Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
I. Einleitung
II. Struktur und Geschichte der Volksversammlung
a) allgemeine Charakteristika
b) comitia curiata
c) comitia centuriata
d) comitia tributa
e) contiones
III. Das Volkstribunat
IV. Die Krise der Republik von den Gracchen bis Sulla
V. Die Neuordnung durch Sulla
a) Die Neuordnung
b) Die Nachwirkungen
VI. Schluss
I. Einleitung
Die drei bestimmenden politischen Institutionen der römischen Republik waren der Senat, die Magistratur und die Volksversammlung. Aber während die Magistratur und der Senat in der Literatur zur römischen Republik und Verfassung meist ausgiebig beschrieben und von allen Seiten betrachtet werden, erhält die Volksversammlung wenig Raum, so bspw. in Theodor Mommsens Standardwerk „Römisches Staatsrecht“.1 Die Volksversammlung scheint die unwichtigste der drei großen Institutionen gewesen zu sein, kontrolliert und instrumentalisiert durch die Senat und Magistratur beherrschende Nobilität. War die Volksversammlung also nur eine stets den Einflüsterungen und Anordnungen der Nobilität folgende zustimmende Akklamationsversammlung oder „an unparalleled generator of power and change“, die von Senat und Magistraten zum Wohle des ganzen Staates kontrolliert wurde?2
Auf jeden Fall schien es dem Diktator Sulla zu Beginn des 1.Jh. v.Chr. wichtig zu sein, ihre Macht (und die des eng mit der Volksversammlung verwobenen Volkstribunats) radikal zu beschränken. Diese Hausarbeit wird untersuchen, warum Sulla sich überhaupt gezwungen sah ihren Einfluss zu beschränken, wie Sulla versuchte dies zu erreichen und ob seine Maßnahmen erfolgreich waren. Hierzu wird zunächst die Geschichte und Struktur der drei Typen der römischen Volksversammlung, der comitia curiata, comitia centuriata und comitia tributa sowie den informellen Versammlungen, den contiones dargestellt. Daran anschließend folgt eine kurze Darstellung des Volkstribunats, da die beiden Institutionen Volksversammlung und Volkstribunat, nur wenn sie gemeinsam agierten, die Republik (und die kollektive Herrschaft der Nobilität) destabilisieren konnten und auch gemeinsam von Sulla bekämpft wurden. Es schließt sich an ein historischer Abriss der Krisenzeit der Republik bis zu Sulla, beginnend mit den Gracchen; Sulla und seine Politik sind nur zu verstehen aus der Erfahrung der ihm vorangegangenen fünfzig Jahre. Anschließend wird die von Sulla geschaffene Verfassung dargestellt und daraufhin analysiert, welche Maßnahmen er zur Eindämmung der Volksversammlung traf. Zu den wichtigsten antiken Quellen gehören natürlich Cicero sowie Gellius zur Staatsordnung; zur Zeit der späten Republik besonders Sallust, Appian sowie Dionysius von Halicarnassus. Aus der modernen Literatur sind zur römischen Volksversammlung Mommsens Staatsrecht ebenso wie die Werke von Lily Ross Taylor und Andrew Lintott hervorzuheben; zu Sulla und der Krise der Republik besonders Christian Meier sowie Theodora Hantos.
II. Struktur und Geschichte der Volksversammlung
Der Begriff „römische Volksversammlung“ ist genau betrachte eine grobe Vereinfachung, denn „die“ römische Volksversammlung gab es nicht. Anders als im klassischen Griechenland, wo sich alle Bürger einer Polis in einer Versammlung zusammenfanden und über alle anstehenden Angelegenheiten diskutierten und abstimmten, versammelte sich der populus romanus in seinen jeweiligen Stimmeinheiten, je nachdem was für ein Thema zur Beschlussfassung anstand und welches comitium dafür zuständig war. Die drei comitia unterschieden sich teilweise erheblich in Zusammensetzung, Struktur und Abstimmungsprozedur, daher ist eine genaue Beschreibung notwendig.
