Sport im Nationalsozialismus

Besondere Betrachtung des Fußballs


Magisterarbeit, 2009

86 Seiten, Note: 3,0


Leseprobe


Inhaltverzeichnis

1. Einleitung

2. Der organisatorische Aufbau des Sports vor der nationalsozialistischen Machtergreifung
2.1 Die `völkische Ursprünge des Sports in Deutschland
2.2 Die Entwicklung des Fußballs zum Massenphänomen
2.3 Die politische Konsolidierung
2.4 Der Deutsche Reichsbund für Leibesübungen (DRA)
2.5 Die Sturm-Abteilung (SA) der `Nationalsozialistischen 24-27 Arbeiterpartei Deutschlands´ (NSDAP)

3. Die nationalsozialistische (Sport-)ideologie
3.1 Die Ursprünge der nationalsozialistischen (Sport-)ideologie
3.2 Die nationalsozialistische (Sport-)ideologie
3.3 Juden, `Nichtarier´ und politisch Andersdenkende in der 33-35 nationalsozialistischen (Sport-)ideologie

4. Die nationalsozialistische Umgestaltung des Organisatorischen Aufbaus des Sports
4.1 Die `Gleichschaltung´
4.1.1 Definition
4.1.2 Die `Gleichschaltung´ der Länder
4.1.3 Die `Gleichschaltung´ der Sportverbände
4.1.4 Die `Gleichschaltung´ der (Sport-)presse
4.2 Der Deutsche Reichsbund für Leibesübungen (DRL)
4.3 Das Reichssportamt
4.4 Die Umgestaltung des (Hoch-)schulports
4.4.1 Die Umgestaltung des Schulsports
4.4.2 Die Leibeserziehung im Nationalsozialistischen Lehrerbund (NSLB)
4.4.3 Die Indoktrination des Hochschulsports

5. Die Ideologisierung des Sports
5.1 Die `Arisierung´
5.1.1 Die `Arisierung´ der Gesellschaft
5.1.2 Die `Arisierung´ der Sportverbände und -vereine
5.2 Die Olympiade 1936

6. Fazit

7. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Die nationalsozialistische (NS) Herrschaftsepoche von 1933 bis 1945 hatte die sozialen und die wirtschaftlichen Gegebenheiten in Europa nachhaltig verändert.

In allen Bereichen der Gesellschaft nahm das NS-Regime gravierende Veränderungen nach den Maximen seiner Ideologie vor. Diese lassen sich gut am Beispiel des Sports aufzeigen und hierbei insbesondere beim Turnen und Fußball.

Während zur Rolle des Turnsports in der NS-Zeit vielfach publiziert wurde, ist der Fußball historisch wenig aufgearbeitet worden. Es wurde lange Zeit von Seiten der Sportorganisationen und Vereine entpolitisierende Darstellungen der NS-Zeit herausgegeben. Ein Zusammenhang zwischen Politik und Sport wurde somit einfach geleugnet oder zumindest in seiner Bedeutung minimiert.

Da sich die Sichtweise der Forschung insgesamt geändert hat, wird die Thematik nicht mehr ausschließlich aus der Sicht `von oben´, also aus Sicht des NS-Regimes betrachtet. Es sind nicht mehr die Fragen vorrangig, wie hat das NS- Regime agiert hat, sondern wie sich die unteren Organisationen verhalten haben bzw. die Basis, in welcher Form auch immer, ob nun die Gesellschaft allgemein oder Gruppen speziell? Gab es Kooperationen und wenn ja, in welchem Ausmaß.[1]

Der aktuelle Stand der Forschung ist der, dass sich die meisten Publikationen zum Thema Sport im Nationalsozialismus auf die Tradition von Hajo Bernett beziehen, die er mit der Etablierung der „Untersuchungen zur Zeitgeschichte des Sport“[2] in den 1970ern begründete. Die Publikationen beschäftigen sich zumeist spezifisch mit dem Verhalten einzelner Funktionäre. Die Frage, wie das Massenphänomen Fußball unter totalitären Bedingungen funktionieren konnte und warum eine Form der Vereinnahmung griff oder auch nicht, scheint nachrangig zu sein.[3]

Aufgrund dieser notwendigen Veränderung der Forschungsprämissen sind wohl die in den letzten Jahren erschienen Publikationen zu diesem Thema zu erklären.

Der größte nationale Fußballverband, der Deutsche Fußball Bund (DFB) hat eine Studie bei Nils Havemann in Auftrag gegeben, die 2005 unter dem Titel: „Fußball unterm Hakenkreuz – Der DFB zwischen Sport, Politik und Kommerz“ veröffentlicht wurde.[4]

Diese selbstkritische Beurteilung des DFB der eigenen Geschichte ist durchaus als Reaktionen auf zahlreiche Publikationen zu diesem Thema zu bewerten.[5]

Die vorliegende Ausarbeitung behandelt die Ursprünge des Sports im Deutschen Reich und seinen Übergang in die NS-Zeit bis zum Beginn des Zweiten Weltkrieges 1939. Die Ausarbeitung beschäftigt sich zunächst mit dem organisatorischen Aufbau des deutschen Sportsystems und dann mit seinem Umbau durch das NS-Regime.

Hierbei soll das Verhalten der beiden größten und einflussreichsten Sportverbände analysiert werden. Die Intention lautet: Wie weit wurde mit dem Instrument Sport die Gesellschaft durchdrungen?

Diese Analyse soll aber nicht die Vorgehensweise des NS-Regimes behandeln, sondern die der Sportverbände und -vereine. Es soll das Verhalten der Sportverbände und -vereine gegenüber dem NS-Regime herausgearbeitet werden.

Diese Ausarbeitung beginnt mit einer Darstellung des organisatorischen Aufbaus des `deutschen Sports´ in Deutschland vor der nationalsozialistischen `Machtergreifung´ 1933. Dabei wird auf die Differenzierung vom Fußball zu anderen Sportarten, hierbei insbesondere auf den Turnsport, eingegangen. Danach folgt eine Darstellung der politischen Konsolidierung der Sportverbände. Das impliziert die politische Ausrichtung der Sportorganisationen.

Darauf erfolgt eine differenzierte Analyse der NS-(Sport-)ideologie. In diesem Kapitel sollen die NS-Sportvorstellungen und die damit verbundenen Ziele herausgearbeitet werden. Die Rolle des Sports in der gesamten NS-Ideologie soll aufgezeigt werden.

