Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Die Plots der einzelnen Filme
2.1 Wild at Heart
2.2 Lost Highway
2.3 Mulholland Dr
3 Der „andere Zustand“ in den einzelnen Filmen
3.1 Wild at Heart
3.2 Lost Highway
3.3 Mulholland Dr
4 Gemeinsamkeiten und Unterschiede
4.1 Narrativ
4.2 Formal
5 Schlusswort
Bibliographie
Internetquellen
Filmographie
Anhang: Produktionsdaten zu den analysierten Filmen
1 Einleitung
Diese Arbeit entsteht im Rahmen des BA-Seminars zum Thema „‚Der andere Zustand’. Erleuchtung, Wahn und Rausch in Literatur und Film.“ In diesem Zusammenhang schien eine Analyse einer Auswahl von Filmen des Regisseurs David Lynch naheliegend. „David Lynch sagt oft und gern, dass der Bereich, den seine Filme untersuchen, das Unbewusste sei“ (Jerslev 1996: 25).
Kein Regisseur wurde wohl so kontrovers diskutiert wie der 1946 in Montana geborene Autorenfilmer David Lynch. Halten ihn viele Fans für den unangefochtenen Meister des ‚postmodernen Kinos’, werfen ihm ,böse Zungen’ vor, stets vorsätzlich unverständliche Filme zu produzieren, mit der Intention, sich selbst darüber zu amüsieren, wie Zuschauer versuchen, in seinen Abstraktionen einen Sinn zu bekommen (Hardinghaus 2004: 7).
„Bereits mit seinem ersten längeren Spielfilm Eraserhead führte Lynch sein Publikum nach ‚Lynchworld’, in eine verstörende, meist abgründige, aber dennoch (oder gerade deshalb) faszinierende Welt“ (Orth 2005: 9–10). Diese drei Zitate deuten darauf hin, dass die Filme von David Lynch für Hollywood unkonventionell und teilweise schwer verständlich sind. Ein Blick auf die Fülle an Literatur zu Lynch und seinen Filmen oder auf die Vielzahl an Seiten und Beiträgen im Internet, die sich mit den Filmen und ihren Interpretationen auseinandersetzen, stützt diese Vermutung. Seine Filme lassen sich – wenn man die Begriffe „Unbewusstes“, „Unverständlichkeit“ oder „verstörende, abgründige, faszinierende Welt“ aus den Zitaten entnimmt – also durchaus im Bereich eines „anderen Zustands“ ansiedeln. Der Untertitel des Seminars lautete zwar „Erleuchtung, Wahn und Rausch in Literatur und Film“, doch im Verlauf der Veranstaltung stellte sich anhand von Werken, wie den Filmen FIGHT CLUB (David Fincher, USA 1999), BREAKING THE WAVES (Lars von Trier, DK 1996), oder MORTE A VENEZIA (Luchino Visconti, IT 1971), sowie Literatur, wie Thomas Manns TOD IN VENEDIG heraus, dass sich ein „anderer Zustand“ nicht nur auf einen Rausch, Wahn oder eine Erleuchtung reduzieren lässt und teilweise schwierig zu definieren ist.
In der Arbeit werde ich drei Filme von David Lynch auf ihre Darstellung des „anderen Zustands“ – sowohl in der Narration, wie auch anhand der formalen Mittel – untersuchen und miteinander vergleichen. Dabei soll herausgearbeitet werden, ob es Parallelen gibt zwischen den einzelnen Filmen von Lynch, wie diese aussehen und ob die Darstellung stärker über die formalen Mittel, oder die Narration erfolgt. Weiter soll der künstlerische Aspekt im Gesamtwerk von David Lynch, unter Einbezug von filmwissenschaftlichen Theorien, genauer betrachtet und analysiert werden. Die Filme, die in der Arbeit untersucht werden, sind WILD AT HEART (USA 1990), LOST HIGHWAY (USA 1996) und MULHOLLAND DR. (USA 2001). Diese drei Filme sind ungefähr in der Mitte von Lynchs Schaffensperiode anzusiedeln, also zu einem Zeitpunkt, wo es für ihn schon möglich gewesen sein sollte, einen stringenten, eigenen Stil zu entwickeln. In der Arbeit will ich auch feststellen, ob ein solcher, eigener Stil in den Filmen überhaupt vorhanden ist. Des Weiteren liegen die Filme zeitlich auch relativ nahe beieinander, wodurch eventuelle Ähnlichkeiten in der Darstellung des „anderen Zustands“ wahrscheinlicher sein könnten, als bei Filmen, die chronologisch weit auseinander liegen (Vgl. Seeßlen 2007: 263–265). Die Analyse der Thematik soll anhand einiger konkret formulierter Leitfragen erfolgen, die dabei helfen sollen, eine klare Linie und Gliederung in die Arbeit zu bringen. Was ist der andere Zustand in den Filmen von David Lynch? Gibt es Gemeinsamkeiten in der narrativen und formalen Darstellung des „anderen Zustands“ in den einzelnen Filmen? Ist die Darstellung für jeden der untersuchten Filme von David Lynch individuell, oder existieren filmübergreifende Ähnlichkeiten und Verbindungen? Wie lässt sich der künstlerische Prozess in den Werken von David Lynch mit Hilfe von filmtheoretischen Ansätzen interpretieren? Ziel dieser Arbeit ist, diesen Fragen auf den Grund zu gehen.
2 Die Plots der einzelnen Filme
2.1 Wild at Heart
Während einer Dinnerparty in North Carolina wird Sailor Ripley (Nicolas Cage) von einem Fremden (Gregg Dandridge) angesprochen und mit einem Messer angegriffen. Sailor verteidigt sich und tötet den Fremden vor den Augen seiner Freundin Lula (Laura Dern) In Folge dessen wird er inhaftiert. Als er wieder freikommt, trifft er sich mit Lula, obwohl ihre Mutter Marietta (Diane Ladd), die auch den Angriff auf Sailor arrangiert hat, dagegen ist. Während das Paar in einem Motel eincheckt, beauftragt Marietta ihren Freund, Johnnie Farragut (Harry Dean Stanton), ihre Tochter zu finden und nach Hause zu bringen. Um ganz sicher zu gehen, dass ihr Plan funktioniert, erteilt sie einem anderen Freund, dem Verbrecher Marcello Santos (J.E. Freeman), den Auftrag Sailor zu töten. Da sie Angst vor Marietta haben, flüchten Sailor und Lula aus North Carolina in Richtung Kalifornien wo sie in einer Nacht Augenzeugen eines Autounfalls auf dem Highway werden. Sie sehen dabei eine junge Frau (Sherilyn Fenn), die aus einem Autowrack steigt und gleich darauf stirbt. Lula konstatiert, dass das ein schlechtes Omen sei. Die beiden halten im texanischen Ort Big Tuna, wo sie auf zahlreiche bizarre Gestalten treffen, unter anderem den Verbrecher Bobby Peru (Willem Defoe). Dieser versucht Lula zu verführen und erfährt dabei, dass sie schwanger von Sailor ist, ihm das aber noch nicht mitgeteilt hat. Bobby Peru nutzt das aus, um Sailor zu überreden, mit ihm eine Bank zu überfallen, damit er seine Familie finanzieren kann. Als Sailor und Bobby mit Hilfe von Perdita Durango (Isabella Rossellini) die Bank überfallen wollen, stellt sich heraus, dass die ganze Aktion eine Falle für Sailor ist und Perdita und Bobby von Santos und seinem Auftraggeber Mr. Reindeer (William Morgan Sheppard) geschickt wurden, um Sailor zu töten. Während der daraus resultierenden Schiesserei zwischen den beiden Parteien und der Polizei, die mittlerweile am Ort des Geschehens angekommen ist, wird Bobby getötet. Perdita kann fliehen, doch Sailor wird verhaftet. Als er das Gefängnis erneut verlassen kann, erwarten ihn Lula und der kleine Sohn der beiden (Glenn Walker Harris Jr.). Nach dem kurzen Wiedersehen entschliesst sich Sailor, dass es besser für alle Beteiligten ist, wenn er wieder geht und Lula mit dem Jungen alleine lässt. Im Anschluss an eine Begegnung mit einer guten Fee (Sheryl Lee) kehrt er dennoch zu seiner Familie zurück.
2.2 Lost Highway
Fred Madison (Bill Pullman) ist ein Saxophonist und lebt mit seiner Frau Renee (Patricia Arquette) zusammen. Eines Morgens klingelt es an der Türe und eine Stimme teilt Fred mit, dass ein gewisser Dick Laurent tot sei. Als in den folgenden Tagen das Ehepaar zwei Pakete mit Videotapes erhält, auf denen ihr Haus von aussen – auf dem zweiten Tape auch von innen – zu sehen ist, alarmieren sie die Polizei. Auf einer Dinnerparty bei Renees Freund Andy (Michael Massee) begegnet Fred einem mysteriösen Mann[1], der angeblich ein Freund von Dick Laurent sein soll. Später entdeckt Fred bei sich zu Hause einen dunklen Gang, den er betritt und darin verschwindet. Am nächsten Morgen ist erneut ein Videotape in der Post, welches von Fred alleine angesehen wird und zeigt, wie er Renee umbringt. Im nächsten Moment befindet er sich plötzlich in einem Verhör und wird später zu Tode verurteilt. In seiner Gefängniszelle wird er von starken Kopfschmerzen und Halluzinationen geplagt. Eines Morgens entdeckt ein Wärter, dass nicht mehr Fred Madison, sondern ein verwirrter, junger Automechaniker namens Pete Dayton (Balthazar Getty) in der Zelle sitzt, der ausser einem Autodiebstahl vor einigen Jahren niemals etwas Unrechtes getan hat. Pete wird aus dem Gefängnis entlassen und seinen Eltern (Gary Busey und Lucy Butler) übergeben. Er versucht in sein Leben zurückzukehren und geht mit seinen Freunden und seiner Freundin Sheila (Natasha Gregson Wagner) aus, scheint sich aber an nichts aus den letzten Tagen zu erinnern. Als er zu seiner Arbeit in einer Autowerkstatt zurückkehrt, trifft er dort einen zwielichtigen und – wie sich herausstellt – gefährlichen Mann namens Mr. Eddy (Robert Loggia). Zwei Polizisten, welche Pete beobachten, erkennen in Mr. Eddy den Pornofilmdarsteller Dick Laurent. Pete lernt auch eine blonde Frau namens Alice Wakefield (ebenfalls Patricia Arquette) kennen, welche zu Mr. Eddy gehört. Er beginnt eine Affäre mit ihr, leidet in der Folgezeit aber unter denselben Kopfschmerzen und Halluzinationen wie Fred Madison. Alice bekommt Angst, dass Mr. Eddy sie und Pete verdächtigt und erzählt, dass Mr. Eddy eigentlich der Pornofilmproduzent Dick Laurent ist und sie gezwungen habe, für ihn zu arbeiten und Pornofilme zu drehen. Ihr Vorschlag ist, dass Pete und sie Mr. Eddy’s Freund Andy (derselbe Andy, der ein Freund von Fred und Renee Madison war) ausrauben und mit dem Geld flüchten, um sich vor Mr. Eddy/Dick Laurent zu verstecken und ein gutes Leben zu haben. Während des geplanten Raubs tötet Pete Andy aus Versehen. Alice und Pete wollen flüchten und fahren in die Wüste, um einen Kontaktmann, den Alice organisiert hat, zu treffen. Nach einer Sexszene, in der Pete zu Alice sagt, dass er sie liebe und sie will, worauf sie entgegnet, dass er sie niemals haben wird, ist Pete verschwunden und Fred Madison hat seine Rolle übernommen. Alice verschwindet ebenfalls, doch der „Mystery Man“ von Andy’s Party taucht wieder auf und erklärt Fred, dass Renee ihn mit Dick Laurent betrügt. Er fährt zu einem Hotel, in dem sich Renee und Dick aufhalten und tötet den Liebhaber seiner Frau. Die Polizei entdeckt in der Zwischenzeit im Haus des getöteten Andy ein Bild, auf dem Dick Laurent, Renee und Andy selber zu sehen sind (und auf welchem zuvor auch Alice zu sehen war) und erkennt darin Freds Motiv seine Frau zu töten. Fred fährt nach dem Mord nach Hause, klingelt und hinterlässt an der Gegensprechanlage die Nachricht, dass Dick Laurent tot sei. Als die Polizei erscheint, beginnt eine Verfolgungsjagd, wobei sich der flüchtige Fred erneut in jemanden zu verwandeln scheint.
