ klaglos zu stellen.

Der ungeduldige Dr. Menni hatte indessen am 23.9. aber bereits eine zweite Bittschrift eingereicht und darin geklagt, selbst die Heiden würden sich gegen ihre Wohltäter erkenntlicher erzeigen als jener betrügerische Abt, der ihm wohl mit ungebührlichen Aktionen ein Schnippchen schlagen wolle. Das Kloster habe mit ihm, als er 1636 zum Nachfolger Dr. Hornegks als Arzt bestellt worden sei, vier Ohm Wein jährlich und eine „Spezialbelohnung“ ausgemacht. Er habe seit 1637 bis jetzt (1643) 220 Tage im Dienst des Klosters „mit hin und her raißen, zu wasser und landt, zu tag und nacht“ hingebracht, wovon allein 70 Tage auf die vertraglich vereinbarten vierteljährlichen Visitationen im Kloster entfielen. All diese Besuche hätten mit barem Geld bezahlt werden müssen, aber er habe in Seligenstadt bisher sein Talent, ohne einen einzigen Heller und Pfennig zu verdienen, verschwendet. Wem die nun von ihm geforderte Summe von 200 Reichstalern als zu hoch gegriffen erscheine, der solle bedenken, dass ihm eigentlich – in Übereinstimmung mit jeder medizinischen Fakultät – für jeden Tag zwei Reichstaler zuständen, also 440 Reichstaler.

Von dieser zweiten Beschwerde Mennis beim Kurfürsten und dem kurfürstlichen Dekret vom 24.9. kann Colchon noch nichts gewusst haben, als er am 9. Oktober die ihm zugetragenen Anschuldigungen Mennis in einem stilistisch und formal glanzvollen Brief, der jeder kalligraphischen Sammlung oder Stilkunde zur Zierde gereichen würde, zurückwies. Geschickt begann Colchon mit dem Hinweis, kluge Untertanen wüssten, dass sie ihrem Landesvater, zumal in dieser Elendszeit (exulceratissimo tempore) nicht mit ausgemachten Bagatellen zur Last fallen sollten, vor allem dann nicht, wenn, wie in diesem Falle, der Landesvater und Kurfürst, gleichzeitig auch Reichserzkanzler für Deutschland, alle seine Kräfte zur Rettung des bedrohten Vaterlandes, ja des Heiligen Römischen Reiches, verschleiße. Das habe jener Dr. Menni, Physicus in der Residenzstadt Aschaffenburg, wohl nicht bedacht, und so müsse er, Colchon, - so sehr es ihm auch widerstrebe – zu seiner und des Klosters Ehrenrettung jenen verleumderischen und haltlosen Auslassungen dieses aufgeblasenen Wichtes entgegentreten. Er wundere sich, dass Dr. Menni, der bisher niemals, weder mündlich noch schriftlich, wegen vorenthaltenen Honorars bei ihm Klage geführt habe, plötzlich und noch dazu zur Unzeit an allerhöchster Stelle vorstellig werde, was weder mit der praktischen Vernunft noch mit einem ordentlichen Instanzenweg vereinbar sei. Für seine Dienste, die er übrigens nicht sieben, sondern allenfalls fünf Jahre geleistet habe, sei er zunächst von Fall zu Fall in Geld oder Früchten entlohnt worden. Dann aber habe das Kloster, um die Honorarfrage zu vereinfachen, am 19.12.1641 einen Vertrag mit Menni geschlossen, wie er bekanntermaßen auch mit Aschaffenburger Bürgern und Kanonikern bestehe (4). Darin sei ausbedungen, dass Menni viermal des Jahrs, also im Frühling, Sommer, Herbst und Winter, ins Kloster komme, um den Gesundheitszustand der Konventualen zu überprüfen. Sofern Grund zu ärztlicher Versorgung gegeben sei, sollte das Kloster die nötigen Medikamente aus der Apotheke beziehen. In allen anderen dringenden Notfällen müsse der Arzt ebenfalls nach Seligenstadt eilen, das Kloster stelle ihm aber dann ein Pferd oder einen Kahn (scapha). Für seine Dienste seien jährlich vier Malter Getreide (Korn) und zwei Ohm Wein vereinbart. Für 1642 habe er ohne Widerspruch diese Lieferung erhalten; selbst für das laufende Jahr 1643 seien ihm auf sein Drängen, obwohl die Weinernte noch nicht abgeschlossen sei, drei Malter Korn und zwei Ohm Wein verabreicht worden. Es sei nicht ersichtlich, worauf jener „gute Doktor“ seine abwegigen und erlogenen Behauptungen gründen wolle, und daher bitte er, Colchon, der Kurfürst möge das arme Kloster Seligenstadt, das für sein Wohlergehen und seine Unversehrtheit beständig bete, vor allen Anfeindungen schützen.