Anschließend wird die Umgestaltung des organisatorischen Aufbaus des deutschen Sportsystems behandelt. Das beinhaltet die Fragestellung, wieweit konnte das NS-Regime seine Vorstellungen und seine Ideologie umsetzten? Damit ist die Anpassung des `deutschen Sports´ bzw. deren Vertreterorganisationen an die NS-Ideologie gemeint.

Wurde mit dem NS-Regime kooperiert?

Wenn ja, wie sah diese Kooperation im Detail aus?

Daran schließt sich die Ideologisierung des Sports an. Es wird die Darstellung der Sportverbände bzw. Vereine gegenüber dem NS-Regime herausgearbeitet.

Auch hier stellen sich die Fragen:

Wurde mit dem NS-Regime kooperiert?

Wenn ja, wie sah diese Kooperation im Detail aus?

Hierbei insbesondere im Bezug auf die antisemitischen Aspekte der NS-Ideologie.

Im letzten Kapitel wird ein Fazit gezogen und es erfolgt die Beantwortung der zentralen Frage dieser Ausarbeitung:

Inwieweit ließ sich der Sport vom NS-Regime instrumentalisieren?

Diese Ausarbeitung beschäftigt sich nicht mit der Schuldfrage und behandelt folglich dieses Thema auch nicht. Es soll eine wissenschaftlich objektive Analyse der Verknüpfungen zwischen Politik und Sport während des NS-Regimes erstellt werden.

2. Der organisatorische Aufbau des Sports vor der nationalsozialistischen Machtergreifung 1933

2.1 Die Ursprünge des Sports in Deutschland

Den Beginn des organisierten Sports in Deutschland setzt die Historiografie zumeist in die Zeit der napoleonischen Fremdherrschaft. Das Turnen entstand als Reaktion auf die als erniedrigend und demütigend empfundene französische Besatzung.[6] Der `deutsche Sport´ war dann auch bis zum Ende des 19. Jahrhunderts vom Turnen geprägt. Es war ein deutsches Nationaleigentum.[7] Das fast flächendeckende Monopol in Sachen Leibesübungen besaß die 1868 gegründete Organisation Deutsche Turnerschaft (DT).[8] Die DT war der Nachfolgeverband des bereits 1848 auf dem Hanauer Turntag gegründeten Deutschen Turnerbundes.[9] In der DT waren 1900 circa 650 000 Turner in 6 500 Vereinen organisiert. Das Turnen besaß somit eine lange Tradition und dadurch einen hohen gesellschaftlichen Zuspruch. Es galt als `kriegsvorbereitende Maßnahme´ und sollte die deutsche Jugend körperlich sowie weltanschaulich erziehen.

Aber neben der DT gab es noch Konkurrenzverbände. Dazu ist der 1893 gegründete Arbeiter-Turnerbund (ATB) zu zählen.[10] Dieser Verband wurde 1919 in Arbeiter-,Turner- und Sportbund (ATSB) umbenannt. Auf dem Bundesvorstand 1928 wurde beschlossen, dass alle Kommunisten ausgeschlossen werden. Die Kommunisten gründeten daraufhin die Verbände Interessengemeinschaft zur Wiederherstellung der Einheit im Arbeitersport (IG) und Kampfeinheit für rote Sporteinheit (KG). Es gab auch kirchliche Sportverbände, die aber nur eine untergeordnete Rolle einnahmen.[11]

Pioniere neuer Sportarten hatten es sehr schwer, sich neben dem Turnen durchzusetzen. Dazu gehörte auch der Fußball, der erst in den Siebzigerjahren des 19. Jahrhunderts nach Deutschland kam.[12] Anfangs zeigte sich die Turnerschaft mehrheitlich noch gelassen gegenüber dem Fußball und stufte diesen als ein Teilbereich des Turnens ein. Fußball, hieß es anerkennend, verdiene seine Beliebtheit in vollem Maße.[13]

Aber nach gescheiterten Versuchen den Fußball in den DT zu integrieren, spaltete er sich komplett ab. Er wurde von der Turnerklientel als ein äußerst roher und unästhetischer Sport bezeichnet.

So ist in der Publikation von Bitzer und Wilting ein Zitat aus der Kampfanschrift „Fußlümmelei – Über Stauchballspiel und englische Krankheit“ des süddeutschen Turnführers Karl Planck zu lesen: Was aber bedeutet der Fußtritt in aller Welt? Doch wohl, dass der Gegenstand, die Person nicht wert ist, dass man auch nur die Hand um ihretwillen rührte. […] Zunächst ist jene Bewegung ja schon, auf die bloße Form hin gesehen, hässlich. […] das tierische vorstrecken des Kinns erniedrigt den Menschen zum Affen.[14] Er kritisierte damit die Errungenschaften des englischen Aftersportes aufs heftigste.[15]

Aber der Fußball hatte auch Fürsprecher, die heute als die Pioniere des Fußballs gelten. Einer der wichtigsten war der Braunschweiger Gymnasiallehrer Prof. Dr. Konrad Koch.

Koch, selbst ein Turner im Jahnschen Geiste, erkannte die Mängel des deutschen Schulturnens, wo unter dem Kommando gestrenger Turnlehrer kaum Begeisterung aufkommen konnte.[16] Er sah im Fußball Eigenschaften die das Turnen nicht erbringen konnte. Das Kooperieren in einer Mannschaft, die Unterordnung unter den Schiedsrichter und der couragierte Körpereinsatz. Koch wollte, ähnlich wie Jahn das Turnen, den Fußball pädagogisch einsetzen.[17] Deshalb führte er bereits 1874 den Fußball am Braunschweiger Gymnasium Martina-Catherinum im Turnunterricht ein. Diese Maßnahme stieß aber auf heftigen Widerstand. Denn der Fußball wurde in seinen Anfängen nicht nur bei den Turnern sondern auch bei Kirche und Staatsgewalt als Gefahr für die Gesellschaft angesehen. Die Kirche fürchtete um die Beschaulichkeit und Ruhe des Sonntags. Die Staatsgewalt brüskierte sich vornehmlich über die angeblich sittenwidrige Spielkleidung und versuchte durch die Polizei die Spiele ganz zu verhindern. Wenn dies nicht gelang, dann löste sie mit aller Macht die obligatorischen Menschenaufläufe nach den Spielen auf.[18]

Selbst der Fiskus beteiligte sich daran, mit dem Versuch der Erhebung einer Vergnügungssteuer, den Fußball in seiner Entwicklung zu stoppen.

