Leseprobe
Gliederung
1. Einleitung
2. Frauen als Teil der Schenkung
2.1. Servi und ancillae
2.2. Mancipii
2.3. Liti
2.4. Homini/Homini lati
2.5. Zur speziellen Bedeutung der familia
3. Frauen als Schenkerinnen
3.1. Allgemeines
3.2. Zur möglichen Herkunft und Bedeutung einzelner Schenkerinnen
3.2.1. Haduwy
3.2.2. Ida
3.2.3. Tetta
3.2.4. Halecghard
4. Frauen, für deren Heil geschenkt wird
5. Frauen als Teil der Traditionsbeschreibung oder –Bedingung
6. Der Bezug zur Rolle der Frau im Mittelalter
6.1. Zu unterschiedlichen Lebensformen von Frauen
6.2. Zur Rechts- und Geschäftsfähigkeit
7. Schlussbetrachtungen
8. Quellen- und Literaturverzeichnis
Anhang: Grafik, Familienverhältnisse der Haduwy und der Ida und mögliche Verbindungen zu Adelsgeschlechtern
1. Einleitung
Untersuchungsbasis dieser Arbeit ist die ältere Reihe der Corveyer Traditionen, die die Jahre 822 bis 877 umfasst. In der im Auftrag der Historischen Kommission Westfalen und durch Klemens Honselmann herausgegebenen neuen Edition der Quelle wird der zum Zeitpunkt der Veröffentlichung aktuelle Forschungsstand mit einbezogen. Daher ist sie den älteren Editionen, beispielsweise von Falke oder Wigand, eindeutig vorzuziehen.
Sowohl die Einträge in der älteren, mehr noch aber die in der jüngeren Reihe, sind stets knapp gehalten und beinhalten meist nur wenige Informationen. Dennoch stellen die Traditionen eine in vielerlei Hinsicht wertvolle Quelle zur Erschließung der Geschichte des Mittelalters dar. Ihre Bedeutung für den Historiker geht weit über die ursprüngliche Absicht der Aufzeichnung von Rechtsgeschäften hinaus.
Untersuchungsgegenstand dieser Arbeit ist die Frage nach der Rolle von Frauen in den Corveyer Traditionen. Treten Frauen in den gleichen Funktionen, die auch für das Auftreten von Männern verzeichnet sind, in Erscheinung? Wie groß ist der Anteil von tradierenden Frauen? Was schenkten Frauen und warum schenkten sie? Wer waren die Frauen, die schenkten und lassen sich Verbindungen zwischen ihnen aufzeigen?
Darüber hinaus sollen aber auch Frauen, die in anderer Funktion in Erscheinung treten, nicht unerwähnt bleiben, um so einen, wenn auch groben, Gesamtüberblick über die eingangs erwähnte Thematik zu liefern.
Als problematisch bei der Bearbeitung dieses Themas erweist sich die Zuordnung von Namen zu ihrem jeweiligen Geschlecht. In einigen Traditionen markieren Termini wie „uxor“, „soror“, „mater“, „ancilla“ oder andere die benannten Personen als Frauen. Dennoch sind auch einige Regelmäßigkeiten in Bezug auf Namensendungen festzustellen, mit Hilfe derer sich Frauen auch ohne eindeutige Ausweisung durch Termini als solche identifizieren lassen. Obschon aus diesem Grunde in dieser Arbeit möglicherweise nicht alle erwähnten Frauen berücksichtigt werden können, bieten die zahlreichen Traditionen, in denen Frauen eindeutig ihrem Geschlecht zuzuordnen sind, ausreichend Material für eine genauere Betrachtung der Thematik.
Wenngleich die meist informationsarmen Einträge in der Traditionsliste nur wenig Hinweise auf die Hintergründe der einzelnen Frauen geben, so wird in dieser Arbeit dennoch versucht, einen Ausblick auf die unterschiedlichen Lebensformen der Frau des Mittelalters zu erschließen. Darüber hinaus wird die Rekonstruktion von Verwandtschaftsverhältnissen einiger Frauen eine Rolle spielen. Wie viel geben die Traditionen diesbezüglich her? Lassen sich ganze Stammbäume erschließen? Gibt es womöglich Verbindungen zu berühmten Adelsgeschlechtern?
In einem anschließenden Überblick soll zudem noch umrissen werden, inwieweit die gesammelten Informationen Rückschlüsse auf die Rechts- und Geschäftsfähigkeit der Frau im Mittelalter zulassen.
2. Frauen als Teil der Schenkung
Sowohl liti, servi, als auch mancipii und lati sind in den Traditionen als Schenkungsobjekte verzeichnet. Mehrfach werden Un- und Halbfreie dieser Arten in Verbindung cum uxore tradiert.
