Leseprobe
Inhaltverzeichnis
1 Einleitung
2 Schöpfungsgeschichte
2.1 Die Namensbenennung in der ersten Schöpfungserzählung
2.2 Der Herrschaftsauftrag in der zweiten Schöpfungserzählung
3 Das Nebeneinander von Mensch und Tier im AT
3.1 Miteinander von Mensch und Tier im Alltag
3.2 Tierrechte
3.3 Die Beziehung zwischen Gott und Tier
3.4 Das Tier als Träger göttlicher Willensäußerungen: Bileams Eselin
4 Bruch zwischen Mensch und Tier
4.1 Antike Vorstellungen
4.2 Mittelalter
4.3 Neuzeit
4.4 Zukunftsperspektive?
5 Fazit
6 Literaturverzeichnis
1 Einleitung
Warum denkt der Mensch über seine Beziehung zum Tier nach? Dieser Frage könnte man auch im Kontext dieser Hausarbeit nachgehen. Wie denkt der Mensch über das Tier? Denkt er genug darüber nach? Oder kreist er zu sehr um sich und die Menschen um sich herum? Karl Barth kritisiert die neuzeitliche Sicht des Menschen auf die Tierwelt und wirft die Frage in den Raum, ob der angebliche äußere Kreis der Tierwelt um das Zentrum Mensch herum nicht eher ein eigenständiger Kreis ist.[1]
Anscheinend irrt der Mensch sich in seinem Weltbild, wenn man die Konsequenzen menschlicher Ausbeutung in der gesamten Schöpfung betrachtet. Marie Louise Henry versucht darauf eine Antwort zu geben, indem sie in einer korrekten Mensch-Tier-Beziehung die Beziehung des Menschen zu Gott identifiziert.[2] Angesichts des heutzutage pervertierten Verhältnisses zum Tier scheint es schwierig, diese Art von Gotteserfahrung zu machen. Allerdings schließt man aus der Feststellung Henrys, dass diese Art von Beziehung zum Tier einmal bestanden haben muss. Geht man dafür in der Heilsgeschichte zurück, kommt man an der Kultur des alttestamentlichen Menschen nicht vorbei. Es gilt demnach, unter verschiedenen Gesichtspunkten eine Untersuchung der alttestamentlichen Mensch-Tier-Beziehung durchzuführen, um auf ein mögliches Idealbild zu stoßen. Interessant ist auch, erste Anzeichen unkorrekten Verhaltens bereits an dieser Stelle heraus zu stellen. Dafür werden die weisheitlichen Schriften sowie die Schöpfungserzählungen und die Geschichte von Bileams Eselin genauer untersucht.
Im nächsten Schritt stellt sich die Frage, wann sich dann eine Wende vollzogen haben muss, die zu einer derartigen Pervertierung führen konnte, die heute in all ihren Auswüchsen zu spüren ist. Anhand einer pragmatischen Untersuchung der historischen Etappen in der Philosophie und Theologie soll diese Frage beantwortet werden.
Zum Schluss ist zu klären, inwiefern sich durch das Alte Testament eine ethische Herausforderung ergibt, der sich der Mensch heute stellen muss, wenn er die Extreme der Ausbeutung und der Verhätschelung überwinden möchte.
2 Schöpfungsgeschichte
Das Alte Testament besitzt zwei Schöpfungsberichte, die unmittelbar aufeinander folgen. Dabei ist der nachgestellte Bericht der ältere von beiden. Im ersten Schritt wird jene zweite Erzählung im Hinblick auf die Namensgebung der Tiere durch den Menschen untersucht, um sich bereits im Anfang des Alten Testaments einen ersten Eindruck von einer Mensch-Tier-Beziehung zu verschaffen. Daraufhin wird der zweite Bericht dargestellt und mit ihm die Problematik des sogenannten Herrschaftsauftrags.