Kaum war dieser Brief geschrieben, so erhielt Colchon einen Tag später, am 10. Oktober 1643, mit der Post aus Mainz das bereits erwähnte Dekret vom 24.9., das ihn zur Begleichung der Honorarforderungen Mennis aufforderte. Colchon muss aus allen Wolken gefallen sein, hoffte er doch, mit seiner glasklaren Argumentation vom 9. Oktober allen weiteren Machenschaften des umtriebigen Arztes den Boden entzogen zu haben. Er ließ also am 12. Oktober schleunigst einen zweiten Brief an den Kurfürsten folgen, worin er nun – seine ausgefeilte lateinische Kunstprosa beiseite lassend – auf Deutsch Klartext redet. Teils wiederholt er seine Argumente vom 9.10., teils finden sich auch neue Töne. Dr. Menni habe ihn, Colchon, nicht nur beim kurfürstlichen Vogt in Seligenstadt angeschwärzt, sondern auch in Frankfurt und Mainz grobe, unverschämte, ja freventliche Verleumdungen über ihn verbreitet. Die Ärzte, die das Kloster vor Dr. Menni konsultiert habe, nämlich Dr. Horneck und Dr. Bayer, seien ohne jeden Verdruss mit dem Kloster ausgekommen; dass dies bei Dr. Menni anders sei, könne er sich nur so erklären, dass man ihn, Dr. Menni, und seine Gemahlin nicht mit der Kutsche zur Seligenstädter Kirchweihe habe abholen lassen. Das habe der reizbare Medicus wohl dem Kloster übelgenommen. Dennoch wundere er sich über Mennis „böse, lästerliche Zunge“, der sich die gottlosen Juden mit ihrem lügnerischen Geschwätz zum Vorbild nehme und sich dazu versteige, sich mit Jesus Christus zu vergleichen, der dem Kaiser widerspreche. Er, Colchon, erhoffe sich zuversichtlich allerhöchsten Schutz vor solchen Schmähreden und Geschmacklosigkeiten.

Diese zweite Eingabe des Abts von Seligenstadt konnte in Mainz noch nicht ihre beabsichtigte Wirkung tun; denn bereits am 15. Oktober war an Menni die Mitteilung ergangen, die kurfürstliche Regierung habe seine Klageschrift abschriftlich nach Seligenstadt weitergeleitet mit der Aufforderung, das ausstehende Honorar umgehend zu begleichen. Dr. Menni hatte also, wider Erwarten Colchons, zunächst auf der ganzen Linie gesiegt.

Colchon ließ sich aber von dem kf. Dekret nicht beeindrucken und spielte auf Zeit. Am 19. Oktober erneuerte Menni daher seine bekannten Klagen, indem er hinzufügte, er sei den Mönchen „in vergangenen schwären contagiosischen morbis (=ansteckenden Krankheiten) und Erbseuchten getreulich beigesprungen“. Trotz eines kf. Dekrets weigere sich der Abt dreisterweise immer noch, die geforderten 200 Reichstaler zu zahlen...

Um auch – unabhängig von seinen Eingaben an den Erzbischof – die kf. Justizverwaltung unter dem „Großhofmeister“, kf. Geheimen Rat und Vicedom zu Aschaffenburg, Gerhard von Waldenburg (5) für seinen Standpunkt zu gewinnen, schilderte er am 22. Oktober 1643 in einem weiteren Schreiben seine Sicht der Dinge. Danach sei er überhaupt erst „zu des Closters leibmedicum“ bestellt worden, als sein glückloser Vorgänger Dr. Horneck wegen des hartnäckigen Quartanfiebers, das „nach Ablauff des Aequinoctii verni“ (= Frühlings-Tagundnachtgleiche) immer noch nicht habe weichen wollen, am Ende seiner Kunst angelangt sei. Er, Menni, sei es dann gewesen, der dem todkranken Abt das Leben gerettet und nun zum Dank für zwei Jahre aufopfernden Dienstes an den Kranken nur vier Ohm Wein und sieben Malter Korn erhalten habe, „welches in so langer Zeit keines Jungen trinkhgelt, wie geschweige eines ehrlichen Mannes belohnung“ sei. Der Kurfürst selbst habe sub dato des 26. September dem Abt befohlen, den rückständigen Lohn zu zahlen, aber dieser „obstinatische (= sture) Apt, der sonsten in allem der kleine pabst sein wil“, trotze kühn dem klaren Befehl des Kurfürsten.

Kaum war dieses Schreiben abgeschickt, erhielt Menni am 28. Oktober zum zweiten Male Post aus Mainz, nämlich in Abschrift die Antwort Colchons auf das Dekret vom 24.9. (also den Brief vom 12. Oktober) und ein „Cantzley-Decret“, das ihm erneut Oberwasser zu geben schien. Nun zog er am 1. November, sich der Rückendeckung der Mainzer Behörde sicher glaubend, alle Register: Colchon verdanke ihm nächst Gott sein Leben, vergelte ihm aber „um ein schnödes geringes Geld“ diesen unschätzbaren Dienst mit verleumderischen Schriften. Dieser betrügerische und lügnerische Abt habe jedesmal die Bezahlung verzögert; erst sei Colchon „aus forcht des hanauischen Einfalls bey Nacht ausgewichen“ (6), dann habe man ihn „wegen außplünderung von Ramsaischen und anderen Soldaten“ (7) nicht bezahlen wollen. Dabei sei er, Menni, selbst von den Mönchen mit jener „Contagion todtsgefährlich angestecket“ worden, er habe den Abt aus der „lues infectiva“ (Seuche) gerettet und schließlich noch nach Mainz zur Sauerbronn-Kur begleitet trotz allgemein grassierender Contagion und unter Vernachlässigung seiner eigenen häuslichen Pflichten. Auch dafür habe er keinen Pfennig erhalten „unter Vorwendung der Militärischen beschehenen freund- und feindlichen Exhaurierung (=Ausplünderung)“, eines Gemeinplatzes, der zu allen möglichen Entschuldigungen herhalten müsse, wie er spöttisch anmerkt. Wenn der Abt wahrheitswidrig behaupte, man habe ihn mit Getreide und Wein vertragsgemäß abgefunden, so wisse jedermann, dass die Mönche „umb selbige Zeit kaum selber ihr leibs nahrung und täglich brot gehabt“. Alles, was der Abt zu seiner Entlastung vorbringe, sei erstunken und erlogen, und da die „maxima iuridica lehret, qui mentitus in uno, mentitur in altero“ (wer einmal lügt, lügt auch ein zweites Mal), so solle der Erzbischof darauf hinwirken, dass er, gemäß allen „löblichen Polizeyordnungen“ (8) die von ihm verlangten 200 Reichstaler tatsächlich erhalte.

