Auseinandersetzungen um Land in Palästina um 1948

Ethnische Homogenisierungspolitik als Ausdruck exklusiv-jüdischer Souveränitätsansprüche?


Exposé Écrit pour un Séminaire / Cours, 2011

28 Pages, Note: 1,0


Extrait


Inhalt

1 Einleitung

2 Historische Narrative zu 1948
2.1 Einleitung: Eine politisch kontroverse Geschichte
2.2 Sozialhistorische Zugänge / Interner Kolonialismus (nach Kimmerling)
2.2.1 Landvertreibungen von 1947 bis 1949
2.2.2 Auswirkungen auf die Bevölkerungsstruktur Palästinas
2.3 Die Neuen Historiker und der Revisionismus (nach Benny Morris)
2.4 Ethnische Säuberung (nach Ilan Pappé)
2.5 Anti-Revisionismus (nach Efraim Karsh)

3 Die israelische Staatsraison
3.1 Der Primat der Diplomatie auf dem Weg zur jüdischen Souveränität
3.2 Greifbare Souveränität, fragile Staatlichkeit und Konsolidierungszwang

4 Fazit

Karten

Quellenverzeichnis

Literaturverzeichnis

1 Einleitung

Auseinandersetzungen um Land, um Wohnraum oder der Umgang mit der arabischen Minderheit im israelischen Staat sind auch heute noch grundlegende und häufig wieder- kehrende Facetten im Nah-Ost-Konflikt. Begibt man sich auf historische Spurensuche nach den Ursachen dieser Misshelligkeiten, so scheinen besonders die Konflikte um Land in Palästina um das Jahr 1948, das Jahr der Staatsgründung Israels, seine Schatten zu werfen.

Dabei ist man bei der Aufarbeitung des Themas vor große Herausforderungen gestellt. Denn nicht nur fassen die israelische und die palästinensische Seite ihre Geschichte an- dersartig auf. Auch innerhalb der historischen Wissenschaften selbst wird kontrovers und stark politisiert debattiert. Divergieren die Ansichten bereits bei der Dokumentati- on der Fakten und Ereignisse in einem quantitativ-materiellen Sinne, so liegen sie bei der qualitativen Bewertung über das Ausmaß der Geschehnisse und der Motive der Ak- teure umso weiter auseinander. Bei der historischen, rechtlichen oder gar moralischen Beurteilung der Ereignisse scheinen die Standpunkte bisweilen als unvereinbar.

Dieser Unübersichtlichkeit gegenüberstehend werde ich eine methodisch vergleichende Untersuchung der einschlägigsten historischen Narrative und Theorien über die Ausei- nandersetzungen um Land um das Jahr 1948 in Palästina durchführen. Dabei sollen grundlegende Prämissen, Thesen und die wichtigsten Urteile systematisch nebeneinan- der gestellt werden. Die zentralen Aussagen dieser Narrative sollen nicht nur an ihren eigenen definitorischen Vorgaben gemessen werden. Mit der These der Ethnischen Homogenisierungspolitik werde ich meine Einschätzung der Ereignisse als Synthese vor- schlagen. Da zu diesem Zweck die Landvertreibungen von 1948 vorrangig aus der Per- spektive des israelischen Staates rekonstruiert werden sollen, möchte ich der überge- ordneten Frage nachgehen, welche Rolle die Landvertreibungen bei der Konsolidierung des israelischen Staates spielten.

Zunächst gilt es, die wichtigsten historischen Theorien zur Deutung der Landvertreibung vorzustellen (Kapitel 2). Als erweiterter Analyserahmen dienend wird die israelische Staatsraison vor und zur Zeit des Unabhängigkeitskrieges erläutert werden (Kapitel 3). Abschließend werde ich mit der These von der Ethnischen Homogenisierungspolitik eine synthetische Darstellung vorschlagen (Kapitel 4).

Dabei berufe ich mich auf die historiographischen Darstellungen von Kimmerling (Sozi- alhistorische Theorie), Morris (Revisionismus), Pappé (Ethnische Säuberung) und Karsh (Anti-Revisionismus). Als wichtigste Primärquellen werden die Balfour Declaration (1917), das Feisal-Weizmann-Agreement (1919), der UN-Teilungsplan (1947) und verschiedene Tagungs- und Sitzungsprotokolle aus der zionistischen Bewegung behandelt werden. Die Grenzen der Darstellung liegen einerseits in der Auswahl der historischen Narrative begründet, andererseits aber darin, dass ich mich vor allem auf die israelische Seite und weniger auf die arabische konzentrieren werde.