a)allgemeine Charakteristika
Trotz der großen Unterschiede waren allen römischen Stimmversammlungen einige Charakteristika gemeinsam, die hier kurz vorgestellt werden. Erstens musste jede Versammlung mindestens drei Markttage vorher öffentlich angekündigt werden ebenso mussten ihr mehrere contiones vorangehen (s. unten). Zweitens waren alle Versammlungen in eine gewisse Anzahl an Stimmkörpern aufgeteilt; die jeweilige absolute Mehrheit in einem Stimmkörper bestimmte die Entscheidung des Stimmkörpers. Für die Gesamtentscheidung war die absolute Mehrheit der Stimmkörper notwendig, nicht die der anwesenden Stimmberechtigten insgesamt (besonders deutlich wird dies bei den Zenturiatkomitien). Drittens wurden vor allen Versammlungen (außer dem concilium plebis) Auspizien durchgeführt, die bei einem negativen Omen auch zur Vertagung einer Versammlung führten; ebenso begannen alle Versammlungen mit einem Gebet.3 Außerdem mussten die Bürger in den Versammlungen stehen, ganz im Unterschied zu Griechenland.4 Viertens wurden die Abstimmungen ursprünglich namentlich und öffentlich durchgeführt, so dass die einfachen Bürger während der Abstimmung stark beeinflusst (oder bedroht) werden konnten, bspw. von ihren Patronen. Um dies zu unterbinden, wurden zwischen 137 und 106 Gesetze beschlossen, die für alle Abstimmungen den Stimmzettel, also geheime Wahlen einführten5 ; außerdem wurde ein neuer Straftatbestand der Wählerbestechung, ambitus, geschaffen. Gezählt, überwacht und mitgeteilt wurden die Stimmen von Beamten, den custodes.6 Stattfinden konnten Versammlungen an einem der dafür vorgesehenen Tage, ca. einem Drittel des Jahres; für Wahlen gab es allerdings feste Termine (meist im Sommer).7 Als wichtigstes gemeinsames Charakteristikum bleibt festzuhalten, dass die Volksversammlungen zwar große Rechte hatten, aber nur die Magistrate Versammlungen einberufen, Kandidaten zulassen und Ergebnisse verkünden konnten. Eine Volksversammlung ohne Einbindung der Magistratur (und damit der Senatsaristokratie) war nicht möglich, solange die Senatoren und Magistrate als Kollektiv handelten waren die Versammlungen also praktisch nicht in der Lage gegen den Willen der Nobilität zu opponieren.8 Trotzdem wäre es den Römern nie in den Sinn gekommen die Volksversammlung abzuschaffen, sie bildete einen unverzichtbaren Teil des römischen Staats- und Werteverständnisses.9
b)comitia curiata
Die comitia curiata sind der älteste Teil der Volksversammlungen, möglicherweise schon in der mythisierten Zeit der Stadtgründung10, auf jeden Fall aber in der Königszeit existierend; gleichzeitig sind sie aber in der späten Republik (mit der sich diese Hausarbeit primär befasst) die unwichtigste Versammlung. Sie setzten sich zusammen aus dreißig curiae, davon jeweils 10 aus den alten Familienverbänden der Tities, Ramnes und Luceres entsandt. In der Königszeit waren die Curiatkomitien- einberufen vom König- wohl die wichtigste Versammlung mit allumfassenden Kompetenzen (außer Kriegserklärungen), ihre Bedeutung schwand aber in der Republik schnell,11 ihre Kompetenzen wurden schrittweise erst auf die Centuriat-, dann auf die Tributkomitien übertragen. Seit ungefähr 218 versammelten sich die Bürger nicht mehr selbst, sondern wurden durch Liktoren vertreten (einer pro Kurie), so dass viele Bürger nicht mehr wussten, welcher Kurie sie überhaupt angehörten.12 Die Curiatkomitien hatten in der Republik erstens eine Akklamationsfunktion; jedes Jahr beschlossen sie die lex curiata, die das imperium der neuen Magistrate bestätigte und schwor ihnen die Treue. Zweitens wählten die Curiatkomitien, bzw. eine Unterform, die comitio calata, die Priester und Vestalinnen.13 Drittens blieben sie zuständig für Familienan-gelegenheiten wie Adoptionen und die Entstehung neuer Familienverbände. Einberufen werden konnten die comitia curiata durch Magistrate mit imperium, oder zur Priester- und Vestalinnenwahl durch den pontifex maximus. Ihr Versammlungsort war das comitium, der ältester Versammlungsplatz auf dem Kapitol.
