Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
1 Von den Ursprüngen der Weltgeschichte bis in die Gegenwart
2 Die terminologische Differenz zwischen Welt-, Global- und Universalgeschichte
3 Die Methodik des welt- und globalgeschichtlichen Ansatzes
3.1 Die Grundmotive der Weltgeschichtsschreibung (Osterhammel)
3.2 Die Dimensionen der Weltgeschichtsschreibung (Conrad / Eckert)
3.3 Die Weltsystem-Theorie als Grundlage für Weltgeschichte (Wallerstein)
4 Die Strukturprinzipien der »Weltgeschichte des 20. Jahrhunderts«
4.1 Der Aufstieg des Westens (William H. McNeill)
4.2 Dependenz der Peripherien (André Gunder Frank)
4.3 Europa – eine Provinz unter vielen (Dipesh Chakrabarty)
5 Exemplarische Auseinandersetzung mit dem Weltsystem des 20. Jahrhunderts – »Wohlstand für alle?«
6 Kritische Betrachtung
6.1 Kritik an der »Weltgeschichte des 20. Jahrhunderts«
6.1 Kritik an der Methodik des Weltsystem-Ansatzes
7 Nolte und Osterhammel – Ein vergleichendes Fazit
8 Literaturverzeichnis
Einleitung
» Es gibt zwei Arten von Weltgeschichte: die eine ist die offizielle, verlogene, für den Schulunterricht bestimmte; die andere ist die geheime Geschichte, welche die wahren Ursachen der Ereignisse birgt.«[1]
Honoré de Balzac
Die historische Disziplin der Weltgeschichte – oder auch Globalgeschichte, wie wir sie heute verstehen, ist eine sehr junge Forschungsrichtung, die sich aus einem grundsätzlichen methodischen Richtungswechsel der modernen Geschichtswissenschaft ergab. Die zunehmende Orientierung an transnationaler Geschichte dient dem Zweck, die bisher vorherrschende euro,- germano und ethnozentristische Perspektive hinter sich zu lassen und Gesetzmäßigkeiten hervorzuheben, die nicht auf nationalstaatlichen Begrenzungen beruhen.[2] Aus diesem Forschungsanspruch heraus und einer zunehmenden Verflechtung von ökonomischen Zusammenhängen, medientechnischen Errungenschaften und industriellen Innovationen ergibt sich die Möglichkeit einer neuen Sichtweise auf die Welt. Laut Jürgen Osterhammel, seines Zeichens Pionier der deutschen Weltgeschichtsschreibung, wird aus »normaler« Geschichte Weltgeschichte, wenn sich der analytisch ausgeleuchtete Raum über die kulturellen Grenzen erweitert[3] – auch wenn sie eine Sub-Disziplin der Geschichtswissenschaft bleibt.
Durch neue Strukturen und Handlungsfelder kommt es heute vor, dass »ein Schlaganfallmediziner in Berlin […] seine Kollegin in Harvard [kennt], aber nicht den Urologen seiner Klinik oder gar den Mieter der Etage über ihm«,[4] schreibt der Osteuropahistoriker und Herausgeber der »Zeitschrift für Weltgeschichte« Hans-Heinrich Nolte, dessen Buch »Weltgeschichte des 20. Jahrhunderts« einen besonderen Stellenwert innerhalb dieser Hausarbeit einnimmt. Anhand Noltes gigantischen Unternehmens sollen Vorteile und Grenzen einer globalgeschichtlichen Perspektive aufgezeigt werden. Die Arbeit stellt der Monographie Noltes die theoretischen Konzeptionen für eine Weltgeschichte von Osterhammel und Conrad gegenüber, um Ziele und Methoden besser nachvollziehen zu können. Hinleitend zu der Auseinandersetzung mit Nolte und der Weltsystem-Theorie folgt ein kurzer Abriss über die Genese und den Aufstieg der Weltgeschichtsschreibung.
1 Von den Ursprüngen der Weltgeschichte bis in die Gegenwart
Das Ziel dieses ersten Abschnitts ist es zunächst, einen kurzen historischen Überblick über den Ansatz einer globalgeschichtlichen Methodik zu geben. Hierbei sollen auch frühere Strömungen und Schulen berücksichtigt werden, die zu einer weltgeschichtlichen Perspektive in der Geschichtswissenschaft beigetragen haben und die Grundlage für eine einheitliche Auseinandersetzung mit der Monographie »Weltgeschichte des 20. Jahrhunderts« gewährleisten.