2.1. Servi und ancillae
Servi und in diesem Zusammenhang auch ancillae sind in den Quellen häufig als individuell handelnde Personen belegt. Sie waren Träger bestimmter Funktionen und wirkten meist als Knecht oder Magd. Allgemein gehörten dazu Unfreie aller Art und jeglicher Herkunft. Servi und ancillae sind nicht selten als Schenkungsobjekte in den Quellen verzeichnet.[1]
In Bezug auf das Thema dieser Arbeit spielen servi als Schenkungsobjekte jedoch nur eine Rolle, wenn sie in Verbindung cum uxoribus auftreten. Dies ist zwei Mal der Fall, in den Traditionen 32 und 268. In beiden werden die Eheleute gemeinsam mit ihren Kindern, also cum liberis oder cum infantibus et mansi[2] geschenkt. In Nummer 268 ist der servus jedoch namentlich angegeben.
Lediglich einmal, in Tradition 137 ist von „ancillae“ als Teile der Schenkung die Rede. Hier werden duas ancillas , nämlich unam filiam Tiadmanni et aliam Raydmanni geschenkt.
2.2 Mancipii
Die Bezeichnung „mancipii“ umfasst eine breite Schicht wesentlich rechtloser Unfreier verschiedenen Ursprungs und unterschiedlicher Funktion. Der Bezeichnung nach „bei der Hand zu führende“ waren es Hörige und Abhängige, und zwar unabhängig davon, ob sie einen eigenen oder den Hof eines Herren bewirtschafteten.[3]
Lediglich zweimal tritt eine Frau als solche in Erscheinung. In Tradition 11 werden zehn mancipiis, darunter ein gewisser Theodrad cum uxore eius sum infantibus geschenkt. Es ist anzunehmen, dass diese mancipii zum Zwecke der Bewirtschaftung der ebenfalls als Teil der Schenkung vermerkten mansi vorgesehen sind. Gleiches ist von den in Tradition 204 tradierten mancipiis Ewuli et Alfsuit anzunehmen, die ebenfalls in Verbindung mit einer mansio geschenkt werden.
2.3. Liti
Liti sind ab dem sechsten Jahrhundert nachzuweisen. Sie sind Halbfreie, die ständisch zwischen ingenui und servi stehen, somit vom Stand her vergleichbar mit Freigelassenen. Ab 900 wird „litus“ synonym mit „colonus“, also Bauer, verwendet. Bis in das achte Jahrhundert hinein verstand man unter liti noch abhängige Bauern, die jedoch sozial besser gestellt waren als servi. Sie waren zudem fast uneingeschränkt rechtsfähig und persönlich frei.[4]
In der bereits betrachteten Tradition 32 werden neben dem Sklaven mit Ehefrau noch ein weiterer servus und ein litus cum uxore et infantibus geschenkt. Außerdem weist Tradition 197 einen litum cum familia als Schenkungsobjekte aus. Auf die Bedeutung der familia in Bezug auf das Vorkommen von Frauen in den Traditionen wird später noch genauer eingegangen.
2.4. Homini/Homini lati
Die geschenkten Personen werden nicht selten als homini bezeichnet. Einmal fällt der Begriff auch in Kombination mit latus . Lati wiederum werden ebenfalls mehrfach geschenkt. Was aber ist unter einem „hominus “ zu verstehen? Gibt es einen Grund dafür, dass jene Menschen nicht in eine der bisher genannten Kategorien der Unfreien eingeordnet werden? Was ist darüber hinaus ein „hominus latus“? Geht man von „latus“ als Partizip Perfekt Passiv-Form des Verbs „ferre“ aus, so würde das Wort in der Bedeutung „darbringen, entrichten“ durchaus sinnvoll erscheinen. Ein „hominus latus “ wäre demnach ein etwas darbringender oder entrichtender (im weiteren Sinne dienender) Mensch.
In Tradition 5 werden sieben homini, namentlich Ratbert, Lansuit, Hadubret,
Odilred, Swanegard, Lentghard und Beio geschenkt. Die als Lansuit, Swanegard und Lentghard bezeichneten homini sind aufgrund der Namensendungen relativ sicher als Frauen zu identifizieren. In Tradition 27 sind ein hominus nomine Wunred cum uxore et infantibus und duas partes de manso als Schenkungsobjekte aufgeführt. In Tradition 38 werden zwei homini cum uxore et filiis geschenkt, jeweils in Verbindung mit einer manso. In Nummer 114 wird ein hominus latus cum uxore et filiis plus einer mansi geschenkt.
Zwischenbemerkung
In zwei Traditionen werden die geschenkten unfreien Frauen namentlich benannt. In Nummer 5 werden homini mit Namen Lansuit, Swanegard und Lentghard geschenkt, in Tradition 204 ein gewisser mancipium Ewuli mit einer Frau Alfsuit. Frauen sind in der Gesamtheit der bislang betrachteten Traditionen anteilig seltener mit Namen verzeichnet als ihre Männer. Sehr häufig hingegen ist der Vermerk einer Frau durch das Wort „uxor“.
Auffällig ist überdies, dass ein Großteil der Eheleute in Verbindung mit ihren Kindern und einer mansi geschenkt werden.