c) comitia centuriata
Die comitia centuriata (Zenturiatkomitien) sind die zweitälteste Form der Volks-versammlungen, nachweisbar seit der ersten Konsulwahl in der Republik um 509 v.Chr, als Heeresversammlung vermutlich schon länger sich versammelnd. Seit den Ständekämpfen war sie die wichtigste Stimmversammlung mit weitreichenden Kompetenzen, aus verschiedenen Gründen verlagerte sich der Großteil der Gesetzgebung im Laufe des 3.Jh. hin zu den comitia tributa (vgl. Kap. II, c).14 Die Zenturiatkomitien waren timokratisch organisiert, um sicherzustellen dass „die meisten Leute nicht den meisten Einfluss hatten“ wie Cicero schrieb.15 Die aus spätrepublikanischer Zeit bekannte Zusammensetzung der 193 Zenturien muss zwischen 241 und 218 entstanden sein16 ; es gab 18 Reiterzenturien (equites), 170 Zenturien der Fußsoldaten (pedites) und 5 Zenturien Unbewaffneter. Die 170 Zenturien der pedites wurden dann nach Vermögen aufgeteilt in fünf classes.
Timokratisch waren die Zenturiatkomitien dadurch, dass es naturgemäß viel weniger reiche als arme Stimmberechtigte gab, sich die relativ wenigen aber bereits auf relativ viele Stimmkörper verteilten. Wenn also in einer Zenturie der equites 100 Bürger abstimmten, stimmten in einer der unteren classis schon mehrere tausend Bürger ab, das Gewicht beider Stimmkörper war jedoch identisch. In der einen Zenturie der besitzlosen Bürger stimmten so viele Bürger ab wie in den 70 Zenturien der 1.Klasse.17 Da zudem nacheinander abgestimmt wurde, beginnend mit den höchsten centuriae, konnten die reicheren Bürger alleine bereits beinahe eine Mehrheit bilden (92), so dass der Großteil der ärmeren Bürger gar nicht zur Abstimmung kam. Eine weitere zum Ende des 3.Jh. durchgeführte Maßnahme, die Aufteilung der classes in iuniores (17-45 Jahre) und seniores (über 46 Jahre)- mit klarem Übergewicht der seniores- wird als weitere Maßnahme gesehen, die in den Zenturiatkomitien Alter und Reichtum stärken sollten um hier ein Gegengewicht zu den deutlich stärker vom einfachen Volk dominierten Tributkomitien zu wahren.18
Auch ohne die Gesetzgebung verblieben zwei wichtige Kompetenzen stets bei den Zenturiat-komitien, die Wahl der mit imperium ausgestatteten Magistrate und Zensoren sowie die Kriegserklärung; hinzu kamen ursprünglich politische Prozesse für Kapitalverbrechen (z.B. Verrat), die im Laufe des 2.Jh. an die ständigen Gerichtshöfe (quaestiones perpetuae) übertragen wurden. Einberufen wurden die comitia centuriata durch einen Konsul bzw. Praetor (oder durch einen interrex für Konsulwahlen). Versammlungsort war auf jeden Fall außerhalb des pomerium, meistens auf dem Marsfeld.
