Darstellung und Bewertung der DDR und der Revolution 1989-90 in Thomas Rosenlöchers "Die verkauften Pflastersteine"


Hausarbeit, 2011

15 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


l.Einleitung und Zielsetzung

Der Begriff der „Wende“ ist, obwohl durchaus umstritten[1], zur festen Bezeichnung fur die Ereignisse geworden, aus denen das Ende des sozialistischen Staates DDR und die Vereinigung von dessen fruherem Staatsgebiete mit der Bundesrepublik Deutschland hervorgingen. Im grofieren Rahmen bezeichnet er die tiefgreifenden gesellschaftspolitischen Veranderungen, die nach dem Verzicht der UdSSR auf die Vormachtstellung im Verbund der sozialistischen Staaten des „Ostblocks“ auch in vielen anderen europaischen Landern moglich wurden. Fur die Wende in der DDR wirdjedoch der Zeitraum der Massenproteste und friedlichen Demonstrationen zwischen Mai 1989 und der Volkskammerwahl im Marz 1990 als entscheidend angesehen.[2] Thomas Rosenlochers „Die verkauften Pflastersteine“ beinhaltet Tagebuchaufzeichnungen des Autoren, welche den Zeitraum vom 08. September 1989 bis zum 19. Marz 1990 abdecken. Diese Aufzeichnungen sind in funf Teile unterteilt und berichten vornehmlich von den Geschehnissen in Dresden und Leipzig, wobei Rosenlocher die Umwalzungen in der DDR insgesamt nicht unkommentiert lasst. Er greift dabei verschiedene Themen auf, wenn auch mit unterschiedlicher Gewichtung. In dieser Hausarbeit werde ich mich mit der Darstellung und Bewertung des sozialistischen Staates, der Protestbewegung und der Wiedervereinigung befassen.

2. Der sozialistische Staat in „Die verkauften Pflastersteine“

Der sozialistische Staat ist nahezu im gesamten Text durchgehend prasent, wenngleich er oft indirekt behandelt wird, etwa uber Lebensbedingungen, mutmafiliche Verhaltensweisen seiner Burger und vor allem die Handlungen seiner offiziellen Vertreter sowie ausfuhrenden Organe. Das der Tagebuchschreiber dem Staat dabei in erster Linie negativ gegenubersteht, lasst sich bereits am ersten Eintrag ablesen:

,,Besuch U. Hegewald. Reden die halbe Nacht uber Infantilitat und Unterwurfigkeit der hier Aufgewachsenen. Selbst Wolfgang, er ist nun schon funf Jahre hier weg, ware dergleichen fortwahrend anzumerken. Zerknirschungsgesichter. Blatternarbige Hauser. Uringeruch und Bahnpolizei.“[3]

In diesem kurzen Eintrag finden sich bereits wichtige Punkte, die Rosenlocher wahrend
des gesamten Werkes wieder aufgreift: Kontrolle durch die Polizei, allgemein schlechte
Stimmung der Einwohner, Verfall und Verwahrlosung werden angedeutet, was schon
kurze Zeit spater zu einer dusteren Prognose fuhrt:

,,Jedenfalls brauchen die blob so weiterzuwursteln, damit sich dieser Staat von selbst auflost. Selbst ein demokratischer Sozialismus scheint mir nur noch ein schwacher Damm.“

Doch obwohl der sozialistische Staat DDR heruntergewirtschaftet ist und der Erzahler ihm geringe Uberlebenschancen einraumt, folgt bereits kurz darauf das grundsatzliche Bekenntnis zur Idee des Sozialismus: ,,Andererseits ist der jetzige Kapitalismus eben auch ein Ubel, und ein demokratischer Sozialismus ware vielleicht doch eine Alternative/45

Hierin liegt nicht nur das Festhalten an einer Utopie, auf welches ich noch zu sprechen kommen werde, sondern auch eine weitere Absage an den Staat ,,Deutsche demokratische Republik“, welcher offiziell das zu sein vorgibt, was hier als Alternative bezeichnet wird: demokratischer Sozialismus. Dazu passt, dass der Erzahler behauptet, bisher nicht in der Lage gewesen zu sein, die Worte ,,Deutsche demokratische Republik“ auszusprechen[4] [5] [6] und sich im Nachhinein daruber argert, zu den bereits damals als Farce empfundenen Wahlen vergangener Jahre gegangen zu sein.[7] Weitere harsche Kritik ubt er, indem er schildert, wie die Staatsmacht gegen friedliche Demonstranten vorgeht:

,,Aber dann sehe ich wie eine riesige Anzahl Polizisten ausgerechnet diesen Beton-Lenin bewacht.(...)Viele Schaulustige, aber die Bosen, gegen die sich das Ganze doch richten wird, mub ich lange suchen. Tatsachlich, gegenuber dem Hotel ein paar pfeifende und johlende Gruppen. Platz geraumt, drucke mich beiseite. Jugendliche gejagt, geschlagen: Es wird sichtbar, dab die Gewalt eigentlich erst durch das martialische Auftreten der Polizei erzeugt wird.“[8]

Durch ihre beibende Ironie noch aussagekraftiger fallen die Schilderung der Verhaftung eines Bekannten und der dazugehorige Kommentar aus:

,,Aufgefallen war er offenbar dadurch, dab er mehrmals am Demonstrationszug entlanggelaufen war, um die Leute zu bitten, doch nicht auf die Wiese zu gehen, da die Wiese eine Wiese sei und folglich ein Stuck Natur. Typisch Radelsfuhrer also. Festnahme durch zwei Herren in Zivil. Kein Hilferuf seinerseits, als ob er geahnt hatte, dab es nur die helfenden Hande von Vater Staat waren und nicht irgendwelche privatisierenden Menschenfanger.(...)Die Zeitung UNION schreibt in einem sonst schon objektiven Artikel von Gewalttaten am Fetscherplatz. Sind damit die „Keine-Gewalt-Rufe“ der Eingekesselten gemeint? Oder doch mehr der obligatorische Schlag mit dem Gummiknuppel im LKW, von dem Uwes Hand so eigentumlich geschwollen ist, dab er sie in einer Binde tragt?“[9]

Mit der dieser Art der Gewaltausubung gegen friedliche Demonstranten, zu denen er sich selbst immer wieder dazugesellt, hat der Staat fur Rosenlochers Erzahler seinen moralischen Bankrott erklart, ehe es noch zur offiziellen Auflosung kommt: ,,Mit seinen Gummiknuppeln hat sich das System endgultig in die Geschichte des Stalinismus eingeschrieben.“[10]

2.1 „Die helfenden Hande von Vater Staat“ - Polizei und Stasi

Sowohl die Staatssicherheit als auch die Polizei werden im Verlauf von ,,Die verkauften Pflastersteine“ zum Thema gemacht. Diese stehen in vornehmlich negativem Licht da, sind jedoch keineswegs uber einen Kamm zu scheren. Die Polizei und vergleichbare uniformierte Berufe werden gleich eingangs erwahnt, wie schon die zitierte „Bahnpolizei“. Deren Handeln wird als schikanos empfunden, aber nicht als gravierend ungerecht. Der Erzahler vermag sogar, etwas Positives darin zu sehen:

,,Freilich hat es auch sein Trostliches, dab ich besonders von diesen armseligen Bahnhofsmutzen mit Vorliebe kontrolliert werde: Vollig verburgerlicht kann ich noch nicht aussehen.“[11]

Gegen andere Uniformierte kann offenbar zum Zeitpunkt des Schreibens bereits gefahrlos aufbegehrt werden, als etwa der Erzahler und seine Frau sich nach einem Waldspaziergang weigern, sich von einem vermuteten Grenzhelfer kontrollieren zu lassen:

,,Unsere Antwort, vielleicht eine kleine Sensation fur uns selbst, lautet beinahe im Chorus:

,,Wir denken nicht daran.“ Das Aufheulen des davonfahrenden Motorrads kommt uns vor wie ein langgezogener Wutschrei.“[12]

Hier deutet sich indessen schon an, dass fortwahrende Uberwachung und Kontrolle zu einer tief sitzenden Angst vor den repressiven Moglichkeiten des Staates gefuhrt haben. Schon das Nichtbeachten eines motorisierten Handlangers von vermutlich geringen Status und geringen Befugnissen kommt in der eigenen Empfindung beinahe einer Sensation gleich. Hinzu kommen Kindheitserinnerungen an die Unruhen des 17. Juni 1953, die den Ich-Erzahler tiefbeeindruckt zu haben scheinen:

,,Damals war ich sechs Jahre. So hatten wir auch in den letzten zehn, zwanzig Jahren immer mehr Respekt, als ihn das doch eigentlich auch sanfte Zwangssystem eigentlich erforderte.