2.1 Die Namensbenennung in der ersten Schöpfungserzählung
Die erste Schöpfungserzählung erstreckt sich von Gen 2,4b - 3,24 und gilt im Gegensatz zum Bericht von Gen 1,1-2,4a als die ältere Überlieferung einer Ursprungserzählung. In ihr kommt zum Ausdruck, dass es nicht gut sei, „dass der Mensch allein sei“. Gewissermaßen als Experiment stellt Gott dem Menschen das Tier zur Seite, doch scheitert der Versuch, bevor er die Frau schuf. In diesem Bericht wird ersichtlich, dass das Tier in Gottes Augen einen derartigen Stellenwert besitzt, dass es beinahe zum Gefährten des Menschen erhoben wurde.[3]
Im ersten Schöpfungsbericht wird außerdem erzählt, dass Gott dem Menschen die Tiere überließ, um zu sehen, „wie er sie nennen würde“(Gen 2,19). Meer und Festland, Sonne und Mond benannte Gott selber, aber gerade das Tier überließ er dem Menschen, um sie in seine Welt einzubeziehen. Dennoch musste der Mensch sie als Gottes Schöpfung annehmen. Interessant ist, dass die Namensgebung der erste biblisch erwähnte Sprachvorgang ist, der an lebenden Wesen vollzogen wird.[4] Bernd Janowski sieht außerdem in der Namensgebung die Zuordnung der Tiere in ihre Lebensbereiche und damit zugleich ein Ordnen der Welt.[5]
Aus den Beobachtungen kann man schließen, dass der Mensch mit dem Tier durch die Namensgebung in eine vertraute Beziehung tritt. Von göttlicher Perspektive aus betrachtet kann der erste Schöpfungsbericht als impliziter Herrschaftsauftrag angesehen werden, da dem Menschen mit der Namensgebung und der Ordnung der Welt gewisse Macht zukommt.[6] Man kann ihn als notwendige Ergänzung zum expliziten Herrschaftsauftrag in Gen 2,19 ansehen.[7]
Aus geschöpflicher Perspektive wird in dem Bericht die nahe Verwandtschaft ersichtlich: Der Mensch kann ausschließlich das benennen, das ihm vertraut ist. Vertraut ist ihm nur das, was seinem Wesen ähnelt oder entspricht. Demnach kann er das Tier problemlos benennen, da es ihm wesensgleich ist. Es wird ihm zum vertrauten Du.[8] Im Gegensatz dazu bleibt die Bezeichnung Gottes dunkel und unheimlich, da der Mensch sie nicht zu nennen vermag.
2.2 Der Herrschaftsauftrag in der zweiten Schöpfungserzählung
Der zweite Schöpfungsbericht enthält den sogenannten Herrschaftsauftrag. Dabei handelt es sich um die Aufforderung Gottes an den Menschen, „über die Fische des Meeres, über die Vögel des Himmels und über alle Tiere, die sich auf dem Land regen“ zu herrschen (Gen 1,28). Was ist mit dem Verb „herrschen“ gemeint und wie wurde dies im Laufe der Geschichte ausgelegt? Letzteres ist in diesem Schritt bereits ansatzweise beantwortbar: Ausgehend von Joel 4,13 sah man die Bedeutung des Verbs „herrschen“ mit der Bedeutung „die Kelter treten“ als geklärt. Diese Bedeutung wurde nur verständlich im Kontext der priesterschriftlichen Texte, in denen damit eine von oben nach unten ausgehende gewalttätige Handlung gemeint war.[9] Diese Auslegung stellt den Menschen allerdings als einen „Niedertreter und Schrecken aller Natur“[10] dar, der seine von Gott gegebene Verantwortung für seinen eigenen Nutzen missbraucht. Eine derart aggressive Interpretation wurde letztendlich als unhaltbar abgetan. Zuvor äußerte zuerst Karl Barth erste Zweifel an der Aggressivität der Interpretation, doch blieb seine Kritik eher eine Ausnahme. 1972 veröffentlichte J. Barr sein Werk „Man and Nature“[11], mit welchem er den Ausschlag für eine neue Interpretationslinie gab: Demnach bedeutet „herrschen“ vielmehr „walten als königlicher Hirte“[12] und nicht als Tyrann. Die Hirtenmetaphorik besteht darin, dass der Mensch das Tier quasi mit sich führt, um es zu leiten und zu weiden, wie Gerhard Liedke mit dem Wort „Lebenserhaltung“ betitelt.[13] Dies kann exegetisch an der Wurzelverwandtschaft zwischen den hebräischen Worten für „herrschen“ und für „begleiten, (mit sich) führen“ festgemacht werden. Der Vorgang, der hier durch derartige Verben umschrieben wird, ist nichts anderes als die Domestikation[14] von Tieren.
In diese Interpretationslinie ordnete sich daraufhin Norbert Lohfink ein. Er stellte eine Domestikationshypothese auf, nach der der Begriff „herrschen“ vollkommen gewaltfrei zu verstehen ist.[15] Außerdem besagt diese These, dass der Herrschvorgang dort ansetzt, wo der Mensch ansässig wird. Denn dann soll er das Tier auf die Weide führen, es als Zugtier nutzen und so weiter.[16] Lohfinks Ansatz wurde daraufhin von Koch und Zenger übernommen, allerdings präzisierte Zenger den Herrscherbegriff durch den Gedanken, dass der Mensch keine grenzenlose Macht besitzt, sondern als „königliche[r] Beauftragte[r] des Schöpfergottes“[17] fungiert.
Auch Bernd Janowski lieferte seinen Beitrag zur Diskussion mit der Theorie, dass mit dem Herrschaftsauftrag eher eine universale Ordnung zur Aufgabe des Menschen wird, in der sich die Gottesebenbildlichkeit desselben konkretisiert.[18]
Abschließend zu den Schöpfungserzählungen muss man sagen: Die in ihnen ersichtlich gewordenen Gedanken relativieren sich und verlieren an Bedeutung, wenn die enthaltene Schöpfungstheologie nicht als eigenständiges Thema innerhalb der Theologie gilt. Denn dies würde nach Zenger und Löning zu einem „Verlust der universalen Dimension der biblischen Botschaft“[19] führen, die aber unabdingbar ist.
[...]
[1] Vgl. JANOWSKI, BERND: Auch die Tiere gehören zum Gottesbund. Zur Einführung. In: JANOWSKI, BERND/NEUMANN-GORSOLKE, UTE/GLEßMER, UWE (Hgg.): Gefährten und Feinde des Menschen. Das Tier in der Lebenswelt des alten Israel. Neukirchen-Vluyn 1993, 1-19, 13.
[2] Vgl. HENRY, MARIE LOUISE: Tiere im religiösen Bewusstsein des alttestamentlichen Menschen. In: JANOWSKI, BERND/NEUMANN-GORSOLKE, UTE/GLEßMER, UWE (Hgg.): Gefährten und Feinde des Menschen. Das Tier in der Lebenswelt des alten Israel. Neukirchen-Vluyn 1993, 20-61, 20.
[3] Vgl. WESTERMANN, CLAUS: Mensch, Tier und Pflanze in der Bibel. In: JANOWSKI, BERND/NEUMANN-GORSOLKE, UTE/GLEßMER, UWE (Hgg.): Gefährten und Feinde des Menschen. Das Tier in der Lebenswelt des alten Israel. Neukirchen-Vluyn 1993, 90-106, 91.
[4] Vgl. WESTERMANN: Mensch (Anm. 3), 92.
[5] Vgl. JANOWSKI: Tiere (Anm. 1), 9.
[6] Durch die Namensgebung akzeptiert der Mensch zugleich die Macht, des Tieres, die durch das Benennen offenbar wird. Denn ein Name enthält die Mächtigkeit seines Gegenübers. Vgl. HENRY: Tier (Anm. 2), 26.
[7] Vgl. JANOWSKI: Tiere (Anm. 1), 13.
[8] Vgl. JANOWSKI: Tiere (Anm. 1), 26.
[9] Vgl. SCHMITZ-KAHMEN, FLORIAN: Geschöpfe Gottes unter der Obhut des Menschen. Die Wertung der Tiere im Alten Testament (Neukirchener Theologische Dissertationen und Habilitationen Bd. 10). Neukirchen-Vluyn 1997, 18.
[10] JANOWSKI, BERND: Herrschaft der Tiere, 183-198. In: BRAULIK, GEORG u.a. (Hgg.): Biblische Theologie und gesellschaftlicher Wandel. Freiburg i. Br, 184.
[11] BARR, JAMES: Man and Nature – The ecological Controversy and the Old Testament (Bulletin of the John Ryland’s Library of the University Of Manchester Bd. 55). 1972.
[12] Janowski: Herrschaft (Anm. 10), 185.
[13] LIEDKE, GERHARD: „Tier Ethik“ – Biblische Perspektiven. In: JANOWSKI, BERND/NEUMANN-GORSOLKE, UTE/GLEßMER, UWE (Hgg.): Gefährten und Feinde des Menschen. Das Tier in der Lebenswelt des alten Israel. Neukirchen-Vluyn 1993, 207.
[14] Domestikation bezeichnet die langfristige Isolation von Wildtieren vom Rest der gleichen Art. Dadurch kann der Mensch ein Zusammenleben und eine Nutzung des Tiers in seinem häuslichen Umfeld garantieren. Wildtiere werden in diesem Vorgang zu Haustieren.
[15] Vgl. SCHMITZ-KAHMEN: Geschöpfe (Anm. 9), 19.
[16] Vgl. JANOWSKI: Herrschaft (Anm. 10), 186.
[17] Janowski: Herrschaft (Anm. 10), 186.
[18] Vgl. SCHMITZ-KAHMEN: Geschöpfe (Anm. 9), 21.
[19] HAGENCORD, RAINER: Diesseits von Eden. Verhaltensbiologische und theologische Argumente für eine neue Sicht der Tiere. Regensburg 2005, 71.