Der Fußball stieß auch bei der Mehrheit der Presse auf wenig Akzeptanz. Es gab kaum Medien, die darüber berichteten.[19]

Ebenfalls wurde versucht, den Fußball direkt an der Wurzel zu ersticken, indem schulische Behörden Fußballverbote aussprachen, die an den diversen Lehranstalten in der Regel sehr genau genommen wurden.[20] Der bayrische Kultusminister zum Beispiel verbot in seiner Entschließung vom 11. Januar 1912 den Fußball an den Mittelschulen und Empfahl den Eltern sogar ihren Kindern die Teilnahme am Vereinsfußball zu untersagen, als Konsequenz auf die angeblichen hohen Verletztenzahlen und die pädagogische Unzulänglichkeit für die Erziehung im nationalen Sinne. So erstellte der Direktor der königlich-bayrischen Zentralturnanstalt, Dr. Heinrich, ein Gutachten, das den Fußball als Gefahr für Geist und Körper darstellt. Abgesehen von der Möglichkeit schwerer Verletzungen, die beim Fußballspiel in weit höherem Maße gegeben ist […] stellt dieses Spiel in seiner langen Dauer und in seiner Art als reines Laufspiel an Lunge und Herz eines in der Entwicklung begriffenen jungen Mannes Anforderungen, die dauernde Schädigungen hervorzurufen imstande sind; der zu Tage tretende Ehrgeiz lässt die Grenzen des gesundheitlich zulässigen schwer erkennen […].Auch auf die Körperhaltung habe das Fußballspiel erfahrungsgemäß einen schlechten Einfluß.[21]

Heinrich folgerte daraus, der Fußball beanspruchte die Schüler so stark, dass sie sich nicht mehr ihren vornehmlichen Pflichten widmen können und damit die Gefährdung ihres Fortschritts die unausweichliche Folge sein muss.[22]

Koch blieb aber, trotz aller Bedenken und Maßnahmen gegen den Fußball, mit dieser neuen Pädagogik nicht lange allein. Bereits 1876 führte die Hamburger Gelehrtenschule Johanneum ebenfalls den Fußball in den Turnunterricht ein.[23]

Die erste Vereinsbildung erfolgte mit dem deutschen Fußball – Verein Hannover von 1878.[24] Dieser Verein war nicht auf einen bestimmten Schul- oder Schülerkreis begrenzt. Erste Vereinsbildungsversuche, die von Schülerinitiativen ausgingen erwiesen sich als nicht sehr langlebig. Die organisatorische Entwicklung des Fußballs erfolgte sehr schleppend. Erst in den 1890er Jahren setzte dann eine Welle von Vereinsgründungen ein und verhalf dem Fußball somit zum Durchbruch.[25]

Am 28. Januar 1900 wird der DFB im Leipziger Mariengarten gegründet. Er wird zunächst von einem provisorischen elfköpfigen Ausschuss geleitet, dessen Vorsitz Prof. Dr. Ferdinand Hueppe hat.[26] Die Vereine waren in Landesverbänden organisiert, deren Zusammensetzung bzw. Zuständigkeitsbereich durch permanente Auflösungen und Neugründungen wechselte.[27] Es gab sieben mächtige Landesverbände.[28] Die Gründungsmitglieder rekrutierten sich hauptsächlich aus dem Bürgertum und der Oberschicht. Wer in der Geschichte des Sports bewandert ist […], wird mehr oder weniger zugeben müssen, dass der Sport bis vor kurzem noch ein gut war, das nur der Mittel- und Bürgerstand sein eigen nennen konnte. Der deutschen Arbeiterschaft war der Weg zum Sport […] verschlossen.[29]

Der DFB hat gleich zu Beginn seiner Gründung mit dem Kronprinzen Friedrich Wilhelm von Preußen einen Adeligen in seinen Reihen, der nicht nur zu den Förderern des Fußballs gehörte, sondern auch, zum Entsetzten der adeligen Standesgenossen, selbst die Fußballstiefel schnürte.[30]

Später kamen noch mehr Adelige Fußballförderer dazu. Prinz Heinrich von Preußen, der Bruder Kaiser Wilhelms II, Kronprinz Wilhelm und Prinz Karl Friedrich von Preußen, der selbst für den SC Charlottenburg gespielt hat.[31]

Das betreiben von Sport bedurfte gewisser Ressourcen an Freizeit und Geld. Diese Ressourcen standen der Arbeiterklasse, dem so genannten Proletariat, nicht zur Verfügung. Ferner bestand auch ein kulturelles Hindernis, denn das an studentische Verbindungen angelehnte Vereinsleben stieß beim Proletariat auf Ablehnung. Wenn dies nicht der Fall war, wurde es meistens vom Verein aus abgelehnt. In sehr, sehr vielen Vereinen, deren Mitglieder aus Studenten, Bureauangestellten, Kaufleuten und ähnlichen Berufsangehörigen besteht, werden Arbeiter grundsätzlich nicht zugelassen. Die Herren dünken sich zu fein, mit einem `gewöhnlichen´ Arbeiter im Spiele sich zu tummeln, sie vergeben sich dann etwas.[32]

Aber trotz der anfänglichen Ablehnung des Fußballs hielt er doch zum Ende des 19. Jahrhunderts noch Einzug ins Proletariat. Zunächst waren es die Kinder aus den Arbeitervierteln, die sich das `neue Spiel´ von den Söhnen des Bürgertums abgeschaut hatten und sich in organisierten Straßenspielen dem Fußball widmeten. Danach folgte die Gründung wilder Vereine.[33] Die Entwicklung des organisierten Fußballs lief im Proletariat in ähnlichen Bahnen wie im Bürgertum.

