Der Name Amina Waduds ist vielen erst im Zusammenhang mit dem von ihr geleiteten Freitagsgebet in New York im März vergangenen Jahres bekannt geworden. Das Ereignis wurde in den Medien sensationalisiert, wenngleich die Reaktionen unterschiedlich ausfielen. So titelte
die Welt am 21. März 2005 mit „Weibliche Vorbeterin provoziert die islamische Welt“ und suggeriert damit, dass „die islamische Welt“, wie sie hier heißt, ein Problem mit einer Frau als Vorbeterin hat. Auch zahlreiche Zeitungen in muslimischen Ländern berichteten von dem
Ereignis. Allen Reaktionen gemeinsam ist jedoch eines: Sie alle zitieren die Stimmen zahlreicher muslimischer Gelehrter, die erklären, warum es islamisch eigentlich illegitim sei, dass eine Frau
ein Gebet von Männern und Frauen leitet. In jedem Fall scheint man den Eindruck vermitteln zu wollen, dass das, was Amina Wadud da getan hat, irgendwie „unislamisch“ sei.
Vielen Islamwissenschaftlern war sie hingegen durch ihr Buch „Qur’an and Woman“ bekannt geworden, in dem sie den Versuch unternimmt, bestimmte Koranverse, die zur religiösen Legitimierung eines misogynen Frauenbildes und diskriminierender Praktiken benutzt werden können, neu zu interpretieren, wobei sie von einer im Koran verankerten Geschlechtergerechtigkeit ausgeht.
Amina Wadud ist in der Tat unter Muslimen umstritten und wird nicht selten des Abfalls vom Glauben bezichtigt, ihre Äußerungen werden als unislamisch und unqualifiziert abgetan, meist ohne dass eine ernsthafte Auseinandersetzung mit ihrem Werk stattfindet. Gleichzeitig gibt es jedoch Gläubige, die in der Argumentation, den Positionen Waduds eine Legitimation und Bestätigung für das finden, was sie sich erhoffen: dass es auch innerhalb eines islamischen
Referenzrauhmens möglich ist für Geschlechtergerechtigkeit zu streiten, dass Glaube und Widerstand gegen Diskriminierungen durchaus nicht im Widerspruch zueinander stehen.
Die Aufgabe dieser Arbeit soll daher zu einem großen Teil darin bestehen, darzustellen, wie eine feministische Interpretation des Koran aussehen kann, unter welchen Prämissen und mit welchen methodischen Ansätzen sie möglich ist. Nur so kann die Tür zur Teilnahme an einem ernsthaften Dialog mit gläubigen MuslimmInnen geöffnet werden, können Argumente gefunden werden, die nicht die Abkehr von der Religion fordern, sondern eine eingehende Beschäftigung mit ihren Quellen sowie ein Nachdenken über die Vielfalt möglicher Auslegungen.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Hauptteil
- Amina Wadud — eine Lebensgeschichte hinter der Sensation
- Die Sensation — das Freitagsgebet in New York
- Die Lebensgeschichte I - Zum Zusammenhang von Biografie und Konversion
- Die Lebensgeschichte II — ,Gender Jihad' in Theorie und Praxis
- Diskussionsfelder
- Islamischer Feminismus — What' s in a name?
- Progressive Muslime und die Frage nach dem „wahren" Islam
- Analyse des Ansatzes Amina Waduds
- Historizität, Sprache und Wahrheit bei Amina Wadud
- Ethik des Koran und Maqäsid aß-Sari'a
- Zu den ethischen und theologischen Grundlagen sozialer Gerechtigkeit bei Wadud — taqwä, biläfa und tawbid als zentrale theoretische Konzepte
- Gender-Konzeption bei Wadud
- Die transzendente Dimension von Gleichheit und Ungleichheit
- Die Interpretation des Koranverses 4:34
- Rollenverteilung von Mann und Frau in Familie und Gesellschaft
- Amina Wadud — eine Lebensgeschichte hinter der Sensation
- Schlussbetrachtung
- Quellenverzeichnis
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die Arbeit untersucht den Ansatz der feministischen Koraninterpretation am Beispiel der muslimischen Wissenschaftlerin Amina Wadud. Ziel ist es, die Prämissen und methodischen Ansätze dieser Interpretationsweise darzustellen, um so einen Einblick in die Möglichkeiten und Grenzen einer Neuinterpretation des Koran zu gewinnen. Dabei wird insbesondere auf Waduds Buch „Qur'an and Woman" sowie auf ihre neueren Arbeiten eingegangen.
- Die Bedeutung der historischen Kontextualisierung des Koran für die Interpretation
- Die Rolle der Sprache und des Verständnisses des Menschen bei der Interpretation des Koran
- Die Frage nach der Ethik des Koran und der Rolle der Vernunft bei der Bestimmung von richtig und falsch
- Die Bedeutung von Gerechtigkeit und Gleichheit im Islam
- Die Rolle von Frauen im Islam und die Problematik der Geschlechterrollen
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung stellt Amina Wadud und ihre Arbeit vor, indem sie das von ihr geleitete Freitagsgebet in New York im Jahr 2005 als Ausgangspunkt nimmt und die Reaktionen auf dieses Ereignis beleuchtet. Anschließend wird ein Blick auf die Lebensgeschichte Waduds geworfen, um die möglichen Einflüsse auf ihre Denkweise und ihr Engagement für Geschlechtergerechtigkeit zu erforschen. Das erste Kapitel beleuchtet die Bedeutung von Waduds Biografie für ihr wissenschaftliches und politisches Engagement.
Das zweite Kapitel widmet sich verschiedenen Diskussionsfeldern, die im Zusammenhang mit Waduds Ansatz relevant sind. Der erste Abschnitt behandelt den islamischen Feminismus und die Frage nach der Definition und Vielfalt der Ansätze innerhalb dieser Bewegung. Der zweite Abschnitt widmet sich dem progressiven Islam und der Frage nach der Möglichkeit einer liberalen Koraninterpretation.
Das dritte Kapitel analysiert den methodischen Ansatz Waduds zur Koraninterpretation. Dabei werden die von ihr verwendeten Konzepte wie taqwä, biläfa und tawhid sowie ihre Kritik an der traditionellen Koraninterpretation und der Rolle von Männern in der islamischen Wissenschaftsgeschichte beleuchtet.
Das vierte Kapitel befasst sich mit Waduds Interpretationen des Koran, insbesondere mit der Frage nach der Gleichheit und Ungleichheit von Mann und Frau. Es werden die Interpretationen des Koranverses 4:1 sowie die Geschichte von Adam und Eva im Paradies behandelt.
Die Schlussbetrachtung fasst die wichtigsten Erkenntnisse der Arbeit zusammen und diskutiert die Bedeutung des Ansatzes Amina Waduds für die gegenwärtige Debatte um den Islam und die Rolle von Frauen in muslimischen Gesellschaften.
Schlüsselwörter
Die Schlüsselwörter und Schwerpunktthemen des Textes umfassen den islamischen Feminismus, die feministische Koraninterpretation, Amina Wadud, Geschlechtergerechtigkeit, Gerechtigkeit im Islam, taqwä, biläfa, tawhid, maqäsid aß-Sari'a, Koranvers 4:34, Rollenverteilung von Mann und Frau, Kopftuch, Freitagsgebet, progressive Muslime, liberale Koraninterpretation, Islam und Moderne, Religion und Vernunft, Erfahrung und Wahrheit.
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- Sandra Becker (Autor), 2006, Feministische Koraninterpretation am Beispiel Amina Waduds, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/178251