Versucht man in der Vergangenheit einen Punkt zu verorten, an dem sich der historische Blick erstmals über die Landesgrenzen erhob um der kolossalen Aufgabe gerecht zu werden eine Geschichte der Welt zu schreiben, findet man diesen bereits in der Antike. Herodot, Poybios, Sima Qian – sie alle haben bereits lange v. Chr. versucht, die ihnen bekannte Welt aus dem Blickwinkel ihrer Kultur zu erfassen und zu beschreiben.[5] Natürlich ist dieses Unterfangen nicht zu vergleichen mit jener historischen Methodologie, die die Geschichtswissenschaft aktuell unter dem Begriff der Global- oder Weltgeschichte subsumiert, aber es zeigt, dass der Anspruch, die Geschichte der Welt zu schreiben, bereits seit langer Zeit als ehrwürdiges Ziel der Geschichtswissenschaft verstanden wird.
Durch die europäische Expansion im 18. Jahrhundert erhielt dieses Thema eine neue Brisanz und die die Aufklärer, beflügelt vom hegelschen Weltgeist, zeigten wieder zunehmendes Interesse an außereuropäischer Geschichte.[6] So war Schiller nicht der einzige seiner Zeit, der die Forderung nach einer »Universalgeschichte«laut werden ließ[7]. Das Geschichtsbild jener Zeit ist berechenbar – es ist teleologisch und versteht die Historie als einen Prozess, der sein Ende in der Verbesserung der Gesellschaft durch humanistische Ideale findet.[8] Diese philosophical history hatte wenig gemein mit der gegenwärtigen Debatte um Weltgeschichte und ist heute wohl am ehesten zu vergleichen mit der big history – jener Schule, die ihre Aufgabe darin sieht, die kosmologische Geschichte der Welt, unter zu Hilfenahme naturwissenschaftlicher Erkenntnisse und interdisziplinärer Forschungsergebnisse, vom Urknall bis heute zu erzählen.
Als sich die Geschichtswissenschaft um 1830 allmählich institutionalisierte, rückte die Nation wieder in den Fokus der Betrachtung und verdrängte die anfänglichen Auseinandersetzungen mit Asien und Afrika aus der neuen akademischen Disziplin, oder, wie Jürgen Osterhammel konstatiert: »Im 18. Jahrhundert verglich sich Europa mit Asien; im 19. hielt es sich für unvergleichlich – und war damit allein.«[9] Die Auseinandersetzung mit der Geschichte nichtwestlicher Kulturen wurde nun in die Orientalistik o. ä. verlagert, oder – falls die Wissenschaften sich nicht in der Lage sahen den Gegenstand anderweitig zu verorten – gar der Ethnologie.
Erst durch die zunehmende Verflechtung von Politik und Ökonomie am Ende des 19. Jahrhunderts stieg die Nachfrage nach globalen historischen Perspektiven. Als einen der wichtigsten Vertreter einer sich erneuernden Kulturgeschichte mit welthistorischem Anspruch hat sich der Historiker Karl Lamprecht verdient gemacht.[10] Von seinen Zeitgenossen wenig beachtet, war er doch einer der ersten, der nach welthistorischen Entwicklungsgesetzen suchte – konstruiert aus großräumigen und umfassenden Vergleichsstudien. Für den amerikanischen Historiker Roger Chickering steht außer Frage, dass ein »Historiker des Deutschen Kaiserreichs einen so großen Beitrag zu weltgeschichtlichen Studien geliefert hat wie Lamprecht.«[11] Und doch findet Lamprecht auch nach seinem Tod 1915 anfänglich nur wenig Beachtung innerhalb der historischen Disziplin. Im gleichen Jahr, sechs Monate nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs, referiert Freud in einer Auseinandersetzung mit den gesellschaftlichen Auswirkungen des Kriegs: »Noch heute ist das, was unsere Kinder in der Schule als Weltgeschichte lernen, im wesentlichen eine Reihenfolge von Völkermorden.«[12]
Der Wandel, den die Nachkriegszeit mit sich brachte, schlug sich in einer neuen Betrachtungsweise der Weltgeschichte nieder. Die moderne Welt wurde zunehmend als ein Produkt der abendländischen Traditionen begriffen, als eine Leistung der Europäer, die ihre Errungenschaften nach und nach in verschiedene Gegenden der Welt exportierten und damit die Grundlage für die aufkommende Modernisierungstheorie schufen. Diese stark eurozentristische Annahme sollte bis in die 1990er Jahre hinein das vorherrschende Paradigma für die Weltgeschichtsschreibung bleiben.[13] Die europäischen Katastrophen des 20. Jahrhunderts wurden somit als Teil einer Stufentheorie verstanden, die anthropologisch von einer gleichen Entwicklung aller Nationen ausgeht – allerdings in unterschiedlichen zeitlichen Abständen. Nach dem zweiten Weltkrieg rückten die Regionalwissenschaften wieder in den Mittelpunkt der methodischen Diskussion. Die area studies orientierten sich an einem festen Kulturbegriff, eng bemessen an regionalen Grenzen. Durch eine zunehmende kulturelle Globalisierung näherten sich diese Wissenschaften der aktuellen Auffassung von Weltgeschichte inzwischen jedoch zunehmend an, in dem Versuch die eurozentristische Perspektive hinter sich zu lassen und auch kulturelle Grenzen zu überwinden.