Als aus den Kindern junge Männer geworden waren, wollten sie weiter Fußball spielen, trotz knapp bemessener Zeit, und organisierten sich in den Arbeitervierteln in Vereinen. Es war für einen Angehörigen des Proletariats nicht leicht, dem Fußball nachzugehen. Als Kinder sollten sie sich der Schule widmen.[34] Als Erwachsener mussten sie sechs Tage die Woche in den Fabriken bis zu zehn Stunden täglich arbeiten, da blieb nicht viel Zeit für Freizeitaktivitäten.[35] Aber trotz der Beschränkung des Fußballs auf den Sonntagnachmittag bildeten sich aus den Straßenmannschaften Vereine. Diese wurden initiiert und geführt von Vertretern des Bürgertums, die als Angestellte oder Fabrikdirektoren in unmittelbarer Nähe der Arbeitersiedlungen wohnten. Dazu kamen als Teil der sich herausbildenden Infrastruktur mittelständische Gewerbetreibende wie Handwerker, Kaufleute, Wirte sowie Ärzte, Lehrer oder sonstige Beamte.[36] Die Vereine wurden fast immer von Vertretern des Bürgertums geführt, ferner wurden die Vereine Mitglieder der DFB – Landesverbände.[37]

In den 1880er Jahren erfolgte eine soziale Umstrukturierung der Fußballklientel. Die Gründergeneration setzte sich noch aus den Mitgliedern gehobener Kreise zusammen, diese wichen aber immer mehr einer neuen sozialen Schicht: den Angestellten. Diese bestimmten das Vereinsleben und führten die, nach studentischem Verbindungsvorbild etablierten, infrastrukturellen Vereinszeremonien ein. Dies bezog sich auch auf die Namensgebung, wie zum Beispiel Borussia, Markomannia etc.[38]

Der Fußball etablierte sich zunehmend in der Gesellschaft. Der DFB versammelte sich häufig zu Bundestagen. Die Ziele des DFB waren die Schaffung einheitlicher (deutscher) Spielegeln, die Schaffung von Landesverbänden sowie die Abschaffung von englischen Fußballausdrücken.

Auf dem 3. DFB-Bundestag wird die Amateurspielerstatute manifestiert, da man im DFB das Profi- bzw. Berufsspielertum verhindern will. Der DFB soll auf reinen Amateurfußball beschränkt bleiben.[39] Diese Statute wird erst 1932 wieder abgeschafft und somit der Profifußball erlaubt.[40]

Im Jahr 1903 wird der Fußball sogar von Teilen der Militärverwaltung offiziell eingeführt, kurz darauf auch als Teil der Offiziersausbildung[41], um dann 1911 in den Ausbildungsplan der kaiserlichen Armee aufgenommen zu werden.[42]

Die Gründung des DFB fand zwei Monate nach dem ersten Länderspiel einer deutschen Auswahlmannschaft statt. Der Gegner war England und das Spiel ging 2:13 verloren.[43]

2.2 Die Entwicklung des Fußballs zum Massenphänomen

Mit dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges änderte sich eigentlich nicht viel. Anders als in England beispielsweise, wurden keine Forderungen nach der Einstellung des Spielbetriebs laut. Es wurden sogar Repräsentationsspiele arrangiert, etwa Berlin gegen Wien oder Budapest. Die Punktspielrunde wurde auch weiter ausgespielt. Dadurch, dass die Vereine die vielen Kriegsfreiwilligen ersetzten mussten, entstanden die ersten Jugendabteilungen. Der Bereich der Jugend war bis dahin von den Vereinen nicht organisatorisch erschlossen worden, bisher drehte sich alles um die Herrenmannschaften. Wenn diese Jugendlichen dann später auch zur Front kamen, waren sie mit dem Fußballspielen vertraut und so entwickelte sich an der Front ebenfalls ein reger Spielbetrieb. Wie oft haben wir es erlebt, daß unsere Frontkämpfer, […], auf der ersten besten Wiese mit dem Fußball fröhlich tummelten.[44] Diese Entwicklung war von der Obersten Heeresleitung (OHL) durchaus gern gesehen, da so die Soldaten vom tristen `Kriegsalltag´ abgelenkt wurden.[45] Die turnerischen Übungen wurden, neben der Leichtathletik, vor allem durch den Fußball abgelöst.[46]

Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges boomt der Fußball in Deutschland. Die Mitgliederzahl stieg von 189 294 im Jahr 1914, auf 467 965 im Jahr 1920. Im darauf folgenden Jahr sind es schon 823 425 Mitglieder und im Jahr 1931 wird die Millionengrenze überschritten.[47]

Politiker förderten den Fußball, da er als adäquater Ersatz für die militärische Ausbildung angesehen wurde, welche nach dem Versailler Vertrag verboten war. Außerdem war der Fußball eine von der Bevölkerung willkommene Ablenkung von den gravierenden innenpolitischen Problemen, die die junge Weimarer Republik belasteten. Der Fußballboom ließ in zahlreichen Städten schnell hintereinander und mit öffentlichen Mitteln geförderte neue Stadien entstehen. So wurden, z. B. 1922 das Wedau-Stadion in Duisburg, 1923 das Müngersdorfer-Stadion in Köln, 1927 das Stadion Rote Erde in Dortmund und 1928 das Stadion Glückauf-Kampfbahn fertig gestellt.[48]

Auch im ATSB und in den immer zahlreicher werdenden Betriebssportvereinen wurde nunmehr Fußball gespielt. Es gab auch wieder wilde Mannschaften, wie bereits vor dem Ersten Weltkrieg.[49]

Die Umbenennung des ATB in ATSB[50] dokumentierte die Absicht, sich auch anderen Sportarten zu öffnen. Am 12. Bundestag des ATB wurde auf Bezirks- und Kreisebene die Trennung des Fußballs vom übrigen Turnen beschlossen. Diese Maßnahme war eine Reaktion auf die wachsende Fußballbegeisterung auch unter den politisch engagierten Arbeitern. Es sollten so auch Arbeiterjugendliche, die in DFB-Vereinen spielten, dazu animiert werden, dem ATSB beizutreten. Den die Zahl der ATSB-Fußballer war im Vergleich zum DFB verschwindend gering. Der ATSB hatte 26 053[51] und der DFB zum gleichen Zeitpunkt 467 965 Mitglieder.[52] Allerdings steigerte sich die Zahl der ATSB-Mitglieder bis 1922 auf 100 893, also eine enorme Steigerung von 400%.[53]

Zugleich setzt sich der soziale Wandel in der Struktur der Vereine fort. Dieser hatte schon vor dem Ersten Weltkrieg eingesetzt.[54] Ein wichtiger Faktor war die Einführung des Acht-Stunden-Tages. Damit war es auch den Arbeitern und kleinen Angestellten möglich, sich dem Fußball zu widmen, sei es nun als Aktiver oder als Zuschauer.[55] Der Fußball wurde 1925 in den Richtlinien für die Lehrpläne der Höheren Schulen Preußens berücksichtigt, aber nur in einer Aufzählung neben anderen Spielen.[56]

