Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Hauptteil
2.1 Der Naturzustand bei Thomas Hobbes und Jean-Jacques Rousseau
2.1.1 Die Gleichheit der Menschen hinsichtlich ihrer physischen und psychischen Konstellation bei Thomas Hobbes
2.1.2 Das Selbsterhaltungsstreben/Streben nach Macht bei Thomas Hobbes
2.1.3 Hobbes Naturzustand im Gegensatz zum zivilisierten Gemeinwes
2.2.1 Rousseaus sprachloser Naturmensch, ausgestattet mit den Eigenschaften des Mitleidens und der Selbstliebe
2.2.1 Rousseaus Ausweg aus dem Naturzustand und dessen Folgen für den vergesellschafteten Menschen
3 Schlussbemerkungen
4 Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Eine sehr wichtige und schon früh gestellte Frage der politischen Philosophie lautet, wie das Verhältnis zwischen der Freiheit des Einzelmenschen und der politischen Ordnung beschaffen sein soll. Mit der Aussage, der Mensch sei ein von Natur aus politisches Wesen („Anthopos zoon physei estin"[1] ), prägte Aristoteles bis in die Neuzeit das europäische Verständnis des Menschen und seiner politischen Lebensverhältnisse.[2] Aristoteles war der Auffassung, die Menschen hätten seit Beginn der Menschheitsgeschichte in „politischen und sozialen Verbänden wie Familien und staatlichen Gemeinwesen zusammengelebt, während Hobbes ihm widersprach, indem er behauptete, dass eine umfassende Vergesellschaftung erst durch einen Gesellschaftsvertrag zustande kommt, den ein jeder mit jedem abschließt.“[3] Hierarchien waren (vom Sklavenstand bis zum Vollbürger) für Aristoteles legitim, weil in den genannten „Vergesellschaftungs-formen“[4] Individuen leben, die von Natur aus unterschiedlich wert sind. Bis zur Ausbreitung der Moral - und Rechtsphilosophie Immanuel Kants im 18. Jahrhundert, war der politische Aristotelismus in Deutschland „unbezweifelte Grundlage der gesellschaftlichen und politischen Selbstverständigung in Philosophie und Wissenschaft“[5]. In anderen europäischen Ländern wurden die als unbestreitbar wichtig geltenden politischen Schriften von Aristoteles früher kritisiert und nicht weiter als verbindliche Philosophie angesehen. Vor allem Hobbes, Spinoza, Locke und Rousseau haben in England und Frankreich mit ihrem Denken die politischen Sichtweisen aufgerüttelt und durch ihre Schriften, aufgrund der politischen Situation, teilweise ein Leben im Exil verbringen müssen.
In dieser Arbeit möchte ich die Frage klären, welche Ansichten von Hobbes und Rousseaus (beschränkt auf Teile ihrer politischen Philosophie) für Furore gesorgt und nachhaltig gewirkt haben. Im Einzelnen betrifft das die Fragen danach, wie der vorstaatliche Naturzustand bei Hobbes („Krieg aller gegen alle“) und Rousseau („Der Mensch wird frei geboren und überall liegt er in Ketten“) im Vergleich aussieht, wobei der, wie in der Themenformulierung bereits angekündigt, Schwerpunkt auf Hobbes Theorie liegen soll (Da im Seminar Hobbes „Leviathan“ Gegenstand der Betrachtungen war, möchte ich ihm auch in dieser Arbeit mehr Beachtung schenken). Der Gedanke, es gebe einen Naturzustand, in dem all das vom Menschen Erdachte und Geschaffene fehlt, findet sich, nebenbei bemerkt, bereits bei Platon (Platon, Theaitetos, Seite 139, Reinbek 1958)
Desweiteren soll erläutert werden, inwiefern es im Naturzustand Gesetze gibt und welche Bedeutung Begriffe wie Recht und Unrecht haben. Da sich der Mensch im Naturzustand vom vergesellschafteten Menschen grundsätzlich unterscheidet (Natur- und Gesellschaftszustand gelten als idealtypische Konstrukte), bzw. dessen Gegenbild darstellt, soll auch geklärt werden, ob es den Naturzustand wirklich gegeben hat.