d) comitia tributa
Die comitia tributa (Tributkomitien) sind die jüngsten der römischen Volksversammlungen, entwickelten sich aber primär aus praktischen Gründen zum Hauptgesetzgebungsorgan der späteren Republik. Die Tributkomitien bestanden seit 241 aus 35 tribus (Bezirke), vier urbane und 31 ländliche. Sie entstanden in den Ständekämpfen als Versammlung der Plebejer (concilium plebis) zusammen mit dem Volkstribunat. Nach den Ständekämpfen existierten sowohl das concilium plebis als auch die Tributkomitien (=concilium plebis+ Patrizier) parallel, wobei das concilium plebis seit 287 durch die lex Hortensia das ganze Volk bindende Beschlüsse fassen durfte19 ; danach wurden in den antiken Quellen die beiden Begriffe oftmals gleichgesetzt, es gab jedoch weiterhin Unterschiede in den Kompetenzen und Prozeduren. Die Beschlüsse der Tributkomitien wurden zudem als leges bezeichnet, die des concilium plebis hingegen als plebiscita. Es handelte sich also weiterhin um zwei unterschiedliche Versammlungen, von denen das concilium plebis allerdings die weitaus häufigere war.20 Die Zahl der 35 tribus wurde auch mit der Erweiterung des römischen Gebiets und des Bürgerverbandes nicht verändert, so dass Neubürger stets auf einige der bestehenden tribus verteilt wurden, so nach dem Bundesgenossenkrieg die neuen Bürger auf ganze 8 der 35 tribus und alle Freigelassenen auf die vier städtischen tribus.21
Aufgrund der deutlich geringeren Anzahl der Stimmkörper sowie der Tatsache, dass die Tributkomitien gleichzeitig abstimmten (anders als die Zenturiatkomitien) waren Abstimmungen hier deutlich schneller und einfacher durchzuführen, so dass alle Gesetzgebung, die nicht explizit den Zenturiatkomitien vorbehalten war, in die Tributkomitien verlagert wurde; die große Mehrheit davon wurde von Volkstribunen in das concilium plebis eingebracht.22 Zur allgemeinen Gesetzgebung kam die Wahl der Volkstribune und plebejischen Ädile (concilium plebis) und der kurulischen Ädile, Quästoren und weiterer niederer Beamter (comitia tributa) ebenso wie geringere Gerichtsverfahren vor der Einrichtung der ständigen Gerichte.23 Einberufen wurden die beiden Versammlungen von Konsuln/Prätoren bzw. den Volkstribunen. Für die Wahlen versammelte man sich zumindest in der späten Republik auf dem Marsfeld, für Abstimmungen und Prozesse auf dem Forum oder der Area Capitolina.24
e)contiones
Die contio (Kurzform von conventio25 = Zusammenkunft) wurde in der vergangenen Forschung oftmals als unwichtig betrachtet und nur kurz abgehandelt. Inzwischen ist jedoch klar geworden, dass die contio einen wichtigen Anteil an der Bildung der öffentlichen Meinung hatte. Die contio war keine Stimmversammlung, in ihr konnte aus formalen Gründen nichts beschlossen werden; dieser Unterschied wird deutlich bei Gellius: „Nam cum populo agere est rogare quid populum, quod suffragiis suis aut iubeat aut vetet, contionem autem habere est verba facere ad populum sine ulla rogatione.“26 Es wird also klar unterschieden zwischen einer Stimmversammlung (einberufen durch Magistrate zum ius agendi cum populo) und einer contio, in der „nur“ geredet aber nichts beschlossen werden kann. Trotzdem hatte eine contio große Bedeutung, indem sie erstens die Bevölkerung mit dem Thema/ den Kandidaten vertraut machte und zweitens eine Pro-/Contra-Diskussion ermöglichte, die in der Stimmversammlung nicht stattfinden durfte.27 Contiones folgten dem gleichen Grundprozedere, das heißt sie wurden von Magistraten einberufen und von Priestern inauguriert. Es mussten mehrere contiones im Vorfeld einer Volksversammlung stattfinden, bei Prozessen bspw. mindestens drei. In diesen Versammlungen wurde diskutiert, allerdings nicht zwischen allen Anwesenden, sondern zwischen den Teilnehmern eines vom einberufenden Magistraten besetzten Tribunals, das meistens sowohl Gegner als auch Befürworter eines Vorschlags enthielt.28 Jeweils eine contio fand unmittelbar vor der Abstimmung statt, bei Wahlen diente diese Versammlung zu technischen Informationen und dem Gebet. Nach der contio wurden die Wähler aufgefordert zur Wahl zu gehen (ire in suffragium) bzw. sich zu verteilen (discedere).29 Die contiones konnten also zwar keine Beschlüsse fassen, erfüllten aber die ebenso wichtigen Funktionen der Information und Diskussion, die damit quasi aus den Abstimmungen herausgelöst worden waren.
