„Es lebte im Reich nur mehr ein schwaches nationalpolitisches Gesamtbewußtsein und ein schwacher Lebenswille der Gesamtheit.“ 1
Die Problematik, inwiefern das deutsche Reich in den Jahren 1500-1800 ein System komplementärer Staatlichkeit versinnbildlichte und somit der modernen Staatlichkeitsauffassung gerecht wurde, steht im Mittelpunkt der nachfolgenden Betrachtungen.
Die Begrifflichkeit des „Alten Reiches“ symbolisiert in diesem Zeitraum ein politisches Ordnungssystem im deutschsprachigen Raum der Frühen Neuzeit, welches auf der Grundlage von gemeinsamer Sprache, Kultur und Abstammung der deutschen Gemeinschaft jene Sicherheit gewährte, um eine nationale Einheit auszubilden und an dessen Spitze das Reichsoberhaupt, in Form von König oder Kaiser stand. Ein charakteristisches Merkmal des „Alten Reiches“ wird durch den Dualismus zwischen der Krone und den Reichsständen versinnbildlicht. Die Reichsstände vereinen sowohl die Fürsten, als auch die einzelnen Territorialherren, welche über die souveräne und unabhängige Hoheitsgewalt in ihrem Gebiet verfügen. Jedoch wird das Reichsoberhaupt, in Gestalt von König bzw. Kaiser als übergeordnete Zentralmacht anerkannt. Innerhalb dieses politischen Machtgefüges kommt es im 15. Jahrhundert zur Reichsreform, dessen Zielsetzung durch die Schaffung einer Verfassungsordnung im „Alten Reich“, welche den Ansprüchen und Bedürfnissen eines frühmodernen Staates entspricht, symbolisiert wird. Auf diese Weise sollten die essentiellen Souveränitätsrechte im gesamten Reichsstaat, entweder unter ständischer oder kaiserlicher Führung vereint werden. Die Reichsreform sollte somit dem stetigen machtpolitischen Antagonismus zwischen König und Ständen entgegenwirken. Die Thematik, die in diesem Zusammenhang aufgeworfen wird, ist die Fragestellung auf welche Art und Weise sich der Reichsstaat zwischen 1500-1800 einer modernen Staatlichkeitsauffassung angleicht. Im Folgenden werden die Verstaatlichungstendenzen auf der Reichsebene, anhand der Entstehung der Reichspublizistik, der Herausbildung des Steuerwesens, am Beispiel des Gemeinen Pfennigs und der Entwicklung einer gemeinsamen Rechtssprechung, am Beispiel des Reichskammergerichtes, dargelegt. Insbesondere werden die Ansichten und Auffassungen des Historikers Georg Schmidt, im Hinblick auf die Entwicklung des „Alten Reiches“ hin zu einem System komplementärer Staatlichkeit, kritisch erörtert.