2.5. Zur speziellen Bedeutung der familia
Die Bedeutung des Wortes „Familie“ hat sich vom Mittelalter bis heute stark gewandelt. Die Definition des Begriffes, die wir heute verwenden, entwickelte sich erst in der Neuzeit. Der moderne Familienbegriff meint im Allgemeinen den gesamten Personenkreis der in verwandtschaftlicher Beziehung stehenden Personen, im engeren Sinne jedoch auch die in einer Hausgemeinschaft lebenden, untereinander verwandten Personen. Aus dem Verständnis der Gesellschaft im Früh- und Hochmittelalter heraus definiert diese Beschreibung eher den Begriff „Sippe“, nicht aber die Konstellation einer „familia“.
Eine familia war ein „auf der Ehe eines voll rechts-, waffen- und handlungsfähigen Mannes beruhender Hausverband“,[5] dem die Ehefrau, sowie die unter der Munt stehenden Minderjährigen, und die erwachsenen, unverheirateten Kinder und das unfreie Gesinde angehörten. Somit vereinigte eine familia in sich Personen mit unterschiedlichem rechtlichem und ökonomischem Status. Nicht nur Unfreie, also servi, gehörten dazu, sondern auch Halbfreie, wie die liti und coloni.[6]
Die in einer familia lebenden Personen waren ökonomisch vom Hausvater abhängig, da er die Güter stellte, die sie bewirtschafteten. Der Kern der hierarchisch organisierten Einheit der familia war das Haus, das somit in Hinblick auf die Sozialgeschichte des Mittelalters eine zentrale Rolle spielt.[7]
Ausgehend von dem so gesteckten Rahmen des früh- und hochmittelalterlichen familia-Begriffes, lassen sich auch Zusammenhänge mit dem Thema dieser Arbeit erschließen. Folgt man der Definition, musste jeder familia stets mindestens eine Frau angehören. Dies schließt in erster Linie natürlich die Ehefrau des Familienvaters ein. Einen weiteren Ansatzpunkt für das Vorhandensein von Frauen in der familia bietet die Nachkommenschaft. Die Töchter des Hausherren blieben im Verband der familia, bis sie durch Heirat in die Herrschaft einer anderen familia übergeben wurden. Darüber hinaus können sich auch in den Reihen der Unfreien Frauen befunden haben.
Der Begriff familia spielt auch in den Corveyer Traditionen eine Rolle. In zahlreichen Traditionen wird eine oder mehrere familiae als Schenkungsobjekt aufgeführt.
Insgesamt werden in der älteren Reihe der Corveyer Traditionen 74 ½ familiae, verteilt auf 31 Traditionen, geschenkt. Diese Zahl ist nicht ganz präzise, da die Tradition Nummer 172 zwar die Schenkung mehrerer familiarum bezeugt[8], jedoch keine genaue Anzahl angegeben wird.
In 18 Traditionen wird jeweils eine familia geschenkt, die somit am häufigsten tradierte Anzahl.
Auch hier ist auffallend, dass ein Großteil der familiae in Verbindung mit mansi tradiert wird. In 27 von insgesamt 31 Traditionen, in denen eine oder mehrere familiae geschenkt werden, sind gleichsam eine entsprechende Anzahl mansi als Schenkungsobjekte verzeichnet. Es ist wahrscheinlich, dass jener Personenkreis dem Zwecke der Bewirtschaftung der mansus diente. Die familiae waren somit auch Unfreie oder Halbfreie, welcher Art jedoch genau, ist nicht festzustellen.
[...]
[1] Vgl. Kasten, Brigitte (Hg.): Tätigkeitsfelder und Erfahrungshorizonte des ländlichen Menschen in der frühmittelalterlichen Grundherrschaft (bis ca. 1000). Festschrift für Dieter Hägermann zum 65. Geburtstag, Stuttgart 2006,S. 71. Darüber hinaus wird „Mancipia“ hier als Sammelbegriff für diese unfreie Bevölkerungsschicht gesehen.
[2] Mansus: Hufe, Hofstelle. Eine Hufe war im Mittelalter das „an Hintersassen vergebene Land, das zur Existenz einer Bauernfamilie ausreicht. (Hägermann, Dieter, Hedwig, Andreas: „Mansus“, in: LMA V, München 2002,
S. 154
[3] Vgl. Hägermann, Dieter: „Mancipia“, in: LMA VI, Lukasbilder bis Plantagenêt, München 2002, S. 185
[4] Vgl. Hägermann, Dieter, Hedwig, Andreas.: „Liten“, in: LMA V, Hiera-Mittel bis Lukanien, München 2002, S. 2016-2017
[5] Volkert, Wilhelm: Kleines Lexikon des Mittelalters: Von Adel bis Zunft, München 2004, S. 58
[6] Vgl. Tätigkeitsfelder und Erfahrungshorizonte des ländlichen Menschen in der frühmittelalterlichen Grundherrschaft (bis ca. 1000), S. 83
[7] Vgl. Kleines Lexikon des Mittelalters, S. 58
[8] Tradidit Beuo in Astonholteiemarki quidquid ibi habuit in familiis (…).