III. Das Volkstribunat
Im Folgenden wird kurz Geschichte und Struktur des Volkstribunats vorgestellt.30 Das Volkstribunat entstand während der Ständekämpfe in der Mitte des 5.Jh. Die Plebejer schufen es aus Eigeninitiative als Gegengewicht zu den patrizischen Magistraten; da das Tribunat somit noch außerhalb der Staatsordnung stand, wurde es mit einem religiösen Schutz belegt, der die Volkstribune unantastbar (sacrosanctus) machte. Durch diesen Schutz konnten sie jeden Bürger durch physische Präsenz vor den Magistraten retten (auxilium ferre). Zu diesem Schutz kam das Recht der Interzession, das heißt ein Volkstribun (es gab insgesamt zehn) konnte die Aktionen aller Magistraten unterbinden und durch den Gebrauch seines ebenso geschützten Siegels den ganzen Staat lahm legen.31 Außerdem hatte er das Recht das concilium plebis einzuberufen und nach einiger Zeit auch den Senat (ius senatus habendi). Trotz dieser weitreichenden Rechte war das Volkstribunat lange Zeit keine Bedrohung für die bisherige Ordnung, denn bald nach den Ständekämpfen, spätestens aber ab 287 war das Tribunat in die normale Magistratur eingegliedert, und so wie plebejische Familien zusammen mit den Patriziern die Nobilität bildeten, wurde das plebejische Tribunat zu einem Machtinstrument der herrschenden Nobilität. Durch ihre umfassenden Rechte konnten Tribune dann sogar andere Magistrate oder Tribune davon abhalten gegen die Interessen der Senatsaristokratie zu handeln, da sicherlich mindestens einer immer bereit war gegen den „gegnerischen“ Magistrat zu interzedieren; eine Situation, die sich erst mit den Gracchen ab 133 wieder änderte.
