Ene, mene, mu – Benachteiligungen im deutschen Bildungssystem am Beispiel von Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund


Hausarbeit, 2011

24 Seiten, Note: 1,5


Leseprobe

Inhaltsverzeichnis

Einleitung

1. Ungleichheiten im deutschen Schulsystem

2. Benachteiligung von Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund
2.1. Ursachen für die Benachteiligung
2.1.1. Primäre und Sekundäre Herkunftseffekte
2.1.2. Diefenbachs Erklärungsansätze
2.1.3. Weitere mögliche Ursachen
2.1.4. Das Problem mit der Sprache

3. HIPPY - ein Lösungsansatz

Resümee

Literaturverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Ene, mene, mu͙ - Willkürlich wie ein Kinderabzählreim scheint die Selektion im deutschen Schulsystem teilweise abzulaufen. Tatsächlich hat die Auslese jedoch etwas Systematisches. Nicht erst im Rahmen der bisherigen PISA-Untersuchungen konnte gezeigt werden, dass im dreigliedrigen Bildungssystem einige Gruppen besonders benachteiligt werden, dass weder der Traum von der Leistungshomogenität erfüllt wurde noch Chancengleichheiten geschaffen worden sind.

Diese Seminararbeit stellt zunächst 1. Ungleichheiten im Bildungssystem dar. Anschließend wird der Fokus besonders auf Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund gerichtet und aufgezeigt, welche 2. Benachteiligungen von Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund produziert werden. Dabei wird herausgearbeitet, wie besonders sprachliche Defizite für Schwierigkeiten beim erfolgreichen Durchlaufen der Schule sorgen. Dass es der Schule dabei bisher nicht gelungen ist, entsprechend erfolgreiche Förderprogramme anzubieten, wird zum Anlass genommen, nach Möglichkeiten der sprachlichen Förderung im Vorschulbereich zu suchen. Dabei soll im letzten Teil dieser Arbeit 3. HIPPY - ein Lösungsansatz für mögliche Auswege aus dieser Situation bieten.

1. Ungleichheiten im deutschen Schulsystem

Die Grundannahme des deutschen Schulsystems besteht darin, dass maximale Lernziele in einer Gruppe erreicht werden können, wenn diese möglichst leistungshomogen ist. Sind die Leistungen innerhalb der Gruppe sehr unterschiedlich, so führe eine niedrige Leistung dazu, dass sich das Gruppenmitglied überfordert fühle. Umgekehrt führen sehr hohe Leistungen eventuell zur Unterforderung. Um also einem jeden Gruppenmitglied das Lernen so angenehm und Gewinn bringend wie möglich zu gestalten, werden möglichst leistungshomogene Gruppen gebildet. Da der Leistungsunterschied zwischen den einzelnen Mitgliedern in der Folge nicht sehr groß ist, kann der Lehrer dieser Gruppe bestmöglichen Lernzuwachs erreichen, indem er sich an den mittleren Gruppenmitgliedern orientiert (vgl. Tillmann 2007).

Als Folge dieser Annahme wurde das dreigliedrige Schulsystem eingeführt. Es beginnt mit der vierjährigen Grundschule1, in der die Basiskompetenzen vermittelt werden. Anschließend werden die Schüler ihrer Leistung entsprechend auf die Haupt-, die Realschule sowie das Gymnasium verteilt. Grundlage dieser Verteilung bildet die Übergangsempfehlung, die als besondere Leistungsrückmeldung am Ende der Grundschule erfolgt und von den Eltern je nach Bundesland mehr oder weniger verbindlich beachtet werden muss.2 In einer Empfehlung der Kultusministerkonferenz heißt es, dass „nicht nur die Leistungen in Bezug auf die fachlichen Ziele der Lehrpläne, sondern auch die für den Schulerfolg wichtigen allgemeinen Fähigkeiten“ berücksichtigt werden sollen (KMK 2006). Dass dies eher schlecht gelingt, zeigten Untersuchungen im Rahmen der PISA-Studie 2000, nach denen die tatsächlichen Leistungen von Hauptschülern, Realschülern und Gymnasiasten stark überlappten. „So würden - um nur ein Beispiel zu nennen - die 10% Besten in der Hauptschule im Gymnasium zum mittleren Leistungsbereich gehören. Und knapp die Hälfte der 15-Jährigen in Realschulen überschneiden sich in ihren Leistungen mit den Heranwachsenden in den Gymnasien.“ (Tillmann 2007, S. 57) Vielmehr orientiert sich die Schullaufbahnempfehlung, wie Untersuchungen3 zeigten, an dem sozioökonomischen Stand der Familie. So erhalten Schülerinnen und Schülern, deren Väter ein Abitur haben, zu 69,8% eine Gymnasialempfehlung, aber nur 15,7% der Schülerinnen und Schüler mit einem Vater ohne Schulabschluss. Dabei müssen diese Schülerinnen und Schüler eine höhere Leistung erbringen, um diese Empfehlung zu erhalten: Hat der Vater keinen Schulabschluss, liegt der so genannte „kritische Wert“, das zu erreichende Ergebnis in einem Leistungstest, um die Gymnasialempfehlung zu bekommen, bei 97,5, hat der Vater ein Abitur, dann liegt der Wert nur noch bei 65,0 (ebd., S. 57).

