Leseprobe
Inhalt
0. Einleitung
1. Die flow-Theorie
1.1. Acht charakteristische Merkmale von flow-Erlebnissen
1.1.1. Klarheit der Ziele, unmittelbare Rückmeldung
1.1.2. Die optimale Herausforderung
1.1.3. Gesammelte Aufmerksamkeit auf ein beschränktes Reizfeld
1.1.4. Handeln und Bewusstsein verschmelzen
1.1.5. Gefühl von Kompetenz und potentieller Kontrolle
1.1.6. Selbstvergessenheit, Selbsttranszendenz
1.1.7. Verändertes Zeitgefühl
1.1.8. Autotelisches Erleben
2. Yoga & Flow
2.1. Das Yoga-System im näheren Vergleich zur flow-Theorie
2.1.1. ethische Grundlage
2.1.2. körperliche Übung
2.1.3. Einschränkung des Reizfeldes
2.1.4. Aufmerksamkeit
2.1.5. Hingabe und Kontrolle
2.1.6. Wesen der Freude
2.1.7. Jenseits der Zeitlichkeit
2.1.8. Autotelisches Erleben
2.2. Zusammenfassend
3. Flow im Yoga-Unterricht
3.1. Raum schaffen um das Ego schweigen lassen zu können
3.2. Klarheit und Eindeutigkeit
3.3. Optimale Herausforderung
3.4. Selbst-Sein in der Übung
3.5. Aufmerksamkeit allein auf die Übung
3.6. Ermutigung zum vertrauensvollen Engagement
3.7. Wert des Rituals und von Wiederholungen
4. Flow-Yoga
4.1. Aspekte des Flow Yoga
5. Praktischer Teil: Das Leben meistern - ein Yoga-flow
5.1. Ablauf (Fotostrecke)
5.2. Beschreibung: Das Leben meistern
5.3. Kurze Reflexion über den Aufbau
5.3.1. Sequenz um einen Höhepunkt aufbauen
5.3.2. Schwerpunkt
5.3.3. Tanz der Energien
5.3.4. Verweilen & rhythmisches Fließen
5.3.5. Variation
Literaturverzeichnis
Fotonachweis
0. Einleitung
„Es ist nicht von Bedeutung, von welchem Ort der Erde wir stammen, denn als Menschen sind wir uns in unserem tiefsten Wesen alle gleich. Wir Menschen streben alle nach Glück und wollen das Leiden vermeiden. […] So will es die Natur des Menschen.“ 1
Dieses Zitat aus der Rede des Dalai Lama zum Erhalt des Friedensnobelpreises 1989 spricht aus, was Vertreter verschiedenster Religionen, Philosophen, Psychologen usw. seit Jahrhunderten, wahrscheinlich seit Jahrtausenden propagieren: Der Mensch ist auf der Suche nach dem Glück. All unser Denken und Handeln strebt danach. So drängt sich folgende Frage auf: Was ist nun dieses Glück und wie können wir es erreichen, finden, halten? Mit diesen und ähnlichen Fragen beschäftigen sich Wissenschaftler/innen wohl ebenso lange, und die Antworten auf diese Fragen sind wohl so vielfältig wie die Menschen selbst. Und doch lassen sich Handlungsmöglichkeiten festmachen die dem Menschen zu Glückserfahrungen verhelfen.
Unsere konsumorientierte Gesellschaft suggeriert uns Menschen, dass wir Glück und Erfüllung durch den Konsum von Gütern finden könnten. Es ist eine kollektive Illusion, dass sich Glück durch die optimale Gestaltung der äußeren Umstände automatisch einstellt. Nein, Glück ist ein innerer, subjektiver Erlebniszustand.
„Die besten Momente ereignen sich gewöhnlich, wenn Körper und Seele eines Menschen bis an die Grenzen angespannt sind, in freiwilligen Bemühen, etwas Schwieriges und etwas Wertvolles zu erreichen.“ 2
Mihaly Csikszentmihalyi bringt es auf den Punkt: Was den Menschen befriedigt ist sich im eigenen Leben wohl zu fühlen. Doch das muss erst einmal erreicht werden.