Gliederung
1. Das „Alte Reich“ – Vom Kaiser geführt, von den Reichsständen bestimmt
2. Das „Alte Reich“ – Ein System komplementärer Staatlichkeit?
2.1. Das „Alte Reich“ – Ein komplementärer Reichsstaat (nach Georg Schmidt)
2.1.1. Die Entwicklung deutscher Gesamtstaatlichkeit
2.2. Die Reichspublizistik und die Entwicklung der Staatsrechtslehre im „Alten Reich“
2.2.1. Die Entwicklungsgeschichte der Reichspublizistik
2.2.2. Die Reichspublizistik –Ein Garant für die Entwicklung komplementärer Staatlichkeit?
2.3. Der Gemeine Pfennig – Eine allgemeine Reichssteuer im „Alten Reich“
2.3.1. Der Gemeine Pfennig und sein Einfluss auf die staatlichen Entwicklungstendenzen
2.4. Das Reichskammergericht – Verstaatlichungstendenz oder Sinnbild der alten Ordnung?
2.4.1. Die Entwicklungsgeschichte und die Funktionen des Reichskammergerichtes
2.4.2. Das Reichskammergericht – Rechtssprechung im Spannungsfeld zwischen Krone und Reichsständen
3. Die Entwicklungsgeschichte des „Alten Reiches“ – Die Grundlage einer modernen Staatlichkeit
4. Literaturverzeichnis
1. Das „Alte Reich“ – Vom Kaiser geführt, von den Reichsständen bestimmt
„Es lebte im Reich nur mehr ein schwaches nationalpolitisches Gesamtbewußtsein und ein schwacher Lebenswille der Gesamtheit.“.[1]
Die Problematik, inwiefern das deutsche Reich in den Jahren 1500-1800 ein System komplementärer Staatlichkeit versinnbildlichte und somit der modernen Staatlichkeitsauffassung gerecht wurde, steht im Mittelpunkt der nachfolgenden Betrachtungen.
Die Begrifflichkeit des „Alten Reiches“ symbolisiert in diesem Zeitraum ein politisches Ordnungssystem im deutschsprachigen Raum der Frühen Neuzeit, welches auf der Grundlage von gemeinsamer Sprache, Kultur und Abstammung der deutschen Gemeinschaft jene Sicherheit gewährte, um eine nationale Einheit auszubilden und an dessen Spitze das Reichsoberhaupt, in Form von König oder Kaiser stand. Ein charakteristisches Merkmal des „Alten Reiches“ wird durch den Dualismus zwischen der Krone und den Reichsständen versinnbildlicht. Die Reichsstände vereinen sowohl die Fürsten, als auch die einzelnen Territorialherren, welche über die souveräne und unabhängige Hoheitsgewalt in ihrem Gebiet verfügen. Jedoch wird das Reichsoberhaupt, in Gestalt von König bzw. Kaiser als übergeordnete Zentralmacht anerkannt. Innerhalb dieses politischen Machtgefüges kommt es im 15. Jahrhundert zur Reichsreform, dessen Zielsetzung durch die Schaffung einer Verfassungsordnung im „Alten Reich“, welche den Ansprüchen und Bedürfnissen eines frühmodernen Staates entspricht, symbolisiert wird. Auf diese Weise sollten die essentiellen Souveränitätsrechte im gesamten Reichsstaat, entweder unter ständischer oder kaiserlicher Führung vereint werden. Die Reichsreform sollte somit dem stetigen machtpolitischen Antagonismus zwischen König und Ständen entgegenwirken. Die Thematik, die in diesem Zusammenhang aufgeworfen wird, ist die Fragestellung auf welche Art und Weise sich der Reichsstaat zwischen 1500-1800 einer modernen Staatlichkeitsauffassung angleicht. Im Folgenden werden die Verstaatlichungstendenzen auf der Reichsebene, anhand der Entstehung der Reichspublizistik, der Herausbildung des Steuerwesens, am Beispiel des Gemeinen Pfennigs und der Entwicklung einer gemeinsamen Rechtssprechung, am Beispiel des Reichskammergerichtes, dargelegt. Insbesondere werden die Ansichten und Auffassungen des Historikers Georg Schmidt, im Hinblick auf die Entwicklung des „Alten Reiches“ hin zu einem System komplementärer Staatlichkeit, kritisch erörtert.
Der Hauptteil dieses Aufsatzes konzentriert sich auf die Betrachtung jener Elemente und untersucht inwieweit sie die Anschauungen von Georg Schmidt, welcher das deutsche Reich zwischen 1500-1800 als einen komplementären Reichsstaat auffasst, bekräftigen oder widerlegen. Die Reichsreform von 1495, als Versuch die Hoheitsgewalt und Souveränitätsrechte des Staates auf eine Person bzw. Institution zu konzentrieren und somit die Grundlage der Entstehung jener Elemente zur Ausbildung eines Systems von Gesamtstaatlichkeit darstellt, symbolisiert den Ausgangspunkt dieser Überlegungen.