2. Benachteiligung von Schülerinnen und Schüler mit Migrationshinter- grund

Schaut man sich unterschiedliche Studien an, so fällt auf, dass Kinder mit Migrationshintergrund offensichtlich benachteiligt sind. So ist festzustellen, dass Migrantenkinder seltener vorschulische Betreuung erfahren, deutlich häufiger von der Einschulung zurückgestellt werden (Diefenbach 2007 / Konsortium Bildungsberichterstattung 2010), öfter eine Übergangsempfehlung für die Hauptschule erhalten (Diefenbach 2007), dort dann auch im Vergleich zum Gymnasium stärker vertreten sind (Konsortium Bildungsberichterstattung 2008, 2010, Tillmann 2007), auch wenn ihr Anteil neun Jahre nach der ersten PISA-Studie von 50% auf 38,5% zurück ging (Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft e.V. 2011). Sie sind vier Mal häufiger von Klassenwiederholungen betroffen als ihre Mitschüler (Konsortium Bildungsberichterstattung 2006, S. 152; Diefenbach 2007, Tillmann 2007). 20% der Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund erhalten keinen Hauptschulabschluss (Diefenbach 2007).4

2.1. Ursachen für die Benachteiligung

Will man die Benachteiligungen im Schulsystem beseitigen, so muss man zuerst mögliche Ursachen diskutieren und ihre tatsächliche Wirkung bestätigen. Im Folgenden sollen einige Erklärungsansätze vorgestellt und - wenn möglich - ihre Validität gezeigt werden.

2.1.1. Primäre und Sekundäre Herkunftseffekte

Zum einen kann man zwischen Primären und Sekundären Herkunftseffekten unterscheiden. Primäre Effekte sind soziale Unterschiede, die ein tatsächliches Leistungsgefälle zwischen sozialen Schichten beschreiben. Sekundäre Effekte nennt man die sozialen Ungleichheiten des Bildungserfolgs, die auch bei gleichen Leistungen bestehen bleiben.

Als Primäre Herkunftseffekte wird die Ausstattung von kulturellem und sozialem Kapital gesehen (Arens 2007). So erlangen Kinder höherer Schichten eher Fähigkeiten, die in der Schule vorteilhaft sind (Becker & Lauterbach 2007a). Die Sozialisation im Elternhaus prägt die Kinder über ihre vorschulische Zeit hinaus. Dabei ist der elterliche Einfluss im Vergleich zu anderen Industrienationen auf Grund des Halbtagsunterrichts größer (Arens 2007). Sie erhalten in der Familie allgemeine Fähigkeiten, Fertigkeiten und Kenntnisse sowie Allgemeinwissen und Sozialkompetenzen. Man bezeichnet diese sozialen und personalen Kompetenzen und Wissensbestände auch als „ lltags- und Daseinskompetenzen“5 (Smolka & Rupp 2007, S. 224). Kinder bilden ihren primären Habitus, das „in den Körper eingegangene Soziale“ (ebd.) zu Hause aus. Oft unbeachtet in der Literatur ist dabei die Vermittlung der Sprachgewandtheit (Becker & Lauterbach 2007a), die bildungsnahen Schichten eher geläufig ist als bildungsfernen. Man spricht dabei auch vom „elaborierten Sprachcode“6 (Brunsch 2008), der als quasi vorhanden in der Schule verwendet, aber nicht explizit vermittelt wird (vgl. Gogolin 2006).7 Auf Grund dieser Herkunftseffekte haben Schülerinnen und Schüler bereits bei Schulbeginn sehr unterschiedliche Voraussetzungen, die - so hat sich gezeigt - innerhalb der nur vierjährigen Grundschulzeit8 kaum kompensiert (Becker & Lauterbach 2007b), ja eher noch verstärkt werden.

Die Bildungsentscheidung der Eltern muss als sekundärer Herkunftseffekt gesehen werden.

[...]