2 Historische Narrative zu 1948

2.1 Einleitung: Eine politisch kontroverse Geschichte

Bereits die Vielzahl der unterschiedlichen Bezeichnungen des Krieges von 1948 lassen erahnen, dass es sich um ein politisch höchst sensible historische Kontroverse handelt: Wird der Konflikt von 1948 in der arabischen Welt als „erster Palästinensischer Krieg“ bezeichnet, nennen ihn die Palästinenser selbst al-nakba, die „Katastrophe“. Auf jüdi- scher Seite werden mit „Unabhängigkeitskrieg“ ( ‹ — ), „Freiheitskrieg“ (milhemet hashihrur) und „Gründungskrieg“ (milhemet hakomemiyut) gleich drei Titel angeführt.1 Morris unterscheidet dabei zwei unterschiedliche Auseinandersetzungen: Den jüdisch-palästinensischen Bürgerkrieg vom 30. November 1947 bis zur Staatsgrün- dung am 14. Mai 1948 einerseits, und andererseits einen konventionellen Krieg zwi- schen dem Staat Israel und den arabischen Anrainerstaaten, welche unmittelbar am 15. Mai 1948 in Palästina einmarschierten, und welcher bis Ende 1949 andauerte (israeli- scher Unabhängigkeitskrieg).2

Mit dem UN-Teilungsbeschluss (Resolution 181)3 vom 29. November 1947 und der Ver- kündung der israelischen Unabhängigkeit vom 14. Mai 1948 ist ein chronologischer Rahmen des Bürgerkriegs gegeben. Die UN-Resolution sah vor, das seit dem Ende des Ersten Weltkriegs andauernde britische Mandat von 1920 aufzuheben und Palästina in einen jüdischen und einen arabischen Staat aufzuteilen. Laut Brenner wurde die Resolu- tion deshalb nur für den israelischen Staat umgesetzt, da von arabischer Seite die Grün- dung eines palästinensischen Staates neben dem jüdischen abgelehnt und der Plan spä- testens durch die Intervention der Nachbarstaaten ohnehin obsolet wurde.4 Rowley und Taylor dagegen behaupten, dass die Resolution 181 vorsah, 55% des Landes an Israel zu vergeben und nur 44% an die Araber. Da aber nur 7% dieses Landes zuvor in jüdischem Besitz war, sei diese Politik Ausdruck einer vollständigen Missachtung der vorherigen Eigentumsrechte gewesen, wenn man bedenke, dass die breite Mehrheit aus 1.237.000 Arabern zu 608.000 Juden bestand.5 Der Unabhängigkeitskrieg von 1948 bis Juli 1949 bedeutete für Israel vor allem Gebietsgewinne und Zugang zu West-Jerusalem. Hingegen wurden die Palästinenser während beiden Konflikten6 zur Massenflucht gezwungen, sodass etwa 600.000 bis 760.000 Menschen zwischen Dezember 1947 und September 1949 ihre Heimat verloren.7

Im Folgenden werde ich die Auseinandersetzungen um Land in Palästina untersuchen, indem ich ihrem Ausmaß, den Ursachen und der Beurteilung in den einschlägigen historiographischen Darstellungen nachgehen werde.

2.2 Sozialhistorische Zugänge / Interner Kolonialismus (nach Kimmerling)

2.2.1 Landvertreibungen von 1947 bis 1949

Unter britischem Mandat lebten 1,3-1,4 Millionen Araber in Palästina. Der schnelle Ab- zug der britischen Besatzungsmacht Ende 1947 bis Mitte April 1948 bedeutete laut Kimmerling das Ende der politisch und sozial kohärenten arabisch-palästinensischen Gesellschaft. Urbane Zentren und Über 350 Dörfer verschwanden. In der Stadt Jaffa wurde die Bevölkerung durch Krieg und Flucht von 70.000-80.000 Araber auf 3.000- 4.000 dezimiert. Insgesamt war ungefähr die Hälfte (650.000) der Gesamtbevölkerung auf der Flucht.8

Die Mehrheit der Flüchtlinge verließ Israel. Andere wurden aus ihrem Zuhause vertrie- ben, verblieben aber in Israel. Diese „internal refugees“ machten 15% von insgesamt 150.000 palästinensischen Arabern aus, die mit der Staatsgründung innerhalb der israe- lischen Grenzen lebten.9 Interne Flüchtlinge wurden in bereits bestehende Siedlungen umgesiedelt. Dadurch wurden sie einerseits in für Juden vorgesehenen Gebieten ausge- dünnt, andererseits entstanden dadurch neue arabische Ballungsräume.10 In den 1950ern lebten drei Viertel der Araber in Dörfern in West-Galiläa und im „kleinen Drei- eck“ Nord Israels. Im Gegensatz zu Städten wie Haifa, Jaffa, Safed und anderen war diese Gegend vom Krieg eher verschont geblieben.11

Auf dem beschlagnahmten Land der Araber wurden jüdische Bevölkerungsteile angesiedelt.12 Kimmerling bezeichnet die jüdische Siedlungspolitik um das Jahr 1948 deshalb als internen Kolonialismus.13 Auch andere bezeichnen den Zionismus als eine „Mischung aus nationalistischer Ideologie und Kolonialismus.“14 Definiert werden kann der Begriff des Internal Colonialism als:

“domination by a racially and culturally different foreign conquering group, imposed in the name of a dogmatically asserted racial, ethnic or cultural superiority, on a materially inferior indigenous population. [... ]a form of colonialism (that is, internal colonialism) within certain countries [...] seen usually as a stage of national integration”15

Problematisch an diesem stark soziologischen Ansatz ist, dass ber]eits die Definition dem Tatbestand nicht entspricht. Denn wie in Kapitel 3 gezweigt werden wird, war nicht die Dominanz über die Palästinenser, sondern die jüdische Unabhängigkeit und Bevölke- rungsmehrheit die politische Zielsetzung. Durch Dominanzstreben sind Vertreibungen dieses Ausmaßes nicht zu erklären, da die arabische Bevölkerung nicht beherrscht, son- dern entfernt werden sollte.