IV. Die Krise der Republik von den Gracchen bis Sulla
Seit ca. 150 zeigten sich die ersten Zeichen einer innenpolitischen Krise- außenpolitisch hingegen war es eine Phase der großen Expansion- in der Republik32 ; Krise meint hier, dass die kollektiven Interessen der Nobilität begannen zu verschwinden und dass das Volk dann von einzelnen Politikern gegen den Willen der Mehrheit in eine bestimmte Richtung geführt wurde. Diese Politik durch das Volk (nicht zwangsläufig für das Volk) bezeichnet man heute als populare Politik konträr zu einer optimaten Politik durch die herkömmlichen Instrumente des Senats. Diese beiden Gruppen waren keine Parteien im modernen Sinne, sondern Gruppierungen mit fluktuierender Zusammensetzung und unterschiedlichen Methoden, sich aber aus der gleichen Schicht rekrutierend und (meist) mit den grundsätzlich gleichen Zielen.33 Mit dem Tribunat Ti. Gracchus 133 entwickelte sich dieser Unterschied zu einem akuten Problem. Vom Beginn des 2.Jh. bis zu Gracchus waren große Teile der römischen Landbevölkerung verarmt; verursacht wurde das v.a. durch die zunehmende Besetzung von ager publicus (Staatsland) durch Angehörige der Nobilität und anschließende Bewirtschaftung durch Sklaven.34 Die meisten kleineren römischen Bauern musste daher ihr Land verkaufen, teilweise wurde es auch gewaltsam enteignet, was zu Armut, Arbeitslosigkeit und einer zunehmenden Landflucht führte. Ti. Gracchus versuchte den idealisierten ursprünglichen Zustand der freien, sich selbst versorgenden römischen Bauernschaft wiederherzustellen; seine Ziele sind vielleicht als konservativ zu bezeichnen35, seine Methoden in ihrer Konsequenz auf jeden Fall revolutionär. Gracchus brachte ohne Konsultation des Senats ein Gesetz in die Volksversammlung ein, dass den Besitz von ager publicus und (dies war neu) bereits vergebenes Land an Landlose neu verteilte. Sowohl aufgrund der gewählten Methode der Ignorierung des Senats als auch der Maßnahme selbst (die viele Senatoren ihre Haupteinnahmequelle kostete), opponierte der Senat gegen Gracchus und behinderte die Durchführung des Gesetzes. Zusätzlich Brisanz erhielt Ti. Gracchus Politik dadurch, dass er einen seine Gesetze interzedierenden Volkstribun durch Volksbeschluss absetzte; diese Absetzung musste in den Augen der Nobilität zur Entwertung des Interzessionsrechts der Volkstribune und damit zum Verlust eines Disziplinierungsinstruments führen (s. oben); als er weiterhin versuchte sich erneut zur Wahl zu stellen und damit Furcht vor einer langen Periode gracchischer Politik weckte, wurde er zusammen mit vielen seiner Anhänger von einem vom Senat ausgehenden Mob getötet.36 Cicero spricht davon, dass durch Gracchus Methoden das Volk praktisch dauerhaft in zwei Teile gespalten wurde.37 Auf ihn folgte sein Bruder Gaius Gracchus, der in seinen Tribunaten 123 und 122 durch die Volksversammlung Gesetze in praktisch allen Rechtsbereichen beschließen ließ und die Senatsaristokratie erneut brüskierte; durch bspw. ein Gesetz über die Neubesetzung der Gerichte für Amtsmissbrauch mit equites an Stelle von Senatoren und die Entmachtung der Prätoren in diesen Prozessen begann er die Kräfteverhältnisse im Staat zu verschieben. Als er für seine Widerwahl noch radikalere Vorschläge einbrachte, wurde er durch die Konsuln getötet; nachdem durch die Gracchen die Macht eines „ausbrechenden“ Volkstribuns sowie die Missstimmung des Volkes und ihre Gefahren für die herrschende Schicht deutlich geworden waren, begann eine über zehnjährige Phase der Restauration.38 In den letzten Jahren des 2.Jh. zeigten sich durch die Misserfolge gegen Jugurtha und die Kimbern und Teutonen aber erneut die mangelhaften Qualitäten der Nobilität, was C. Marius seine sechs Konsulate ermöglichte; zum Durchsetzen seiner Gesetze über Militärdienst und Veteranenversorgung griff er auf die Hilfe des Volkstribunen Saturninus zurück; dieses Bündnis zwischen Tribunen und einem ordentlichen Magistraten zeigte erneut die drohende Spaltung der Nobilität und die Möglichkeiten einzelner Männer mit der Volksversammlung und dem Tribunat am Senat vorbei zu agieren. Zu Beginn des 1.Jh. wurden die außenpolitischen Probleme Roms eher vernachlässigt, so dass es 91 zum Ausbruch des Bundesgenossenkrieges kam und 88 zum Krieg gegen Mithridates kam. Die Frage der Verteilung der Neubürger nach dem Ende des Bundesgenossenkrieges war heftig umstritten; vielleicht aus Angst vor „Überfremdung“ und einer noch stärkeren Tendenz des Volkes zusammen mit den Tribunen gegen die Nobilität zu handeln wurden die Neubürger auf wenige tribus verteilt. Als der Tribun Sulpicius versuchte dies zu ändern, nahm Sulla (dann Konsul) Rom zum ersten Mal ein, verließ es aber bald wieder um gegen Mithridates zu kämpfen; bald wurden Cinna und Marius zu Konsuln gewählt, die ihre populare Politik fortsetzten. Mit dem Anspruch, die Autorität des Senates und die Stabilität des Staates wiederherzustellen39, nahm er aus dem Osten zurückkehrend Rom ein zweites Mal ein.40
[...]