Nun war man in Mainz ratlos. Aussage stand gegen Aussage. Am Schreibtisch war dieser Streitfall, so schien es, jedenfalls nicht zu lösen. Man setzte also auf ein Gespräch unter neutraler Aufsicht. Als geeignete schiedsrichterliche Instanz hierfür kam nur das Aschaffenburger Kommissariat und sein Leiter Aegidius de Brabant (9) in Frage. An ihn erging daher am 10. November die Weisung, er solle die streitenden Parteien an einen Tisch bringen, um die Sache gütlich aus der Welt zu schaffen, da man bereits mit „großem Mißfallen“ die Angelegenheit verfolge; der Kommissar solle beiden Kontrahenten ihre „unverantwortlichen, hitzigen Reden“ verweisen und Meldung erstatten, wer von beiden sich einer gütlichen Einigung widersetze.

Zu dieser Aussprache scheint es aber nicht gekommen zu sein; denn am 25. November trumpfte Dr. Menni in einem fünften Brief erneut auf, indem er nicht nur genüsslich das an Colchon gerichtete Dekret vom 24.9. und die Aufforderung an den Kommissar de Brabant vom 10.11. zur gütlichen Aussprache zitierte, sondern auch darauf verwies, die Halsstarrigkeit und Widersetzlichkeit des impertinenten Abts ziehe sogar „hochnachteilige Consequenzen“ für die Autorität des Erzbischofs selbst nach sich. Er dagegen, Menni, fordere nur sein gutes Recht, das sogar von der Mainzer „landtsordnung, der Medicorum stant betreffend“, gedeckt sei.

Am 2. Dezember erneuerte der Erzbischof seine Weisung vom 10.11., die Streithähne endlich an einen Tisch zu bringen. Bereits am 1. Dezember war Dr. Menni aufgefordert worden, bis zum Zustandekommen dieser Aussprache abzuwarten und sich mit Schimpfworten zurückzuhalten. In Mainz herrschte vermutlich die nicht ganz abwegige Meinung vor, der Abt Colchon sei es, welcher die gütliche Einigung hintertreibe, und so erging am 4.12. in leicht gereiztem Ton an ihn die Aufforderung, er solle sich endlich zum Aschaffenburger Kommissar „bequemen“ und dafür sorgen, dass die leidige Angelegenheit ohne weitere „Cantzleybehelligung“ ihr Ende finde. Wie man sieht, war Colchons Argument aus seinem ersten Schreiben an den Kurfürsten, mit dem er Menni als wichtigtuerischen Zwerg abqualifizieren wollte, auf ihn selbst zurückgefallen.

Dr. Menni dagegen baute seine Stellung weiter aus. Vom 2. Dezember 1643 stammt die erste von vier „Specificationes vornembster Mühe verwalttungen...“, in der er alle Tätigkeiten für das Kloster von 1637 bis 1643 auflistet (10) und auch die dafür erhaltene Bezahlung nicht auslässt. Um auch den Kommissar für sich einzunehmen, übersandte er ihm am 23. 12. ein Memoriale, worin er seine Vorwürfe im Grundsätzlichen wiederholte, aber zugab, für seine an 228 Tagen in den sieben Jahren geleisteten Dienste vier Ohm Wein und acht Malter Korn erhalten zu haben – anstelle eines geschuldeten Honorars (debiti honorarii).

Ende Dezember 1643 kam es endlich zu dem angeordneten Schlichtungsgespräch vor dem Kommissar. Wie diese Anhörung aus der Sicht Dr. Mennis ablief, erfahren wir aus seinem sechsten Brief an den Erzbischof vom 19. Januar 1644. Dort heißt es, es sei, am 28. Dezember zu einem vom Kommissar angesetzten „Vergleichstag“ gekommen, zu welchem Abt Colchon drei Abgeordnete geschickt habe, die im Auftrag ihres Herrn alle Vorwürfe als haltlos hingestellt hätten, obwohl er, Menni, neben fünf eigenhändigen Schreiben Colchons und seines Subpriors (Leonhard Walz) auch mit Originalrezepten aus der Apotheke, „da die medicamenta praepariert worden“, habe beweisen können, dass seine Darstellung richtig sei. Der Abt habe in seiner verleumderischen „Excusationsschrift“ selbst zugegeben, ihn für 108 Tage in den Jahren 1637 – 1643 nur mit lächerlichen vier Dukaten abgespeist zu haben, für die beiden letzten Jahre 1642 und 1643, d. h. für 120 Tage, habe er auch nur vier Ohm Wein und sieben Malter Korn erhalten. Nach diesen Ausführungen wechselte Menni die Sprache und fuhr, wohl um Colchons gedrechselten Stil nachzuäffen, in lateinischer Sprache fort: „Cavillationes, victas iam et futiles contradictorias nugas, irregularitates et indecentias in ultimo libello et glossa sua non responsione sed Vulcano dignas ipse ingratus et per suos parasitas in loco gratiarum actionum pro functis meritis non solutis effutire non erubuit...“. (Dieser Undankbare hat selbst oder durch seine Parasiten, anstatt für erwiesene, aber nicht bezahlte Dienste dankbar zu sein, sich nicht entblödet, in seiner letzten Schrift und Randbemerkungen Haarspaltereien, längst widerlegte und alberne Possen, dummes Zeug und Unverschämtheiten daherzuplappern, die keine Antwort verdienen, sondern in den Ofen gehören). Der Erzbischof möge nun mit einem „Decretum executorium“ der skandalösen Widerspenstigkeit des Abts ein Ende setzen.

