Am 10. Oktober 19 n. Chr. starb Germanicus Caesar mit nur 34 Jahren im syrischen Antiochia. Sein überraschender Tod löste im gesamten Römischen Reich eine Welle der Trauer und der Verzweiflung aus.
Die öffentliche Erregung steigerte sich noch aufgrund der rätselhaften Umstände, unter denen Germanicus zu Tode kam. Die Menschen waren davon überzeugt, dass sein Tod keines natürlichen Ursprungs gewesen sei, und ein Verantwortlicher war bald gefunden: Tiberius, Princeps und Adoptivvater des Getöteten, habe ihn ermorden lassen. Sein Motiv war eindeutig, denn mehrmals schon habe er sein Missfallen gegenüber Germanicus kaum verbergen können.
Die Ermordung des Germanicus stellt den Höhepunkt einer Reihe von Vorwürfen dar, die Tacitus gegen den Kaiser vorbringt und die die Grundlage seiner negativen Tiberius-Darstellung ausmachen. Sie ist geprägt durch einen Princeps, der sich angeblich durch tyrannische Willkür und niederste Gefühle leiten lässt. Dem Bild des ränkeschmiedenden, verschlossenen und ewig misstrauischen Tiberius stellt Tacitus die leuchtende Heldengestalt des Germanicus kontrastiv gegenüber. Germanicus, leutselig und beliebt bei Volk und Soldaten, hat mehr als irgendein anderer unter dem Hass und der Eifersucht des Kaisers zu leiden und fällt diesen letzten Endes zum Opfer.
Doch wie war es tatsächlich um die Beziehung zwischen Tiberius und Germanicus bestellt? Wurde Tiberius in seinem Verhalten gegenüber Germanicus wirklich allein durch Eifersucht und Misstrauen getrieben und war Germanicus ausschließlich Opfer eines tyrannischen Princeps? Waren die Verhältnisse genau umgekehrt? Oder finden sich Argumente, die ein differenzierteres Bild vom Verhältnis beider Männer nahe legen, die Existenz eines Konflikts gar generell in Frage stellen?
Diesen Fragen gilt es im Folgenden auf den Grund zu gehen. Im Mittelpunkt meiner Untersuchung werden die wichtigsten Etappen und Ereignisse im Verhältnis zwischen Tiberius und Germanicus stehen. Ausgehend von Tacitus’ Bericht ist in einer Analyse der Meuterei am Rhein, der Germanienfeldzüge und der Orient-Mission des Germanicus danach zu fragen, ob Unstimmigkeiten zwischen beiden Männern bestanden und, wenn ja, worauf diese zurückzuführen sind. Dabei gilt es, trotz einseitigen und tendenziösen Quellenmaterials auf eine möglichst ausgewogene Bewertung der Tiberius-Germanicus-Beziehung zu schließen. Eine Untersuchung der Vorwürfe, denen Tiberius nach dem Tod des Germanicus ausgesetzt war, schließt die Arbeit ab.
Inhaltsverzeichnis
- EINLEITUNG
- 1. DIE ADOPTION DES GERMANICUS DURCH TIBERIUS
- 2. DIE MEUTEREI AM RHEIN 14 N. CHR.
- 2.1 Die Loyalitätsfrage
- 2.2 Die Unterdrückung der Meuterei
- 2.2.1 Germanicus' Maßnahmen zur Unterdrückung der Meuterei
- 2.2.2 Die Unterdrückung der Meuterei bei Tacitus und die Reaktion des Tiberius
- 3. DIE GERMANIEN-FELDZÜGE DES GERMANICUS 15-16 N. CHR.
- 3.1 Feldzüge und Abberufung aus Sicht des Tacitus
- 3.2 Kritische Bewertung der Darstellung des Tacitus
- 3.3 Der Brief des Tiberius an Germanicus Tac. ann. 2,26
- 3.4 Die Kriegführung des Germanicus und des Tiberius im Vergleich.
- 3.4.1 Exkurs: Die Germanien-Feldzüge des Tiberius 9-13 n. Chr.
- 3.4.2 Die Feldzüge des Germanicus unter dem Aspekt der tiberianischen Kriegführung.
- 3.5 Die Befehlsverweigerung des Germanicus.
- 4. DIE ORIENT-MISSION DES GERMANICUS 17-19 N. CHR.
- 4.1 Die Berufung Pisos zum Statthalter in Syrien 17 n. Chr.
- 4.1.1 Die Berufung Pisos in den Quellen.
- 4.1.2 Tiberius' Gründe für die Berufung Pisos.
- 4.2 Die Ägyptenreise des Germanicus 19 n. Chr.
- 4.1 Die Berufung Pisos zum Statthalter in Syrien 17 n. Chr.
- 5. DER TOD DES GERMANICUS
- 5.1 Andeutungen und Gerüchte: Die Schuldfrage bei Tacitus
- 5.2 Tiberius, der Mörder des Germanicus?
- FAZIT
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die vorliegende Arbeit untersucht das Verhältnis zwischen Tiberius und Germanicus und stellt die Frage nach möglichen Konflikten zwischen beiden Männern. Die Analyse der Meuterei am Rhein, der Germanienfeldzüge und der Orient-Mission des Germanicus soll klären, ob und gegebenenfalls warum es zu Unstimmigkeiten zwischen ihnen kam. Dabei steht die Frage im Mittelpunkt, ob Tiberius in seinem Verhalten gegenüber Germanicus tatsächlich allein durch Eifersucht und Misstrauen getrieben war und Germanicus ausschließlich Opfer eines tyrannischen Princeps wurde. Die Arbeit analysiert die Vorwürfe, denen Tiberius nach dem Tod des Germanicus ausgesetzt war.
- Die Adoption des Germanicus durch Tiberius
- Die Meuterei am Rhein 14 n. Chr. und die Loyalitätsfrage
- Die Germanien-Feldzüge des Germanicus und die Rolle des Tiberius
- Die Orient-Mission des Germanicus und die Berufung Pisos
- Der Tod des Germanicus und die Schuldfrage
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung beleuchtet den Tod des Germanicus und die darauf folgenden Gerüchte über ein mögliches Attentat durch Tiberius. Im ersten Kapitel wird die Adoption des Germanicus durch Tiberius beleuchtet, die als Grundlage für ihre spätere Beziehung dient. Das zweite Kapitel widmet sich der Meuterei am Rhein 14 n. Chr., die sowohl die Loyalitätsfrage als auch die Rolle von Germanicus bei der Unterdrückung des Aufstands beleuchtet. Das dritte Kapitel behandelt die Germanien-Feldzüge des Germanicus und analysiert die Darstellung des Tacitus sowie die kritische Bewertung der Kriegführung beider Männer. Das vierte Kapitel behandelt die Orient-Mission des Germanicus und die Berufung Pisos als Statthalter in Syrien, wobei die Gründe für diese Entscheidung sowie die Ägyptenreise des Germanicus im Vordergrund stehen.
Schlüsselwörter
Die wichtigsten Schlüsselwörter der Arbeit sind: Tiberius, Germanicus, Meuterei am Rhein, Germanienfeldzüge, Orient-Mission, Beziehung zwischen Princeps und Adoptivsohn, Loyalitätsfrage, Kriegführung, Tiberius-Bild bei Tacitus.
- Citation du texte
- MA Sonja Nadolny (Auteur), 2008, Tiberius und Germanicus, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/176588