Um der Fragestellung, in wiefern sich der Reichsstaat zwischen 1500-1800 der modernen Staatlichkeitsauffassung angleicht, gerecht zu werden ist sowohl eine vielschichtige, als auch breit gefächerte Primär- und Sekundärliteratur erforderlich. Im Besonderen findet hier das Werk von Georg Schmidt: „Geschichte des alten Reiches, Staat und Nation in der Frühen Neuzeit 1495- 1806“, in welchem er den Reichstaat als ein komplementär ausgerichtetes, staatliches Ordnungssystem charakterisiert und die Schrift von Michael Stolleis: „Staatsdenker im 17. und 18. Jahrhundert, Reichspublizistik, Politik, Naturrecht“, in welchem er hinsichtlich dieser bedeutsamen Lehren für das „Alte Reich“ eine historisch, kritische Stellung bezieht, Beachtung. Diese Primärliteraturangabe wird durch die Arbeit von Volker Press: „Das Reichskammergericht in der deutschen Geschichte“, in welchem der Autor die Entwicklung und die Grundsätze der Rechtssprechung des Reichskammergerichtes im deutschen Reich darstellt, vervollkommnet.
Die methodische Grundlage für die Anfertigung dieser Arbeit ist die Textanalyse dieser Schriften. Insbesondere das Werk: „Geschichte des alten Reiches, Staat und Nation in der Frühen Neuzeit 1495- 1806“ liefert den Ausgangspunkt der nachstehenden Betrachtungen.
Die aufgeführte Sekundärliteratur dient dem Quellenachweis und stellt eine fächerübergreifende Ergänzung, im Hinblick auf die Bearbeitung der aufgeführten Thematik dar.
2. Das „Alte Reich“ – Ein System komplementärer Staatlichkeit?
Die politische Situation im „Alten Reich“ zu Beginn des 15. Jahrhunderts war durch die machtpolitischen Auseinandersetzungen zwischen Reichsoberhaupt und Reichsständen gekennzeichnet. Das Reichsoberhaupt hatte im Hochmittelalter viele seiner Rechte, wie die Hochgerichtsbarkeit oder die Steuererbung an die Reichsstände abtreten müssen. Der Kaiser war somit auf die Zustimmung der Reichsstände angewiesen, um Entscheidungen treffen zu können. Auf Grund der konträr voneinander abweichenden Interessen dieser beiden Institutionen stellte dieses gemeinsame Handeln, insbesondere in der Außenpolitik eine nur schwer erreichbare Zielsetzung dar. Daher sollten die wichtigsten Souveränitätsrechte durch die während des Wormser Reichstages 1495 vorangetriebenen Reichsreformbestrebungen, auf lediglich eine Machtposition im Reich vereinigt werden. Bedeutende Maßnahmen, welche mit diesen Forderungen einhergingen, waren die Entwicklung des Reichskammergerichtes, die Herausbildung des Gemeinen Pfennigs und die Entstehung einer umfassenden Reichspublizistik..[2]
Nachfolgend werden die Ansichten und Anschauungen von Georg Schmidt, hinsichtlich seiner komplementären Staatlichkeitsauffassung im deutschen Reich dargelegt und erörtert. Anschließend werden auf dieser Grundlage die Einflussnahme des Gemeinen Pfennigs, sowie des Reichskammergerichts und der Reichspublizistik auf diesen Prozess der Staatsbildung dargestellt und kritisch geprüft.
2.1. Das „Alte Reich“ – Ein komplementärer Reichsstaat (nach Georg Schmidt)
Der Reichsstaat versinnbildlicht „das politische Ordnungssystem, das zwischen 1500 und 1800 der vor allem auf Sprache, Kultur und Abstammung basierenden Gemeinschaft der Deutschen den Rückhalt gab, um eine nationale Einheit auszubilden.“.[3] Das Reich versinnbildlichte in seiner Gesamtheit somit kein „Systema civitatum“, sondern symbolisierte in seiner Einheit stattdessen nur einen einzigen Staat, welcher sich aus den gesamten Reichsständen, Vasallen und Untertanen zusammensetzte.
