Leseprobe
Gliederung
1 Einführung
2 Gläubiger-Eigner-Konflikte
2.1 Vorbemerkungen
2.2 Fremdfinanzierungsbedingte Agency-Probleme
2.2.1 Ausgangssituation
2.2.2 Fall A : Liquidationsfinanzierte A usschüttungen
2.2.3 Fall B: Fremdfinanzierte Ausschüttungen
2.2.4 Fall C: Unterinvestition
2.2.5 Fall D: Überinvestition
2.2.6 Fall E: Alternativinvestition mit höherem Risiko
3 Lösung der Gläubiger-Eigner-Konflikte durch Ausschüttungsrestriktionen
3.1 Vorbemerkungen
3.2 Gesetzliche Ausschüttungsrestriktionen
3.2.1 Implizite und explizite gesetzliche Restriktionen
3.2.2 Pro und Contra gesetzlicher Restriktionen
3.3 Vertragliche Ausschüttungsrestriktionen
3.3.1 Effektivität, Effizienz und Grenzen vertraglicher Restriktionen
3.3.2 Direkte vertragliche Restriktionen
3.3.3 Indirekte vertragliche Restriktionen
3.3.4 Weitere vertragliche Restriktionen
3.4 Eignerinduzierte Ausschüttungsrestriktionen (Signaling)
3.5 Ausschüttungsrestriktionen zum Schaden der Gläubiger
4 Die Rolle der Rechnungslegung im Rahmen der Ausschüttungsbemessung
5 Empirische Erkenntnisse zur Ausschüttungsbemessung
6 Fazit
Literaturverzeichnis
1 Einführung
"The directors of such [joint-stock] companies, however, being the managers rather of other peoples' money than of their own, it cannot well be expected, that they watch over it with the same anxious vigilance with which the partners in a private copartnery frequently watch over their own." (Adam Smith, zitiert nach Jensen/Meckling 1976, S.305)
Schon Adam Smith verstand Unternehmen als Ansammlung verschiedener Interessengruppen, deren divergierende Anreize und Ziele zu mannigfaltigen Konflikten führen können (vgl. John/Kalay 1982, S.457). Die wohl bedeutendsten Konflikte, die sich aus dem Verhältnis zwischen Gläubigern und Eignern sowie deren unterschiedlichen Interessen ergeben, sind Gegenstand der vorliegenden Arbeit. Die Aktualität und Brisanz dieser Konflikte zeigt sich besonders in wirtschaftlich schweren Zeiten wie der seit 2008 allgegenwärtigen Finanz- und Wirtschaftskrise, während der es Unternehmen aufgrund einbrechender Nachfrage besonders schwer fällt, ihre Kapitalkosten zu verdienen, um Gläubiger-Forderungen gerecht zu werden und zusätzlich den Eignern eine Dividende auszuschütten. Auch wenn prinzipiell alle Stakeholder an der langfristigen Erhaltung des Unternehmens interessiert sein mögen, wollen weder Gläubiger noch Eigner auf eine adäquate Verzinsung ihres Kapitals verzichten. Gesetzliche und vertragliche Regelungen zur Ausschüttungsbemessung können einen maßgeblichen Beitrag zur Lösung bzw. Abmilderung der entstehenden Konflikte leisten. Aus diesem Grund ist es das Ziel der vorliegenden Arbeit, auf Basis der Prinzipal-Agenten-Theorie, zunächst verschiedene Formen von Gläubiger-Eigner-Konflikten zu spezifizieren und Lösungsmöglichkeiten in Form von Ausschüttungsregelungen aufzuzeigen. Anschließend wird kritisch auf die Eignung der beschriebenen Ausschüttungsregelungen im Hinblick auf den Gläubigerschutzgedanken eingegangen, die Rolle der Rechnungslegung im jeweiligen Kontext thematisiert sowie einige empirische Erkenntnisse vorgestellt.
Da die Prinzipal-Agenten-Theorie eine wesentliche Grundlage für die folgenden Ausführungen bildet, sei ihr Inhalt hier in aller Kürze dargestellt:
Basis der Prinzipal-Agenten-Theorie bildet eine Beziehung, in der eine Person (Prinzipal) eine andere Person (Agent) beauftragt, einen bestimmten Dienst im Sinne des Prinzipals zu verrichten. Damit verbunden ist die Übertragung von Entscheidungsbefugnissen an den Agenten (vgl. Jensen/Meckling 1976, S.308).
