Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Einführung in die Begrifflichkeiten
2.1 Einführung in das Krankheitsbild Depression
2.1.1 Definition, Symptome und Auswirkungen
2.1.2 Epidemiologie
2.2 Einführungen in den Begriff der Achtsamkeit
2.2.1 Was ist Achtsamkeit?
2.2.2 Achtsamkeit in unser Leben einbeziehen
3. Achtsamkeitsbasierte Ansätze zur Bewältigung von Depressionen
3.1 Ziele der Kultivierung von Achtsamkeit und die Bedeutung für das Wohlbefinden
3.2 Die Anwendung dieser Erkenntnisse bei Menschen mit Depressionen
3.2.1 Achtsamkeitsbasierte Stressreduktion
3.2.2 Achtsamkeitsbasierte kognitive Therapie
3.2.3 Studienergebnisse zu MBSR und MBCT
3.2.3.1 Wirksamkeit der MBSR
3.2.3.2 Wirksamkeit der MBCT
3.3 Bedeutung für die Soziale Arbeit
4. Fazit
5. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Depressive Störungen sind weit verbreitet und gehören weltweit zu den wohl häufigsten Erkrankungen. Nach Schätzungen leiden in Deutschland mindestens 4 Millionen Menschen an dieser Diagnose.
Grob kann gesagt werden, dass sich bei etwa der Hälfte bis zwei Drittel derjenigen, bei denen die Erkrankung ausbricht, der Gesundheitszustand soweit bessert, dass sie wieder ihre Leistungsfähigkeit erreichen und das „alte“ Selbst wieder hervortritt, auch wenn einzelne Beschwerden oft weiter bestehen bleiben. Doch ist die Literatur zur Prognose der Krankheit uneinheitlich und es kann wegen der sehr heterogenen und methodisch wenig vergleichbaren Befundlage zu keiner klaren Aussage kommen, was den Ausgang der Depression betrifft. (Vgl. Mayer 2009) Dennoch gilt die Krankheit in der Regel als gut behandelbar und oft auch heilbar.
Der Behandlungsschwerpunkt liegt meist auf einer konstanten medikamentösen und psychotherapeutischen Ebene, welche derzeit die wichtigsten Säulen zur erfolgreichen Behandlung von Depressionen darstellen. (Vgl. Mayer 2009, Eberhardt-Metzger 2006) Doch gewinnt die Forschung immer neue Erkenntnisse über die Entstehung psychischer Erkrankungen und entwickelt damit auch neue Formen der Behandlung. So entstehen immer mehr alternative Behandlungsformen, die nicht alleine auf die medikamentöse Therapie abzielen, wie beispielsweise achtsamkeitsbasierte Ansätze.
Im Rahmen dieser Arbeit möchte ich der Frage nachgehen, inwieweit die aus der buddhistischen Tradition kommende Methode der Achtsamkeit als eine Behandlungsform bei Depressionen eine Rolle spielen und ob sie eine medikamentöse Therapie ersetzen kann.
Dazu werde ich darauf eingehen, welche Auswirkungen Achtsamkeit auf das psychische Wohlbefinden von Menschen hat und wie depressive Menschen im Hinblick auf ihre Gesundheit von ihr profitieren können. Studien, die sich mit dem Zusammenhang von Achtsamkeit und seelischer Gesundheit von Menschen mit depressiven Störungen beschäftigen, sollen die Relevanz dieser alternativen Behandlungsform zeigen. Anschließend werde ich Möglichkeiten aufzeigen, wie die Soziale Arbeit sich dieser alternativen Methode in der Praxis bedienen kann und mit einem kurzen Fazit schließen.
Zunächst werde ich jedoch sowohl kurz in das Krankheitsbild Depression als auch in den Begriff der Achtsamkeit einführen.
2. Einführung in die Begrifflichkeiten
2.1 Einführung in das Krankheitsbild Depression
Über Depressionen gibt es zahlreiche Literatur. Diese reichen von Theorien zur Entstehung über die Symptome bis hin zu den verschiedensten Auswirkungen der Krankheit oder der Prognose für Betroffene. Da ich jedoch der Frage nachgehen möchte, welche Rolle Achtsamkeit bei der Behandlung von Depressionen spielen kann, möchte ich mich im Rahmen dieser Arbeit kurz halten und lediglich Basiswissen vermitteln: ich werde mich auf die Symptome beschränken, kurz auf deren Auswirkungen eingehen und einen Überblick geben, wie weit diese Erkrankung verbreitet ist.
2.1.1 Definition, Symptome und Auswirkungen
Allgemein beschreibt Wolfersdorf (2001) Depression „als eine affektive Störung von Krankheitswert, die durch eine typische Symptomatik […] gekennzeichnet ist, die auf der Basis einer psycho-sozio-biologischen Disposition einer Person entsteht und durch innerseelische und/oder äußere Auslöser […] ausgelöst und aufrechterhalten wird.“ (Wolfersdorf 2001, S.18) Diese Disposition, die durch Auslöser eine typische Symptomatik verursacht und aufrechterhält, ist eine bekannte Theorie zur Entstehung von Depressionen. Aufgrund der Begrenzung dieser Arbeit werde ich darauf allerdings nicht näher eingehen.
Diese affektiven Störungen sind im ICD-10 näher beschrieben, der „Internationalen statistischen Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme“ (ICD-10), die wohl die gebräuchlichste und bekannteste Form ist, psychische Erkrankungen zu definieren. Hiernach sind affektive Störungen diejenigen, deren Hauptsymptome in einer Veränderung der Stimmung oder der Affektivität entweder zur Depression oder zur gehobenen Stimmung (Manie) bestehen, die meist mit einer veränderten Aktivität einhergehen. Dazu gehören die manische Episode, die bipolare affektive Störung, die depressive Episode, die rezidivierende depressive Störung und die anhaltende affektive Störung. (Vgl. Deutsches Institut für Medizinische Dokumentation und Information 2011) Insgesamt gibt es also nach dieser Einteilung affektive Störungen, die es unipolar (nur depressive oder manische Episoden) und bipolar (Wechsel zwischen diesen) gibt. (Vgl. Bischkopf 2005, S. 10) Ich möchte mich in meiner Arbeit auf die häufiger vorkommenden depressiven Episoden beschränken, weswegen ich auch nur diese näher beschreiben werde. Jedoch werde ich im Folgenden von Depressionen sprechen, um die Lesbarkeit zu erleichtern.
Der Vorteil des ICD-10 ist, dass Depressionen nur anhand von Symptomen beschrieben werden, die auch nach Wolfersdorf kennzeichnend für eine Depression sind, ohne deren Entstehung zu berücksichtigen.
Nach der medizinischen Definition des ICD-10 leiden Betroffene bei depressiven Episoden unter einer gedrückten Stimmung, die sich wenig verändert und nicht auf Lebensumstände reagiert. Diese wird begleitet von dem Verlust der Fähigkeit Freude oder Interesse zu empfinden und zum Ausdruck zu bringen. Auch Konzentration, Aufmerksamkeit und Antrieb sind vermindert. Diese verminderte Energie führt oft zu erhöhter Ermüdbarkeit und einer Einschränkung der Aktivität. Nach jeder geringen Anstrengung kann eine ausgeprägte Müdigkeit auftreten. Fast immer sind sogar Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen beeinträchtigt. Betroffene werden von Schuldgefühlen und Gedanken über die eigene Wertlosigkeit geplagt.
Meist gehen diese Empfindungen mit Schlafstörungen, Früherwachen und Morgentief, Appetitverlust und Gewichtsverlust einher. (Vgl. Deutsches Institut für Medizinische Dokumentation und Information 2011)
Ebenso führen andere Quellen diese Symptome als Hauptsymptome von Depressionen auf (Kornbichler 2004, Wolfersdorf 2001), die sich alle insgesamt an der medizinischen Definition des ICD-10 orientieren. Auch Bischkopf (2005) zeigt diese Symptomatik auf und untermauert sie zusätzlich mit Zitaten von Betroffenen, um die depressive Stimmung zu beschreiben, die zu den sogenannten Hauptsymptomen einer Depression gehört: „Am liebsten würde ich morgens im Bett liegen bleiben und mir die Decke über den Kopf ziehen. Das Aufstehen am Morgen ist das Schlimmste. Es hat doch sowieso alles keinen Sinn. Wozu soll ich duschen, Zähne putzen, mich anziehen? Manchmal ertappe ich mich, wie ich einfach nur dasitze. Jede Bewegung wird mir zuviel. Wenn Freunde mich ins Kino abholen wollen, täusche ich Kopfweh oder Arbeit vor. Was soll ich denn da?“ (Niklewski/Riecke-Niklewski in Bischkopf 2005, S.13) (Weitere Zitate von Betroffenen in Bischkopf 2005 und Wolfersdorf 2011)
Von einer depressiven Episode sprechen wir, wenn mehrere dieser genannten Merkmale über mehr als zwei Wochen fast ständig vorliegen.
Kornbichler (2004) weist zusätzlich darauf hin, dass diese Symptome zwar charakteristisch für depressive Verstimmungen sind, doch weiterhin eine Individualität bei den Störungsbildern herrscht. Auch die Dauer der depressiven Episoden könne sehr unterschiedlich sein. Sie reiche von tageweisen Einbrüchen bis hin zu jahrelangen Beeinträchtigungen.
Abhängig von Dauer, Anzahl und Schwere der Symptome ist eine depressive Episode als leicht, mittelgradig oder schwer zu bezeichnen. Je nachdem hat dies auch unterschiedliche Auswirkungen auf die betroffenen Personen und deren Lebensführung. Nach Erfahrungsberichten sind von Depressionen betroffene Menschen unfähig, ihre trüben Gedanken abzuschütteln, weswegen diese Stimmung oft auf alle Wahrnehmungen abfärbt. Die Krankheit verändere dadurch Gedanken, Gefühle und Verhaltensweisen der Person. Es sei schon eine Schwierigkeit, sich bei einfachsten Situationen zu entscheiden oder einfache Arbeiten in Haushalt oder Beruf zu erledigen. Manchmal sei es Schilderungen nach so schlimm, dass Betroffene gar nicht erst aufstehen können. Durch diese gedrückte Stimmung und oft zusammenhängend geminderter Antrieb und Aktivität, fehlende Freunde und Interesse und oft auch vermindertes Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen sei eine normale Lebensführung oft nicht oder nur noch mit größten Anstrengungen möglich. (Vgl. Wittchen 2005, S.5) Verschiedene Quellen, wie beispielsweise Kornbichler (2004) weisen zusätzlich darauf hin, dass depressive Episoden oft auch mit mehr oder weniger starken psychosomatischen Beschwerden einhergehen, beispielsweise mit Kopfschmerzen, Verspannungen, Herzbeschwerden, Magenbeschwerden oder Gelenkschmerzen. (Vgl. Kornbichler 2004, S.66) Diese können zusätzliche Schwierigkeiten bei der Bewältigung des Alltags mit sich bringen.
2.1.2 Epidemiologie
Häufig werden Depressionen weder erkannt, noch diagnostiziert oder behandelt. Aus diesem Grund gibt es häufig keine einheitlichen oder aktuellen Daten über die Verbreitung dieser Erkrankung. Doch ist dies nicht der einzige Nachteil, denn viele Betroffene können aus diesem Grund nicht richtig behandelt werden. Nach Eberhardt-Metzger (2006) gibt es nur wenige seelische Krankheiten, die so selten richtig behandelt werden wie Depressionen.
Die Weltgesundheitsorganisation schätzt trotz gewisser Dunkelziffer jedoch, dass zwei bis sieben Prozent der Weltbevölkerung und mindestens vier Millionen Menschen in Deutschland an einer Depression leiden.
Wittchen und Jacobi (2005) sehen aus dem oben genannten Grund Stichprobenuntersuchungen in der Allgemeinbevölkerung als aussagekräftigste Studienform an, von denen seit 1980 30 durchgeführt wurden. So kann nach den Berechnungen von Wittchen und Jacobi (2005) bezogen auf die erwachsene Durchschnittsbevölkerung im Alter von 18 bis 65 Jahren für die europäischen Länder davon ausgegangen werden, dass in Deutschland etwa 5 bis 6 Millionen Menschen pro Jahr von einer Depression betroffen sind. (Vgl. Wittchen/Jacobi 2005, S. 17)
2.2 Einführungen in den Begriff der Achtsamkeit
2.2.1 Was ist Achtsamkeit?
Normalerweise sei nach Kabat-Zinn die alltägliche Verfassung unserer Aufmerksamkeit dadurch gekennzeichnet, dass durch Abschweifungen die Umgebung und vor allem aktuelle Empfindungen kaum zur Kenntnis genommen werden und das Handeln dadurch nicht bewusst abläuft. Das achtsame Erleben einer Situation unterscheidet sich jedoch deutlich von dieser Verfassung.
In meinen Ausführungen, was Achtsamkeit bedeutet und wie sie praktiziert werden kann, berufe ich mich im Folgenden hauptsächlich auf Kabat-Zinn (1990, 2000, 2006), einem Professor für Medizin an der Universität Massachusetts, zu dessen Markenzeichen sein therapeutisches Programm zur Anwendung der Achtsamkeit im Gesundheitswesen gehört. Er gründete außerdem die Stress Reduction Clinic und leitete diese Einrichtung viele Jahre. Hier werden Menschen mit Verfahren behandelt, die auf dem Konzept der Achtsamkeit aufbauen. (Vgl. Hacker 2006)
Kabat-Zinn (1990) bezeichnet Achtsamkeit als eine Aufmerksamkeit, die absichtsvoll auf den gegenwärtigen Moment gelenkt wird. Diese Aufmerksamkeit soll wertfrei stattfinden und Ereignisse nicht vorschnell in Kategorien wie erwünscht/unerwünscht oder angenehm/unangenehm einordnen. Dadurch soll Kontakt mit dem gegenwärtigen Augenblick hergestellt und Körper und Geist in Einklang gebracht werden. Achtsamkeit bedeutet demnach also „die eigene Aufmerksamkeit absichtsvoll und nicht-wertend auf das bewusste Erleben des augenblicklichen Moments zu richten.“ (Kabat-Zinn 1990 in Frank 2007, S. 70) Auch Anderssen-Reuster (2011) benutzt ebendiese Definition von Achtsamkeit.
Indem man absichtsvoll seine Aufmerksamkeit lenkt, besinne man sich immer wieder darauf, in allen Lebenslagen eine achtsame Haltung einzunehmen und den gegenwärtigen Moment bewusst zu erleben. Denn nach der These von Kabat-Zinn lehrt uns jeder Moment etwas.
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