2.2.2 Auswirkungen auf die Bevölkerungsstruktur Palästinas

Laut Kimmerling bedeutete die Nakba für die arabische Bevölkerung in Palästina einen traumatischen Übergang von einer nationalen Majorität zu einer kleinen, politisch machtlosen Minderheit16, welche als Außenseiter (odd man out) weder von der jüdi- schen Bevölkerungsmehrheit, noch von den arabischen Anrainerstaaten wirklich akzep- tiert wurde.17

Die in Israel Übriggebliebenen werden als „zerbröckelnder Rest“ (crumbling part) be- zeichnet, deren soziale Situation mit den Arabern zu vergleichen ist, die in Flüchtlings- camps um Israel herum lebten. Viele Großfamilien (hamulas) wurden getrennt und zersprenkelt. Teilweise lebten Familienmitglieder diesseits und jenseits der Demarkati- onslinie („green line“), die mit den Waffenstillstandsabkommen 1949 nach Ende des israelischen Unabhängigkeitskrieges gezogen wurde.18

[...]


1 Benny Morris, 1948. A history of the first Arab-Israeli war, New Haven (CO) 2008, S. 77.

2 ebenda. Für meine Darstellung werde ich jeweils denjenigen Begriff wählen, der meinem Empfinden nach die im konkreten Zusammenhang referenzierte Zeit am geeignetsten bezeichnet. Ausdrücklich möchte ich mich dabei davon distanzieren, über den Gebrauch von Begriffen wie „Nakba“ oder „Unab- hängigkeitskrieg“ politische Einflussnahme für die eine oder gegen die andere Seite zu betreiben.

3 Siehe Karte auf S. 25

4 Michael Brenner, Geschichte des Zionismus, München 2002, S. 114-115. 5

5 Charles K. Rowley/Jennis Taylor, The Israel and Palestine Land Settlement Problem: An Analytical Histo- ry, 4000 B.C.E.-1948 C.E, in: Public Choice 128 (2006), S. 41-75, H. 1, hier S. 73.

6 Für die weitere Untersuchung kann somit die Zeitspanne als Ganze analysiert werden, wobei eine schar- fe Differenzierung zwischen beiden Konflikten in den Hintergrund rückt.

7 Brenner, Geschichte Zionismus, S. 114-115.

8 Baruch Kimmerling/Joel Samuel Migdal, The Palestinian people. A history, Cambridge (MA), London 2003, S. 171. Diese Zahlen decken sich also in etwa mit denjenigen aus Brenners Darstellung (siehe Sei- te 6).

9 ebenda. Diese Minderheit wird mit Rückbezug auf die Ereignisse auch 1948 Palästinenser genannt.

10 ebenda, S. 173.

11 ebenda, S. 172.

12 ebenda, S. 173.

13 ebenda, S. 176. In Anlehnung an den Begriff des „internal colonialism“ des Soziologen Michael Hechter

14 Ilan Pappé, Ethnic cleansing of Palestine, Oxford 2006, S. 24.

15 Stephen Wyn Williams, Internal Colonialism, Core-Periphery Contrasts and Devolution: An Integrative Comment, in: Area 9 (1977), S. 272-278, H. 4, hier S. 273.

16 Kimmerling/Migdal, Palestinian people, S. 175.

17 ebenda, S. 170.

18 ebenda, S. 172.

Fin de l'extrait de 28 pages

Résumé des informations

Titre
Auseinandersetzungen um Land in Palästina um 1948
Sous-titre
Ethnische Homogenisierungspolitik als Ausdruck exklusiv-jüdischer Souveränitätsansprüche?
Université
LMU Munich  (Historisches Seminar)
Cours
Juden und Araber in Israel: Einblicke in die pluralistische israelische Gesellschaft
Note
1,0
Auteur
Année
2011
Pages
28
N° de catalogue
V180645
ISBN (ebook)
9783656034445
Taille d'un fichier
1465 KB
Langue
allemand
Mots clés
Israel, Palästina, Nakba, Unabhängigkeitskrieg, 1948, Benny Morris, Baruch Kimmerling, Neue Historiker, Ilan Pappé, Efraim Karsh, Revisionismus, Landvertreibung, Ethnische Säuberung, Zionismus
Citation du texte
Samuel Lissner (Auteur), 2011, Auseinandersetzungen um Land in Palästina um 1948, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/180645

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