Merkmal einer Prinzipal-Agenten-Beziehung ist, dass der Agent nicht alle negativen Konsequenzen seiner Entscheidungen tragen muss und ihm nicht alle positiven Konsequenzen seiner Entscheidungen zu Gute kommen (vgl. Ewert 1986, S.20). Da dem Agenten (wie auch dem Prinzipal) opportunistisches Handeln unterstellt wird und man annimmt, dass eine asymmetrische Informationsverteilung vorliegt (der Agent verfügt über mehr Informationen als der Prinzipal), hat der Agent Anreize, nicht konsequent im Sinne des Prinzipals zu handeln (vgl. Decker 1994, S. 10). Gelingt es nicht, die daraus entstehenden Konflikte durch die Schaffung wirksamer Gegenanreize zu verhindern, wird der Prinzipal das Verhalten des Agenten antizipieren und nur zu verschärften Konditionen zu der Prinzipal- Agenten-Beziehung bereit sein (was zu adverser Selektion[1] führt) oder ganz darauf verzichten, was einem Marktversagen gleichkommt (vgl. Franke/Hax 2004, S.421). Somit hat - neben dem Prinzipal - auch der Agent ein Interesse, zur Lösung des Agency-Konflikts (z.B. in Form von Signaling) beizutragen (vgl. Franke/Hax 2004, S.438).
Seit der Übertragung der Prinzipal-Agenten-Theorie auf Finanzierungsprobleme durch Jensen/Meckling (1976) sind Gläubiger-Eigner- und Eigner-ManagerBeziehungen klassische Beispiele für Prinzipal-Agenten-Beziehungen. Auf letztere soll hier zugunsten einer detaillierteren Darstellung von Gläubiger-EignerKonflikten verzichtet werden, da fremdfinanzierungsbedingten Agency- Konflikten im Rahmen der Ausschüttungsbemessung eine größere Relevanz zugemessen wird als eigenfinanzierungsbedingten Agency-Konflikten (vgl. Brockman/Unlu 2009, S.276).
2 Gläubiger-Eigner-Konflikte
2.1 Vorbemerkungen
Gläubiger-Eigner-Konflikte äußern sich in Form von Reichtumsverlagerungen von Fremdkapital- zu Eigenkapitalgebern, welche auch als fremdfinanzierungsbedingte Agency-Probleme bezeichnet werden (vgl. Ewert 1986, S.14). Die Thematik hat besondere Relevanz für haftungsbeschränkte Unternehmen, bei denen eine Insolvenz im Rahmen des Möglichen liegt, da die Gläubigeransprüche gerade im
Insolvenzfall stark gefährdet sind und aufgrund der Haftungsbeschränkung ein Zugriff auf das Privatvermögen der Unternehmenseigner ausbleibt (vgl. Franke/Hax 2004, S.431).
Bei der Darstellung der Gläubiger-Eigner-Konflikte wird im Folgenden davon ausgegangen, dass Eigner und Manager entweder die gleiche Person sind oder Manager streng im Sinne der Eigner handeln. Somit soll eine Fokussierung auf Gläubiger-Eigner-Konflikte erreicht und Einflüsse eines parallelen EignerManager-Konflikts ausgeblendet werden. Im Vorfeld der Behandlung von Gläu- biger-Eigner-Konflikten sei des Weiteren darauf hingewiesen, dass die Ansprüche von Gläubigern und Eignern grundverschiedene Charakteristika aufweisen. Ansprüche von Gläubigern (Fremdkapitalgebern) sind stets in der Höhe fix und prio- ritätisch zu bedienen (vgl. Ewert 1986, S.22). Eigner (Eigenkapitalgeber) hingegen haben einen nachrangigen, aber grundsätzlich unbegrenzten Residualanspruch.
2.2 Fremdfinanzierungsbedingte Agency-Probleme 2.2.1 Ausgangssituation
Die Ausgangssituation zur Erläuterung dieser Agency-Probleme stellt ein haftungsbeschränktes Unternehmen dar, welches sich einer zinslosen Fremdkapitalforderung von 300 GE gegenübersieht. Im Zeitpunkt t-1 wurde eine Investition getätigt, die in t einen sicheren Cashflow von 120 Geldeinheiten (GE) und in t+1 einen unsicheren Cashflow erzeugt. Dessen Höhe beträgt bei Eintreten von Umweltzustand X (Wahrscheinlichkeit pX=0,4) 200 GE und im Zustand Y (pY=0,6) 400 GE.