Halten wir hier einen Augenblick inne! Wenn wir uns die jeweiligen Standpunkte vergegenwärtigen, so erscheint Colchons Position plausibler. Er kann einen unzweideutigen Vertrag mit Dr. Menni vorweisen, der die Honorarfrage zweifelsfrei regelt, allerdings erst ab dem 19. Dezember 1641. Vor diesem Zeitpunkt wurde Menni von Fall zu Fall mit Geld oder in Naturalien abgefunden. Hätte Menni Grund zur Klage wegen vorenthaltener Honorare gehabt, so wäre schwerlich mit ihm der oben genannte Vertrag zustande gekommen, der ja vornehmlich deshalb geschlossen worden war, um denkbaren Verstimmungen künftig vorzubeugen. Aus Sicht Colchons hob der Vertrag vom Dezember 1641 alle früher einmal getroffenen Abmachungen und Ansprüche für die Zukunft auf. So hatte es – zumindest damals – auch Dr. Menni gesehen. Und da Colchon diesem Vertrag entsprechend handelte, was auch Menni schließlich nicht mehr leugnen konnte, sah er keinen Grund, den Forderungen des Arztes auch nur andeutungsweise nachzugeben.

Dr. Menni dagegen setzte gegen die Logik der Tatsachen, die Colchon in Stellung brachte, den Appell an das Gefühl. Wortreich und theatralisch fallen seine Schreiben aus. Er ahnte zumindest, dass er der Schärfe des Intellekts, die dem Abt die Feder führte, nicht mit gleicher Waffe begegnen könne. Im Vergleich zu Colchons Widerlegung wirkten Mennis Angriffe wirr und unüberlegt. So ersetzte er Klasse durch Masse: Den zwei Briefen Colchons an den Erzbischof stehen 14 Briefe Mennis an Erzbischof, Kommissar und Hofratspräsident gegenüber. Trotz dieser Papierflut lässt sich bei Menni eine unanfechtbare und eindeutige Linie nicht erkennen. Will er den Vertrag von 1641 anfechten? Oder nur nachbessern? Oder Honorarforderungen aus den fünf Jahren davor eintreiben? Aber warum erst so spät? Seine Abrechnungen stimmen jedenfalls überhaupt nicht. So hatte er beispielsweise in seiner zweiten Specification selbst die in den einzelnen Jahren im Dienst des Klosters zugebrachten Tage wie folgt angegeben:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Das ergibt eine Summe von 201 Tagen. Menni dagegen kommt im gleichen Papier nur auf 128 Tage. In seinem Memoriale an den Kommissar nennt er dann allerdings 228 Tage, während er für die ersten fünf vertragsfreien Jahre in seinem Brief vom 19.1.1644 108 Tage errechnet, stattdessen sind es aber 130 Tage. Menni gehörte offenbar zu den gefühlsgeleiteten Menschen, denen die Klarheit des Denkens und Argumentieren nicht gegeben ist. Seine Klagelieder über den Undank der Welt im allgemeinen und jenes Abts und seiner Parasiten im besonderen verfingen aber – fürs erste jedenfalls – selbst bei den Mainzer Bürokraten. Colchon jedoch erkannte sofort den Schwachpunkt seines Gegners, nämlich, dass das Zahlenwerk widersprüchlich und eine schlüssige Beweisführung im ganzen nicht auszumachen war. Hier konnte er die scharfe Klinge seines Verstandes ansetzen und seinerseits Dr. Menni, der bereits gewonnen zu haben glaubte, in eine zweite Runde zwingen.

Als erstes verfasste er –spätestens im Dezember 1643 – eine „kurze und einfache Antwort (responsio brevis et simplex) auf das, was Dr.Dr.Menni, Aschaffenburger Physicus, vorgibt...“. In Form einer zweispaltigen Rubrik, die sechs Seiten umfasst, werden von Colchon die (falschen) Aussagen des Arztes seiner eigenen Richtigstellung gegenübergestellt. Dazu ein Beispiel, um Colchons Vorgehensweise zu veranschaulichen:

In der linken Spalte heißt es:

„Dr. Menni schreibt, er sei am 2. Juni 1637 zu P. Laurentius, der an der Ungarischen Seuche litt, nach Seligenstadt gereist und habe ihm in seiner Schwäche vier Tage aufgewartet.“

In der rechten Spalte:

„Darauf wird geantwortet: dass diese Stadt am 1. Mai vom Feind eingenommen worden ist (11), weshalb, solange diese Tyrannei andauerte, nur wenige Mönche im Kloster verblieben, die meisten aber an unterschiedliche Orte geschickt worden waren, und zwar einerseits wegen der Getreideknappheit (Teuerung), andererseits wegen der Tyrannei der Feinde. Unter den Entlassenen befand sich auch der oben erwähnte P. Laurentius, der mit P. Petrus nach Amorbach geschickt worden war und sich dort bei bester Gesundheit aufhielt. Pater Elias wohnte zusammen mit P. Michael wohlbehalten in Bamberg, wohin man sie während dieser Unglückszeit und feindlichen Bedrückung geschickt hatte. Andere wurden wieder woanders hingeschickt, und keiner von diesen ist vor Wiedereroberung der Stadt durch den Grafen von Dohna, die am 27. Juni erfolgte (12), zurückgekehrt...“. Es folgen einige Bemerkungen zur Festsetzung der wenigen im Kloster verbliebenen Mönche durch den Kapitän Fischer (13) und dann die höhnische Frage, wie denn Dr. Menni die in Bamberg und Amorbach sich bester Gesundheit erfreuenden Mönche von Aschaffenburg aus habe kurieren können? Colchon beschließt seine Gegendarstellung an dieser Stelle mit den anzüglichen Worten: „Cuivis prudenti discutiendum reliquitur“, was man frei übersetzen könnte mit: „Ich möchte es jedem, der denken kann, überlassen, (das ganze Lügengebäude Mennis) kurz und klein zu schlagen“.

Colchons Strategie war also darauf angelegt, die Angaben seines Widersachers als Ausgeburten eines kranken Hirns hinzustellen. „Ibi valde hallucinatur“ (hier spinnt er wieder einmal sehr) merkt er süffisant an, als Menni Leonhard Walz „in febri acuta“ 1639 zu einem Zeitpunkt behandelt haben will, als der Subprior sich gar nicht im Kloster aufgehalten habe. Mit Leuten seines Schlages, die ein Lügengewebe zusammenspönnen, könne man nicht mit Worten, sondern nur mit Prügeln und Mistgabeln streiten („non verbis, sed verberibus et furcis pugnandum est“ lautet sein Wortspiel). Ein armseliger Narr, dem das Lügen und Betrügen zur zweiten Natur geworden sei, - so entsteht das abstoßende Bild des Dr. Menni, wie Colchon es mit feinem Pinsel zeichnet. Dass er dabei ein Zerrbild des Arztes entwarf, scheint Colchon nicht bekümmert zu haben. Ihm kam es ausschließlich darauf an, dass Mennis Klage als unbegründet abgewiesen werde, und zu diesem Zweck nutzte er alle Blößen, die ihm der arglose Menni bot, gnadenlos aus. Mennis empfindlichster Schwachpunkt und Kardinalfehler war es, dass er seine Honorarforderung anhand von vier „Specificationes“ (= Aufstellungen) nachzuweisen suchte. Sie waren in vielen Details unkorrekt, widersprüchlich und unterschiedlich. Colchon konnte also zu Recht feststellen, an Mennis Listen stimmten weder Tage, noch Monate noch die Angaben zu Krankheiten und Personen; denn Colchon besaß das, was Menni fehlte: ein akribisch geführtes Tagebuch, von dem er selbst rühmend sagte, in ihm seien sowohl die kleinsten wie die größten Dinge aufs sorgfältigste verzeichnet. Das glaubt man ihm aufs Wort, wenn Rückschlüsse aus seiner minutiösen Handschrift oder aus seinem Krankheitsbild auf seine Persönlichkeit erlaubt sind. Menni dagegen führte zwar auch oft sein „diarium“ als Beweismittel an, war aber in der Genauigkeit und Vollständigkeit seiner Eintragungen dem Abt hoffnungslos unterlegen. Was Colchon als bewussten Betrug, Lüge und Irreführung hinstellte, war in Wirklichkeit das Ergebnis einer großzügigen, also schlampigen Buchführung. Auf diesem Feld musste Menni selbstverständlich den kürzeren ziehen.

Was die Position Mennis zusätzlich erschütterte und diejenige Colchons festigte, war der Umstand, dass Dr. Menni offenbar bereute, dem Vertrag vom 19.12.1641, den er laut Colchon selbst gewünscht und dessen Zustandekommen er „mit Applaus, Zufriedenheit und Freude“ vor zahlreichen Zeugen zur Kenntnis genommen hatte, vorschnell zugestimmt zu haben. Zu allem Überfluss hatte er auch – ebenfalls vor Zeugen – dem Abt mit Handschlag versichert, alle vor dem 19.12.1641 geleisteten Dienste oder daraus herrührenden Forderungen seinerseits seien mit Inkrafttreten des Vertrags „dimissa et extincta“ (hinfällig und erloschen). Angesichts der Tatsache, dass der Vertrag im Original vorlag, klang die Erwiderung Mennis, das alles sei gar nicht wahr („nulla und nichtig“), recht matt, und auch, dass er dem Abt die Hand gereicht habe, sei nur ein Akt der Höflichkeit gewesen, erschien arg naiv. Die Aussagen ihres Abts bestätigten am 12.1.1644 auch drei Zeugen aus dem Kloster, nämlich P. Johann Conrad Bauer, Exprior und Jubilarius, P. Martin Hamman, Culinarius und Priester, sowie Wilhelm Dalken, Kanoniker aus Aschaffenburg (14). Dem Dr. Menni könne als notorischem „fractor veritatis“ (= Wahrheitsbrecher) nicht länger Glauben geschenkt werden.