Das Reichsoberhaupt wurde vom Kaiser dargestellt, welcher jedoch die majestätischen Souveränitätsrechte nur zu einem geringen Maß allein oder mit der Zustimmung der Kurfürsten ausüben konnte. Größtenteils erfolgte die Machtdurchsetzung mit dem Vorwissen und der Bewilligung aller Reichsstände. Jene Landesherren regierten in ihrem Territorien selbstständig, mit völliger Freiheit und Hoheit, unter der Beachtung der Reichsgesetzte..[4] Der Einheitsgedanke des Reichsstaates blieb jedoch trotz der unterschiedlichen Ansprüche und Interessen der vielgestaltigen Gliedstaaten unerschüttert.
2.1.1. Die Entwicklung deutscher Gesamtstaatlichkeit
Im Folgenden wird die Entwicklung deutscher Gesamtstaatlichkeit, anhand der historischen Ereignisse, aufgezeigt. Der Beginn der Entwicklung deutscher Gesamtstaatlichkeit symbolisiert der Wormser Reichstag im Jahr 1495. Aus den mittelalterlichen Verfassungsnormen des heiligen römischen Reiches deutscher Nation, mit seinem Gefüge von Lehens- und Herrschaftsrechten, wurde eine frühneuzeitliche Verfassung. Zwischen den Alpen und der Nordsee, sowie entlang dem Rhein und der Oder entsteht ein System komplementärer Staatlichkeit. Das Schlagwort „komplementäre Staatlichkeit“ versinnbildlicht den sukzessiv durchgesetzten ewigen Landfrieden, ein Reichskammergericht mit umfassender Zuständigkeit und einen Reichstag, welcher als Forum, in welchem sowohl der Kaiser, als auch die Stände ihr reichspolitisches Wollen festlegten, fungierte.
Die ausgehende Reformation des 16. Jahrhunderts führte zu einer Zerstörung des religiösen Fundamentalkonsenses. „Der einheitliche Glaube gehörte in Deutschland seit den 1520er Jahren der Vergangenheit an.“.[5] Diese konfessionelle Spaltung führte unweigerlich zum Verlust des einheitlichen christlichen Glaubens und zum Scheitern der geistlichen Alleinherrschaftsbestrebungen des Kaisers. Der Augsburger Religionsfriede 1555 stellte einen politischen Kompromiss, in welchem nach dem Verlust der religiösen Einheit, nun das politisch- staatliche System den Zusammenhalt im Reich garantieren musste, dar. Das Recht trennte sich von der Religion und jeder Territorialherr war nun befugt die Konfession innerhalb seines Herrschaftsbereiches selbstständig festzulegen. Der später folgende Dreißigjährige Krieg symbolisiert, sowohl den gescheiterten Versuch des Kaisers eine alleinige Herrschaftsposition im Reich zu errichten, als auch die Bestrebungen der
[...]
1 Von Srbik, Heinrich- Ritter: Die Reichsidee und das werden der deutschen Einheit. In: Historische Zeitschrift 164 (1941); S. 464.
2 Fischer, Mattias G. (Hrsg.): Reichsreform und "Ewiger Landfrieden", Untersuchungen zur deutschen Staats- und Rechtsgeschichte, Neue Folge, Band 35, Aalen 2007.
3 Schmidt, Georg (Hrsg.): Geschichte des Alten Reiches, Staat und Nation in der frühen Neuzeit 1495- 1806, München 1999, S. 349.
4 Duchhard, Heinz (Hrsg.): Deutsche Verfassungsgeschichte 1495-1806, Stuttgart 1991, S. 20-40.
5 Schmidt, Georg (Hrsg.): Geschichte des Alten Reiches, Staat und Nation in der frühen Neuzeit 1495- 1806, München 1999, S. 350.
-
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen.