Mit der 1987 ratifizierten Einheitlichen Europäischen Akte wurde der Gemeinsame Markt durch die Legaldefinition des Binnenmarkts abgelöst, welcher den freien Verkehr von Waren, Dienstleistungen, Personen und Kapital sicherstellen soll (Art.13/14 EGV).
Die aus der Globalisierung allgemein sowie aus dem juristischen Konstrukt des Binnenmarkts resultierende Faktormobilität kann die Leistungs- und Handlungsfähigkeit des Wohlfahrtsstaates – die sogenannte Performance – beeinflussen, falls die mobilen Steuerbasen glaubhaft mit Abwanderung drohen können. Die steuerbasierten Einnahmen des Wohlfahrtsstaats unterliegen im Wettbewerb diversen Zwangslagen, welche zur Herausbildung zweier zentraler Hypothesen über die Fortentwicklung wohlfahrtsstaatlicher Aufgabenerfüllung führten:
Erstens würde der Wohlfahrtsstaat durch den zwischenstaatlichen Steuerwettbewerb, welcher zu einem race to the bottom führe, durch erodierende Steuereinnahmen in seiner Handlungsfähigkeit bedroht. Zum Ausgleich dieser Einnahmeverluste wurde von vielen Ökonomen ein Absinken der Steuerquoten sowie eine Verschiebung der Steuerlast auf weniger mobile Faktoren (Arbeit, Konsum) erwartet.
Zweitens würde durch den Wettbewerb um die mobilen Produktionsfaktoren eine Ausrichtung der Fiskalpolitik an deren Präferenzen erfolgen, wodurch das Level an bereitgestellten öffentlichen Gütern und das Umverteilungsniveau sinke.
Ist der Wohlfahrtsstaat – der Globalisierungsthese folgend – aufgrund der durch Internationalisierung wegfallenden nationalstaatlichen Kontrolle über seine wirtschaftlichen Grenzen und den dadurch entstehenden, unvermeidlichen Prozess gezwungen, die sozialstaatlichen Interventionen zu drosseln, und wird durch den Steuerwettbewerb zusätzlich in Bedrängnis gebracht? Oder sind die Auswirkungen des Steuerwettbewerbs geringer einzuschätzen, so dass
„(…) verteilende Eingriffe und Effizienz keine Widersprüche an sich darstellen?“
Ziel dieser Arbeit ist es, diese im öffentlichen Diskurs vorgetragenen Argumente empirisch zu untermauern und eine Aussage darüber treffen zu können, ob empirische Evidenz bezüglich der Thesen des Steuerwettbewerbs besteht oder die Kausalzusammenhänge dieser Hypothesen zurecht angezweifelt werden?
Inhaltsverzeichnis
- 1. Einleitung und Fragestellung
- 2. Aufbau der Analyse
- 3. Besteuerung von Wohlfahrtsstaaten aus theoretischer Perspektive
- 3.1. Theorien über die Besteuerung von Wohlfahrtsstaaten: eine Übersicht
- 3.2. Typologien der Wohlfahrtsstaaten unter Besteuerungsaspekten
- 3.3. Hypothesen und Fallauswahl
- 3.4. Abgrenzung von Steuern, Abgaben und Beiträgen im internationalen Vergleich, Besonderheiten in den Steuer- und Abgabenbelastungsindikatoren
- 4. Steuerwettbewerb aus empirischer Perspektive
- 4.1. Wohlfahrtsstaatliche Ausgaben in der Europäischen Union
- 4.2. Gesamtsteueraufkommen im europäischen Vergleich
- 4.3. Die Permutation der Einzelsteuern: Tendenzen in Deutschland, Dänemark, dem Vereinigten Königreich und Irland
- 4.3.1. Deutschland
- 4.3.2. Dänemark
- 4.3.3. Vereinigtes Königreich Großbritannien und Nordirland
- 4.3.4. Irland
- 4.4. Einfluss des Steuerwettbewerbs auf die wohlfahrtsstaatliche Performance
- 5. Fazit und Ausblick
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die vorliegende Diplomarbeit analysiert den Steuerwettbewerb und seine Auswirkungen auf die fiskalische Leistungsfähigkeit europäischer Wohlfahrtsstaaten. Ziel der Arbeit ist es, den Einfluss des Steuerwettbewerbs auf die Steuereinnahmen, die öffentlichen Ausgaben und die Gesamtsteuerlast der untersuchten Länder zu beleuchten.
- Die Analyse verschiedener Theorien zur Besteuerung von Wohlfahrtsstaaten
- Die Entwicklung des Steueraufkommens und der öffentlichen Ausgaben in europäischen Wohlfahrtsstaaten
- Die Untersuchung der Auswirkungen des Steuerwettbewerbs auf die fiskalische Performance einzelner Länder
- Die Betrachtung des Steuerwettbewerbs als potenzielles Problem für die Finanzierung von Wohlfahrtsstaaten
- Die Identifizierung von möglichen Lösungsansätzen für die Herausforderungen des Steuerwettbewerbs
Zusammenfassung der Kapitel
Die Arbeit beginnt mit einer Einleitung, die die Forschungsfrage, die Zielsetzung und den Aufbau der Arbeit darlegt. Das zweite Kapitel beleuchtet die theoretischen Grundlagen des Steuerwettbewerbs und seine Auswirkungen auf die fiskalische Performance von Wohlfahrtsstaaten. Es werden verschiedene Theorien zur Besteuerung von Wohlfahrtsstaaten vorgestellt und die Typologien der Wohlfahrtsstaaten im Hinblick auf ihre Besteuerungssysteme verglichen. Das dritte Kapitel untersucht den Steuerwettbewerb aus empirischer Perspektive. Es werden Daten zum Steueraufkommen und den öffentlichen Ausgaben in der Europäischen Union präsentiert und die Entwicklung der Einzelsteuern in den Ländern Deutschland, Dänemark, dem Vereinigten Königreich und Irland analysiert. Das vierte Kapitel betrachtet den Einfluss des Steuerwettbewerbs auf die wohlfahrtsstaatliche Performance und diskutiert mögliche Konsequenzen für die Finanzierung der Wohlfahrtsstaaten. Die Arbeit schließt mit einem Fazit und einem Ausblick auf weitere Forschungsfelder.
Schlüsselwörter
Steuerwettbewerb, Wohlfahrtsstaat, fiskalische Performance, Europäische Union, Steuereinnahmen, öffentliche Ausgaben, Gesamtsteuerlast, Steuerarten, Wettbewerbsvorteile, Steuerharmonisierung, Finanzierung von Wohlfahrtsstaaten.
- Quote paper
- Martin Drognitz (Author), 2011, Steuerwettbewerb als Ursache einer Erosion der nationalstaatlichen Finanzbasis?, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/180344