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2.2.2 Fall A: Liquidationsfinanzierte Ausschüttungen
Liegen keinerlei Ausschüttungsbegrenzungen vor, haben die Eigner in t die Möglichkeit, das Investitionsprogramm zu liquidieren und den Liquidationserlös in Form einer Dividendenausschüttung zu vereinnahmen. Bei einem beispielhaften Liquidationserlös von 170 GE ergeben sich folgende Werte für Fremdkapital, Eigenkapital und Unternehmen:
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Der Unternehmenswert - bestehend aus Cashflow (120 GE) und Liquidationserlös (170 GE) - ist kleiner als der Unternehmenswert in der Ausgangssituation. Dennoch ist die liquidationsfinanzierte Ausschüttung für die Eigner vorteilhaft, weil sie einen Teil der Reichtumsposition der Gläubiger vereinnahmen. Diese gehen leer aus, da der Liquidationserlös als Dividende ausgeschüttet wird und anschließend keine Investition mehr vorhanden ist, aus der sie befriedigt werden könnten (vgl. Wagenhofer/Ewert 2007, S.193f; Kalay 1982, S.212; Ewert 1986, S.14f).
2.2.3 Fall B: Fremdfinanzierte Ausschüttungen
Wird von einer Liquidation abgesehen, aber angenommen, dass die Eigner, wie im Fall A, eine Ausschüttung von 170 GE vornehmen wollen, besteht die Möglichkeit neben der Forderung der (alten) Gläubiger in Höhe von 300 GE weiteres (neues) Fremdkapital in Höhe von 50 GE aufzunehmen. Die Dividende (170 GE) würde dann finanziert durch den vorhandenen Cashflow (120 GE) und das neue Fremdkapital (50 GE). Falls alte und neue Gläubiger im Insolvenzfall gleichberechtigt auf das verbleibende Kapital zugreifen können und die neuen Gläubiger dies antizipieren, werden sie für ihren Kredit in Höhe von 50 GE eine risikoadäquate Verzinsung verlangen, die folgenden Forderungsbetrag impliziert:
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Wie die Formel zeigt, erhalten die neuen Gläubiger im Fall X (pX=0,4) von den 200 GE einen Anteil in Höhe ihres Anteils am gesamten Fremdkapital des Unternehmens; im Fall Y (pY=0,6) erhalten sie ihre vollständige Forderung Fneu. Die fremdfinanzierte Ausschüttung führt zu folgenden Werten: (zur Vergleichbarkeit mit der Ausgangssituation wird auf die Darstellung des neuen Fremdkapitals verzichtet)
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Im Fall B bleibt der Unternehmenswert (ohne das neue Fremdkapital) verglichen mit der Ausgangssituation konstant, aber es findet eine Reichtumsverlagerung von den (alten) Gläubigern zu den Eignern (in Höhe von 13,5 GE) statt (vgl. Wagenhofer/Ewert 2007, S.194f.; Franke/Hax 2004, S.431-435). Noch drastischer würde sich der Fall gestalten, wenn den neuen Gläubigern eine Vorrangstellung gegenüber den Altgläubigern gewährt werden würde (vgl. Terberger 1987, S.119; Ewert 1986, S.18).
2.2.4 Fall C: Unterinvestition
Nun bietet sich dem Unternehmen die Möglichkeit, neben der Investition, die in der Ausgangssituation beschrieben wurde, ein weiteres Projekt durchzuführen, welches im Zustand X 80 GE und im Zustand Y 150 GE generiert. Dieses Projekt mit einer Anfangsauszahlung von 100 GE hat einen Kapitalwert von 22 GE und ist somit absolut vorteilhaft. Bei Realisation beider Investitionen ergeben sich folgende Werte:
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Der Unternehmenswert steigt gegenüber der Ausgangssituation um den Kapitalwert des neuen Projekts, der Fremdkapitalwert steigt um 32 GE. Für die Eigner hingegen besteht kein Anreiz zur Realisierung der neuen Investition, da sie die Anfangsauszahlung von 100 GE finanzieren, aber der finanzielle Vorteil dieser Investitionsentscheidung nicht vollständig ihnen zufließt, sondern in erster Instanz die Position der Gläubiger absichert. Der Wert des Eigenkapitals fällt somit um 10 Geldeinheiten. Da die Eigner und nicht die Gläubiger über das Investitionsprogramm des Unternehmens entscheiden, wird das neue Projekt nicht realisiert, obwohl es aus Unternehmenssicht vorteilhaft ist. Es kommt zur Unterinvestition
[...]
[1] Adverse Selektion bedeutet in diesem Zusammenhang, dass die Gläubiger (aufgrund ihres Unvermögens das Risiko einzuschätzen) nicht eine risikoadäquate, sondern eine durchschnittliche Verzinsung verlangen, wodurch Unternehmen mit geringem Risiko kein Fremdkapital nachfragen.