2 Die terminologische Differenz zwischen Welt-, Global- und Universalgeschichte
Transnationale Geschichte ist ein denkbar junges Forschungsfeld mit einer ebenso jungen Methodologie. Der Diskurs steckt noch in den Kinderschuhen und so fällt es schwer, diese Begriffe direkt voneinander abzugrenzen, die selbst die Autoren dieser Disziplin unterschiedlich gebrauchen. Die Überwindung einer zentrierten oder festgefahrenen Perspektive teilen allerdings alle heutigen Vertreter.
Die Weltgeschichte legt den Fokus der Betrachtung meist auf die politische Geschichte der gesamten Welt. Untersucht wird ein ausgewählter Zeitraum, dessen Anfänge bei manchen Historikern gar bis in die Geschichte der ersten Hochkulturen hineinreichen.[14] Als Methode wird hier oft der Vergleich herangezogen, um umfassende Entwicklungen in der Welt zu betrachten und Bezüge herzustellen.
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[1] Balzac, Honoré de: Verlorene Illusionen, Frankfurt / Main 1996.
[2] Vgl. Wehler, Hans-Ulrich: Transnationale Geschichte – der neue Königsweg der historischen Forschung?, in: Budde, Gunilla / Conrad, Sebastian / Janz, Oliver (Hg.): Transnationale Geschichte. Themen, Tendenzen und Theorien; Göttingen 2006, S. 162.
[3] Vgl. Osterhammel, Jürgen: Alte und neue Zugänge zur Weltgeschichte, in: Ders. (Hg.): Weltgeschichte, Stuttgart 2008, S. 9.
[4] Nolte, Hans-Heinrich: Weltgeschichte des 20. Jahrhunderts, Bonn 2009, S. 16.
[5] Vgl. Conrad, Sebastian / Eckert, Andreas: Globalgeschichte, Globalisierung, multiple Modernen: Zur Geschichtsschreibung der modernen Welt, in: Dies. / Freitag, Ulrike (Hg.): Globalgeschichte. Theorien, Ansätze, Themen Frankfurt / Main 2007, S. 9.
[6] Hegel versteht die gesamte historische Wirklichkeit als einen Prozess des Weltgeistes, dessen Endzweck sich erst in der Weltgeschichte selbst findet.
[7] Vgl. Schiller, Friedrich: Was heißt und zu welchem Ende studiert man Universalgeschichte, Stuttgart 2006.
[8] Vgl. Schissler, Hanna: Weltgeschichte als Geschichte der sich globalisierenden Welt, in: Aus Politik und Zeitgeschichte (01-02/2005) URL: http://www.bpb.de/publikationen/O1AVSF,2,0,Weltgeschichte_als_Geschichte_der_sich_globa lisierenden_Welt.html [Zugriff am 22. 03. 2011].
[9] Osterhammel, Jürgen: Geschichtswissenschaft jenseits des Nationalstaats, Göttingen 2003, S. 84.
[10] Vgl. Chickering, Roger: Karl Lamprechts Konzeption einer Weltgeschichte, in: Osterhammel, Jürgen (Hg.): Weltgeschichte, Stuttgart 2008, S. 35-47.
[11] Osterhammel, Jürgen: Alte und neue Zugänge zur Weltgeschichte, in: Ders. (Hg.): Weltgeschichte, Stuttgart 2008, S. 23.
[12] Freud, Sigmund: Zeitgemäßes über Krieg und Tod (1915), in: Ders., Studienausgabe, Frankfurt 1974, Bd. 9, S. 52.
[13] Vgl. Conrad, Sebastian / Eckert, Andreas: Globalgeschichte, Globalisierung, multiple Modernen: Zur Geschichtsschreibung der modernen Welt, in: Dies. / Freitag, Ulrike (Hg.): Globalgeschichte. Theorien, Ansätze, Themen, Frankfurt / Main 2007, S. 9.
[14] Vgl. Spengler, Oswald: Der Untergang des Abendlandes, München 1922; Toynbee, Arnold J.: A Study of History, London 1934.