Sehr wahrscheinlich hat sich Dr. Menni, dem man seinen rastlosen Einsatz für seine Patienten gern glauben möchte, von Abt Colchon übervorteilt gesehen. Das vereinbarte Honorar schien ihm doch nicht der angemessene Gegenwert für seine aufreibende Tätigkeit im Dienst des Klosters zu sein. Jovial und schnell für eine Sache eingenommen, hat er einen Vertrag per Handschlag gutgeheißen, bei dem er, wie er alsbald feststellen musste, nicht auf seine Kosten kommen würde, und will nun mit seinen – dank Colchons Feinarbeit untauglichen - Mitteln eine Nachbesserung durchsetzen. Ob er damit durchdringt, wird sich bald zeigen. Nehmen wir also den Faden unserer Geschichte wieder auf, den wir aus der Hand gelegt haben, als Menni am 19.1.1644 gerade seinen sechsten Beschwerdebrief an den Kurfürsten abfasste.

Das längst fällige Schiedsverfahren hatte also am 28. Dezember 1643 stattgefunden, dessen

für Menni betrüblicher Ausgang ihn veranlasste, am 3. Februar eine siebte Bittschrift nach Mainz zu senden. Er schreibt da, bei der Kommissariatsversammlung, zu der üblicherweise drei unabhängige „Consulenten und Assessores“ hätten hinzugezogen werden sollen, sei nur Adam Bensheimer (15), ein Intimus des Abts Colchon und als Kanoniker im Stift St. Peter und Alexander zugleich „quotidianus conviva“ (enger Vertrauter) des Colchon-Bruders Johann (16), der ebenfalls hier Kanoniker sei, erschienen. Von einem solchen Tribunal sei ein gerechtes Urteil in seiner Sache gewiss nicht zu erwarten. Er bitte also vor Schließung des Endurteils um ein unparteiisches Abwägen seiner Gründe. Er wolle nicht damit angeben, was er „in dem eigentümlichen geheimen Leiden“ (in particulari affectu secreto suo) des Abts ohne Beiziehung eines Chirurgen geleistet und eigentlich verdient hätte, auch nicht aufzählen, was ihn seine „essentiae, tincturae mettalicae et pretiosae“, die er dem Abt in Arzneien verabreicht habe, selbst gekostet hätten...

Dieses Schreiben hatte seinen Empfänger noch nicht erreicht, als der Erzbischof am 5. Februar den Kommissar Aegidius de Brabant anwies, ihm über den Sachstand zu berichten und Dr. Menni aufzufordern, sich noch etwas zu gedulden. Geduld war nun am allerwenigsten die Stärke des impulsiven Mannes. Eilig setzte er am 13. Februar seinen achten Brief an den Erzbischof auf, in welchem er seine bekannte Litanei wiederholt, dass er nämlich in der Zeit von 1637 bis 1641 108 Tage im Dienst des Klosters zugebracht habe bei nur vier schäbigen Dukaten Entlohnung, und weitere 120 Tage von 1641 bis 1643, zusammen also 228 Tage. Die kurfürstliche Tax-Ordnung für Ärzte sehe aber vor, dass einem Medicus „über Land“ zwei Taler täglich, ansonsten für die erste Konsultation in der Praxis ein Goldgulden und für alle weiteren ein Kopfstück (1/3 Gulden) zustehe. Er fordere also Gerechtigkeit für einen „uffrichtigen medicum“.

Dieses achten Briefes hätte es gar nicht bedurft; denn am 16.2.1641 erging an Dr. Menni ein kf. Dekret, wonach in seiner Angelegenheit seitens des Kommissars in Aschaffenburg noch nichts entschieden sei, er sich aber zur abschließenden Klärung des Falles dorthin verfügen solle. Diese Verhandlung muss Ende Februar oder Anfang März 1644 stattgefunden haben und ging für Dr. Menni ganz übel aus. Ihren Verlauf skizzierte Aegidius de Brabant in seinem Bericht an den Erzbischof vom 8. März folgendermaßen: Erschienen sei der Kläger Dr. Menni, von Seiten des Klosters der Abt, sein Prior und ein weiterer Mönch. Er habe beiden Parteien zunächst „ihrer unverantwortlichen, hitzigen Reden wegen einen starken Verweis getan“ und sie letztmalig ermahnt, sich in der Güte zu vergleichen. Dr. Menni aber habe sich dazu keineswegs verstehen wollen, so dass er, der Kommissar, ein schriftliches Verfahren als letzten Ausweg sehe. Der Abt dagegen habe glaubhaft machen können, dass er den Arzt 1641/43 kontraktgemäß entlohnt habe. Zur weiteren Entscheidungshilfe füge er sechs Beilagen bei:

1. den Vertrag Menni – Kloster vom Dezember 1641 in originali,
2. eine Abschrift aus dem Klostertagebuch, betreffend den Vertragsabschluß,
3. eine (dritte) Spezifikation Dr. Mennis, betreffend seine Tätigkeit im Kloster 1637-1643,
4. die Antwort („responsio brevis et simplex...“) des Abtes hierauf,
5. eine eidesstattliche Erklärung des Paters Konrad Bauer u.a.,
6. eine Erklärung des Pater Lemmelius, P.Spiritualis im Kloster Schmerlebach, darüber, dass Menni gegenüber Johann Colchon, dem Bruder des Abts, in Schmerlebach geäußert habe, er sei immer vertragsgemäß bezahlt worden.