2. Hauptteil
2.1 Der Naturzustand bei Thomas Hobbes und Jean-Jacques Rousseau
(Welchen Zweck hat die Konstruktion „Naturzustand“ und wie ist dieser charakterisiert?)
Das erste Mal als ich versucht habe, mir den Naturzustand vorzustellen, habe ich an Völker gedacht, die hauptsächlich im Einklang mit der Natur leben, indem sie sich von ihr nur das besorgen, was für das Überleben notwendig ist (z.B.: die Urvölker Afrikas und Indianerstämme in Nord- und Südamerika). Begriffe wie Ausbeutung (z.B. durch Zerstörung von Leben und Lebensraum, Fördern von Bodenschätzen, etc.) und Profitgier (die beim Handel entsteht) haben bei diesen Urvölkern keine Bedeutung und sind im Handeln dieser Menschen nicht nachweisbar. „Mein Naturmensch“ ist nicht wissenschaftlich gebildet und lebt somit auch nicht in einer stark technisierten Umgebung. Das was er zum Leben benötigt, besorgt er sich unmittelbar und „hortet“ es nicht egoistisch (z.B. in dem er große Vorratsspeicher anlegt). Außerdem ist er dankbar und sorgt dafür, dass er der Natur, bzw. dessen „Schöpfer“ oder „Wächtern“, als stark religiös-spiritualistisch ausgerichteter Mensch, wieder etwas zurückgibt (z.B. durch Opfergaben). Desweiteren reicht er sein Wissen an die nachfolgende Generation so weiter, wie er es von seinen Vorfahren erhalten hat (traditioneller Bezug).Ein weiteres Merkmal dieser Menschen zeigt sich in ihrer Zufriedenheit und ihrem „Glücklichsein“. Durch diese zwei Eigenschaften sehen sie keine Notwendigkeit nach „Höherem“ zu streben (qualitativ und quantitativ).
An folgender Stelle in Hobbes Leviathan, findet sich eine Schilderung, die das Leben des Naturmenschen ähnlich bildhaft, allerdings weitaus negativer, bzw. brutalerwiedergibt:
„In einer solchen Lage (im Kriegs-, also Naturzustand) ist für Fleiß kein Raum, da man sich seiner Früchte nicht sicher sein kann; und folglich gibt es keinen Ackerbau, keine Schifffahrt, keine Waren, die auf dem Seeweg eingeführt werdenkönnen, keine bequemen Gebäude, keine Geräte, um Dinge, deren Fortbewegung viel Kraft erfordert, hin- und herzubewegen, keine Kenntnis von der Erdoberfläche, keine Zeitrechnung, keine Künste, keine Literatur, keine gesellschaftlichen Beziehungen, und es herrscht, was das Schlimmste von allem ist, beständige Furcht und Gefahr eines gewaltsamen Todes- das menschliche Leben ist einsam, armselig, ekelhaft, tierisch und kurz.“[6] Den Zustand den Hobbes hier beschreibt, bezieht er, wie ich es in meiner Vorstellung tat, ebenfalls auf Völker, bzw. Zustände, in denen diese Völker leben[7]:
1. auf die Indianer Nord- und Südamerikas („Es gibt viele Gebiete, wo man jetzt noch so lebt. Denn die wilden Völker verschiedener Gebiete Amerikas besitzen überhaupt keine Regierung, ausgenommen die Regierung über kleine Familien(…).“[8] ),
2. auf Menschen, die unter den Bedingungen eines Bürgerkrieges leben („wie dem auch sei – man kann die Lebensweise, die dort, wo keine allgemeine Gewalt zu fürchten ist herrschen würde, aus der Lebensweise ersehen, in die solche Menschen, die früher unter einer friedlichen Regierung gelebt hatten, in einem Bürgerkrieg abzusinken pflegen.“[9] ),
3. auf die Herrscher verschiedener Staaten, die weder einen gemeinsamen Herrscher noch gemeinsame positive Gesetze über sich haben („Aber obwohl es niemals eine Zeit gegeben hat, in der sich einzelne Menschen im Zustand des gegenseitigen Krieges befanden, so befinden sich doch zu allen Zeiten Könige und souveräne Machthaber auf Grund ihrer Unabhängigkeit in ständigen Eifersüchteleien und verhalten sich wie Gladiatoren: sie richten ihre Waffen gegeneinander und lassen sich nicht aus den Augen(…)“).