1 In Berlin und Brandenburg dauert die Grundschule sechs Jahre.

2 Zu den genauen Regelungen in den einzelnen Bundesländern siehe Informationsschrift der KMK: http://www.kmk.org/fileadmin/veroeffentlichungen_beschluesse/2010/2010_10_18-Uebergang-Grundschule- S_eI1-Orientierungsstufe.pdf (15.08.2011)

3 Einen guten Überblick über verschiedene empirische Untersuchungen in Primar- und Sekundarstufe findet man bei Hovestadt & Eggers (2007).

4 Seit PISA 2000 werden Schülerinnen und Schüler, die mindestens einen Elternteil haben, der nicht in Deutschland geboren wurde, in der Literatur als „mit Migrationshintergrund“ bezeichnet. Bis dahin wurden in Untersuchungen oft nur Ausländer in diese Kategorie gezählt. Dies bringt aber Verzerrungen, da viele ehemalige Gastarbeiter mittlerweile deutsche Staatsangehörigkeit erlangt haben und damit aus dieser Statistik fallen (vgl. Diefenbach 2007, S. 219). Der Mikrozensus 2005 differenzierte erstmals zwischen deutschem und nichtdeutschem Geburtsort, so dass damit „erstmals für die gesamte Bevölkerung Deutschlands repräsentative Daten“ vorliegen (Konsortium Bildungsberichterstattung 2006, S. 139).

5 „* lltags- und Daseinskompetenzen] reichen von sehr konkreten Fertigkeiten und Fähigkeiten, wie beispiels- weise Haushaltsführungskompetenzen, Kenntnissen über Gesundheit und Ernährung, Wissen über den Um- gang mit Geld, Strategien zur Informationsbeschaffung und die Fähigkeit zu einer differenzierten Bewertung der erhaltenen Information bis hin zu grundlegenden Haltungen und Wertorientierungen.“ (Smolka & Rupp 2007, S. 225)

6 „Sprachcodes“ bezeichnet man die unterschiedliche Verwendung derselben Kultursprache in verschiedenen Varianten. Diese Unterschiede beruhen auf verschiedener Schichtzugehörigkeit verschiedener Gruppen. Sie sind schichtspezifische Formen des Sprachgebrauchs. Es gibt sowohl den restringierten als auch den elaborierten Sprachcode. Der restringierte (beschränkte, eingeschränkte) Sprachcode herrscht bei Familien der Unterschicht vor und ist gekennzeichnet durch einen kurzen, grammatisch einfachen und oft unvollständigen Satzbau. Auf Grund eines bescheidenen Wortschatzes besteht eine große Vorhersehbarkeit bezüglich des Satzaufbaus und der Wortwahl. Angehörige der Mittel- und Oberschicht weisen hingegen oft einen elaborierten (reichhaltigen) Sprachcode auf, bei dem die häufige Verwendung von Konjunktionen, Nebensätzen, Präpositionen sowie Adjektiven und Adverbien zu grammatischer Komplexität, Symbolik, Bildhaftigkeit und einem reicheren Wortschatz führen. Sprache spielt sowohl schriftlich als auch mündlich in der Schule eine zentrale Rolle, wobei hier der elaborierte Sprachcode vorherrscht. Indem man sich aber primär am Sprachcode der oberen Schichten orientiert, erfährt der restringierte Sprachcode in der Schule eine Nichtakzeptanz und Abwertung und setzt somit den Schulerfolg der Schüler unabhängig von ihrer Intelligenz herab. (Brunsch 2008)

7 Auf die Rolle der Sprache bei der Benachteiligung von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund wird im Folgenden noch näher eingegangen.

8 Deutschlands Schülerinnen und Schüler sind bei der ersten Aufteilung im Schulsystem im internationalen Vergleich sehr jung. So werden Schülerinnen und Schüler hier (sowie in Österreich) schon mit zehn Jahren auf die weiterführende Schule geschickt (Wößmann 2007, S. 47).

Ende der Leseprobe aus 24 Seiten

Details

Titel
Ene, mene, mu – Benachteiligungen im deutschen Bildungssystem am Beispiel von Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund
Hochschule
Pädagogische Hochschule Freiburg im Breisgau
Note
1,5
Autor
Jahr
2011
Seiten
24
Katalognummer
V180305
ISBN (eBook)
9783656029069
ISBN (Buch)
9783656029151
Dateigröße
1213 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
benachteiligung, schule, migranten, schüler, schülerinnen, migrationshintergrund, hippy, home instruction for parents of preschool youngsters, sprachliche förderung, deutsch als fremdsprache
Arbeit zitieren
Luisa Liebold (Autor:in), 2011, Ene, mene, mu – Benachteiligungen im deutschen Bildungssystem am Beispiel von Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/180305

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