Gegen Schluss der Verhandlung habe Abt Colchon „zwar nit aus Schuldigkeit“, sondern um des lieben Friedens willen Dr. Menni die freiwillige Lieferung von weiteren zwei Ohm Wein angeboten, was dieser aber ausgeschlagen und stattdessen 100 Goldgulden verlangt habe. Colchon muss Menni sehr gut durchschaut haben, dass er das (nicht ernst gemeinte ?) Angebot in der sicheren Erwartung machte, sein Gegner werde es ohnehin brüsk zurückweisen. Menni tat ihm den Gefallen, und damit war der Fall so gut wie erledigt. Aus Mennis Sicht trug natürlich Colchon die Schuld am Fehlschlag der Vermittlung; denn der Abt habe „in seiner Lütticher Art“ – was wohl heißen soll: in seiner widerlich arroganten Art – sich dem kf. Dekret vom August letzten Jahres widersetzt. Ihn kümmere es gar nicht, dass derjenige, „der einem Arbeiter seinen Lohn vorenthält, ein himmelschreiendes Unrecht begehe“ (qui operario mercedem suam detrahit, peccatum in caelum clamans comittit). Und dass sich im Kommissariat alles gegen ihn verschworen habe, liege daran, dass der zuständige Sachbearbeiter D. Krebs auch gleichzeitig „Advocatus des Closters sey“, und da sei für „grosse Partheylichkeit“ ja gesorgt. Soweit sein neunter Brief an den Kurfürsten

Dr. Menni muss es nun zu spät aufgegangen sein, wie schlecht es um sein Anliegen stand. Er, der zu Beginn des Streits – nächst Gott – Herr über Leben und Tod zu sein behauptet hatte, beugte sich nun ganz tief. Das zeigt sich beispielsweise in seinem Schreiben vom 16. März 1644 an den Hofmeister Gerhard von Waldenburg, den er bereits einmal im Oktober 1643 angeschrieben hatte. Adressiert ist dieser Brief an den „Hochwohlgeborenen, Hoch Ehrwürdigen, Hoch- und Wohledelgeborenen, wohledlen, gestrengen, Edlen fest- und hochgelehrten Herrn, Herrn Großhofmeister, Präsidenten und hochansehnlichen Rat des hochlöblichen kurfürstlich Mainzischen Hofrats, meinen gnädigen, großgünstigen und hochgeehrten Herrn“. Der Brief wiederholt die nun schon sattsam bekannten Vorwürfe und Forderungen. Auch die nachgereichte (vierte) Spezifikation vom 20. März mit Nachweis aller von Menni ausgestellten Rezepte von 1637 bis 1643 konnte nun nichts mehr ausrichten.

Trotzdem gab Menni noch nicht klein bei. Er verwies in seinem zehnten Brief vom 29.3. darauf, dass die Zeugenaussagen der drei Seligenstädter Kleriker natürlich belanglos seien, da diese unter dem Kommando des Abtes stünden und „sein Liedlein singen“ müssten. Es sei auch aktenkundig, so schreibt er in seinem elften Brief an den Erzbischof am 23.4, dass er „mit Hindansetzung seines leibs und guts Wolfahrt und Glückseligkeit bey tag und nacht...“ den Abt Colchon und die Seinigen „vielfaltig auß dem rachen des todtes nechst Gott gerißen“ habe, und was sei der Dank?

Mennis letzter (zwölfter) Brief, datiert vom 21. Juni 1644, verrät endlich Resignation. Seine Beschwerde liege nunmehr ein ganzes Jahr bei der kf. Kanzlei und dem Hofrat. Der Abt wolle ihm und den Seinen „das brot vorm mundt abschneiden“, ihm seine „nahrung vorm mundt wegnehmen“, fürchte weder Gott noch die Gerechtigkeit. Er wisse nicht, wie er sich und seine Familie weiterhin durchbringen solle

Mit dieser Klage endet die Akte „Menni gegen Colchon“.

Schlussbetrachtung

Sollen wir nun den Jubelruf des Seligenstädter Wallfahrtsliedes anstimmen, der da lautet: „Der Irrtum ward besiegt, die Wahrheit triumphierte“?

So sah es vielleicht Abt Colchon. Aber in diesem Streit ging es ja gar nicht um Wahrheit oder Lüge, Rechtschaffenheit oder Betrug, sondern ums liebe Geld. Beide Widersacher hatten im Grunde das gleiche Interesse, nämlich Wahrung ihres Besitzstandes; der eine wollte keine Schmälerung hinnehmen, der andere eine Mehrung durchsetzen. Die Frage lautet also nicht: Wer von beiden war wahrheitsliebender, aufrichtiger?, sondern: Wer hat sein Interesse geschickter vertreten? Hier war der polternde Choleriker Menni dem feinsinnigen und kühlen Colchon unterlegen.