Wenn Hobbes seinen Naturzustand auf aktuelle, in seiner Zeit vorkommende Zustände anwendet, könnte man davon ausgehen, dass für ihn der Naturzustand wirklich existiert hat und nicht nur ein bloßes Gedankenkonstrukt ist.Allerdings ist er sich der Existenz nicht in vollem Umfang sicher („Vielleicht kann man die Ansicht vertreten, daß es eine solche Zeit und einen Kriegszustand wie den beschriebenen niemals gab, und ich glaube, daß er so niemals auf der ganzen Welt bestand.“[10] ). Diese Unsicherheit lässt sich „beseitigen“ indem man annimmt, dass der Naturzustand ein Idealzustand ist und Hobbes Herleitungen (1.-3.) „nur“ Stilisierungen darstellen, die auf Grund ihrer Wesensbestandteile diesem Ideal zwar sehr nahe kommen, aber nicht hundertprozentig entsprechen (Nonnenmacher und Kodalle vertreten diese Auffassung).Eine überwiegende Mehrheit der modernen Interpreten hält das Naturzustandstheorem aber für eine „methodische Fiktion, um mit Hilfe eines bloßen Gedankenexperimentes die Notwendigkeit des staatlichen Zustandes und einer souveränen Zwangsgewalt zu beweisen“[11]. Ein weiterer Anspruch dieses Gedankenexperimentes liegt darin, zu verdeutlichen, dass der Naturzustand ein Kriegszustand ist. Denkt man sich alle „Formen von gesellschaftlicher und staatlicher Herrschaft aus den zwischenmenschlichen Beziehungen weg“ (Euchner, Seite 37), dann bleibt ein Mensch übrig, der frei von Repressionen durch Staat und Gesetze ist. Außer dem gesellschaftlichen und dem natürlichen Zustand gibt es für Hobbes keinen dritten Zustand (zum Beispiel in Form einer Entwicklungs- oder Übergangsphase).[12]
Münkler wiederum, hat zur Existenz des Naturzustandes folgendes gesagt: „Der Naturzustand ist nicht eine geschichtlich überwundene Etappe aus den Anfangsgründen der Menschheit, sondern es ist die Alternative zu dem durch die Macht und Gewalt des Souveräns gesicherten Gesellschaftszustands, die bei Infragestellung dieser Macht und Gewalt jederzeit Wirklichkeit werden kann.“[13]
Eggers teilt mit Münkler dessen Ansicht: „Bürger eines Staates fallen gleichsam in den Naturzustand zurück, wenn ein Bürgerkrieg ausbricht und die staatliche Ordnung aufgelöst wird.“[14]
Rousseau, der seine Naturzustandstheorie am ausführlichsten in der zweiten Preisschrift „Abhandlung über den Ursprung und die Grundlagen der Ungleichheit unter den Menschen“ (1755) dargelegt hatte, gibt auch nicht durchgängig an, ob sein Naturmensch eine reale historische Erscheinung ist oder doch eher ein gedankliches Konstrukt. In seiner zweiteiligen Schrift (im 1. Teil: hier wird der ursprüngliche Mensch wird als ein Naturwesen charakterisiert; im 2. Teil: Bestimmung des Anfanges der Gesellschaft) geht Rousseau im Gegensatz zu Hobbes jedoch genau den umgekehrten Weg. Während sich Hobbes Naturmensch nicht dauerhaft in einem Naturzustand aufhalten sollte, weil für ihn dieses Leben „einsam, armselig, ekelhaft, tierisch und kurz“ ist, entwirft Rousseau einen Zustand, in dem sich sein „homme naturel“ „pudelwohl“ zu fühlen scheint, auf Grund bestimmter Eigenschaften, sich selber aber von diesem