2.3 Die politische Konsolidierung

Die DT war ein vom nationalen Gedanken geprägter Verein, während der ATB bzw. der ATSB sich mehr dem Proletariat verbunden fühlte. Die politische Orientierung einiger ATSB-Mitglieder zeigte sich ganz deutlich in der Neugründung der IG und KG. Die politische Ausrichtung dieser neuen Verbände stand im absoluten Gegensatz zur nationalen Ausrichtung der DT. Diesbezüglich tat sich besonders Friedrich Ludwig Jahn hervor. Sein Turnen war von Anfang an von der politischen Vision einer nationalen deutschen Einheit geprägt und richtete sich gegen napoleonische Fremdherrschaft.[57] Er rief die Turnbewegung ins Leben, um eine paramilitärische Reservearmee rekrutieren zu können.[58] Die Turner schrieben sich schon bereits den siegreichen Ausgang der Befreiungskriege (1813 – 1815) zugute, aber die Forderung nach einem geeinten Nationalstaat[59] führte 1819 zur Verhaftung Jahns und 1820 zu einer Turnsperre in Preußen. Diese Sperre wurde erst 1842 aufgehoben.[60]

Allerdings erkannte die preußische Regierung den wehrpolitischen Wert des Turnens und behielt es als Unterrichtsfach an den Schulen bei. Dadurch überlebte der nationale Gründungsgeist samt seinen Werten wie Gemeinsinn, Bescheidenheit, Stetigkeit und Vernunft, zumal einige Schüler von Jahn Turnanstalten gründeten, an denen 1830 Turnlehrer ausgebildet wurden.[61]

So war es die logische Konsequenz, dass sich viele von den national gesinnten Turnern in der Revolution 1848/49 zum Konstitutionalismus bekannten und an den Bemühungen der Gründung eines Nationalstaates beteiligten. Die Turnbewegung formierte sich nach dem Scheitern der Einheitsbestrebungen schnell wieder und schloss sich dem Deutschen Nationalverein an, der die bundesstaatliche Einigung Deutschlands unter preußischer Regierung auf der 1848/49 geltenden Reichsverfassung verfolgte.[62] Das Turnen war dem Wehr und Volkstumsgedanken untergeordnet.[63]

Die stramm national gesinnte Deutsche Turnerschaft wittert in dem neuen Sport eine ernsthafte Bedrohung ihrer Monopolstellung auf dem Gebiet der Leibesertüchtigung und geht besonders erbarmungslos mit den Fußballanhängern um.[64]

Die Vereine betrachteten das Spiel als Vehikel zur Vertiefung des vaterländischen Gefühls.[65]

Die DT nahm in ihren offiziellen Berichten vom Deutschen Turnfest 1923 in München eine auffallend bagatellisierende Haltung ein. Auf diesem Fest versuchte die NSDAP sich mit eindrucksvoll inszenierten Aufmärschen zu profilieren. Dabei kam es zu gewalttätigen Zusammenstößen mit der Münchner Polizei, die versuchte, die Lage im Griff zu behalten.[66] Die Polizei hatte bereits vor dem Turnfest ein Verbot zum Tragen von Uniformen, politischen Abzeichen oder Parteifahnen erlassen. Damit sollte vor allem die SA unter Kontrolle gebracht werden.[67]

Die DT war zwar als Massenorganisation unangetastet (ca. 800 000 Mitglieder) und versuchte sich mit ernsten nationalen Tönen von anderen aufstrebenden Sportarten abzusetzen, aber sie galt in ihren Traditionen als veraltet. Die Repräsentanten der Moderne wie etwa Kaufleute, Bankiers oder Börsianer, welche nach dem Leistungs- und Konkurrenzprinzip lebten, konnten sich mit den Prinzipien der DT nicht identifizieren.[68]

Der Fußball war anfangs genauso tief im nationalen Politikum verwurzelt wie der Turnsport.[69] Die Funktionäre waren in den Anfangsjahren zu der Überzeugung gelangt, tief in der Schuld des Militärs zu stehen. Da dieses den Fußball oftmals erst ermöglichte durch die Freigabe von geeigneten Spielflächen. Das Militär stellte Exerzierplätze als Spielflächen zur Verfügung.

Durch die Hergabe der Exerzierplätze zu Spielplätze hat sie dem Fußballsport bei uns erst im eigentlichen Sinne Boden bereitet, sie war von allem Anfang an die einzige Behörde die uns Förderung zuteil werden ließ. Die Fußballklientel wollte sich durch die Stellung besonders geeigneter Rekruten, als Ehrenpflicht, mit dem Militär einen mächtigen Partner sichern.[70]

Um dieses Ziel zu erreichen, wurden Militäreinrichtungen wie zum Beispiel Militärakademien, Kadettenanstalten, Unteroffiziersschulen und Garnisonen regelmäßig mit Werbematerial eingedeckt. Dieses Material wurde in Form von Sportzeitungen, Jahrbüchern und Spielregeln ausgegeben.[71]

Der Fußballpionier Koch[72] war zwar ein Förderer des Fußballs, aber er kritisierte bereits 1897, dass die Spieler englische Manieren nachmachen und englische Ausdrücke verwenden. Er plädierte dafür, dass die Anglizismen abgeschafft und durch deutsche Ausdrücke ersetzt werden.[73]

Diese waren militärisch geprägt. Die Begriffe wie `Verteidigung, Angriff, Flügel, Deckung und Schlachtenbummler´ werden heute gebraucht, ohne einen militärischen Hintergrund zu implizieren. Der Fußball symbolisierte den Kriegszustand und die Persönlichkeitsstruktur des idealen Fußballers entsprach der eines modernen Soldaten.[74]

Das Spiel wurde als `Schlacht´ definiert […]: Zwei Parteien von gewöhnlich elf Kämpfern befinden sich im Kriegszustande. Es handelt sich darum, einen großen Lederball vermittels der Füße auf feindliches Gebiet zu und womöglich in des Heiligtum des Feindes, den durch die beiden Pfähle gekennzeichneten Stand [das Tor] zu bringen. […] ,das jede Partei unter einem Kapitän respective Führer steht, […] In erster Linie, nahe dem zu erwartenden Ball, wird er einen oder zwei geschickte, ausdauernde offensiv tüchtige Spieler stellen, dann wird das Gros seiner Armee folgen, er selbst sich in die Rückgarde derselben halten um im Falle der Not wirksam einer drohenden Gefahr entgegenzutreten […].[75]

Beim DFB sah man es als seine Pflicht die Volksgesundheit zu fördern und zu erhalten durch den Sport an der frischen Luft und damit auch die Wehrkraft des Volkes zu heben. Martin Berner, ein Mitarbeiter bei den DFB – Jahrbüchern, schrieb 1912, dass der Fußball förderlich sei für die Wiedergeburt unseres Volkes und für die physischen Volkskraft.[76]

Der DFB vollzog die endgültige Liaison zum Militär mit dem Beitritt 1912 zum Jungdeutschlandbund, der Dachorganisation von Jungbünden zur Förderung soldatischer Fähigkeiten. Diese Organisation wurde gerade erst ein Jahr zuvor gegründet,[77] was die schnelle politische Anpassungsfähigkeit des DFB sehr gut repräsentierte.