Nun aber konnte chinesisch gesprochen werden.“[13]

Hier zeigt sich nochmals die Angst vor Repressionsmitteln, die dem Staat zur Verfugung stehen, und die nach Befurchtung des Erzahlers so umfassend eingesetzt werden konnten wie durch die chinesische Fuhrung im Juni 1989 auf dem Tian'anmen-Platz in Peking. Allerdings wird in Bezug auf die Polizei durchaus zwischen den Beamten in ihrer Funktion als Polizisten und als Personen differenziert. Als exemplarisch dafur kann die geschilderte Begegnung mit einem Polizisten nach Feierabend in der Kneipe gelten, bei welcher dieser indirekte Kritik an seinem Beruf aufiert: „Musse eben 25 Jahre vollmachen, wegen Rente, ja, aber dann suche er sich eine richtige Arbeit.“[14] Das ihn der Erzahler anschliefiend umarmt, gibt ihm im folgenden Anlass zu Selbstanalyse und Selbstkritik:

„Die Polizistenumarmung beschaftigt mich noch immer. Mein Harmoniebedurfnis, ja, vielleicht aber auch ein Uberspielen der bei mir schon immer vorhandenen Mischung aus Polizeihafi und Obrigkeitsangst. Und dann die immer wieder ungeheuerliche Entdeckung, dafi auch ein Polizist ein Mensch ist.“[15]

Rosenlochers Erzahler nimmt sich auch an anderer Stelle die Zeit, darauf hinzuweisen, dass „(...)die diensthabenden Menschen auch Menschen(...)“[16] sind, betrachtet diese also bis zu einem gewissen Grad differenziert und raumt ihnen bei aller Kritik an „Kleinterror“ und „Knuppeleskapaden“[17] zumindest indirekt ebenfalls eine Art „Opferposition“ im System ein, ohne ihr Verhalten gut zu heifien. Der „Polizeihass“ bezieht sich somit auf eher die Funktion bzw. Institution der Polizei in der DDR als auf Polizisten als Individuen.

Fur die Staatssicherheit gilt im Wesentlichen das gleiche. Dennoch zeigen sich in der Schilderung von Stasi und Stasitatigkeit einige wichtige Unterschiede zur Polizei.

[...]


[1] Vgl. Grunbaum, Robert: Jenseits des Alltags. Die Schriftsteller der DDR und die Revolution von 1989/90, S. 35

[2] Vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Wende_%28DDR%29

[3] Rosenlocher, Thomas: Die verkauften Pflastersteine, S.11

[4] Rosenlocher, Thomas: Die verkauften Pflastersteine, S. 14

[5] Rosenlocher, Thomas: Die verkauften Pflastersteine, S. 14

[6] Rosenlocher, Thomas: Die verkaufen Pflastersteine, S. 38

[7] Rosenlocher, Thomas: Die verkauften Pflastersteine, S. 39

[8] Rosenlocher, Thomas: Die verkauften Pflastersteine, S. 20

[9] Rosenlocher, Thomas: Die verkauften Pflastersteine, S. 26f

[10] Rosenlocher, Thomas: Die verkauften Pflastersteine, S. 32

[11] Rosenlocher, Thomas: Die verkauften Pflastersteine, S.11

[12] Rosenlocher, Thomas: Die verkauften Pflastersteine, S.11

[13] Rosenlocher, Thomas: Die verkauften Pflastersteine, S. 22

[14] Rosenlocher, Thomas: Die verkauften Pflastersteine, S. 33

[15] Rosenlocher, Thomas: Die verkauften Pflastersteine, S. 33

[16] Rosenlocher, Thomas: Die verkauften Pflastersteine, S. 26

[17] Rosenlocher, Thomas: Die verkauften Pflastersteine, S.31

Ende der Leseprobe aus 15 Seiten

Details

Titel
Darstellung und Bewertung der DDR und der Revolution 1989-90 in Thomas Rosenlöchers "Die verkauften Pflastersteine"
Hochschule
Christian-Albrechts-Universität Kiel  (Germanistik)
Veranstaltung
Zeitgeschichte in der Literatur: Mauerfall und Wiedervereinigung in der zeitgenössischen Prosa
Note
2,0
Autor
Jahr
2011
Seiten
15
Katalognummer
V176682
ISBN (eBook)
9783640980765
ISBN (Buch)
9783640980970
Dateigröße
434 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
DDR, Mauerfall, Zeitgeschichte, Thomas Rosenlöcher
Arbeit zitieren
Lennart Riepenhusen (Autor:in), 2011, Darstellung und Bewertung der DDR und der Revolution 1989-90 in Thomas Rosenlöchers "Die verkauften Pflastersteine", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/176682

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