1 bei Mommsen werden der Senat und die Magistratur in mehreren Bänden erläutert, während es für die Volksversammlung nur knapp 100 Seiten sind
2 vgl. Lintott 2003, S. 64
3 Cic. Mur. 1
4 Cic. Flacc. 15-17
5 Lintott 2003, S. 46
6 Cic. Planc. 14
7 Bleicken 1995, S. 131
8 Lintott 2003, S. 43
9 Bleicken 1995, S. 212-216
10 Dion. Hal. ant. 2,12,14
11 Mommsen 1952, S. 306-317
12 Taylor 1966, S. 4
13 Lintott 2003, S. 49
14 Taylor 1966, S. 5
15 Cic. Rep. 2,39
16 Lintott 2003, S. 58
17 Bleicken 1995, S. 122
18 Lintott 2003, S. 61
19 Bleicken 1995, S. 123
20 Lintott weißt nach, das mindestens 58 und 9 v.Chr. die comitia tributa als Versammlung aller Bürger inkl. Patrizier unter Vorsitz der Konsuln tagten (Lintott 2003, S. 54); auch Bleicken und Taylor differenzieren klar zwischen den beiden Versammlungen, eine Meinung der ich mich anschließe. Eine andere Meinung vertritt bspw. der Autor des einschlägigen DNP-Artikels, der die Tributkomitien und die Plebejerversammlung seit 287 als identisch ansieht.
21 CAH 1994, S. 44
22 Taylor 1966, S. 6
23 Mommsen 1952, S. 324
24 Taylor 1966, S. 11
25 Taylor 1966, S. 2
26 Aul. Gel. 13,16
27 Taylor 1966, S. 15-16
28 Taylor 1966, S. 18
29 Taylor 1966, S. 2
30 Die folgende kurze Beschreibung basiert v.a. auf der Darstellung in Bleicken 1995, S. 108-110. Für genauere Darstellungen siehe Jochen Bleicken, Das Volkstribunat der klassischen Republik: Studien zu seiner Entwicklung zwischen 287 und 133 v. Chr., München 1955 sowie Lukas Thommen, Das Volkstribunat der späten römischen Republik, Stuttgart 1989
31 wie es z.B. Ti. Gracchus im Jahre 133 tat
32 Sallust setzt als Beginn des Verfalls den Fall Karthagos 146 an (Sall. H. 1,11) aber Konflikte bspw. zwischen Tribunen/Volksversammlungen und der restlichen Nobilität gab es auch schon 151 und 148, vgl. Meier 1988, S. 126-128
33 CAH 1994, S. 45-61
34 Crawford 1994, S. 117-119
35 Meier 1988, S. 129
36 Crawford 1994, S. 125-128
37 Cic. rep. 1,31
38 Crawford 1994, S. 135-141
39 Cic. Phil. 8,7
40 Crawford 1994, S. 159-172