Als im Leipziger Mariengarten am 27. Januar 1900 der DFB gegründet wurde, stimmten darüber 34 Delegierte, die 86 Vereine vertraten, ab. Zuerst betraute man Prof. Dr. Ferdinand Hueppe mit der Leitung des provisorischen Führungsausschusses, bevor er dann am 6./7. Oktober desselben Jahres mit der ordentlichen Führung des DFB betraut wurde.

Hueppe war ein Rassentheoretiker und hatte bereits 1897 eine Publikation mit dem Titel: Zur Rassenhygiene und Sozialhygiene der Griechen im Althertum und in der Gegenwart.

Im Jahr 1898 veröffentlichte er einen ebenfalls rassistisch geprägten Aufsatz in dem er die Verunreinigung der Edelvölker, wie die Deutschen, mit minderwertigen Rassen befürchtet.[78]

Der DFB definierte in seinen Jahrbüchern immer als sein Ziel, das deutsche Volk unter Berufung auf das Wohl der Nation zu einen. Das bedeutete, alle politischen, kulturellen und gesellschaftlichen Schranken zu beseitigen. Im Jahrbuch von 1912, also relativ kurz vorm Beginn des Ersten Weltkrieges, wurde dieses Ziel noch einmal klar herausgestellt. Der DFB setzte sich für eine politisch streng neutrale Sache ein, für unseren Sport, der die Klassen vereinigen, die Gegensätze ausgleichen will.[79]

Dieses patriotische Bekenntnis stieß zum Teil in der Presse auf Kritik. Die Bremer Zeitung schrieb, dass es sich um Hurrapatriotismus seitens des DFB handle, der die [...] Spiele dazu benutze, vaterländische […] Propaganda zu machen.[80] Der Verband sei nur daran interessiert die deutschen Arbeiter unter die deutsche Fahne zu rufen.

Ähnliche Kritik kam von der linksgerichteten „Märkischen Volksstimme“. Sie wetterte gegen die DFB – Politik, dass es sich um `politischen Klimbim´ handle, der vor nationaler Begeisterung Purzelbäume schlägt.[81] Die Organisation des bürgerlichen Fußballclubs ist zwar meisterhaft und der DFB verstehe die nationale Begeisterung zu entfachen, doch es geht ihm in erster Linie darum, möglichst viel Geld einzunehmen.[82] Die Intention dieser kritischen Berichterstattung war die Befürchtung, dass der DFB tatsächlich die Klassenunterschiede beseitigt und somit einige `Klassenkampfblätter´ ihre Existenzberechtigung verlieren. Deshalb wurde immer dazu aufgefordert, den DFB in seinen vaterländisches Bestreben nicht zu unterstützen, sondern sich weiter auf den Klassenkampf zu konzentrieren. Der DFB seinerseits betrachtete diese Presseattacken nur als den Versuch, die Auflösung der Klassengesellschaft zu diskreditieren. Die Presse fürchtete den wachsenden Einfluss des DFB, dessen Mitgliederzahl von 13 644 im Jahr 1905, auf 189 294 am Vorabend des Ersten Weltkrieges angestiegen war.[83]

Die Aufforderung seitens des DFB zur Auflösung der Klassengesellschaft war die Grundvoraussetzung, um ein Wachstum zu erreichen. Dieses zeugte von seinem Durchsetzungsvermögen und seinem Machtbewusstsein. Denn der DFB musste sich im Kaiserreich erst seine `Existenzberechtigung´ erarbeiten. Der Fußball hatte in allen Bereichen der Gesellschaft extrem viel Widersacher. Um diesen Widerstand zu brechen, war die Schaffung einer möglichst breiten Klientel notwendig, welche aber nicht möglich gewesen wäre, wenn man sich an die Doktrin der Klassengesellschaft gehalten hätte.[84]

Der DFB war in finanzieller Hinsicht sehr erfolgreich in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg. Die Einnahmen überstiegen regelmäßig die Ausgaben und so wurde ein stetig steigender Gewinn erwirtschaftet, wie die Vermögensaufstellung von 1914 bewies. Der DFB wurde immer stärker von Kaufleuten gesteuert und war somit ein Spiegelbild der Gesellschaft im Kaiserreich. Durch die starke Expansion der Wirtschaft in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg war die Gesellschaft zu Wohlstand gekommen. Diesen versuchte sie durch die ständige Suche nach weiteren Expansionsmöglichkeiten, auch im Sport zu steigern. Die kapitalistische Absicht der Gewinnerzielung war der Anlass für den DFB, trotz seiner national geprägten Gründungsdoktrin, eine internationale Ausrichtung zu etablieren. Somit unterstützte der DFB bereits 1903/ 04 die Gründung eines internationalen Verbandes, aus dem später der Fußballweltverband (FIFA) hervorgehen sollte.[85]

Der DFB war 1913 an der Etablierung der `deutschen Sache´ stark beteiligt. So wurde das Fußballspiel von einem führenden Funktionär definiert, […] als zuchtvolle Schule der männlichen Charakterbildung und kämpferischen Siegeswillen. Er projizierte in das ursprünglich englische Spiel einen `deutschen Wesensinhalt´ und betrachtet es als Volkserziehungsmittel, dieses `Wesen´ zu konservieren.[86] Somit hatte der DFB keine Probleme mehr, den Fußball als etwas ur-deutsches zu deklarieren.[87]

Der Ausbruch des Ersten Weltkrieges wurde bei Turnern und Fußballern gleichermaßen frenetische begrüßt. Durch den Sport wurdet Ihr für den Krieg erzogen, darum ran an den Feind und nicht gezittert![88]

Der DFB und der DT forderten ihre Mitglieder dazu auf, sich für ihr Vaterland zu opfern. Lediglich der ATB war von der `Effektivität´ des Krieges nicht überzeugt und äußerte sich zwiespältig.