Als Yoga-Übende erfahre ich immer wieder wie meine Praxis auf meine Gemütsverfassung positiv Einfluss nimmt. Willi Kiechle schwärmt zum Beispiel von Glücksmomenten, von einer kraftvollen Stille, aufmerksamer Klarheit im Fluss der Übung und von ganzheitlicher Veränderung durch seine Yogapraxis.3
Was ist es nun, das Yoga die Menschen diese Glückserfahrungen machen lässt? Die „Flow-Theorie“ von Csikszentmihalyi kann hier theoretischen Background liefern.
Der erste Teil dieser Arbeit beschäftigt sich mit psychologischen Aspekten des flow, mit den acht charakteristischen Merkmalen von flow-Erlebnissen.
Im zweiten Teil versuche ich die Yoga-Philosophie und die positiven Erfahrungen die Menschen mit Yoga machen in Verbindung zur flow-Theorie von Csikszentmihalyi zu setzen.
Der dritte Teil befasst sich mit der Frage was ich als Yogalehrerin beitragen kann, um meinen Yoga-Schüler/innen im Unterricht flow-Erfahrungen zu ermöglichen.
Im vierten und im letzten Teil der Arbeit befasse ich mich mit jenem Yoga-Stil der bezeichnenderweise den „flow“ für sich beansprucht. Ich gebe einen kurzen Einblick in die Spezialitäten des flow-Yoga und als abschließender, praktischer Teil findet sich ein selbst verfasster Yoga-flow zum ausprobieren.
1. Die flow-Theorie
Csikszentmihalyi lehrt Psychologie an der „University of Chicago“ und begann in den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts mit der Fragestellung: Was bewegt Menschen dazu, viele scheinbar nutzlose, nicht auf den Lebensunterhalt gerichtete Dinge (z.B. Spielen, Sport, Kunst, …) zu tun? In seinen seit den 90er Jahren erschienenen Büchern bezeichnet er dann die erhebende Erfahrung, über sich selbst zu verfügen, das Gelingen einer Handlung zu erleben, ein tieferes Verständnis der Zusammenhänge zu erlangen, im Einklang mit sich und der Welt zu sein und sein Schicksal in die eigene Hand nehmen zu können als flow (von engl.: fließen). Auf diese Form des Glücks haben Menschen also selbst Einfluss. Es geht um die Freude am Tun, das glückliche, selbstvergessene Aufgehen in einer Tätigkeit.
Csikszentmihalyi fand heraus, dass der Hauptbeweggrund in der Aktivität selbst liegt. Demnach sind flow-Aktivitäten nicht durch äußere Ziele und Belohnungen (wie z.B. Geld, Macht, Anerkennung, …) motiviert, sondern werden um ihrer selbst willen getan, werden somit als autotelisch (von griech.: auto = selbst; telos = Ziel) bezeichnet.4
1.1. Acht charakteristische Merkmale von flow-Erlebnissen
1.1.1. Klarheit der Ziele, unmittelbare Rückmeldung
In einer Situation, in der klar ist, was zu tun ist, und man sofort merkt, wie erfolgreich man handelt, ist es leichter flow zu erreichen.
Z.B.: Der Kletterer, der an der Felswand hängt, will nach oben, nichts anderes. Er spürt unmittelbar nach jedem Griff und jedem Tritt, ob er hält oder nicht. Entweder er kommt seinem Ziel ein Stück näher, oder er stürzt ab. Klare, eindeutige Handlungsanforderungen erleichtern es, sich ganz auf das Geschehen einzulassen.
1.1.2. Die optimale Herausforderung
Bietet eine Situation eine optimale Herausforderung, ist es leichter in den flow zu gelangen. Flow ereignet sich in der Mitte zwischen Angst einerseits und Langeweile andererseits. Das bedeutet: Ein Mensch erlebt leichter flow, wenn er sich einer Aufgabe widmet, die er bewältigen kann, die jedoch seinen vollen Einsatz und seine gesamte Aufmerksamkeit erfordert. Andernfalls reagieren wir mit Angst, Sorge und Unsicherheit, wenn wir überfordert sind und mit Langeweile und Frustration, wenn wir uns unterfordert fühlen.
1.1.3. Gesammelte Aufmerksamkeit auf ein beschränktes Reizfeld
Entscheidend für flow ist die vollkommene Konzentration auf die momentane Aufgabe. Dazu ist es notwendig, dass man ganz bei der Sache ist, nur das wahrnimmt, was unmittelbar damit zu tun hat und alles andere ausblendet.