2.3 Mulholland Dr.
In einer Limousine, die entlang dem Mulholland Drive in Los Angeles fährt, wird eine dunkelhaarige Frau (Laura Elena Harring) vom Fahrer mit einer Waffe bedroht. Bevor etwas geschehen kann, wird die Limousine von einem Auto mit Teenagern gerammt. Die beiden Fahrer kommen ums Leben und die dunkelhaarige Frau taumelt benommen vom Ort des Geschehens bis zur Wohnung einer gewissen Tante Ruth (Maya Bond), die ihr Appartement am nächsten Morgen verlässt. Betty Elms (Naomi Watts) kommt aus Kanada nach Los Angeles, um Schauspielerin zu werden. Sie soll die Wohnung ihrer Tante Ruth bewohnen, die verreist ist und trifft dort die dunkelhaarige Frau, die nach dem Autounfall ihr Gedächtnis verloren hat. Inspiriert durch ein Filmposter nennt sie sich Rita. Sie und Betty entdecken in der Geldbörse von Rita mehr als Tausend Dollar und einen blauen Schlüssel. Sie entscheiden sich, zusammen die wahre Identität von Rita herausfinden. Der Regisseur Adam Kesher (Justin Theroux) befindet sich in einem Meeting mit seinem Agenten, zwei Produzenten und den Castigliani-Brüdern (Dan Hedaya und Angelo Badalamenti), welche ein Bild einer attraktiven blonden Frau namens Camilla Rhodes (Melissa George) zeigen und erklären, dass sie die richtige Hauptdarstellerin für Keshers nächsten Film ist und er die weibliche Hauptrolle mit ihr besetzen soll. Dieser will sich zu nichts zwingen lassen, verlässt das Meeting wütend und fährt nach Hause, wo er seine Frau mit einem anderen Mann entdeckt. Nach einigen Handgreiflichkeiten wird Adam aus seinem eigenen Haus geworfen und muss in ein Motel ziehen, während einige Männer sein Haus nach ihm durchsuchen. Er erfährt in seinem Motelzimmer mittlerweile, dass er pleite ist und einen Cowboy (Lafayette Montgomery) beim Beachwood Canyon ausserhalb der Stadt treffen soll welcher ihm erklärt, dass Adam seinen nächsten Film mit der Frau besetzen soll, die ihm die Castigliani-Brüder vorgeschlagen haben. Betty überzeugt bei einem Vorsprechen für einen Film und soll Kesher vorgestellt werden, doch es stellt sich dabei heraus, dass die Rolle für Keshers Film an Camilla Rhodes vergeben wurde. Als Betty nach Hause kommt, erinnert sich Rita an den Namen „Diane Selwyn“. Die beiden suchen die Adresse dieser Frau aus dem Telefonbuch, fahren zu ihrer Wohnung und finden eine verwesende Leiche. Später in der Nacht, erwacht Rita und beginnt spanisch zu sprechen. Sie fordert Betty auf, mit ihr irgendwohin zu gehen. Die beiden besuchen den Club „Silencio“. Betty findet zu Hause nach der Vorstellung eine blaue Box in ihrer Tasche. Als die beiden Frauen die Box mit dem blauen Schüssel öffnen wollen, verschwindet zuerst Betty, danach Rita. In Diane Selwyns Appartement sagt ihr der Cowboy, dass sie aufwachen soll. Diane Selwyn (jetzt Naomi Watts) erwacht aus einem Traum. Sie sieht Camilla Rhodes (jetzt Laura Elena Harring) in ihrer Küche. Es stellt sich heraus, dass Diane und Camilla ein Liebespaar waren, die sich am Set für einen Film getroffen haben. Camilla bekam die Rolle, welche Diane wollte. Sie war die Erfolgreichere der beiden und verhalf Diane zu einigen kleinen Rollen. Camilla löste die Beziehung und begann mit dem Regisseur Adam Kesher zu flirten. Als Camilla Diane zu einer Party in Keshers Haus am Mulholland Drive einlädt, muss Diane vor Ort zusehen wie Camilla zunächst eine andere Frau (jetzt Melissa George) küsst und danach ihre Verlobung mit Kesher bekannt gibt. Ausser sich beauftragt Diane einen Profikiller (Mark Pellegrino), um Camilla zu töten. Dieser entgegnet, dass er einen blauen Schlüssel hinterlegen wird, sobald er den Auftrag erledigt hat. Geplagt von Schuldgefühlen durchlebt Diane einige bizarre Halluzinationen, die sie dazu treiben, sich das Leben zu nehmen.
3 Der „andere Zustand“ in den einzelnen Filmen
In diesem Kapitel werde ich den „anderen Zustand“ für jeden der drei Filme herausarbeiten, damit ich, darauf aufbauend, ein Vergleich der Darstellung dieser Zustände erstellen kann. Im Vornherein muss dazu gesagt werden, dass es die eine, allgemeingültige und absolut richtige Definition des „anderen Zustandes“ in den einzelnen Filmen nicht gibt. Man kann die Darstellungen unterschiedlich interpretieren. Deshalb basiert die Definition des „anderen Zustandes“ für jeden der drei Filme auf eigenen Interpretationen, unterstützt durch filmtheoretische Ansätze, sowie Literatur zu den Filmen und zu David Lynch selber, welche zusätzliche Perspektiven und Ideen offenlegen kann.
3.1 Wild at Heart
Von den drei analysierten Filmen, lässt sich in WILD AT HEART ein „anderer Zustand“ am schwierigsten erkennen. Betrachtet man den Plot und die Story, wie sie David Bordwell definiert, sieht man, dass sich die Handlung linear entwickelt und im Film auch so dargestellt wird. Lediglich einige Erinnerungen werden in Form von Rückblenden präsentiert. Die Story beinhaltet alles, was für die Erzählung relevant ist, also auch die in den Flashbacks dargestellten Szenen, wie die Misshandlung von Lula (00:07:51–00:08:15) oder die Vorgeschichte auf der Dinnerparty, welche zur Auseinandersetzung zwischen Sailor und dem Fremden führt (00:15:04–00:16:15), genauso wie alles, was sich aus diesen Rückblenden und der eigentlichen Handlung ableiten und erschliessen lässt. Der Plot ist dann die dargestellte Form all dessen, mit der eigentlichen Narration, welche hauptsächlich die Flucht von Sailor und Lula nach Kalifornien beinhaltet, sowie die Jagd von Mariettas Leuten, auf das junge Paar. Die erwähnten Rückblenden sind ebenfalls Teil des Plots, allerdings ausserhalb der chronologischen Reihenfolge der Story.
Auch wenn die Begriffe der Fokalisierung und narrativen Instanz in die Analyse einbezogen werden, zusammen mit den dazu einhergehenden Fragestellungen „Wer erlebt?“ und „Wer teilt mit?“ (Vgl. Schweinitz 2007: 87–90), wirkt der Film nicht speziell ungewöhnlich. Die Frage „Wer erlebt?“ sucht nach einem Fokalisator, einer Person, aus dessen Perspektive die Handlung erzählt wird. Im Fall von WILD AT HEART lässt sich diese Frage verhältnismässig einfach beantworten. Sailor und Lula sind die Hauptfiguren des Films und diejenigen, die erleben. Eine narrative Instanz, die auf filmischen Mitteln basiert und durch visuelle und akustische Ausdrucksmethoden durch den Film leitet, ist ebenfalls gegeben.[2] Das lässt sich besonders gut in den Szenen erkennen, in denen wir Zuschauer mehr Informationen bekommen, als Sailor und Lula, oder noch besser ausgedrückt, das sehen, was den Hauptfiguren verborgen bleibt, beispielsweise als Lulas Mutter Marietta den Auftrag erteilt, dass Sailor getötet werden muss (00:26:06–00:28:50), oder als Marcello Santos seinem Auftraggeber Mr. Reindeer mitteilt, dass Johnnie Farragut und Sailor ermordet werden sollen (00:29:04–00:29:59). Der Mord an Farragut selber, ist ebenfalls eine Szene, die nur dem Zuschauer offenbart wird (01:03:49–01:06:28). Grössere Brüche in der Kontinuität oder Linearität sind im Film nicht zu erkennen und man kann durchaus sagen, dass der Film sich an die „classical Hollywood narration“ hält, in welcher die Hauptcharaktere – in diesem Fall Sailor und Lula – die wichtigsten Träger der Handlung sind und der Film zielgerichtet ist. Das Ende ist ein klares Erreichen, oder Nichterreichen des Ziels (Vgl. Bordwell 94–96). All das ist in WILD AT HEART gegeben.
[...]
[1] Der mysteriöse Mann wir in den Credits als „Mystery Man“ geführt.
[2] Anders als in der Literatur, ist im Film die narrative Instanz nicht zwingend ein Narrator, also ein personifizierter Erzähler, sondern wird oft durch die filmischen Mittel generiert (Vgl. Schweinitz 2007: 89).