Wohl freuen wir uns alle der Siege unserer Truppen, aber nimmer werden wir das Gefühl los, daß die Zerstörung soviel blühenden Lebens, so vieler Kulturwerte doch unendlich traurig ist.[89]

In den Fußballverbandsreihen war die Kriegsbegeisterung groß, da man sich selbst am Kriegsausbruch nicht schuldig sah, sondern in der Opferrolle. Das Deutsche Reich wehrte sich ja nur und jetzt sollten die Feinde erleben, was es heißt sich mit dem Deutschen Militär anzulegen. Es war auch klar, dass am Ende ein deutscher Friede stehen würde, also ein Frieden zu den Bedingungen des Deutschen Reichs.[90]

Am 1. August 1914 erfolgt die Kriegerklärung des Deutschen Reiches an Russland und die allgemeine Mobilmachung. Der Dienst am Vaterland lockt hunderttausende Freiwillige, darunter auch viele Fußballer, in die Armee. Einige Sportvereine lieferten sich regelrecht Wettkämpfe, wer die meisten Freiwilligen stellte.[91] Die Aufforderungen des DFB und des DT schienen mit der Intention ihrer Aufforderung vollends angekommen zu sein.[92] Vom DFB gab es zu keiner Zeit Kritik an der Notwendigkeit des Krieges. Selbst als im Frühjahr 1918 in der Heimat immer mehr Teile der `kriegsmüden´ Bevölkerung gegen die Fortsetzung des Krieges protestierten, und rief der Westdeutsche Spielverband (WSV), ein Landesverband des DFB, im September 1918 dazu auf, dem Vernichtungswillen unserer Feinde […] das Schwert entgegen zu halten.[93]

Der DFB erlässt im November eine Erklärung, welche republikfeindliche und revanchistische Tendenzen erkennen ließ. Das deutsche Volk erhält nicht den Frieden, den Eure Tapferkeit, den die unerhörten Leistungen des Heeres und der Heimat verdient haben.[94]

Am 9. November 1918 gab Reichskanzler Prinz Maximilian von Baden eigenmächtig die Abdankung von Kaiser Wilhelm II. bekannt. Daraufhin rief der Sozialdemokrat Philipp Scheidemann die Republik aus. Mit der Unterzeichnung des Waffenstillstandsvertrages in Versailles wurde zwei Tage später der Erste Weltkrieg beendet.

Nach dem Krieg kamen Militärs, Pädagogen, Sportfunktionäre und Politiker zu der einheitlichen Meinung, dem Sport ein noch stärkeres Gewicht in der militärischen Ausbildung einzuräumen. So sollte die im Versailler Vertrag verbotene Wehrpflicht umgangen werden.

Der Krieg habe gezeigt, was für glänzende Soldaten ein Sportvolk wie die Engländer ins Feld stellen konnte. Stark, Schnell, ausdauernd, energisch, kaltblütig, diese Eigenschaften des Sportsmannes fanden sich auch beim englischen Soldaten und die Erscheinung wird uns noch lange zu denken geben.[95]

International wurde der DFB boykottiert. So waren die DFB-Vertreter bei der FIFA nicht zugelassen. Die englische Football Association (FA) forderte den Ausschluss des Deutschen Reichs. Der DFB hingegen reagierte gelassen auf diese Boykottpolitik mit der Begründung, weil uns ein sofortiger Verkehr mit den bisherigen Feindstaaten durchaus unerwünscht gewesen wäre.[96]

[...]


[1] Hehl, Ulrich von: Enzyklopädie Deutscher Geschichte. Nationalsozialistische Herrschaft, Band 39, 2. Aufl.; München 2001, S. 57.

[2] Bernett, Hajo: Untersuchungen zur Zeitgeschichte des Sports; Band 52; Schorndorf 1973.

[3] Oswald, Rudolf: „Fußballvolksgemeinschaft“. Ideologie, Politik und Fanatismus im deutschen Fußball 1919-1964; Frankfurt am Main 2005, S. 18 f.

[4] Havemann, Nils: Fußball unterm Hakenkreuz. Der DFB zwischen Sport, Politik und Kommerz; Bonn 2005.

[5] Unter anderem die in dieser Arbeit verwendeten Publikationen:

Schwarz-Pich, Karl-Heinz: Der DFB im Dritten Reich. Einer Legende auf der Spur; Kassel 2000.

Heinrich, Arthur: Der Deutsche Fußballbund. Eine politische Geschichte; Köln 2000.

Bitzer, Dirk; Wilting, Bernd: Stürmen für Deutschland. Die Geschichte des deutschen Fußballs von 1933 bis 1954; Frankfurt a. M. 2003.

[6] Havemann, S. 30 vgl. Becker, Hartmut: Antisemitismus in der Deutschen Turnerschaft; 1. Auflage; Sankt Augustin 1980, S. 24.

[7] Heinrich, S. 15.

[8] Havemann, Nils: Fußball unterm Hakenkreuz. Der DFB zwischen Sport, Politik und Kommerz; Bonn 2005, S. 33 f.; vgl. Schwarz -Pich, S. 31 f.

[9] Heinrich, S. 17.

[10] In der Literatur wird der Verband auch als Arbeiter-Turnerbund-Deutschlands bezeichnet. Vgl. Heinrich, S. 18.

[11] Schulze-Marmeling, Dietrich: Der gezähmte Fußball. Zur Geschichte eines subversiven Sports; Göttingen 1992, S. 92 ff. vgl. Pfeiffer; Schulze-Marmeling, Der deutsche Fußball und die Politik 1900 bis 1954. Eine kleine Chronologie, in: Hakenkreuz und rundes Leder. Fußball im Nationalsozialismus; Pfeiffer; Schulze-Mameling, Dietrich (Hg.); Göttingen 2008, S. 16-57, S. 21 ff.

[12] Havemann, S. 33; vgl. Heinrich, S. 20.

[13] Heinrich, S. 21.

[14] Bitzer; Wilting, S. 15.

[15] Pfeiffer, Lorenz: „`Schulfeind´ Fußball hat gesiegt“ Die Einführung des Fußballs an den Schulen zur Zeit des Nationalsozialismus, in: Herzog, Markwart (Hg.): Fußball zur Zeit des Nationalsozialismus. Alltag -Medien-Künste-Stars; Stuttgart 2008; S. 51-61, S. 52.

[16] Schwarz-Pich, S. 12.