Im Zustand „fokussierter Rezeptivität“ gibt es wenig Unterschied zw. Selbst und Umgebung, Reiz und Reak-tion, zwischen Vergangen-heit und Zukunft. Das Fließen ist ein Zustand der Selbstvergessenheit, das Gegenteil von Grübeln und sich Sorgen machen.5
1.1.4. Handeln und Bewusstsein verschmelzen
Die Einheit von Handlung und Bewusstsein ist eine Steigerung der „gesammelten Aufmerksamkeit“ und gilt als das deutlichste Kennzeichen von tiefen flow-Erlebnissen. Im flow ist es so: Du bist hellwach und du bist, was du tust. Da ist nichts dazwischen, kein Ego, das bewertet, nichts.
Obwohl flow-Aktivitäten nicht selten große körperliche und geistige Anstrengung erfordern, stellt sich häufig ein Gefühl der „Leichtigkeit“ ein. Die Energie fließt mühelos, die Handlungen werden spontan, fast automatisch. Nahtlos reiht sich eine scheinbar mühelose Bewegung an die nächste in einem kontinuierlichen Strom der Aufmerksamkeit.
1.1.5. Gefühl von Kompetenz und potentieller Kontrolle
Das Gefühl der Kompetenz und Kontrolle erwächst aus dem Eindruck, der Situation gewachsen zu sein. Wer im flow ist, misst sich an der gestellten Herausforderung, wächst dabei oft über sich hinaus, spürt seine eigene Kraft und hat dann das Gefühl, seine Handlungen und ihre unmittelbare Umwelt unter Kontrolle zu haben.
1.1.6. Selbstvergessenheit, Selbsttranszendenz
Gelingt es, sich vollkommen von der Handlung absorbieren zu lassen, verschwindet das „Ich“ oder „Ego“ vorübergehend, was meist mit einem großen Glücksgefühl einhergeht. Wird dieses abgrenzende, trennende Konstrukt des „Ich“ einmal fallengelassen, entsteht eine ganz ursprüngliche, unmittelbare und befreiende Verbindung zur Umwelt.
1.1.7. Verändertes Zeitgefühl
Als Begleiterscheinung von flow-Episoden findet man häufig ein verändertes Zeitempfinden. Nach tiefem flow scheint die Zeit oft wie im Flug vergangen zu sein. Da die Aufmerksamkeit gänzlich auf den gegenwärtigen Augenblick aus-gerichtet ist, wird dieser als besonders intensiv erlebt und der größere Zeitzusammenhang geht vorübergehend verloren.
1.1.8. Autotelisches Erleben
Ein abschließendes und übergreifendes Charakteristikum von flow ist, dass es autotelisch ist. Du tust etwas, weil das Tun selbst Freude bereitet. Du gibst dich ganz in diese Aktivität hinein, ohne davon irgendwelche positiven Resultate zu erwarten. Das Tun allein genügt dir vollkommen (z.B. spielende Kleinkinder). Ist eine Handlung hauptsächlich durch äußere Ziele, wie z.B. Lob, Anerkennung, Erfolg etc. motiviert, verhindert dies tiefen flow.
Schon Ähnlichkeiten zu Deiner Yoga-Praxis entdeckt?
Flow ereignet sich in ganz unterschiedlicher Tiefe. Die Spanne reicht vom spielerischen Kritzeln auf einem Stück Papier bis hin zu überwältigenden, transzendenten Erfahrungen. Aus den Studien von Csikszentmihalyi geht hervor, dass häufige flow-Episoden ein maßgeblicher Bestandteil eines gesunden, glücklichen und erfüllten Lebens sind. Das Erleben von flow fördert den Aufbau eines positiven Selbstkonzepts und es steigert die Leistungsfähigkeit wie auch die Lebensqualität.6 Also kann es von Vorteil sein, eine „Flow-Persönlichkeit“7 zu entwickeln, d.h. zu lernen des Öfteren und auch in alltäglichen Situationen flow zu erleben.
„[Die Fähigkeit zum Glück ist eine Fähigkeit] die sich zur Kultivierung anbietet, eine Fähigkeit, die man durch Training und Disziplin perfektionieren kann.“ 8
2. Yoga & Flow
Wie Csikszentmihalyi in seinem Buch über den flow festhält, entspricht Yoga in vielerlei Hinsicht dem, was wir über die Psychologie des flow wissen, und stellt daher ein nützliches Modell für jene dar, die besser mit ihrer psychischen Energie umgehen wollen.
