Konzepte der Willensfreiheit im Spannungsfeld der Philosophie und der Neurowissenschaften

Eine Darstellung der grundlegenden Positionen und einiger ihrer Protagonisten


Trabajo Escrito, 2009

24 Páginas


Extracto


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

1 Hintergründe
1.1 Zum Begriff "Willensfreiheit"
1.2 Philosophie contra Neurowissenschaft
1.3 Welche neuen Probleme bringt die Neurowissenschaft in die Frage nach der Willensfreiheit?
1.4 Libets Experimente

2 Philosophie im Dialog mit der Neurowissenschaft: Drei Positionen und ihre Protagonisten
2.1 Deterministische Theorien
2.1.1 Wolf Singer und Wolfgang Prinz: Libets Erbe
2.1.2 Gerhard Roth: Der Entwurf einer Neuroanthropologie
2.1.3 Einwände gegen den "harten Determinismus"
2.2 Intermezzo: Kritik kompatibilistischer Positionen
2.3 Libertarische Positionen
2.3.1 Geert Keil: Mythen über den libertarischen Freiheitsbegriff . .
2.3.2 Ansgar Beckermann: Plädoyer für einen Naturalismus
2.3.3 Kritik Libertarischer Positionen

3 Ewiger Kreis-Lauf?

Literatur

Einleitung

Die Freiheit des eigenen Willens gehört zu den Grundannahmen des gesunden menschlichen Selbstverständnisses. Positionen, die sich damit beschäftigen, ob der Wille frei oder determiniert ist, schulden somit zuallererst dem gesunden Menschenverstand eine Antwort. Solche Thesen widersprechen dem allgemeinen menschlichen Empfinden eines freien Willens, jedoch ist die Geschichte der Philosophie durchzogen von Debatten um eben jene Freiheit. Zu den prominentesten Leugnern des freien menschlichen Willens gehören Baruch de Spinoza, David Hume und Friedrich Nietzsche.

In den letzten Jahren haben Repräsentanten der modernen Neurowissenschaft, wie Gerhard Roth und Wolf Singer, mit Äußerungen über die Determiniertheit des menschlichen Willens auch in Kreisen weit außerhalb von Fachpublikationen Schlagzeilen gemacht. Die Art, auf die der Dialog zwischen der Philosophie des Geistes und den Neuro- und Kognitionswissenschaften in den letzten Jahren über die Frage der Willensfreiheit geführt wird, läßt sich ohne weiteres als Auslegungsstreit der Protagonisten beider Seiten bezeichnen. Dieser Dialog wird meist in Form von Vorwürfen geführt. Dabei sind unterscheidbare Nuancen der Vorwürfe festzustellen. Die Versuche der Vereinbarung beider Realitätszugänge sind zwar auffindbar, jedoch scheint eine gleichberechtigte Vereinbarkeit beider Positionen für die meisten Protagonisten beider Lager nicht ernsthaft in Frage zu kommen. Dies ist verständlich, da beide Seiten für sich reklamieren, unangreifbar zu sein.

Die vorliegende Arbeit soll der Versuch sein, eine einführende Geographie der Argumentationspositionen zu zeichnen, die das Feld der Frage nach der Freiheit oder Bedingtheit des menschlichen Willens zur Zeit bietet.

In einem ersten Teil sollen die begrifflichen und teilweise auch diskurshistorischen Hintergründe, die für die Erörterung des vorliegenden Argumentationsfeldes von Belang sind, erarbeitet werden. Dabei sollen die Problematik des Begriffes der "Willensfreiheit", die Frage nach dem Spezifischen in den Ergebnissen der Hirnforschung für die Debatte und zuletzt das diskussionsentzündende Experiment Benjamin Libets vorgestellt werden.

Daraufhin soll der zweite Teil der Arbeit die drei zentralen Positionen des Verhältnisses von Determinismus zu erlebter Willensfreiheit erörtern. Die Position des sogenannten "harten Determinismus" wird in den Veröffentlichungen von Wolf Singer, Wolfgang Prinz und Gerhard Roth. Die Position des Libertarismus soll anschließend anhand der Arbeiten von Geert Keil und Ansgar Beckermann dargestellt werden.

1 Hintergründe

1.1 Zum Begriff "Willensfreiheit"

Der Begriff "Willensfreiheit" ist ein eigentümlich philosophischer Terminus, dessen Definition umstritten ist. Der Begriff bedarf auch deshalb gewisser Klärung, da in der Alltagssprache zwar oft der Begriff "Freiheit" verwendet wird, jedoch meist im Sinne einer politischen Freiheit. Der Sinn nach der Frage von der Freiheit des eigenen Willens erschließt sich nicht sofort, denn der eigene Wille wird allgemein als frei wahrgenommen. Die tautologische Frage, ob es möglich ist nicht wollen zu können, was man will (die berühmterweise von Arthur Schopenhauer verneint wurde) ist nicht die Art der Willensfreiheit, die hier gemeint ist, vielmehr wird in der Diskussion, die in dieser Arbeit zentral ist, diese meist gleichbedeutend mit den Begriffen der "Wahlfreiheit" und "Entscheidungsfreiheit" gebraucht.[1].

Im Zentrum der Willensfreiheitsdebatte steht die Frage nach der sogenannten menschlichen "Suspensionsfähigkeit" eigener Entscheidung[2]. Die Frage erhält Spannung durch zwei grundlegende und sich widersprechende menschliche Erfahrungen: Das Erleben von und das vermeintliche Wissen um die Determiniertheit natürlicher Vorgänge, dessen Teil der Mensch selbst ist, auf der einen und der eigenen Erfahrung vom scheinbar freien Willen auf der anderen Seite.

Die Positionen zu diesem Widerspruch lassen sich in drei grobe Kategorien unterteilen[3]: Der Wille kann demnach aufgefasst werden als (1)determiniert und deshalb unfrei, genannt harter Determinismus, (2) nicht determiniert und deshalb frei, genannt Libertarismus oder (3) determiniert und trotzdem frei, genannt weicher Determinismus. Die vierte mögliche Kombination wird nur selten und von sogenannten freiheitspessimistischen Ansätzen vertreten, die an dieser Stelle außen vor gelassen werden sollen. Positionen (1) und (2) werden als "Inkompatibilismus" bezeichnet, Position (3) als "Kompatibilismus". Die Brisanz der Debatte wird dadurch anschaulich, dass alle drei Positionen innerhalb beider Disziplinen vertreten werden und stichhaltige Argumente vorbringen können.

Die Diskussion um diese Positionen ist in den letzten 40 Jahren um einige Akteure reicher geworden: Die Entwicklungen in den Neuro- und Kognitionswissenschaften und der Psychologie haben unaufhaltbar Positionen zu der Frage nach der Freiheit des menschlichen Willens aufgeworfen und versucht, in eigenen Stellungnahmen empirisch zu beantworten.

1.2 Philosophie contra Neurowissenschaft

Das Verhältnis von Philosophie und Naturwissenschaften ist seit dem Entstehen der modernen Naturwissenschaften zu Anfang der Neuzeit angespannt. Es wird oft der Vorwurf der mangelnden empirischen Grundlage der Philosophie vorgebracht. Dieser Vorwurf wird meist von dem Hinweis begleitet, dass die Naturwissenschaften in den vergangenen Jahrhunderten mehrere Bereiche, die traditionell von Philosophen bearbeitet wurden, übernommen haben, weil sie eine bessere Erklärung der Realität anboten. Dazu zählen vielleicht am Offensichtlichsten der Atomismus Demokrits und die meisten physikalischen Beschreibungen des Aristoteles, die mit dem besseren Erklärungsmodell Isaac Newtons obsolet wurden. Zudem wird das Aufkommen moderner Naturwissenschaften in der frühen Neuzeit oftmals als Aufbegehren gegen das mittelalterliche Weltbild, das als dogmatischer Schulterschluss aristotelischer Philosophie mit der christlichen Theologie gedeutet. Auf diese Art kam es im Fortlauf der Neuzeit zur Gründung der meisten Teilbereiche der Wissenschaft, bei einhergehender Verminderung der Erklärungszuständigkeiten der Philosophie.

Dieser Vorwurf ist in der Auseinandersetzung mit den Neuro- und Kognitionswissenschaften um die Deutungshoheit geistiger Vorgänge ernstzunehmen. Ein Zugang zu der Debatte ist demnach zweifelsohne die Frage nach Legitimität der eigenen Lehrstühle, was bezogen auf die Debatten mit der Neurowissenschaft Äußerungen wie "Vor allem Institutionen, die sich selbst ihr eigener Inhalt sind, würden bald verschwinden, wenn sie nach dem Prinzip unseres Gehirns strukturiert wären. Das hätte sicher auch Auswirkungen auf die rein institutionell betriebene Philosophie"[4], des Philosophen Klaus-Jürgen Grün und ähnlichen Sticheleien, meist von Seiten der Hirnwissenschaften, deutlich wird. Der polemische Tonfall ist nicht verwunderlich, da es die Aufgabe der Hirnwissenschaftler ist, überzeugend darzulegen, warum ihre Beschreibung der Wirklichkeit den besseren Zugang darstellt als die Philosophie. Die Versuche der empirischen Widerlegung der Willensfreiheit bauen zum Teil auf philosophisch aufgeladenen Vorstellungen davon auf, was es heißt, einen freien Willen zu besitzen. Oft spiegelt sich die Art auf die die Frage "Ist der Wille frei?" gestellt wird, bereits im Experimententwurf wider, sodass das Ergebnis nur zu einer Widerlegung der Willensfreiheit führen kann. Dies wird anhand der Libet-Experimente von einer ganzen Reihe von Philosophen aufgezeigt, beispielsweise von Geert Keil und Christian Geyer. Beanstandet werden dabei meist die den Experimenten zugrunde gelegten dualistischen Ich-Konzeptionen, in denen das Ich unterschieden wird von der Person, dem es gehört, sodass das Gehirn, oder bestimmte Areale darin, bestimmte Dinge früher wüssten, als die Person selbst. Dem kann entgegengehalten werden, was allen cartesianisch-dualistischen Selbstentwürfen entgegengehalten werden kann: Das Homunkulus-Problem in der Vorstellung des Geistes als Theateraufführung und der damit verbundene unendliche Regress.

Somit lassen die meisten Experimente, die einen Beweis der Unfreiheit des Willens aufzeigen wollen, offen, ob der Mensch einen freien Willen hat. Vielmehr zeigt sich darin, dass nach dem Falschen gesucht wird. Es wird deutlich, dass vor dem Versuch der Beantwortung einer Frage, die Reflexion stehen muss, wonach eigentlich gefragt wird und was eine sinnvolle Formulierung der Fragestellung sein könnte. Dazu ist es aber nötig, die Zusammenhänge der verwendeten Begriffe zu erforschen, um so eine Art "Begriffsgeographie" zu betreiben. Und auf diesem Wege wird oftmals die Aufgabe der Philosophie beschrieben.

1.3 Welche neuen Probleme bringt die Neurowissenschaft in die Frage nach der Willensfreiheit?

Die meisten Angriffe auf die Vorstellung eines freien menschlichen Willens sind, bedingt durch die Natur des Infragegestellten, in der Praxis nicht überzeugend. Die eigene Entscheidungsfreiheit ist ein praktisches Phänomen, welches theoretischen Überlegungen kategorisch zu trotzen weiß. Somit perlen die meisten Argumente aus den Reihen der Philosophie an der Natur des Problems ab.

Die gegenwärtige Debatte der Neurowissenschaften mit der Philosophie trägt erstaunliche Parallelen zu den jahrzehntelangen Debatten des 19. Jahrhunderts um das Problem der Ich-Lokalisation und der Willensfreiheit, die die damaligen Vertreter der Wissenschaft und der Philosophie geführt haben. Die Argumente der, sich damals noch als Materialisten bezeichnenden, Deterministen bezüglich des aus ihrer Forschung resultierenden Lebensbildes, unterschieden sich nur in einigen Details von denen der Neurowissenschaften. So entstanden Ansätze zu heute merkwürdig anmutenden experimentellen Unterfangen, wie beispielsweise der Versuch, eine "zerebrale Charakterologie"[5] zu betreiben, bei der die zelluläre Gehirnstruktur von Verbrechern, Genies und Geisteskranken untersucht wurden. Dies wurde mit dem Ziel betrieben, zerebrale Beschaffenheiten von Gehirnen als "Determinator menschlicher Qualitäten" gültig zu machen. Damals wie heute scheinen sich Vertreter der experimentellen Hirnwissenschaft berufen zu fühlen, grundlegende Aussagen über die menschliche Natur zu machen, die sie aus den Erkenntnissen ihres UntersuchungsAusschnitts der Wirklichkeit nehmen.

Christoph Geyer bemerkt, dass die neurowissenschaftliche Verneinung des freien menschlichen Willens deshalb zugleich abschreckt und fasziniert, weil sie die Verhältnisse, die seit Anfang der Willensfreiheitsfrage vor einigen tausend Jahren im Raum stehen, plötzlich scheinbar mühelos umzudrehen vermag. Somit wurde "(...) das Vorzeichen der Spekulation gegen das Vorzeichen der Exaktheit ausgetauscht."[6]. Die Protagonisten der Debatte auf Seiten der Hirnforschung stellen die Annahme einer Willensfreiheit als Hypothese dar, die aus einer populärpsychologischen Alltagsintuition heraus entstehe und es schuldig bleibe, sich gegen die erdrückende Last der objektiven Realitätsbeschreibung, wie sie die empirische Wissenschaft ja nun einmal darstelle, verteidigen zu müssen. Die alte Praxis wurde scheinbar über Nacht zur Theorie, weil eine "präzisere" Praxis gefunden wurde.

[...]


[1] Geert KEIL (2007): Willensfreiheit. Berlin : de Gruyter, S. 3.

[2] A. a. O., S. 7.

[3] A. a. O., S. 7.

[4] Gerhard ROTH ; Klaus-Jürgen GRÜN ; Marc BORNER; Gerhard ROTH ; Klaus-Jürgen GRÜN (Hg.) (2006): Das Gehirn und seine Freiheit. Göttingen : Vandenhoeck & Ruprecht, S. 53.

[5] Christoph GEYER et al.; Christoph GEYER (Hg.) (2004): Hirnforschung und Willensfreiheit. Zur Deutung der neuesten Experimente. Frankfurt am Main : Suhrkamp, S. 10.

[6] A. a. O., S. 12f.

Final del extracto de 24 páginas

Detalles

Título
Konzepte der Willensfreiheit im Spannungsfeld der Philosophie und der Neurowissenschaften
Subtítulo
Eine Darstellung der grundlegenden Positionen und einiger ihrer Protagonisten
Autor
Año
2009
Páginas
24
No. de catálogo
V180509
ISBN (Ebook)
9783668349353
Tamaño de fichero
507 KB
Idioma
Alemán
Palabras clave
konzepte, willensfreiheit, spannungsfeld, philosophie, neurowissenschaften, eine, darstellung, positionen, protagonisten
Citar trabajo
Grzegorz Olszowka (Autor), 2009, Konzepte der Willensfreiheit im Spannungsfeld der Philosophie und der Neurowissenschaften, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/180509

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