[17] Ebd. S. 12 f.

[18] Heinrich, S. 21; vgl. Bitzer; Wilting, S. 15. vgl. Schwarz -Pich, S. 13 f.

[19] Fischer, Gerhard; Lindner, Ulrich: Stürmer für Hitler. Vom Zusammenspiel zwischen Fußball und Nationalsozialismus; Göttingen 1999, S. 13 vgl. Schwarz -Pich, S. 15 f.

[20] Heinrich, S. 21.

[21] Pfeiffer, „`Schulfeind´ Fußball hat gesiegt“, S. 53.

[22] Ebd., S. 53.

[23] Heinrich, S. 21

[24] Pfeiffer, „`Schulfeind´ Fußball hat gesiegt“, S. 52.

[25] Heinrich, S. 21.

[26] Bitzer; Wilting, S. 13 f. vgl. Pfeiffer; Schulze-Marmeleing, S. 16.

[27] Heinrich, S. 25 ff.

[28] Bitzer Wilting, S. 31 vgl. Havemann, S. 117.

[29] Heinrich, S. 26 f.

[30] Schwarz-Pich, S. 13.

[31] Bitzer; Wilting, S. 18.

[32] Heinrich, S. 26.

[33] Schwarz-Pich, S. 15 f.

[34] Ebd. S. 16.

[35] Pfeiffer, „`Schulfeind´ Fußball hat gesiegt“, S. 52.

[36] Schwarz-Pich, S. 16.

[37] Ebd. S. 16.

[38] Eisenberg, Christiane: Fußball in Deutschland 1890-1914. Ein Gesellschaftsspiel für bürgerliche Mittelschicht, in: Geschichte und Gesellschaft, 20 (1994) 2, S. 181-210, S. 190 ff.

[39] Pfeiffer; Schulze-Marmeling, S. 17.

[40] Ebd. S. 28.

[41] Ebd. S. 17.

[42] Pfeiffer, „`Schulfeind´ Fußball hat gesiegt“, S. 55.

[43] Bitzer; Wilting, S. 13 vgl. Pfeiffer; Schulze-Marmeling, S. 16.

[44] Eisenberg, S.103.

[45] Ebd. S. 103 f.

[46] Pfeiffer; Schulze-Marmeling, S. 20.

[47] Bitzer; Wilting, S. 19 vgl. Eisenberg, S. 104.

In der Literatur sind die Zahlenangaben nicht immer kongruent und sind so geringen Schwankungen unterworfen.

[48] Bitzer; Wilting, S. 20.

[49] Eisenberg, S. 104 f. vgl. Pfeiffer; Schulze-Marmeling, S. 21.

[50] siehe 1.1, Fußnote 8.

[51] Schulze.Marmeling: Der gezähmte Fußball, S. 21.

[52] Bitzer; Wilting, S. 19.

[53] Schulze-Marmeling: Der gezähmte Fußball, S. 23.

[54] Siehe 1.1, ab Fußnote 28.

[55] Bitzer; Wilting, S. 19.

[56] Ebd. S. 54.

[57] Ebd. S. 15 f. vgl. Schwarz-Pich, Karl-Heinz: Der DFB im Dritten Reich. Einer Legende auf der Spur; Kassel 2000, S. 11.

[58] Havemann, S. 30 vgl. Heinrich, S. 36.

[59] Bei Havemann wird eine klassenlose Bürgergesellschaft von den Turnern gefordert. vgl. Havemann, S. 31.

[60] Heinrich, S. 17.

[61] Havemann, S. 31.

[62] Havemann, S. 30.

[63] Schulze-Marmeling: Der gezähmte Fußball, S. 65 vgl. Heinrich S. 36 f.

[64] Bitzer; Wilting, S. 15.

[65] Havemann, S. 33.

[66] Bernett: Untersuchungen zur Zeitgeschichte des Sports, S. 23 f.

[67] Ebd. S. 20.

[68] Ebd. S. 32.

[69] Ebd. S. 33.vgl. Bernett; Hajo: Guido von Mengden. „Generalstabschef“ des deutschen Sports. Turn- und Sportführer im Dritten Reich; Band 5; Berlin, München, Frankfurt a. M. 1976, S. 14 f.

[70] Heinrich, S. 37 f. vgl. Bitzer; Wilting, S. 17 vgl. Havemann, S. 45 f.

[71] Heinrich, S. 37 f. vgl. Bitzer; Wilting, S. 17.

[72] Siehe 1.1, Ursprünge des `deutschen Sports´

[73] Havemann, S. 35 vgl. Heinrich S. 34 f. vgl. Bitzer; Wilting, S. 16.

[74] Eisenberg Christiane: Fußball, soccer, calcio - Ein englischer Sport auf seinem Weg um die Welt; München 1997, S. 101 f.

[75] Heinrich, S. 35. vgl. Bitzer; Wilting, S. 16.

[76] Havemann, S. 47.

[77] Ebd. S. 47.

[78] Pfeiffer; Schulze-Marmeling, S. 16 f.

[79] Havemann, S. 35 f.

[80] Havemann, S. 36.

[81] Ebd. S. 36.

[82] Ebd. S. 41.

[83] Havemann, S. 36; vgl. Schwarz-Pich, S. 19 ff.

[84] Havemann, S. 36.

[85] Havemann, S. 41 f.

[86] Fischer; Lindner, S. 15.

[87] Ebd. S. 15 f.

[88] Bitzer; Wilting, S. 18

[89] Heinrich, S. 43 f.

[90] Heinrich, S. 45 f.

[91] Pfeiffer; Schulze-Marmeling, S. 20.

[92] Siehe Fußnote 66.

[93] Bitzer; Wilting, S. 18 f.

[94] Pfeiffer; Schulze-Marmeling, S. 21.

[95] Ebd. S. 21.

[96] Pfeiffer; Schulze-Marmeling, S. 21.

Ende der Leseprobe aus 86 Seiten

Details

Titel
Sport im Nationalsozialismus
Untertitel
Besondere Betrachtung des Fußballs
Hochschule
Universität Osnabrück
Note
3,0
Autor
Jahr
2009
Seiten
86
Katalognummer
V177686
ISBN (eBook)
9783640994342
ISBN (Buch)
9783640995455
Dateigröße
729 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
sport, nationalsozialismus, besondere, betrachtung, fußballs
Arbeit zitieren
Magister Artium Dirk Wiese (Autor:in), 2009, Sport im Nationalsozialismus, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/177686

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