„Die Ähnlichkeiten zwischen Joga und flow sind außerordentlich; es ist sogar sinnvoll, sich Joga als eine sehr sorgfältig geplante flow-Aktivität vorzustellen. Beide zielen darauf ab, ein freudiges, sich selbst vergessenes Einssein durch Konzentration zu erreichen, die wiederum durch Körperdisziplin ermöglicht wird.“ 9
In der westlichen Zivilisation wurde kaum ein vergleichbares System geschaffen. Die frühen mönchischen Lebensformen, die vom heiligen Benedikt und heiligen Dominikus geschaffen wurden, besonders die „spirituellen Übungen“ des Ignatius von Loyola, kommen dem vermutlich am nächsten. Auch sie stellen eine Methode dar, die Aufmerksamkeit durch geistige und körperliche Verfahren zu steuern.10
In den Yoga-Sutren heißt es, dass das Bewusstsein, außer im Zustand der Stille, durch die Identifikation mit den seelisch-geistigen Vorgängen bestimmt ist. Das „Ich“ identifiziert sich mit den ständig ablaufenden Gedanken und Gefühlen, was angenehm oder unangenehm sein kann.
YS 1,2 Yoga ist jener innere Zustand, in dem die seelisch-geistigen Vorgänge zur Ruhe kommen (citta-vritti-nirodha).
YS 1,4 Alle anderen inneren Zustände sind bestimmt durch die Identifizierung mit den seelisch-geistigen Vorgängen. 11
Da diese Bewusstseinsinhalte und das „Ich“ selbst, von Natur aus, veränderlich und vergänglich sind, bringt die Identifikation damit letztlich die leidvollen Spannungen (klesas) hervor (YS II 3 - 9).
YS II, 3 Die fünf leidvollen Spannungen sind: Nicht-Erkennen, was ist, Ichverhaftung, Begierde, Hass und Selbsterhaltungstrieb. […] 12
Ziel des Yogaweges ist es die Grenzen des „Ich“ zu sprengen und seine Existenz in dem ewigen, unvergänglichen Selbst zu gründen. Erreicht soll dies werden durch die Erkenntnis des eigenen Ursprungs, der göttlichen Natur. Ein Schritt auf diesem Weg ist, das Bewusstsein auszurichten und in eine Erlebnisweise zu gelangen, in der die eigenen Grenzen und Selbstkonzepte erweitert werden können – im religiösen Kontext spräche man von einer Transzendenzerfahrung. Hier sind wir wieder nahe an der flow-Theorie für die das Ergründen und Ausdehnen der eigenen Fähigkeiten im konzentrierten, autotelischen Handeln liegt. Neben stetigem Wachstum ist das angestrebte Ideal von Csikszentmihalyi eine autotelische Persönlichkeit zu entwickeln und das ganze Leben in eine einzige flow-Aktivität zu verwandeln. Diese autotelische Lebensweise ist, wie Kiechle13 festhält, auch ein Ideal im Yoga.
[...]
1 Dalai Lama, Meine spirituelle Autobiographie, 2009, S.23.
2 Csikszentmihalyi, Mihaly, Flow. Das Geheimnis des Glücks, 1992, S.16.
3 Vgl. Bublák, Lubosch, Der beste Yoga der Welt, Deutsches Yoga-Forum 4/08, S. 36.
4 Vgl. Kiechle, Willi, Yoga – Lernen im Leben aufzugehen, 1996, S. 9-18.
5 Vgl. Ramm-Bonwitt, Ingrid, Vinyasa Flow Yoga, 2008, S. 18.
6 Vgl. Csikszentmihalyi, Mihaly, Flow. Das Geheimnis des Glücks, 1992.
7 Huhn, Dr. Gerhard, Flow – der Ursprung des Burnout, 2011, S. 18.
8 Csikszentmihalyi, Mihaly, Flow. Das Geheimnis des Glücks, 1992, S.14.
9 Csikszentmihalyi, Mihaly, Flow. Das Geheimnis des Glücks, 1992, S.144f.
10 Vgl. Csikszentmihalyi, Mihaly, Flow. Das Geheimnis des Glücks, 1992, S. 142f.
11 Barth, O.W., Patañjali, die Wurzeln des Yoga. Die klassischen Lehrsprüche des Patañjali – die Grundlage aller Yoga-Systeme, 2003.
12 Ebd.
13 Vgl. Kiechle, Willi, Yoga – Lernen im Leben aufzugehen, 1996, S.54.