entfernt hat.Sein Naturmensch streifte einzeln durch die Wälder, lebte vom Sammeln und Jagen und kam mit Menschen nur zur Paarung und kurzen Kinderaufzucht zusammen (was vor allem Locke widersprach, der die Familie als Urform der Gesellschaft hielt). Kurz: für die Befriedigung seiner bescheidenen und geringen Bedürfnisse, war er nicht auf andere angewiesen: „Ich sehe, wie es sich unter einer Eiche sättigt, am erstbesten Bach seinen Durst stillt und sein Lager am Fuß desselben Baumes findet, der ihm sein Mahl gespendet hat“[15] (Im Übrigen brachten ihm diese Darstellungen häufig Kritik und Spott ein. Voltaire schrieb ihm in einem Brief folgendes: "Ich habe, mein Herr, Ihr neues Buch gegen die menschliche Gattung erhalten (...). Niemand hat es mit mehr Geist unternommen, uns zu Tieren zu machen, als Sie; das Lesen ihres Buches erweckt in einem das Bedürfnis, auf allen Vieren herumzulaufen."[16] Kritik erfuhr er auch deshalb, weil er sich gegen die „gängigen“ Denkweisen seiner Zeitgenossen und machthabenden Institutionen aussprach. So sah die Kirche den Menschen in seiner Frühform, nicht als „edlen Wilden“, sondern als Wesen, welches durch die Erbsünde belastet ist. Die Aufklärer wiederum, betrachteten den Menschen als vernunftbegabt, lern-und gesellschaftsfähig. Was Rousseau zur Vernunft sagt wird noch an verschiedenen folgenden Stellen erläutert.)Nach seiner Auffassung ist der Mensch ein Naturwesen, welcheserst durch seine kulturelle Entwicklung entartet ist. In seiner Gesellschaftslehre versucht er zu klären, wie „die Verkehrung des Natürlichen und Guten sich ins Zivilisierte und letzthin Böse vollzogen hat.“[17] Rousseau schreibt auch explizit, dass eine Rückkehr in den Naturzustand (ob es ihn nun gegeben hat oder nicht) nicht möglich ist. Die Rekonstruktion des Naturzustandes verteidigte er als ein argumentatives Mittel, um die realen Ungleichheiten zu kritisieren. Mit seiner Konstruktion wollte er verhindern, dass die zu seiner Zeit bestehenden Verhältnisse als natürlich und daher als legitim angesehen werden.
[...]
[1] Aristoteles, Politik 1253 a 2
[2] Kersting, Wolfgang: Thomas Hobbes zur Einführung. Hamburg: Junius-Verlag, 1992, Seite 13.
[3] Euchner, Walter: Die Staatsphilosophie des Thomas Hobbes. Fernuniversität Hagen, 1987. Seite 37.
[4] Euchner: Seite 37
[5] Kerstings: Seite 13
[6] Leviathan (Euchner): Seite 96
[7] Eggers, Daniel: die Naturzustandstheorie des Thomas Hobbes. Berlin, New York: Walter de Gruyter, 2008, Seite 34
[8] Leviathan (Euchner): Seite 97
[9] Ebd.: Seite 97
[10] Leviathan (Euchner): Seite 97
[11] Eggers, Seite 29
[12] Münkler, Herfried. Thomas Hobbes. Frankfurt/Main, New York: Campus-Verlag, 1993. Seite 110
[13] Münkler, Seite 97
[14] Eggers, Seite 29
[15] Rousseau, Jean-Jacques; Ritter, Henning (Hrsg.): Abhandlung über den Ursprung und die Grundlagen der Ungleichheit unter den Menschen, 2 Bd., Frankfurt/Main, 1988, Seite 36
[16] 12.06.2010, 20.57 Uhr: http://de.wikipedia.org/wiki/Jean-Jacques_Rousseau
[17] Mensching, Günther: Jean-Jacques Rousseau zur Einführung, Hamburg: Junius-Verlag, 2000, Seite 41