Gegensätzlicher konnten die beiden Männer, die sich da gegenüberstanden, ja auch kaum sein. Colchon, der überbeschäftigte Professor der Theologie, Abt eines Klosters, kaiserlicher Restitutionskommissar nach 1629, dann Präsident der Bursfelder Union, ein Verstandesmensch von unversiegbarer Arbeitskraft, der keine Sekunde seiner wertvollen Zeit an sinnlose Unternehmungen verschwendete, der alles scharf kalkulierte und überblickte, ein Mann der Ordnung, ja peinlichen Genauigkeit und Logik, - dieser Colchon, in Mennis Augen ein akademische Pfennigfuchser und Silbenstecher, der bezeichnenderweise ständig an chronischer Verstopfung und Hämorrhoiden litt, muss dem Arzt aus ganzem Herzen zuwider gewesen sein, wie er seine Buchstaben so säuberlich aneinander reiht als wären es kostbare Perlen auf einer Schnur. Dr. Menni sprach ja des öfteren voller Hohn über „das große Wesen“, das der akribische Colchon um seine Buchstaben mache. Dieser „kleine Papst“ mit seiner unangenehmen „Lütticher Art“ war einfach nicht zu fassen. Jedenfalls nicht mit den groben Mitteln, die Menni zu Gebote standen.

Dieser war der fleischgewordene Widerspruch zu Colchon: ein Chaot und Gefühlsmensch, der seine Kräfte wie Sisyphus sinnlos vergeudete. Wir sehen ihn am Schreibtisch, wie er einen verworrenen Brief nach dem anderen nach Mainz schreibt, nein, aufs Papier kratzt, eine Spezifikation nach der anderen abfasst, alle fast gleichlautend, - wie auch Sisyphus immer den gleichen Felsbrocken den steilen Berg hinaufwälzt, um dann wieder unten von neuem zu beginnen. War es bei Sisyphus der Fluch der Götter, so ist Menni in der Unzulänglichkeit seiner Wesensart gefangen. Er fühlt wohl, dass er mit seiner ärztlichen Kunst in diesen Zeiten der Seuchen, des Hungers und Elends letztlich auf verlorenem Posten steht, dass er sich verausgabt, ohne wenigstens für sich und seine Familie ausreichend sorgen zu können. Ein verbitterter, vom Leben enttäuschter Mensch, der überall auf Unverständnis stößt, Ablehnung, Undank und Missgunst erfährt, so steht Dr. Menni vor uns. Man mag seine Kraftmeierei, die sehr schnell in Selbstmitleid und Weinerlichkeit umschlagen konnte, seinem reizbaren Gemüt zugute halten. Weiterhin mag man in Rechnung stellen, dass die oft zitierten zwei Ohm Wein und vier Malter Korn, die Menni laut Vertrag jährlich zustanden, im Wert drastisch gefallen waren. Ein Malter Korn, der 1637 noch etwa 16 Gulden wert gewesen war, kostete 1643 nur noch zwei Gulden. Nicht anders sah es beim Wein aus. Wollte Menni also seine Naturaleinkünfte zu Geld machen, so erhielt er 1643 nur noch etwa den achten Teil der Summe, die er 1637 erzielt hätte. Für diesen ruinösen Preisverfall, eine unmittelbare Folge der Ausplünderung im 3o-jährigen Krieg, war natürlich nicht Abt Colchon verantwortlich zu machen. Menni war Opfer der desolaten Verhältnisse geworden. Reichtümer hat er wohl nicht aufgehäuft; jedenfalls reichte es nicht zum Kauf eines Hauses, sonst wäre Dr. Menni als Hausbesitzer im „Aschaffenburger Häuserbuch“ an irgend einer Stelle zu finden (17).

Dass er sich mit Colchon in diesen Streit, den er nach Lage der Dinge nicht gewinnen konnte, überhaupt einließ, bleibt trotz allem ein psychologisches Rätsel. Eine an sich naheliegende gütliche und vertrauensvolle Aussprache zwischen Arzt und Patient lag wohl bei der Grundverschiedenheit beider Charaktere außerhalb aller Möglichkeiten.

Ich muss gestehen, dass mir Dr. Menni „sympathischer“ ist, dass ich (im Wortsinne) eher mit ihm „Mitleid“ empfinde, in all seinen vergeblichen Anstrengungen, wie er am Ende sogar all seine Pillen, Wässerchen, Latwerge und Kompressen auflistet, sich zum Erbsenzähler erniedrigt, um doch noch das Schicksal zu wenden. Der souveräne Colchon dagegen ist auf diese „Sympathie“, dieses Mitleid, nicht angewiesen. Er, der Dr. Menni intellektuell weit überlegen war und dies seiner Umwelt auch zu verstehen gab, hat den wirren Feuerkopf mit wenigen Zügen und leichter Hand mattgesetzt.

[...]

Ende der Leseprobe aus 66 Seiten

Details

Titel
Heilkunst im 17. Jahrhundert
Untertitel
Wie Dr. Menni die Seligenstädter Mönche kurierte und dabei mit Abt Leonhard I. in Streit geriet
Autor
Jahr
2001
Seiten
66
Katalognummer
V176177
ISBN (eBook)
9783640978113
ISBN (Buch)
9783640978021
Dateigröße
777 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Arzneien, Honorarstreit, Krankheiten, Flecktyphus, Apotheke, Bezoardica, Humoralpathologie
Arbeit zitieren
Manfred Schopp (Autor:in), 2001, Heilkunst im 17. Jahrhundert, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/176177

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